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Klub-WM
"Solange die Kasse der FIFA voll ist, wird Infantino gewinnen"

Erweiterung der WM, Einführung der Klub-WM: Die FIFA bekommt derzeit viel Gegenwind für ihre Pläne. Auch von der UEFA und den nationalen Ligen - dem "Rückgrat des europäischen Fußballs", wie Fußball-Funktionär Claus Thomsen sie im Dlf bezeichnete. Ex-FIFA-Marketingchef Guido Tognoni zeigte sich pessimistisch, was die Zukunft des Fußballs angeht.

Guido Tognoni und Claus Thomsen im Gespräch mit Robert Kempe |
Gianni Infantino will den Weltfußball grundlegend verändern.
Hat laut Guido Tognoni die FIFA fest in seiner Hand: FIFA-Präsident Gianni Infantino (Imago Sportfoto)
Robert Kempe: Herr Thomsen, es waren turbulente letzte Wochen im internationalen Fußballbetrieb. Sie als ein Insider, als ein Fußballfunktionär und Vizepräsident der Europäischen-Profiligen-Vereinigung (EPFL), können Sie uns einen Einblick geben, was bei dem FIFA-Treffen in Miami in dieser Woche passiert ist?
Claus Thomsen: Ich war nicht in Miami, aber es wurden ein paar wichtige Dinge besprochen. Eins davon war die Erweiterung der Weltmeisterschaft von 32 auf 48 Teams. Diese Entscheidung wurde auf Juni verschoben. Dann wurde über ein neues Format für die Klub-Weltmeisterschaft mit 24 statt sieben Mannschaften diskutiert, und die FIFA wird versuchen zu sehen, ob sie dieses neue Format 2021 spielen können.
Claus Thomsen, EPFL
Claus Thomsen, EPFL (imago/GEPA)
Kempe: Es geht also um eine Reorganisation und das Schaffen eines neuen Wettbewerbs einer neuen Klub-Weltmeisterschaft. Wie ist die Position ihrer Organisation zu diesem Thema?
Thomsen: Es gibt keinen gemeinsamen Standpunkt, da die verschiedenen Ligen unterschiedlicher Auffassung sind. Die meisten größeren Ligen wie die Bundesliga sehen die Klub-Weltmeisterschaft nicht als positive Initiative, weil sie bedeutet, dass die Spitzenteams an einem anderen Wettbewerb teilnehmen werden und es den Druck auf die Spieler und den Kalender erhöht. Auf der anderen Seite könnte für Ligen wie die dänische Liga zum Beispiel die Klub-Weltmeisterschaft eine positive Initiative sein, solange sie den Spielkalender nicht berührt, solange Fragen wie die Verteilung der Einnahmen so behandelt werden, dass der Klubfußball, der Ligafußball, sich weiterentwickeln kann. Es gibt also keinen klaren Standpunkt aus der Sicht der Ligen. Es ist unterschiedlich, je nach Größe der Liga.
Nationale Ligen sind "Rückgrat" des europäischen Fußballs
Kempe: Aber die UEFA, der Europäische Fußballverband, hat gegen diesen neuen Wettbewerb gestimmt. Sind Sie mit der Entscheidung der UEFA an dieser Stelle einverstanden?
Thomsen: Nein, wir sind uns nicht sicher, ob wir mit der UEFA einverstanden sind. Wir denken, dass es weiterer Untersuchungen bedarf, insbesondere bei der Entwicklung eines europäischen Klubwettbewerbs, bei dem mittlere und kleinere Ligen keinen Zugang haben werden. Und bei der Verteilung von Geld. Bei diesen geschlossenen Formaten, an denen nur sehr wenige Mannschaften regelmäßig teilnehmen, sehen wir eine Verzerrung des Gleichgewichts in den vielen nationalen Vereinswettbewerben. Das ist eine Entwicklung, die angegangen werden muss. Und es muss eine neue Verteilung der Einnahmen aus den Turnieren geben, die ein gutes Gleichgewicht im nationalen Wettbewerb gewährleistet, denn die sind das Rückgrat des europäischen Fußballs. Und wenn eine Klub-Weltmeisterschaft das Geld so verteilt, dass sie nationalen Wettbewerben helfen kann, dann könnte das eine sehr positive Sache sein. Wenn es dazu beiträgt, Wettbewerbsgleichgewicht zu verzerren, dann ist das keine positive Sache. Wir müssen uns also damit befassen, aber es ist nicht selbstverständlich, dass die Ligen die UEFA unterstützen werden.
