Einem zeitgeschichtlichen Phänomen nachzuspüren, ist reizvoll. Und wenn es sich um ein politisches und soziologisches Phänomen handelt, dann ist der Reiz doppelt hoch. Die jüngste aller relevanten politischen Kräfte in Deutschland, die "Linke", eröffnet tatsächlich ein Forschungsfeld, auf dem zu schürfen sich lohnt.
"Was im vorletzten Jahrhundert die Regel war, haben die Reformchaoten der letzten Jahre jetzt für Deutschland wieder vorprogrammiert. Und deshalb braucht es eine Linke, die das wieder verändert, die zum Kampf antritt.
Wir haben in einem ganz schweren Erneuerungsprozess mit Rückschlägen, mit Beulen und so weiter versucht, wirklich eine andere Partei zu werden. Und ich glaube, dass uns das in beachtlichem Maß auch gelungen ist." (Oskar Lafontaine und Gregor Gysi)
An den wortgewaltigen Protagonisten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi vorbeizuschauen und zu untersuchen, was die – raffiniert "Linke" getaufte - Partei wirklich charakterisiert, ist eine Herausforderung. Das hat der Politikwissenschaftler Harald Bergsdorf durchaus erkannt. Und da der aus Bonn stammende Bergsdorf eine "unaufgeregte Untersuchung" verspricht, darf man das bei Bouvier erschienene knallrote Taschenbuch erwartungsfroh zur Hand nehmen.
Bergsdorf stellt fest, dass bisherige Studien über die PDS-Nachfolgepartei oft von der Gesinnung der jeweiligen Autoren geprägt waren. Dass er sich allerdings selbst wissenschaftlich-nüchtern oder objektiv seinem komplexen Betrachtungsgegenstand nähern würde, davon kann - wie der Leser rasch merkt – auf den vorgelegten 220 Seiten leider nicht die Rede sein.
Keine Missverständnisse: Am Populismus der schrillen Linksaußenpartei, an ihrem Anspruch, im Besitze der alleinigen Wahrheit zu sein, an ihrem wahllos zusammengeklaubten Personal, ihren heillos unlogischen programmatischen Eckpunkten gibt es viel zu kritisieren. Der Politologe Bergsdorf aber, der auch als Grundsatzreferent in der Landtagsfraktion der nordrheinwestfälischen CDU und im Büro des Thüringer Innenministers arbeitet, erfasst bedauerlicherweise die Vielschichtigkeit der "Linken" nicht.
Bisweilen ist es schlicht peinlich, wie Bergsdorf sich darüber wundert, dass Oskar Lafontaine sein Studium nicht der Friedrich-Ebert-Stiftung, sondern – oh Wunder – einem Stipendium vom katholischen Cusanus-Werk verdankt, oder wenn der Autor mehrfach von "Prolet-Ariern" spricht.
Beginnt das Buch damit, dass die "Linke" launig als "Gespenst" beschrieben wird, so schließt es mit einem sogenannten "Zwölf-Punkte-Programm" zur Bekämpfung der Partei, deren Sozialromantik das klassische Parteiengefüge der Bundesrepublik momentan durcheinanderbringt und von sich behauptet, sie treibe die etablierten Parteien vor sich her.
"Niemals und nirgendwo darf es inhaltliche Kooperationen mit der 'Linken' geben. Zwar sollte keine vernünftige Entscheidung nur deshalb scheitern, weil auch die 'Linke' ihr zustimmt. Doch dürfen sich gemäßigte Parteien keinesfalls von Extremisten abhängig machen. Es darf keine Koalitionen mit Parteien wie der 'Linken' geben. Machiavellismus darf niemals über antiextremistische Prinzipientreue triumphieren."
Diese Haltung ist legitim. Doch läge es dann zum Beispiel nahe, zu verifizieren, wie weit der Machiavellismus der rot-roten Landesregierungen geht, in denen die dunkelroten Populisten sich eher kleinlaut der Koalitionsdisziplin fügen.
Die "bunte Truppe" dieser von Lafontaine gegängelten "Linken" als realpolitische Kraft zu analysieren, ist Bergsdorfs Interesse nicht. Er versucht, mit seinem Handwerkszeug als Extremismusforscher der "Linken" beizukommen und dreht seitenlange Schleifen über die Sinnhaftigkeit des systematischen Vergleichs von rechts- und linksextremen Strömungen.
