Christiane Florin: Wenn ein Roman in einem Kloster spielt, dann läuten die Umberto-Eco-Alarm-Glocken. In Ecos Bestseller "Der Name der Rose" wird zwar viel gestorben, gemordet genauer gesagt. Aber abgesehen davon geht es bei den italienischen Benediktinern ziemlich lebensprall zu. Klosterklassiker neigen trotz Armutsgelübde zur Opulenz.
Anders die Schriftstellerin Husch Josten. Sie schreibt in ihrem Klosterroman schlank und geradeheraus über einen Ordensmann, einen Priester, der sich besonders rigorosen Vorschriften unterwirft: den Regeln des Heiligen Benedikt und denen der Piusbruderschaft. "Land sehen" heißt der Roman. Er spielt nicht im Mittelalter, auch nicht in Italien. Er ist in der Gegenwart angesiedelt, in einem Kloster in der Eifel.
In dieser Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse. Es gibt nur wenige belletristische Neuerscheinungen, die sich derart intensiv mit Religion befassen wie "Land sehen". Und es gibt nicht viele Schriftstellerinnen, die das Ringen mit dem Glauben so zum Thema machen wie Husch Josten. Ich habe vor der Sendung mit ihr gesprochen. Aber bevor sie zu Wort kommt, hören wir zunächst in den Roman hinein. Der Ich-Erzähler ist Hora, ein Mann mittleren Alters in einer mittleren Lebenskrise. Er denkt über seinen Onkel Georg nach, und das ist eben jener merkwürdige Priester.
Was einen wie Georg, der im Leben nichts ausgelassen hat, der zweimal verheiratet war, um festzustellen, dass die Ehe die unzweckmäßigste Erfindung der Zivilisation neben viereckigen Wassermelonen ist, der nach dem Studium der Rechtswissenschaften sein Glück als Anwalt, als Barpianist, als Schaffarmer in Schottland und als Croupier in Casinos versuchte, was also einen wie ihn dazu gebracht hat, in eine der reaktionärsten Ordensgemeinschaften der katholischen Kirche einzutreten - es beschäftigte mich, seit er aufgetaucht war und mindestens so sehr wie die unerquickliche Frage, wie ich selbst, genauer betrachtet, zum Glauben stand. Dies hatte ich zu meiner Bestürzung, wie gesagt, gleich nach seinem Anruf aus Argentinien über ihn in Erfahrung bringen können: dass er zuletzt in der Auvergne in der Abtei Notre-Dame de Bellaigue zu Hause gewesen war. Bei Mönchen, die die Liturgie in der außerordentlichen Form des römischen Ritus feierten, die Öffnung der Kirche im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnten und der Bruderschaft St. Pius X. verbunden sind, sich zwar Benediktiner nennen, aber keiner benediktinischen Kongregation angehören. Der Onkel war also mehr oder weniger ein Piusbruder, über die ich wusste, was alle Zeitungsleser wissen. Es empörte mich. "Wie bist du in diesen Orden geraten?", fragte ich Georg bei einem unserer Treffen, die sich seit seiner Ankunft in Bonn zweimal wöchentlich ereigneten, als hätten wir es so verabredet. "Ich habe ihn mir ausgesucht", lautete seine Antwort. Er bemerkte meinen Blick. Sah mich lange an: "Ich habe gute Gründe, Hora. Lässt du das gelten?" "Eigentlich nicht", erwiderte ich.
Florin: Soweit der Auszug aus "Land sehen". Husch Josten, die diesen Roman geschrieben hat, ist jetzt meine Gesprächspartnerin.
Wir haben gerade Georg gehört, den Priester. Don Camillo, Pater Brown, jetzt bei Ihnen Georg. Was haben Priester, was weltliche Protagonisten nicht haben?
Josten: Also qua Amt und durch ihre Nähe zu Gott haben sie bestenfalls als Vorbild eine gewisse Autorität und füllen die in der Idealvorstellung, zum Beispiel als Don Camillo, mit Humor, mit Integrität, mit einem großen Maß an Güte und Großzügigkeit, und ich glaube, das ist etwas, wonach sich Menschen sehen, warum es solche Figuren in der Literatur und im Film gab.
"Er musste einen sehr radikalen Schritt tun"
Florin: Nun ist dieser Georg formal zumindest kein Inbegriff an Güte, er ist nämlich ein Priester der Piusbruderschaft, also einer vom erzkonservativen Flügel – das wäre noch geschmeichelt –, vom reaktionären Flügel. Die Piusbruderschaft, die gehört ja nicht mehr zur katholischen Kirche, weil sie unter anderem das Zweite Vatikanische Konzil ablehnt. Warum musste es ausgerechnet ein Piusbruder sein?