Der frühere Marketingchef der FIFA, Guido Tognoni
Der frühere Marketingchef der FIFA, Guido Tognoni (imago Sportfoto)
Kempe: Guido Tognoni, sie sind seit Jahren ein kritischer Begleiter des internationalen Fußballs und seiner führenden Organisationen. Können Sie sich an eine vergleichbare Situation, wie sie jetzt dargestellt wird, erinnern?
Guido Tognoni: Es war nie so viel Geld im Spiel wie heute. Es gab nie eine Diskussion über so viele Wettbewerbe wie heute. Aber andererseits hatten wir ähnliche Situationen auch früher schon. Es gibt ein Organ, das sich seiner Meinung sicher ist - der FIFA-Präsident - das ein Rückgrat hat, unabhängig davon, ob seine Ideen gut oder schlecht sind. Aber er hat Ideen. Er zieht sie durch. Und dann haben wir die Satelliten: die Ligen, die Verbände, die Vereine, die FIFpro. Und die wissen nie, was sie wollen. An einem Tag sagen sie dies, am anderen Tag das. Einmal schreiben sie einen Brief an die FIFA: "Wir werden nie teilnehmen", zwei Tage später sagt Herr Rummenigge: "Wir müssen das untersuchen" und so weiter. Solange die FIFA Geld hat, wird die FIFA ihre Ziele immer erreichen. Wenn die Vereine heute nicht teilnehmen wollen, kann die FIFA 100, 200, 300 Millionen Franken mehr dazugeben. Und sobald das Geld kommt, kümmern sich die Vereine nicht mehr um den Kalender, sondern nur noch um das Einkommen und dann wird die FIFA wahrscheinlich wieder gewinnen. Das hilft dem Fußball nicht. Es hilft der Fußballindustrie vielleicht, aber nicht dem Fußball als Sport.
"Es gab immer Wettbewerb zwischen der FIFA und der UEFA"
Kempe: Aber man spricht doch immer von der Einheit des Fußballs. Und Entscheidungen werden doch traditionell eher einstimmig getroffen. Was heißt es aus ihrer Sicht, dass die UEFA sich jetzt in dieser Angelegenheit gegen die FIFA stellt?
Tognoni: Es gab immer einen Wettbewerb zwischen der FIFA und der UEFA. All die Jahre, seit es die UEFA gibt. Und die FIFA hatte immer Angst vor der UEFA, denn wir müssen anerkennen: Der große Fußball, der echte Fußball, der beste Fußball wird in Europa und nirgendwo sonst gespielt. Europa ist die Basis für die besten Spieler aus der ganzen Welt. Die UEFA hat die Macht, die sie hat, bisher nie genutzt. Die FIFA kann ohne die UEFA nicht existieren. Die UEFA kann ohne die FIFA leicht bestehen. Und trotzdem fehlt mir eine sehr klare Meinung der UEFA. Dies war bereits der Fall, als die FIFA die Weltmeisterschaft in den Winter verlagerte. Die große Katastrophe wird nun folgen. Niemand spricht darüber, was mit den Ligen passieren wird oder was passiert, wenn die Weltmeisterschaft in Katar beginnt. Die FIFA war immer das stärkere Organ, denn es gibt nur einen Mann, der die UEFA diktiert. Und obwohl die UEFA der stärkste Verband ist, konnte sie nie wirklich standhaft bleiben und einen Kampf gegen die FIFA führen. Am Ende des Tages haben sie immer verloren und ich fürchte, sie werden wieder verlieren.