Wie extremistisch die "Linke" aber tatsächlich ist, erfahren wir bestenfalls implizit. Wenn der Autor aus seiner Arbeit beim Thüringer Innenminister neue Erkenntnisse über die Verfassungsfeindlichkeit der Partei gewonnen haben sollte – er verrät sie nicht. Stattdessen operiert Bergsdorf mit winzigen Zitatausschnitten, die er hochrechnet, um den Eindruck zu erwecken, in der gesamten Partei feiere ein hard-core-Kommunismus Urständ. Darauf aber kann man die Sammlungsbewegung, die unter dem anmaßenden Etikett die "Linke" eine bessere SPD sein will, nicht reduzieren.
"Wer einen geschichtlichen Blick hat, der sieht heute Millionen von Sozialisten hinter uns stehen, ein alter Traum ist Wirklichkeit geworden: die Einheit der deutschen Arbeiterklasse! [Applaus.]" (Otto Grotewohl)
Otto Grotewohl 1946 – in der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED liegen die Wurzeln der einen Quellpartei der "Linken". Leider fällt Harald Bergsdorfs Beschreibung der DDR-Geschichte allzu holzschnittartig aus, sehr eilig durchläuft er die vierzig Jahre Diktatur, um seine These zu untermauern, dass sich SED-Funktionäre in der wenig glanzvollen Endphase des Sozialismus in den Farben der DDR an die Spitze der Reform-Bewegung setzen wollten.
Nun gilt der abgedankten Vorhut der Arbeiterklasse nicht sein Hauptaugenmerk. Wer aber das Verschmelzungsprodukt von PDS und WASG in seiner ganzen Zerrissenheit erkunden will, muss mehr wissen, als dass die SED-Nachfolgerin im Osten einstigen SED-Kadern und MfS-Oberen eine politische Heimstatt bot.
"Diejenigen, die heute noch Mitglied dieser Partei sind, bekennen sich zur Geschichte dieser Partei und sind nicht bereit, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Sie bekennen sich aber auch mit dem hier vollzogenen Bruch zum Stalinismus und dem ernsthaften Neubeginn." (Gregor Gysi)
Gregor Gysi und Lothar Bisky werden als Schlüsselfiguren der Wende der einstigen Staatspartei kurz herausgegriffen. Dass Biskys Sohn Jens in seiner eigenen Lebensgeschichte Ergiebiges über seinen Vater berichtet, lässt Bergsdorf unerwähnt. Ebenso wie er die Doppelbiografie von Jens König über Vater und Sohn Gysi leider ignoriert. Das fällt insofern ins Auge, da Bergsdorf ansonsten fleißig zitiert - so ausgiebig, dass man nach seinen eigenen Thesen förmlich suchen muss. Eine freilich lautet:
"Im Gesamtkontext ihrer Ideologie scheinen die Bekenntnisse der 'Linken' zur Demokratie überaus unglaubwürdig und eher taktisch motiviert. Zwar geriert sich die 'Linke' immer wieder als besonders demokratisch, sie definiert aber Demokratie anders als es westliche Demokraten tun, deren freiheitliches Gemeinwesen sie bekämpft und 'überwinden' will, also abschaffen und zerstören. Sie betreibt keine Opposition im 'System', sondern gegen das 'System'."
Bergsdorf geht nicht auf die erbitterten Gefechte ein, die junge Reformer der PDS Mitte der 90er Jahre gegen jene geführt haben, die nichts als Fundamentalopposition treiben wollten. Auch ignoriert der Autor die einzig wirkliche Leistung der PDS: Sie hat dem Teil der Ostdeutschen, die in der Bundesrepublik fremd waren und sind, eine Brücke in das neue Gesellschaftssystem hinein gebaut und politisch Halt gegeben.
In der Missachtung dieser Integrationsleistung beweist Bergsdorf denselben Mangel an Sensibilität wie Oskar Lafontaine. Der egozentrische Saarländer verspielt in westdeutscher Poltermanier das ostdeutsche Heimatgefühl, das den Realpolitikern in der PDS als Vehikel für ihre Politik diente.
