Kate Maleike: Während viele frischgebackene Abiturientinnen und Abiturienten gerade Ferien machen und froh sind, den Prüfungsstress hinter sich zu haben, entwickelt sich in der Bildungspolitik gerade eine kräftige Debatte um die Frage, ob wir in Deutschland nicht eigentlich ein Zentralabitur einführen müssten. Es gibt zwar die Vereinbarung, dass sich die Bundesländer in einigen Fächern aus einem gemeinsamen Aufgabenpool bedienen, nur machen das einige Länder in Gänze und andere picken sich lediglich etwas heraus. Das führt dazu – und das ist der Grund für die jetzt entstandene neue Debatte –, dass das Abitur in den einzelnen Bundesländern einfach gesagt unterschiedlich schwer ist, was viele als ungerecht empfinden. Fragt man sich, wie denn jetzt die Kultusministerkonferenz, in der diese Sachen ja besprochen und vereinbart werden, auf die laufenden Forderungen und Debatten reagiert. Wir fragen Udo Michallik, er ist der Generalsekretär der KMK. Guten Tag, Herr Michallik!
Udo Michallik Einen wunderschönen guten Tag, Frau Maleike!
Maleike: Können wir denn jetzt davon ausgehen, dass das Thema Zentralabitur auf der nächsten KMK-Sitzung im Oktober ganz oben auf der Tagesordnungsliste steht?
Michallik Es steht schon in mehreren KMK-Sitzungen auf der Tagesordnung. Es ist nicht gerade so, dass diese Debatte, die jetzt nach dem Abitur in diesem Frühsommer angefangen hat, ein Auslöser für die Debatte wäre. Wir bewegen uns ja schon seit 2013 auf dem Weg mit einheitlichen Bildungsstandards auch für die gymnasiale Oberstufe in Richtung vergleichbares Abitur, und diesen Weg werden die Länder weiter konsequent beschreiten.
"Problem vor allem in der Mathematik"
Maleike: Jetzt hat sich aber auch die Bundesbildungsministerin Karliczek gestern eingeschaltet und gesagt, die Länder müssten möglichst dieses Jahr noch da irgendwie zu Potte kommen. Ist denn auch aus Ihrer Sicht das Abitur so ungerecht, wie das der ein oder andere empfindet, beziehungsweise wie es ja schlussendlich auch das Bundesverfassungsgericht bei dem Zugang zum Medizinstudium festgestellt hat?
Michallik Ich sehe das nicht als so ungerecht an, weil die Diskussion hat sich entzündet vor allen Dingen an den Prüfungen in der Mathematik. Hier werden die Länder im Dezember in einem Workshop sich genau mal dieses Fach vornehmen und versuchen, genau zu beleuchten, warum diese Diskussionen in diesem Fach immer wieder auftreten. In anderen Fächern haben wir diese Diskussion nicht, das muss man fairerhalber sagen. Die Länder haben ja mit dem Medizin-Staatsvertrag, aber auch mit ihren Maßnahmen zur Anpassung der gymnasialen Harmonisierung der gymnasialen Oberstufe, aber dann auch mit dem Abiturprüfungspool gezeigt, dass sie durchsetzen wollen, dass 2021 ein vergleichbares Abitur in den Ländern geschrieben werden kann.
"In der gymnasialen Oberstufe für mehr Vergleichbarkeit sorgen"
Maleike: Dass sie anstreben, klingt gut und wird sicherlich jetzt auch den ein oder anderen zumindest darüber informieren, dass sich die KMK damit befasst, aber tatsächlich ist es ja so, dass es eben in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird und wir eben auch ein starkes Gefälle haben, was auch dazu führt, dass man mit unterschiedlichen Abituren aus unterschiedlichen Bundesländern vielleicht bei der Studienplatzsuche bevor- oder benachteiligt wird.
Michallik Das ist richtig, und hier muss man auch allen sagen, dass wir in einem Transformationsprozess sind. In der Tat, und das muss man auch selbstkritisch eingestehen, haben sich die Verhältnisse in den Ländern seit 2006 ein wenig auseinanderentwickelt, und diesen Prozess versuchen die Länder jetzt gerade mit den von mir gerade geschilderten Bemühungen wieder zusammenzubringen. Insofern muss man dann auch, weil viele Aspekte dabei zu bedenken sind und eben nicht nur im Fach Mathematik, sondern über alle Fächer hinweg, sehen, dass das dann schon ein Aufwand ist, der betrieben werden muss und von den Ländern betrieben wird, um hier die Dinge – vor allen Dingen in der gymnasialen Oberstufe, wo die Leistungen, die dort erbracht werden, ja zwei Drittel der Abiturnote ausmachen, die Abiturprüfung selber macht ja am Ende des Zeugnisses nur ein Drittel der Note aus - also der Handlungsbedarf ist dann auch wirklich in der gymnasialen Oberstufe selbst, wo die wesentlichen Leistungen erbracht werden, hier für mehr Vergleichbarkeit und für mehr Harmonisierung zu sorgen. Das haben sich die Länder vorgenommen, dort ändern viele Länder gerade ihre Abiturprüfungsverordnungen.