Einnahmen aus internationalem Geschäft beeinflussen die Ligen
Kempe: Herr Thomsen, stimmen Sie Herr Tognoni zu?
Thomsen: Zum Teil. Es gibt eine Sache, auf die sich die Ligen einigen werden, bei dem die Ligen einen sehr festen Standpunkt haben: Und zwar, dass der Kalender nicht angetastet werden darf. Der Spieltagskalender ist bereits viel zu lang. Das ist also ein sehr wichtiger Punkt. Und das gilt sowohl für die FIFA als auch für die UEFA. Das war bereits so, als die UEFA mit den Diskussionen darüber begann, ob wir an einem Wochenende in der Champions League spielen, ob wir die Anzahl der Mannschaften bei nationalen Vereinswettbewerben begrenzen. Was den internationalen Spielkalender betrifft, so gibt es nur eine mögliche Sichtweise der Ligen, und zwar, dass der nicht angetastet werden kann, es nicht mehr internationale Termine im Kalender geben kann. Die Ligen sind in dieser Position sehr fest. Und dann ist da noch die Frage der Klub-Weltmeisterschaft und ob sie abgelehnt werden sollte. Ich denke, sowohl die FIFA als auch die UEFA werden sich ernsthaft damit befassen müssen, was die internationalen Wettbewerbe mit dem Wettbewerbsgleichgewicht in den nationalen Ligen bewirken. Denn das ist das eigentliche Problem und das ist das, was sich in dem Sinne verändert hat, dass so viel mehr Einnahmen aus den internationalen Klubwettbewerben kommen, was das Wettbewerbsgleichgewicht in den nationalen Ligen verzerrt. Das ist wirklich die neue Entwicklung, die wir in den letzten zehn Jahren gesehen haben, dass das einen echten Einfluss auf die nationalen Ligen hat, die das Rückgrat des Fußballs sind. Und darum müssen wir uns kümmern.
Der Anteil aus dem UEFA-Klubwettbewerb wurde von 8,5 auf 7,3 Prozent gesenkt. Und 8,5 ist viel zu klein und das Absenken ist sehr gefährlich. Es wird zwar Solidarität genannt, aber es ist nicht wirklich Solidarität. Es ist eine Kompensation für die nationalen Wettbewerbe, nicht an den Spieltagen zu spielen, an denen die Klubwettbewerbe stattfinden. Dieses Problem muss also angegangen werden, und es ist ein sehr ernstes Problem. Ob FIFA oder UEFA, aus Sicht der Ligen ist das nicht so wichtig. Wichtig ist, dass sich die FIFA und die UEFA um den heimischen Fußball kümmern, denn das ist das Rückgrat des Fußballs. Beide Organisationen müssen sich mit dem heimischen Fußball beschäftigen und sich mit der Kompensation der Talentförderung befassen, all diesen Fragen. Manchmal gibt es positive Entwicklungen in der UEFA, manchmal in der FIFA, wir haben einige positive Dinge in der FIFA gesehen, etwa mit der Einführung von Trainingsentschädigungen und Solidarität in Bezug auf nationale Transfers von internationalen Spielern. Es gibt also Schritte in die richtige Richtung, aber aus meiner Sicht geht es nicht hauptsächlich um die eine oder andere Organisation. Meiner Meinung nach besteht das Wesentliche darin, dass diese Organisationen erkennen müssen, dass ein Teil ihrer wichtigen Aufgabe darin besteht, sich um die Entwicklung des heimischen Fußballs zu kümmern.
Fußball wird immer mehr zu "reinem TV-Event"
Kempe: Sie sprachen über Geld und Finanzen. Gianni Infantino hatte für diesen neuen Wettbewerb vor allem mit Geld geworben. Es geht um einen mysteriösen 25-Milliarden-Dollar-Deal, der im Raum steht. Haben sie irgendwelche Informationen über den Hintergrund? Wo soll das Geld herkommen?