"Wenn etwas das Ergebnis der verfehlten Politik der letzten Jahre war, dann war es die Zerstörung des Sozialstaates, der doch Millionen Deutschen Identität gegeben hat in ihrem Staat. Wenn man gefragt hat, was schätzt ihr an eurem Staat, ja, an eurer Nation, dann haben sie zuerst den Sozialstaat genannt. Und jetzt haben sie es fertig gebracht, diesen Sozialstaat völlig zu zerstören. Weiter als in der Politik der großen Koalition wird sich die SPD kaum von ihrer Programmatik entfernen können. Unglaubwürdiger als zurzeit war sie für mich nie. [Applaus.]" (Oskar Lafontaine und Lothar Bisky auf dem Gründungsparteitag der Linken)
Natürlich spielten Lafontaine, Bisky und Co., wie Bergsdorf richtig erkennt, die ungeschickt verpackten Reformen der Regierung von Gerhard Schröder in die Hände. Aber warum der Verzicht auf klare inhaltliche Festlegungen rückwärtsgewandte Kryptomarxisten, linkspopulistische Karrieristen, Sozialhilfeempfänger, ostdeutsche Staatsdiener oder westdeutsche Gewerkschafter zusammenführt, aber eben nicht zusammenhält, darauf geht der Autor nicht ein.
Warum hat Bergsdorf keine Gespräche mit Zeitzeugen geführt – weder mit den Protagonisten der "Linken", noch mit dem Parteivolk oder Kritikern? So fehlt die Innensicht, die bei der Linken sowohl das Erfolgsgeheimnis wie auch die Sollbruchstellen zeigen würde.
Die derzeit in Ost und West erfolgreichen Demagogen an der Parteispitze kokettieren damit, dass sie von einem Teil der Gesellschaft nicht verstanden werden. Nur so erhalten sie Zustrom von jenem anderen Teil der Gesellschaft, den sie als Wähler für sich begeistern wollen: Unverstandene und tatsächlich oder vermeintlich Zukurzgekommene oder Enttäuschte.
Immerhin zitiert Bergsdorf häufig die fundierten Untersuchungen von Viola Neu, einer profilierten Forscherin im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung. Doch versäumt er es, die diversen Herkunftsmilieus zu untersuchen, obgleich sich dort ablesen ließe, dass eben nicht zusammenwächst, was nicht zusammengehört.
Das Bild, das Harald Bergsdorf von den linken Feinden der Parteiendemokratie zeichnet, bleibt leider blutleer. Der Autor hat zwar Schaum vor dem Mund, aber vermittels einer derart grobgerasterten Draufsicht ist eine komplexe Formation wie die "Linke" nicht zu "entzaubern".
Harald Bergsdorf: Die neue "Linke". Partei zwischen Kontinuität und Kurswechsel
Bouvier Verlag, 239 Seiten, 19,90 Euro
"Was im vorletzten Jahrhundert die Regel war, haben die Reformchaoten der letzten Jahre jetzt für Deutschland wieder vorprogrammiert. Und deshalb braucht es eine Linke, die das wieder verändert, die zum Kampf antritt.
Wir haben in einem ganz schweren Erneuerungsprozess mit Rückschlägen, mit Beulen und so weiter versucht, wirklich eine andere Partei zu werden. Und ich glaube, dass uns das in beachtlichem Maß auch gelungen ist." (Oskar Lafontaine und Gregor Gysi)
An den wortgewaltigen Protagonisten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi vorbeizuschauen und zu untersuchen, was die – raffiniert "Linke" getaufte - Partei wirklich charakterisiert, ist eine Herausforderung. Das hat der Politikwissenschaftler Harald Bergsdorf durchaus erkannt. Und da der aus Bonn stammende Bergsdorf eine "unaufgeregte Untersuchung" verspricht, darf man das bei Bouvier erschienene knallrote Taschenbuch erwartungsfroh zur Hand nehmen.
Bergsdorf stellt fest, dass bisherige Studien über die PDS-Nachfolgepartei oft von der Gesinnung der jeweiligen Autoren geprägt waren. Dass er sich allerdings selbst wissenschaftlich-nüchtern oder objektiv seinem komplexen Betrachtungsgegenstand nähern würde, davon kann - wie der Leser rasch merkt – auf den vorgelegten 220 Seiten leider nicht die Rede sein.
Keine Missverständnisse: Am Populismus der schrillen Linksaußenpartei, an ihrem Anspruch, im Besitze der alleinigen Wahrheit zu sein, an ihrem wahllos zusammengeklaubten Personal, ihren heillos unlogischen programmatischen Eckpunkten gibt es viel zu kritisieren. Der Politologe Bergsdorf aber, der auch als Grundsatzreferent in der Landtagsfraktion der nordrheinwestfälischen CDU und im Büro des Thüringer Innenministers arbeitet, erfasst bedauerlicherweise die Vielschichtigkeit der "Linken" nicht.