Josten: Das hat zum einen mit dem Verlauf der Geschichte zu tun. Georg musste einen sehr extremen Schritt gehen, also mein Protagonist konnte nicht einfach irgendein Priester werden, sondern er musste einen sehr radikalen Schritt tun. Das ist das eine, und das andere ist, dass mich die Frage fasziniert hat, warum haben diese reaktionären, die sehr traditionalistischen Klöster Zuwachs, während die gemäßigteren Ordensgemeinschaften um Nachwuchs kämpfen müssen. Also was haben die einen, was die anderen nicht haben? Und das fand ich sehr faszinierend, mich mal zu fragen, warum ist das so? Warum gibt es da so viele junge Männer, die sich den strengen Regeln eines solchen Klosters unterwerfen wollen?
Florin: Und welche Antwort haben Sie gefunden?
Josten: Naja, es geht um Ordnung im weitesten Sinne. Es gibt zwei Antworten: Es gibt, glaube ich, eine psychologische und es gibt natürlich auch eine theologische. Die psychologische ist, dass Ordnung eine gewisse Entlastung schaffen kann. Dass die Vielfalt und Liberalität unserer Zeit manchen Menschen auch Überforderung sein kann. Und dann ist Ordnung etwas wie ein hilfreiches Prinzip. Also man kann sich darin fallen lassen und weiß genau, das ist die eine Wahrheit, das ist der eine Weg, den ich gehen möchte.
Dann gibt es aber natürlich auch das Theologische daran, also die tiefe Überzeugung, dass es einen von Gott vorgegebenen und vorgezeichneten Weg gibt, diese eine Wahrheit, und nicht, wie liberalere Christen meinen, die Freiheit, zu entscheiden, wie man diese Ordnung selber errichten möchte. Das ist ein Grundsatzstreit. Gerade im letzten Jahr, glaube ich, ist der wieder von den Theologen Karl-Heinz Menke, Magnus Striet und Stephan Goertz geführt worden. Also es geht wirklich um einen innerkirchlichen Konflikt, der ein großes Ausmaß hat. Das sind so die beiden Pole, denke ich, warum Menschen Ordnung suchen können. Einmal aus tiefer Überzeugung natürlich, aber auch, weil sie ein Bedürfnis nach Ordnung haben.
Die Wirklichkeit holt den Roman ein
Florin: Ihr Roman spielt in einem Kloster, das es tatsächlich gibt: in der Eifel Kloster Reichenstein. Sind Sie dort gewesen?
Josten: Ja, ich bin dort gewesen, mehrfach, und die Wahl auf Reichenstein ist gefallen, weil die Geschichte in der Eifel spielen sollte und musste. Das war mir sehr klar, und ich kannte Kloster Reichenstein noch von ganz früher. Ich bin oft da wandern gewesen, schon als Kind, und dann hatte ich vor, in dieses durchaus idyllisch, aber auch ein bisschen gruselig gelegene Kloster eine sehr konservative Ordensgemeinschaft zu setzen – eine fiktive. Als ich aber da ankam, stellte ich fest, dass genau das, was ich da tun wollte im Roman, tatsächlich passierte, und da war niemand überraschter als ich, nämlich dass ein Orden, die Brüder von Notre-Dame de Bellaigue aus Frankreich, gerade im Begriff war, das Kloster zu restaurieren und es wieder zu besiedeln, was inzwischen geschehen ist. Die stehen den Piusbrüdern sehr nahe. Ja, und dann haben wir im Verlag lange überlegt, nehmen wir denn jetzt wirklich den Orden, der da ist, der dahingeht, oder braucht es einen fiktiven? Und nach einigem Hin und Her haben wir doch entschieden, wir nehmen den, der da ist, denn ich mache das ja ganz gerne in meinen Romanen, dass ich die Realität mit der Fiktion etwas vermische und daraus etwas Eigenes mache.
Florin: Sie haben das vorhin so geschildert: Es gibt einerseits diejenigen, die in diesen Klöstern Ordnung suchen, weil sie mit der komplizierten Welt, wo man es so sehen kann und so sehen kann und so die Wege dazwischen suchen muss, weil sie mit dieser Welt überfordert sind, und auf der anderen Seite diejenigen, die fest davon überzeugt sind, dass sie den Weg und die Wahrheit gefunden haben. Also auf der einen Seite die Unsicheren, auf der anderen die ganz Sicheren. Haben Sie diese Menschen dann auch dort konkret so gefunden?