Thomsen: Ich habe keine Information, die nicht schon in der Presse erwähnt wurde. Aber ein sehr wichtiges Thema wird hier sein, was die FIFA mit diesen Einnahmen machen wird. Werden sie es in den Fußball investieren oder werden sie es einfach den zehn, 20 größten Clubs der Welt geben. Das ist ein großer Unterschied. Und darauf kommt es an.
Eine Kamerafrau an einer Fernsehkamera am Rande eines Fußballfeldes
TV-Großereignis Weltmeisterschaft: Tognoni kritisiert die "Eventisierung" des Fußballs (imago sportfotodienst)
Tognoni: Wir haben jetzt schon zwei oder drei Klassen im Fußball. Wir haben die Spitzenklasse, das sind die Teilnehmer der Champions League, die versuchen, immer mehr eine eigene Liga zu sein. Dann haben wir die großen Ligen wie die deutsche, die französische, die britische, die fünf oder sechs Ligen in Europa. Und dann sind da noch die kleineren Verbände wie Dänemark, die Schweiz, die östlichen Länder und so weiter. Und um diese Verbände kümmert sich niemand. Ich stimme Herrn Thomsen zu. Aber auch im FIFA-Rat kümmert sich niemand um sie. Der FIFA-Rat ist nicht dazu da, sich um den Fußball zu kümmern, so weit ich das sehe. Er ist dazu da, um zu entscheiden, wie viel Geld hereinkommt und vielleicht noch, wohin das Geld gehen wird. Aber sich um den Fußball zu kümmern - das tut niemand. Und wir stehen vor dem Problem, dass sich der Fußball immer mehr zu einem reinen TV-Event entwickelt. Es gibt Zuschauer, die schönes Material für eine gute Atmosphäre hergeben. Aber das Kernproblem des Fußballs ist nicht mehr der Amateurfußball oder der Nationalliga-Fußball, sondern das, was man im Fernsehen sieht. Und deshalb beeinflusst das große Geld mehr und mehr die wichtigsten Entscheidungen, was gut und was schlecht für den Fußball ist. Solange wir abhängig sind - und Fußball hängt immer mehr von den Ticketeinnahmen und einigen anderen Marketingeinnahmen ab - solange dies der Fall ist, werden wir nie wieder Menschen haben, die sich um den Fußball kümmern, wie Herr Thomsen es fordert. Dies wird nicht mehr der Fall sein. Und das ist das große Problem der FIFA heute.
Kempe: Ist es unter der Präsidentschaft von Gianni Infantino in ihren Augen schlimmer geworden?
Tognoni: Ja. Er hat mehr Geld zur Verfügung, ist aber auch bereit, einen Teil der FIFA zu verkaufen. Das ist eine neue Entwicklung. Er ist bereit, 49 Prozent der Vermögenswerte der FIFA zu verkaufen, und das ist sehr gefährlich. Da gibt es Leute, die nicht aus dem Fußball kommen, die entscheiden wollen, was im Fußball vor sich geht. Es wird in Zukunft rein wirtschaftliche Entscheidungen geben und nicht mehr, was gut für das Spiel ist oder was schlecht für das Spiel ist. Es ist nicht gut für das Spiel, mit der WM nach Katar zu gehen. Das war eine dieser Entscheidungen. Es ist nicht gut für das Spiel, im Winter zu spielen, eine weitere Entscheidung. Es ist nicht gut für das Spiel, die Klubmeisterschaft auf 24 Klubs zu erhöhen. Es ist nicht gut für das Spiel, noch mehr internationale Spieltermine zu haben, eine globale Liga, die eine große Belastung für die Spieler ist und so weiter. Das sind alles Entscheidungen, die rein auf finanziellen Interessen und nicht auf Interesse am Sport basieren, und das ist eine sehr schwierige Entwicklung. Und ich habe große Angst, dass die Fans eines Tages genug haben. Sie können nicht an sieben Tagen in der Woche Fußball schauen. Die Leute werden sich aufteilen. Einige Leute schauen am Montag, andere am Dienstag, die Sponsoren werden nicht glücklich sein und niemand wird mehr glücklich sein, wenn Fußball wie Musik in einem Einkaufszentrum wird: zur Hintergrundmusik des täglichen Lebens.