Bisweilen ist es schlicht peinlich, wie Bergsdorf sich darüber wundert, dass Oskar Lafontaine sein Studium nicht der Friedrich-Ebert-Stiftung, sondern – oh Wunder – einem Stipendium vom katholischen Cusanus-Werk verdankt, oder wenn der Autor mehrfach von "Prolet-Ariern" spricht.
Beginnt das Buch damit, dass die "Linke" launig als "Gespenst" beschrieben wird, so schließt es mit einem sogenannten "Zwölf-Punkte-Programm" zur Bekämpfung der Partei, deren Sozialromantik das klassische Parteiengefüge der Bundesrepublik momentan durcheinanderbringt und von sich behauptet, sie treibe die etablierten Parteien vor sich her.
"Niemals und nirgendwo darf es inhaltliche Kooperationen mit der 'Linken' geben. Zwar sollte keine vernünftige Entscheidung nur deshalb scheitern, weil auch die 'Linke' ihr zustimmt. Doch dürfen sich gemäßigte Parteien keinesfalls von Extremisten abhängig machen. Es darf keine Koalitionen mit Parteien wie der 'Linken' geben. Machiavellismus darf niemals über antiextremistische Prinzipientreue triumphieren."
Diese Haltung ist legitim. Doch läge es dann zum Beispiel nahe, zu verifizieren, wie weit der Machiavellismus der rot-roten Landesregierungen geht, in denen die dunkelroten Populisten sich eher kleinlaut der Koalitionsdisziplin fügen.
Die "bunte Truppe" dieser von Lafontaine gegängelten "Linken" als realpolitische Kraft zu analysieren, ist Bergsdorfs Interesse nicht. Er versucht, mit seinem Handwerkszeug als Extremismusforscher der "Linken" beizukommen und dreht seitenlange Schleifen über die Sinnhaftigkeit des systematischen Vergleichs von rechts- und linksextremen Strömungen.
Wie extremistisch die "Linke" aber tatsächlich ist, erfahren wir bestenfalls implizit. Wenn der Autor aus seiner Arbeit beim Thüringer Innenminister neue Erkenntnisse über die Verfassungsfeindlichkeit der Partei gewonnen haben sollte – er verrät sie nicht. Stattdessen operiert Bergsdorf mit winzigen Zitatausschnitten, die er hochrechnet, um den Eindruck zu erwecken, in der gesamten Partei feiere ein hard-core-Kommunismus Urständ. Darauf aber kann man die Sammlungsbewegung, die unter dem anmaßenden Etikett die "Linke" eine bessere SPD sein will, nicht reduzieren.
"Wer einen geschichtlichen Blick hat, der sieht heute Millionen von Sozialisten hinter uns stehen, ein alter Traum ist Wirklichkeit geworden: die Einheit der deutschen Arbeiterklasse! [Applaus.]" (Otto Grotewohl)
Otto Grotewohl 1946 – in der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED liegen die Wurzeln der einen Quellpartei der "Linken". Leider fällt Harald Bergsdorfs Beschreibung der DDR-Geschichte allzu holzschnittartig aus, sehr eilig durchläuft er die vierzig Jahre Diktatur, um seine These zu untermauern, dass sich SED-Funktionäre in der wenig glanzvollen Endphase des Sozialismus in den Farben der DDR an die Spitze der Reform-Bewegung setzen wollten.
Nun gilt der abgedankten Vorhut der Arbeiterklasse nicht sein Hauptaugenmerk. Wer aber das Verschmelzungsprodukt von PDS und WASG in seiner ganzen Zerrissenheit erkunden will, muss mehr wissen, als dass die SED-Nachfolgerin im Osten einstigen SED-Kadern und MfS-Oberen eine politische Heimstatt bot.