Josten: Ja, tatsächlich. Es war allerdings nicht wirklich möglich, viel zu reden. Also die Abschottung nach Außen, die ja auch oft ein Prinzip ist, die ist mir schon sehr begegnet. Also war eine sehr verschlossene Angelegenheit, ganz anders als bei anderen Klöstern, bei denen ich dann sein durfte und über den Glauben diskutieren durfte, und da war eine ganz andere Gesprächskultur. Nein, das ist sehr abgeschottet, und ich glaube, das soll es auch sein. Also man macht so in seinem Anspruch an Kirche, Wahrheit und Frömmigkeit deutlich, dass man keine Verwässerung möchte, keine äußeren Einflüsse, und dazu gehören sicher auch Gespräche, die sehr kritisch geführt werden könnten.
Der lästerliche Patchwork-Glauben
Florin: Und Deutschland liegt da vor diesen Ordensbrüdern wie ein Missionsgebiet?
Josten: Ja, also das wird so empfunden, dass in Deutschland viel zu tun ist, weil eben hier, wie in der gesamten westlichen Welt, die Einflüsse von Globalisierung, von Liberalismus und so weiter den ursprünglichen Glauben, den Kern des Glaubens vermeintlich verwässern. Das wird so empfunden – tatsächlich auch von vielen Gläubigen. Das ist das Interessante daran, dass es einen Zuwachs gibt in solchen Gemeinden.
Florin: Ich habe mal eine Reportage über eine Priesterweihe bei der Piusbrüderschaft gemacht, und danach gab es heftige Reaktionen aus der Piusbrüderschaft, empörte Reaktionen. Wie ist das jetzt bei Ihnen? Haben Sie aus dem Kloster oder von der Piusbrüderschaft Reaktionen auf den Roman bekommen?
Josten: Nein, überhaupt nicht, aber von anderen Klöstern, sehr liberalen, die sich tatsächlich bedankt haben, die großartig reagiert haben oder gesagt haben, das ist eine ganz schöne Geschichte, und wir sind froh, dass es so differenziert darin dargestellt wird. Aber nichts von den Piusbrüdern, nein.
Florin: Womit erklären Sie sich das?
Josten: Wahrscheinlich denken sie, das ist das Klischee über sie, das da ausgebreitet wird. Und ich bilde mir ein, dass es das nicht ist.
Florin: Wie ist das Klischee?
Josten: Ja, dass sie streng und rückwärtsgewandt und vollkommen zu sind. Aber genau so habe ich sie ja nicht gezeichnet.
Florin: Mir haben die damals gesagt, sie seien die Avantgarde.
Josten: (lacht) Also das würde ich nicht so empfinden. Das finde ich aber schön.
Florin: Könnte ja auch sein, dass das ein Ausdruck von Selbstbewusstsein ist, dieses Nicht-Reagieren oder nicht mehr Reagieren auf den sezierenden Blick der Schriftstellerin.
Josten: Das glaube ich unbedingt. Also da ist eine solche Überzeugung von sich selbst in all dem, was dort geschieht, eine solche Unverrückbarkeit in den Annahmen, dass das, was ich da schreibe über einen Patchwork-Glauben, den mein Protagonist vertritt, beziehungsweise ein Mönch aus der Geschichte, der das erzählt, das wird, glaube ich, als lästerlich, als der typische Wohlfühlglauben von den Piusbrüdern oder den Brüdern von Notre-Dame de Bellaigue empfunden. Da gibt es eine große Front, eine starke überzeugte, selbstüberzeugte Front.
"Ein Buch über den Glauben? Du bist verrückt!"
Florin: Nun handelt Ihr Buch ja nicht alleine von der Auseinandersetzung mit der Piusbrüderschaft – also sozusagen katholische Kirche, Piusbrüderschaft, was trennt die, was verbindet die vielleicht auch? –, sondern es ist eine ganz intensive Auseinandersetzung mit Grundfragen des Glaubens und des Glauben-Könnens. Warum lieben Sie diese langen, grundsätzlichen Gespräche in Ihren Romanen?