Entwicklung der nationalen Wettbewerbe unterstützen
Kempe: Herr Thomson, ist das viele Geld das Problem im Fußball? Sind einfach zu viele Millionen und Milliarden im Spiel?
Thomsen: Im Grunde genommen denke ich nicht, dass es um die Menge des Geldes geht. Es geht darum, wie das Geld ausgegeben wird. Es geht darum, wie das Geld verteilt wird. Es geht um die Wirkung, die das hat. Ich teile die insgesamt pessimistische Einschätzung nicht. Es gibt derzeit ein Hochrisikoszenario, um das wir uns kümmern und gegen das wir etwas unternehmen müssen. Aber eigentlich denke ich, dass es eine schöne Welt geben kann, in der es nationale Wettbewerbe Seite an Seite mit einigen der größten Clubs und internationalen Wettbewerben exisiteren. Wenn wir zum Beispiel einen Blick darauf werfen, wo die eigentliche Attraktion gerade liegt. Wenn wir uns das mit den Zuschauern ansehen - ich denke nicht, dass man zwischen Fans, die ausschließlich im Fernsehen Fußball schauen, und Fans in den Stadien unterscheiden sollte. Wir sollten die Stadien füllen und dort für die Zuschauer alles tun, was wir können. Aber sowohl die Fernsehzuschauer als auch die Zuschauer im Stadion sind Fußballfans, und ich denke, das müssen wir anerkennen. Wir sehen, dass es ein großes Interesse an den absoluten Top-Spielen gibt, zum Beispiel zwischen Real Madrid und Manchester United. Es gibt ein Interesse an diesen Spielen. Dann ist da eine große Lücke bis zu einigen der europäischen oder internationalen Wettbewerben.
Und dann sehen wir tatsächlich, dass inländische Wettbewerbe in vielen Ländern sehr stark sind und eine sehr starke Position in den jeweiligen Ländern haben. Da gibt es mehr Identifikation, eine andere Nähe, man kann es fühlen, es ist ihr Wettbewerb. Und in vielerlei Hinsicht ist es viel wichtiger, die dänische Meisterschaft zu gewinnen als an einem internationalen Wettbewerb teilzunehmen. Und ich sage noch einmal, dass wir, wenn wir uns um den Fußball kümmern wollen, die Einnahmen so verteilen müssen, dass sie die Entwicklung der nationalen Wettbewerbe und insbesondere das Wettbewerbsgleichgewicht unterstützen. Dass so wenig Einnahmen an Vereine verteilt werden, ist eine Entwicklung, die sehr gefährlich ist, und wir müssen sicherstellen, dass sie sich nicht durchsetzt. Denn ich denke, dass der inländische Wettbewerb und die inländischen Ligen eine sehr gute Zukunft haben. In einer Welt, wo alles international ist, haben die nationalen Wettbewerbe mit ihrer Nähe und Identifikation eine gute Zukunft. Und ich befürchte, dass die internationalen Einkommen und internationalen Wettbewerbe weiterhin dazu beitragen, diese positive Entwicklung nicht zu unterstützen, sondern das Wettbewerbsgleichgewicht in nationalen Wettbewerben zu verzerren.
Stadionbesucher sieht das Geschehen auf dem Fußballplatz durch einen Smartphone-Bildschirm
Die nationalen Ligen sind bei den Zuschauern wegen der Nähe bei den Fans besonders beliebt, mein Claus Thomsen (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
Kempe: Aber um das, was sie sagen zu verändern, braucht es klare Linien und das Vertrauen der Fans. Schauen wir auf diese Woche. Es gab einen Brief der europäischen Topklubs, in dem sie dem FIFA-Präsidenten die Gefolgschaft verweigerten und klar machten, sich an der Klub-WM nicht zu beteiligen. Nun, ein paar Tage später, gibt es aber auf einmal erste Stimmen, die sagen, ja doch wir könnten uns das doch vorstellen. Wie vertrauenswürdig ist das?