"Diejenigen, die heute noch Mitglied dieser Partei sind, bekennen sich zur Geschichte dieser Partei und sind nicht bereit, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Sie bekennen sich aber auch mit dem hier vollzogenen Bruch zum Stalinismus und dem ernsthaften Neubeginn." (Gregor Gysi)
Gregor Gysi und Lothar Bisky werden als Schlüsselfiguren der Wende der einstigen Staatspartei kurz herausgegriffen. Dass Biskys Sohn Jens in seiner eigenen Lebensgeschichte Ergiebiges über seinen Vater berichtet, lässt Bergsdorf unerwähnt. Ebenso wie er die Doppelbiografie von Jens König über Vater und Sohn Gysi leider ignoriert. Das fällt insofern ins Auge, da Bergsdorf ansonsten fleißig zitiert - so ausgiebig, dass man nach seinen eigenen Thesen förmlich suchen muss. Eine freilich lautet:
"Im Gesamtkontext ihrer Ideologie scheinen die Bekenntnisse der 'Linken' zur Demokratie überaus unglaubwürdig und eher taktisch motiviert. Zwar geriert sich die 'Linke' immer wieder als besonders demokratisch, sie definiert aber Demokratie anders als es westliche Demokraten tun, deren freiheitliches Gemeinwesen sie bekämpft und 'überwinden' will, also abschaffen und zerstören. Sie betreibt keine Opposition im 'System', sondern gegen das 'System'."
Bergsdorf geht nicht auf die erbitterten Gefechte ein, die junge Reformer der PDS Mitte der 90er Jahre gegen jene geführt haben, die nichts als Fundamentalopposition treiben wollten. Auch ignoriert der Autor die einzig wirkliche Leistung der PDS: Sie hat dem Teil der Ostdeutschen, die in der Bundesrepublik fremd waren und sind, eine Brücke in das neue Gesellschaftssystem hinein gebaut und politisch Halt gegeben.
In der Missachtung dieser Integrationsleistung beweist Bergsdorf denselben Mangel an Sensibilität wie Oskar Lafontaine. Der egozentrische Saarländer verspielt in westdeutscher Poltermanier das ostdeutsche Heimatgefühl, das den Realpolitikern in der PDS als Vehikel für ihre Politik diente.
"Wenn etwas das Ergebnis der verfehlten Politik der letzten Jahre war, dann war es die Zerstörung des Sozialstaates, der doch Millionen Deutschen Identität gegeben hat in ihrem Staat. Wenn man gefragt hat, was schätzt ihr an eurem Staat, ja, an eurer Nation, dann haben sie zuerst den Sozialstaat genannt. Und jetzt haben sie es fertig gebracht, diesen Sozialstaat völlig zu zerstören. Weiter als in der Politik der großen Koalition wird sich die SPD kaum von ihrer Programmatik entfernen können. Unglaubwürdiger als zurzeit war sie für mich nie. [Applaus.]" (Oskar Lafontaine und Lothar Bisky auf dem Gründungsparteitag der Linken)
Natürlich spielten Lafontaine, Bisky und Co., wie Bergsdorf richtig erkennt, die ungeschickt verpackten Reformen der Regierung von Gerhard Schröder in die Hände. Aber warum der Verzicht auf klare inhaltliche Festlegungen rückwärtsgewandte Kryptomarxisten, linkspopulistische Karrieristen, Sozialhilfeempfänger, ostdeutsche Staatsdiener oder westdeutsche Gewerkschafter zusammenführt, aber eben nicht zusammenhält, darauf geht der Autor nicht ein.
Warum hat Bergsdorf keine Gespräche mit Zeitzeugen geführt – weder mit den Protagonisten der "Linken", noch mit dem Parteivolk oder Kritikern? So fehlt die Innensicht, die bei der Linken sowohl das Erfolgsgeheimnis wie auch die Sollbruchstellen zeigen würde.
Die derzeit in Ost und West erfolgreichen Demagogen an der Parteispitze kokettieren damit, dass sie von einem Teil der Gesellschaft nicht verstanden werden. Nur so erhalten sie Zustrom von jenem anderen Teil der Gesellschaft, den sie als Wähler für sich begeistern wollen: Unverstandene und tatsächlich oder vermeintlich Zukurzgekommene oder Enttäuschte.
Immerhin zitiert Bergsdorf häufig die fundierten Untersuchungen von Viola Neu, einer profilierten Forscherin im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung. Doch versäumt er es, die diversen Herkunftsmilieus zu untersuchen, obgleich sich dort ablesen ließe, dass eben nicht zusammenwächst, was nicht zusammengehört.
Das Bild, das Harald Bergsdorf von den linken Feinden der Parteiendemokratie zeichnet, bleibt leider blutleer. Der Autor hat zwar Schaum vor dem Mund, aber vermittels einer derart grobgerasterten Draufsicht ist eine komplexe Formation wie die "Linke" nicht zu "entzaubern".
Harald Bergsdorf: Die neue "Linke". Partei zwischen Kontinuität und Kurswechsel
Bouvier Verlag, 239 Seiten, 19,90 Euro