Josten: Also das ist nicht so, dass ich mich hinsetze und sage, jetzt schreibe ich einen Roman mit langen grundsätzlichen Gesprächen, sondern tatsächlich sind immer erst diese Figuren da, und die erfordern solche Gespräche, die wollen die geradezu, weil sie suchen nach Antworten. Und ich glaube, dass viele von uns suchen und sich solche Fragen stellen, nur wir reden ganz selten darüber. Also über den Glauben wird ganz selten geredet, weil man sich ja gleich verdächtig macht, wenn man über den Glauben spricht. Man ist oft in so einer Ecke, dass Leute befürchten, man wäre missionarisch unterwegs und wollte da jetzt eine Lanze für irgendetwas brechen. Aber dass man einfach ganz neutral diese Frage stellt, weil es einen interessiert, wie andere Menschen dazu stehen, das passiert selten, finde ich zumindest. Und das wollte ich gerne in diesem Buch machen, wenn zwei Menschen sich wiederfinden, die sich sehr gerne haben und an unterschiedlichen Stellen in ihrem Leben stehen und unterschiedliche Positionen haben. Wie kommen die miteinander klar und wie reden die miteinander, weil sie miteinander reden möchten.
Florin: Wie kommt das Thema Religion, Glaube, in diesem Fall Katholizismus in der Kulturszene an?
Josten: Gut. Bisher habe ich wirklich nur sehr schöne und gute Reaktionen darauf bekommen. Natürlich erst auch das Erstaunen von Schriftstellerkollegen, zum Beispiel, die gesagt haben, worüber schreibst du gerade oder woran arbeitest du, oder so? Und dann habe ich gesagt, also im weitesten Sinne geht es auch um den Glauben, dann guckten die mich an und sagten, du bist verrückt! Also das war die erste Reaktion. Das fand ich ganz witzig, weil das so typisch ist für die Reaktion. Also, womit kommst du denn jetzt da um die Ecke oder was machst du denn da gerade? Aber jetzt, wo die Geschichte da ist und eben klar ist, sie ist überhaupt nicht missionarisch, sondern sie beschäftigt sich einfach nur mit zwei Menschen, die sich wiedersehen und ihre Grundpositionen klären, sich annähern wollen, und dass die Fragen eben ewige sind, die wir uns alle mal gestellt haben und immer wieder mal stellen, sind die Reaktionen ganz schön.
"Andächtige Atmosphäre"
Florin: Sie haben kürzlich auch in einem Kloster gelesen, einem Kloster, das im Roman auch vorkommt, in Maria Laach. Ist das ein Unterschied, ob man in einem Literaturhaus liest oder in einer altehrwürdigen Bibliothek eines Klosters?
Josten: Ja, ganz unbedingt! Also die Premierenlesung des Buches fand in einem Literaturhaus statt, und es war eine sehr beschwingte, sehr lockere Stimmung. In Maria Laach war das schon durch den Ort eine ganz besondere, ja, eine ganz andächtige, würde ich fast sagen – aber nicht des Buches wegen, sondern der Umgebung wegen –, Atmosphäre. Und dann waren die Menschen, die dort waren, auch viel, viel interessierter und intensiver unterwegs mit diesen Glaubensfragen. Die waren sehr interessiert an den Kernfragen.
Florin: Und der Orden hat Ihnen nicht übelgenommen, dass das Klostershop-Buchsortiment im Roman nicht so gut wegkommt?
Josten: Doch, das Klostershop-Buchsortiment kommt gut weg, der Rest nicht so ganz. Das war ganz lustig. Doch, da hat mich jemand drauf angesprochen aus dem Kloster und hat gesagt, finden Sie das wirklich so schlimm? Und dann habe ich gesagt, nein, nicht ich, mein Protagonist. Nein, man hat es mir nicht übel genommen.
Florin: Der Begriff Ordnung spielt in unserem Gespräch und auch im Roman eine zentrale Rolle. Wie diese Ordnung ganz konkret aussieht, das hören wir jetzt. Es ist die Beschreibung der Klosterkirche.