Thomsen: Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass es auf Vertrauen beruht, wenn jemand seine Meinung äußert. Es ist sehr beunruhigend, wenn die Spitzenvereine - und ich glaube, dieser Brief war von den 14 besten Vereine der ECA (Europäische Klub-Vereinigung) - wenn man der UEFA sagt: "Im Moment unterstützen wir Ihre Position gegen die Klub-Weltmeisterschaft. Aber nur, wenn Sie uns ermöglichen, Champions League am Wochenende zu spielen. Wenn Sie es möglich machen, dass die Champions League und die Europa League weiter geschlossen werden, und vor allem die Champions League in Richtung eines de facto geschlossenen Franchise bewegen, und wenn Sie uns dabei nicht unterstützen, werden wir es uns anders überlegen und zur FIFA gehen". Ich denke, das ist nicht vertrauenswürdig. Wenn es ihre ehrliche Meinung ist, dann ist es in Ordnung, aber wenn es nur darum geht, die Champions League als Produkt zu stärken und an Wochenenden Champions League zu spielen, was die nationalen Wettbewerbe stören wird, dann denke ich, dass es nicht vertrauenswürdig ist. Es ist also etwas schwer zu erkennen, was das eigentliche Motiv für den Widerstand gegen die Klub-Weltmeisterschaft ist.
Tognoni: Ein Grund dafür ist, dass die Klub-Weltmeisterschaft eine Herausforderung für die Champions League sein könnte, ein weiterer Grund sind die Termine und die Reisen. Der dritte Grund ist, dass es langweilige Spiele gibt und die Spieler nicht mehr als 50, 60, 70 Spiele pro Jahr spielen können. Aber solange das nicht die einheitliche Meinung der Vereine ist - erst sagt Real Madrid ja, dann wieder nein, dasselbe bei Bayern München - solange kann man die Aussagen der Vereine nicht ernst nehmen. Und wie ich zu Beginn unserer Diskussion sagte: Die einzige Person, die eine sehr starke Meinung hat, eine sehr starke Einstellung hat, ist Gianni Infantino - der seine Pläne vorantreibt. Er ist der Einzige. Der Rest weiß nicht, was er wirklich will.
Solange die Kasse der FIFA voll ist, wird Infantino gewinnen
Kempe: Es geht also ein Riss durch den Fußball. Wie groß ist der ihrer Meinung nach?
Tognoni: Es gibt einen großen Riss. Es gibt eine Spaltung zwischen Arm und Reich, es gibt eine Spaltung zwischen Europa und dem Rest der Welt. Und wenn wir die Spaltung sehen, dann sollten wir uns nicht wundern, wenn der FIFA-Rat, in dem auch Vertreter aus Afrika, Asien und Südamerika, Mittelamerika sitzen - dass dort völlig unterschiedliche Meinungen vorherrschen. Das Interesse der Bundesliga und der deutschen Verbände ist ein völlig anderses als das Interesse Burundis. In Burundi haben sie das Problem - Gianni Infantino hat ihnen eine Million mehr pro Jahr versprochen - jetzt sind sie glücklich und sie tun, was er will. Sie wählen ihn wieder, unterstützen seine Pläne und so weiter und so fort. Und die Bundesliga und der Deutsche Fußball-Bund, der DFB, haben nicht einmal den Mut, eine klare Aussage zu machen. Es geht um Politik und jeder wartet darauf, zu sehen, wo er den größten Gewinn erzielen kann, und der größte Gewinn ist rein finanzieller und nicht politischer Natur. Und das ist sehr traurig. Und solange die Kasse der FIFA so voll ist, der Jackpot so voll ist, dass Gianni Infantino jeden manipulieren kann, den er will, auf der ganzen Welt - wird er am Ende des Tages gewinnen.
