Im Juni 2017 spitzte sich am Persischen Golf ein alter Konflikt wieder zu: Saudi-Arabien verhängte eine wirtschaftliche Blockade über Katar. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten setzten ihre Beziehungen mit Doha ebenfalls aus. Ihr Vorwurf: Katar würde Terrorgruppen unterstützen und pflege eine zu große Nähe zum Iran. Saudi-Arabien stellte Lebensmittelimporte nach Katar ein.
Bei der Fußball-Asienmeisterschaft 2019 in den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde das katarische Nationalteam mit Schuhen beworfen, erzählt Jassim Matar Kunji, früher Torhüter in der katarischen Profiliga und nun Journalist beim Fernsehsender Al Jazeera: "Der Fußball ist ein Spiegel der Spannungen am Golf. Es wurden Sponsorenverträge zwischen den Ländern gekündigt und Spielertransfers abgesagt. Wenn Teams aus Katar in den VAE spielten, wurden sie von der Polizei begleitet."
Saudi-Arabien will von der WM profitieren
Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate wollen sich langfristig von ihren wichtigen Einnahmequellen Öl und Gas unabhängig machen. Sie konkurrierten mit immer härteren Mitteln um Investoren, Touristen und Fachkräfte. Doch dann kam Corona: Der ohnehin niedrige Ölpreis brach ein, ausländische Investitionen blieben aus, der junge Tourismussektor könnte zehntausende Arbeitsplätze verlieren.
In Saudi-Arabien und den VAE setzte sich die Einsicht durch, dass man in dieser Krise auf eine Zusammenarbeit mit Katar angewiesen ist. Daher wurde Anfang Januar die Blockade aufgehoben. Auch, damit sie von der Fußball-WM 2022 profitieren können, sagt der Nahost-Experte Kristian Ulrichsen, der ein Buch über die Golfkrise geschrieben hat:
"Mit 32 Mannschaften und ihren Fans könnte es in Doha eng werden. Viele WM-Touristen aus der arabischen Welt könnten sich jetzt in Saudi-Arabien niederlassen und für Spiele mit dem Auto nach Katar fahren. Für europäische Besucher könnte Dubai als Übernachtungsort interessant sein. In Dubai soll dieses Jahr die Expo stattfinden, aber das Reiseverhalten dürfte sich erst 2022 wieder normalisieren. Da könnte die WM ein wichtiger Antrieb sein."
"Mit 32 Mannschaften und ihren Fans könnte es in Doha eng werden. Viele WM-Touristen aus der arabischen Welt könnten sich jetzt in Saudi-Arabien niederlassen und für Spiele mit dem Auto nach Katar fahren. Für europäische Besucher könnte Dubai als Übernachtungsort interessant sein. In Dubai soll dieses Jahr die Expo stattfinden, aber das Reiseverhalten dürfte sich erst 2022 wieder normalisieren. Da könnte die WM ein wichtiger Antrieb sein."
Mehrfach hatte Katar den Wunsch der Fifa für eine Erweiterung der WM von 32 auf 48 Teams abgelehnt. Aktuell laufen Gespräche, wie Saudi-Arabien und die VAE auch ohne Spiele im eigenen Land profitieren können, etwa mit Trainingscamps, Sponsorenevents oder Public Viewing. Wichtiger scheint die WM ohnehin für Marketing und Vernetzung jenseits des Sports zu sein. Für gemeinsame Konferenzen, Technologieplattformen oder die Anwerbung von Startups.
Auch zwischen den Tourismuszweigen dürften Absprachen am Golf zunehmen, sagt die Nahost-Wirtschaftsexpertin Karen Young vom American Enterprise Institute: "Saudi-Arabien wirbt besonders um Gäste, die an Natur und Geschichte interessiert sind, auch am religiösen Tourismus. Die Vereinigten Arabischen Emirate positionieren sich unter anderem im Gesundheitstourismus. Für Gäste aus Indien oder Pakistan, die sich in Dubai ihre Knie oder Hüfte operieren lassen. Und auch Katar wird seine Strategie anpassen müssen. Denn viele Großprojekte rund um die WM werden bald abgeschlossen sein."
Reformen werden nicht ausreichend kontrolliert
In Europa steht Katar wegen der Menschenrechte im Fokus. Lange waren hunderttausende Gastarbeiter auf das Kafala-System angewiesen, auf Bürgen, die ihre Pässe einbehalten und ihre Ausreise erschweren konnten. Viele der Arbeiter erkrankten bei hohen Sommertemperaturen oder starben. Inzwischen wurde ihr Schutz verbessert und ein Mindestlohn eingeführt, offiziell. Doch Menschenrechtler kritisieren, dass die Umsetzung der Reformen nicht ausreichend kontrolliert wird.
Der französische Journalist Sebastian Castelier ist spezialisiert auf die Golfstaaten und sagt: "Auf den WM-Baustellen ist der Arbeitsschutz fortschrittlicher als bei anderen Projekten in Katar. Jetzt, wo sich die Golfstaaten wieder annähern, könnte auch der Reformdruck auf Saudi-Arabien wachsen. Riad hat eine Abschaffung des Kafala-Systems bereits in Aussicht gestellt, aber Menschenrechtsorganisationen bleiben skeptisch. Wenn Saudi-Arabien mit Events zur globalen Sportindustrie gehören will, dann gehen damit ethische Verpflichtungen einher."
Wie glaubwürdig der neue Frieden am Golf tatsächlich ist, dürfte sich erst nach der Pandemie und nach der WM zeigen, sagt Sebastian Castelier: "Politische Führer haben die Krise für beendet erklärt. Das heißt nicht, dass sie auch auf gesellschaftlicher Ebene beendet ist. Die Blockade hat die Sozialstruktur der Region beschädigt. Etliche Familien, die Mitglieder in Katar und Saudi-Arabien haben, zerbrachen. Es wird dauern, bis diese Wunden heilen."
Auch der Sport wird die Jahrzehnte lange Rivalität zwischen Katar und Saudi-Arabien weiter abbilden. Doha und Riad haben sich für die Asienspiele 2030 beworben. Den Zuschlag erhielt Doha, Riad ist vier Jahre später dran. Bei anderen Themen wird es wohl nicht so leicht Kompromisse geben.