Am Eingang ein Ständer mit einem Schild: "In dieser Kirche wird aus Ehrfurcht vor dem Leib Unseres Herrn Jesus Christus die heilige Kommunion nur als Mundkommunion gespendet, so wie es auch Papst Benedikt XVI. wünscht, dass es wieder überall so sei. Die hl. Kommunion darf empfangen, wer katholisch getauft ist, den ganzen katholischen Glauben anerkennt, sich von schwerer Sünde frei weiß und vor nicht allzu langer Zeit das Sakrament der Beichte empfangen hat, die eucharistische Nüchternheit einhält wenigstens eine Stunde vor Empfang der Kommunion." Daneben ein Weidenkorb mit abgegriffenen, vergilbten Gesangs- und Gebetbüchern. Natürlich, die aktuellen durften es so wenig sein wie der aktuelle Papst. Selten habe ich mich über religiöse Borniertheit sonderlich ereifern können. Noch nie hat mich die Gesittung, die Verschlossenheit mancher Kirchengemeinden mehr als ein bedauerndes Achselzucken gekostet. Diesmal war es anders, und es entspräche den Tatsachen nicht, es milder zu beschreiben: Das Schild erfüllte mich mit Zorn. Es zeugte von solcher Arroganz und Überheblichkeit, dass ich Georgs Kollegen die Meinung sagen wollte. Wenn ich die verdammte Kommunion zu mir nehmen möchte, schoss es mir durch den Kopf, kann ich das tun, wie ich möchte. Und wenn ich sie besoffen im Kopfstand empfangen möchte - wer seid Ihr, dass Ihr mir das verwehrt? Es gibt keine falsche oder richtige Beziehung zu Gott. Ich muss nicht beichten gehen, wenn ich nicht will, aber wenn ich irgendetwas vom Glauben verstanden habe, ist er trotzdem für mich erreichbar. Wer also glaubt Ihr zu sein, dass Ihr die Besucher Eurer Kirche derart selbstgerecht und anmaßend abkanzeln zu dürfen meint?
Florin: Was ist schwieriger zu schreiben: Glaubensgespräche oder Liebesszenen?
Josten: Liebesszenen! Liebesszenen finde ich ganz, ganz schwierig. Das kann furchtbar ins Auge gehen, und das können auch nur ganz wenige Autoren richtig toll.
Florin: Und trotzdem ist ja auch Ihr Buch eines nicht nur über den Glauben, sondern auch über die Hoffnung und die Liebe.
Josten: Das stimmt. Aber die Liebesszenen waren deutlich schwieriger als die Glaubensgespräche, wobei …
Florin: Auch weniger ausführlich als die Glaubensgespräche.
Josten: Stimmt, ja. Das liegt daran, dass ich wirklich gute Theologen als Helfer hatte, die die Glaubensgespräche schon mit mir auseinandergenommen haben. Bei den Liebesszenen gab es keine solche Beratung.
Die Suche nach der einen Antwort
Florin: Hat Ihr Buch eine politische Komponente?
Josten: Das ist eine sehr schwierige Frage. Sie hat es nicht willentlich, aber sie hat es, wie ich jetzt durch viele Reaktionen erfahre, mittelbar dadurch, dass die Orden in meinem Buch vieles aus der Gesellschaft spiegeln und der Drang zum Beispiel sich abzuschotten gegen alles andere, gegen alles fremde, was wir in den streng traditionalistischen Orden erleben, sich auch in der Gesellschaft, in der politischen Gesellschaft mehr und mehr zeigt. Man will nicht eins zu eins von einem Spiegelbild sprechen, aber man kann, glaube ich, schon sagen, die Polarisierung, die in den kirchlichen Bezügen meines Buches zu finden ist, haben wir auch in der Politik, und da kann man schon Parallelen ziehen.
Florin: Auch die Sehnsucht nach einer Gegenwelt ist ja politisch nicht irrelevant.
Josten: Absolut nicht, und es geht, glaube ich, auch in der Politik um eine Frage nach Ordnung, die viele Menschen bewegt. Also die Frage, brauchen wir nicht ganz einfache, klare Strukturen in dieser Komplexität aller Fragen? Brauen wir nicht jemanden, der die eine Antwort hat und nicht fünf Antworten und Differenzierungen? Ich glaube, wir erleben schon gerade eine Zeit, in der die Menschen sich nach mehr Einfachheit und einfachen Antworten sehnen. Und das kann ich, glaube ich, gut übertragen von der Politik und der Gesellschaft in die kirchliche Welt, in die Ordenswelt.
Florin: Gibt es die einfachen Antworten?
Josten: Eben nicht. Es gibt sie nicht, es gibt nicht die eine Wahrheit und das eine Richtige, was man tun kann. Und das ist, glaube ich, die große Krux, die man viel leichter an die Menschen bringen müsste. Also, das ist so schwierig, diese komplexen Fragen bekömmlicher darzureichen.