Kempe: Claus Thomsen, sind Sie zufrieden mit der ersten Amtszeit von Gianni Infantino?
Thomsen: Das kann ich nicht beurteilen, zumal die FIFA eine Organisation für die Verbände ist. Ich denke, das bleibt abzuwarten. Ich denke, dass es einige positive Entwicklungen gegeben hat, insbesondere auf der Seite des Statuts und des gesamten Transfersystems. Ich denke, es gibt positive Entwicklungen mit Blick auf die Einbeziehung von Interessengruppen. Die FIFA hat die Interessengruppen tatsächlich näher an den Tisch gebracht und in Diskussionen einbezogen. Ich denke, wir werden auch im Fußball neue Beziehungen zwischen den verschiedenen Parteien sehen. Ich denke, die Ligen stimmen mit der FIFA in der Frage der Gesundheit der Spieler und der Erhaltung der Gesundheit der Spieler wirklich sehr gut überein, denn das ist für beide Organisationen von wesentlicher Bedeutung. Ich denke, wir haben in dieser Zeit einige positive Entwicklungen in der FIFA gesehen. Aber das ganze Szenario rund um die europäischen Vereinswettbewerbe ist sehr beunruhigend.
Verkauf der Vermögenswerte "großer Fehler"
Kempe: Guido Tognoni, Sie sind ein Mann klarer Worte. Im Sommer wird sich Gianni Infantino in seinem Amt als FIFA-Präsident bestätigen lassen. Wie sehen Sie seine Präsidentschaft?
Tognoni: Er war wirtschaftlich sehr erfolgreich. Das müssen wir zugeben. Er handelt außerhalb seiner eigenen Statuten, weil er als geschäftsführender Präsident agiert. Er sollte im Sinne der FIFA-Statuten eigentlich nur ein repräsentativer Präsident sein. Aber es ist typisch, dass sich niemand darüber beschwert. Die Macht, die Exekutivgewalt sollte beim Generalsekretär liegen, aber der Generalsekretär ist nicht kompetent genug, um die FIFA zu leiten, wie es der Präsident tut. Er hat also mehr Macht denn je, aber wie ich bereits sagte, mehr Macht, als in den Statuten vorgesehen ist. Gianni Infantino fängt an, mit allen zu reden. Er spricht mit den Ligen. Er spricht mit FIFpro. Er spricht mit den Gewerkschaften. Er spricht mit nationalen Verbänden. Das war in den guten alten Tagen der FIFA nie der Fall. Die FIFA befasste sich nur mit den Nationalverbänden, sonst nichts. Die Tatsache, dass Gianni Infantino jetzt mit allen spricht, die Tür für alle öffnet, macht es ihm aber auch leichter, die FIFA zu regieren, die FIFA so zu regieren, wie er es will. Was ich ihm vorwerfe, ist, dass er bereit ist, die Vermögenswerte der FIFA zu verkaufen. Eigentum der FIFA sollte sich zu 100 Prozent in den Händen der FIFA befinden. Und es ist absolut nicht nötig. Die FIFA hat schon jetzt genug Geld. Es besteht absolut keine Notwendigkeit, etwas zu abenteuerliches mit dem Bankgeschäft, mit Banken und Fonds zu machen und 49 Prozent der FIFA-Vermögenswerte zu verkaufen. Das ist meiner Meinung nach der große Fehler, den Gianni Infantino macht. Aber solange er mehr Geld zusagen kann, wird er im nächsten Sommer leicht wiedergewählt; außerdem hat er sowieso keinen Gegenkandidaten. Die FIFA wird also auf diesem Weg weitermachen. Und der ist rein kommerziell orientiert und vernachlässigt die sportlichen Aspekte.
Kempe: Ich danke Ihnen beiden für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.