Das ist aber nicht von heute auf morgen zu machen, da muss man auch gegenüber den Schülerinnen und Schülern fair sein und dann die entsprechenden Voraussetzungen und die Prüfungen dann so miteinander koordinieren, dass dann auch die entsprechenden Voraussetzungen für die Schülerinnen und Schüler stimmen. Und das kostet eben Zeit, und da kann man auch die Ungeduld zwar der Bürgerinnen und Bürger verstehen, aber hier muss man dann auch den Verwaltungen die Zeit geben, diese Sachen dann umzusetzen. Und deswegen haben wir uns die Zielmarke 2021 gesetzt.
"Kein Paradigmenwechsel hin zu einem Zentralabitur"
Maleike: Können wir jetzt davon ausgehen, dass das Zentralabitur in Deutschland kommt zu dem von Ihnen genannten Zeitpunkt?
Michallik Nein, von dem Zentralabitur haben ja die Länder nicht geredet, sondern es geht darum, dass die Bildungsstandards für die gymnasiale Oberstufe, die einheitlich für ganz Deutschland gelten, die wir 2013 in Hamburg vereinbart haben, dass die in der gymnasialen Oberstufe greifen und Grundlage sind für die Aufgabengestaltung, für die Abiturprüfungen. Und diesen Zweck hat der Abiturprüfungspool, dass die Aufgabengestaltung in den Ländern anhand der Standards vereinheitlicht wird und dadurch die Vergleichbarkeit zustande kommt. Und so, wie sich viele ja schon in der Öffentlichkeit geäußert haben, wie die beiden Ministerpräsidenten der Südländer, sehe ich nicht, dass unter diesen Voraussetzungen noch mal ein Paradigmenwechsel stattfindet hin zu einem Zentralabitur.
"Zwischen den Ländern bedarf es mehr Abstimmung"
Maleike: Sie haben aber ja gesagt, beziehungsweise es gibt immer wieder auch die Informationen darüber, dass aus diesem Pool, den Sie gerade genannt haben, sich eben einige Länder ganzheitlich bedienen und andere eben nur rauspicken. Das ist doch schon sozusagen die Ursache für Ungerechtigkeit.
Michallik Nein, das ist keine Ursache, sondern die Aufgaben, die wir im Abiturprüfungspool eingeben und mit allen Ländern zusammen bearbeiten, sodass wirklich vergleichbare Aufgaben anhand der Bildungsstandards entstehen, sollen eigentlich Modellcharakter haben für die Aufgabenentwicklung in den Ländern, sodass es nicht entscheidend ist, wie viele Aufgaben einzelne Länder aus dem Abiturprüfungspool nehmen, sondern das entscheidend ist, wie sich die Aufgabenkommission in den Ländern an diesen Modellaufgaben orientieren und entsprechende Aufgaben dann auch für die Länderprüfungen in die entsprechenden Prüfungen einbringt. Das bedarf in der Tat – und das ist eine Quintessenz, die wir auf der KMK aus den Ereignissen um die Abiturprüfung jetzt gezogen haben –, dass es hier zwischen den Ländern mehr Abstimmung bedarf, in welchem Umfang und in welcher Weise Aufgaben aus dem Pool entnommen werden. Dass es da einer Abstimmung bedarf, da sind sich die Länder einig, und da wird gerade drüber gesprochen, wie wir das organisieren.
Beschleunigte Debatte in der KMK
Maleike: Sie haben die Minister der Südländer angesprochen, die im Grunde jetzt auch die Debatte gerade befördern. Angefangen hatte die baden-württembergische Kultusministerin Eisenmann, die eben das Zentralabitur gefordert hat. Sofort kam dann aus Bayern das Veto: Ministerpräsident Söder hat gesagt, es gibt mit uns kein Zentralabitur, die anderen können sich gerne an uns orientieren. Das riecht doch schon nach Streit dann in der nächsten Konferenz.
Michallik Nein, diese Diskussion ist ja da. Was Frau Eisenmann gerade gemacht hat – und da muss man die Nachricht dann im Ganzen lesen –, sie versucht, die Debatte in der Kultusministerkonferenz zu beschleunigen und anzufeuern in dem Sinne, dass das, was sich die KMK selber vorgenommen hat, zügiger umgesetzt wird. Und da geht es nicht nur um das Abitur, da geht es um eine Frage, wie vereinbaren sich die Länder zu mehr verbindlicher Zusammenarbeit – Stichwort Ländervereinbarung Bindestrich Staatsvertrag –, und wie können wir das, was wir eigentlich zugesichert haben in Richtung Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit, miteinander so umsetzen, dass das, was wir als KMK angekündigt haben – nämlich dafür Sorge zu tragen –, dann auch schneller kommt, wie können wir das umsetzen. Und hier hat sie einen Beitrag geleistet und ihren Willen noch mal als baden-württembergische Ministerin kundgetan, diesen Prozess zu beschleunigen und konsequent zu Ende zu führen.
Bund keine treibende Kraft in der Abiturfrage
Maleike: Bundesbildungsministerin Karliczek, das hatte ich vorhin schon gesagt, hat sich eingeschaltet in diese Diskussion und eben die Bundesländer zu raschen Schritten aufgefordert. Wir haben ja eine veränderte Situation – Kooperationsverbot, Lockerung auch im Bildungsbereich –, was heißt das eigentlich jetzt genau für diese Abiturfrage: Könnte das Bundesbildungsministerium hier eine treibende Kraft werden?
Michallik Nein. Die Rolle des Bundes in der Bildung ist durch die Verfassung klar definiert und Frau Karliczek ist gerne in die Oktobersitzung der KMK eingeladen, um ihr Konzept zum Zentralabitur vorzustellen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.