Florin: Der Journalist Tobias Haberl hat kürzlich in einem Zeitungsartikel beschrieben, warum er gerne in ein sehr strenges französisches Kloster geht. Es ist nicht das, das hier in Ihrem Roman auch eine Rolle spielt, sondern in ein anderes Benediktinerkloster in Frankreich. Er ist dafür kritisiert worden, er unterstütze die Rechten, die Rechtsextremen damit, so war der Vorwurf. Und Haberl hat dann zurückgefragt: "Wie aber kann es sein, dass ich politisch liberal und liturgisch konservativ bin? Wie ist es möglich, dass ich den alten römischen Ritus, die radikale Strenge dieser Abtei, ja vielleicht sogar ihre reaktionäre und weltabgewandte Aura als wohltuendes Geschenk empfinde." Eine Frage, die ich gerne an Sie weitergeben möchte. Wie kann es sein?
"Wer klare Kante zeigt, hat Zulauf"
Josten: Also ich glaube, dass man in diesem altritualistischen Liturgieablauf tatsächlich etwas Erhabenes finden kann – wenn man denn möchte –, dass man ein Aufgehobensein und eine gewisse Autorität und Klarheit darin spürt, in einer langen Tradition stehend, was einem eine gewisse Beruhigung geben kann, egal wie liberal und offen man ansonsten ist. Da gibt es eine ganz interessante Studie, die 2017 durchgeführt worden ist, und zwar in Kanada, und da wurden Laien und Kleriker nach ihrer Kirchenpraxis befragt. Das hat David Haskell gemacht, und der hat herausgefunden, dass die wachsenden Gemeinden, also die, die immer mehr Zulauf haben, viel fester am traditionellen Glauben des Christentums festhalten, also sich geradezu festklammern, und viel gewissenhafter in Sachen Gebet und Bibellesung sind, und dass sich Außenstehende davon zunehmend angezogen fühlen von solchen Gruppen, die eine konsequent einheitliche Botschaft haben und sich nach außen abgegrenzt fühlen. Also diese Gemeinden und Gemeinschaften haben Zulauf, weil sie eben so eine ganz klare Kante zeigen. Und wie kann das sein, dass sich Tobias Haberl da so aufgehoben fühlt? Ja, vielleicht genau deswegen, weil er in seinem normalen Leben, also nicht in der Auszeit im Kloster, ständig mit vielen Eindrücken und Einflüssen, verschiedenen Fragestellungen in Berührung kommt und dort Ruhe findet im Schweigen, in einem ganz klaren Ritus, in dieser Liturgie. Ja, vielleicht geht es vielen Menschen so.
Florin: Das heißt, wer liturgisch, auch kirchenpolitisch diese klare Kante schätzt, die Ordnung schätzt, kann trotzdem jemand sein, der im Rest des Lebens die plurale Demokratie wertschätzen kann. Es ist also dann doch ein Glaube ohne politische Konsequenz.
Josten: Ich finde das sehr schwer vorstellbar, aber man kann jetzt Tobias Haberl zum Beispiel nichts unterstellen – auch niemandem anders. Man kann das nur im persönlichen Gespräch, das eben so schwierig zu führen ist, weil es gleich dogmatisch werden könnte. Ich weiß nicht, ob das eine vom anderen zu trennen ist. Mir fällt es sehr schwer, das zu glauben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man den Grundsätzen einer sehr konservativen – um es freundlich auszudrücken –, bisweilen in meinen Augen menschenverachtenden kirchlichen Überzeugung, Glaubensüberzeugung angehören kann, die zum Beispiel Homosexualität ausgrenzt, die zum Beispiel alles Fremde von sich weist, die Frauen eine mindere Position im Leben zuweist. Ich kann mir unmöglich vorstellen, dass man das alles weiß und diesem Glauben anhängt, der Gemeinschaft anhängt, aber im normalen Leben dann ein liberaler und aufgeklärter und weltoffener Mensch ist, das fällt mir sehr schwer, das anzunehmen.
Florin: Ordnung ist etwas Verführerisches, sagt die Schriftstellerin Husch Josten. Ihr Roman "Land sehen" ist im Berlin Verlag erschienen. Die beiden Passagen daraus hat Jodokus Krämer gelesen. Das Gespräch mit Husch Josten können Sie in unserer Audiothek nachhören und auf unserer Homepage nachlesen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Husch Josten: "Land sehen"
Berlin Verlag 2018. 240 Seiten. 20 Euro.
Berlin Verlag 2018. 240 Seiten. 20 Euro.