Archiv


Knappes Gut

Der Klimawandel verschärft den Wassermangel in vielen Teilen der Welt lediglich, seine Ursachen liegen tiefer. Das schildert eindrucksvoll der britische Journalist Fred Pearce in seinem neuen Buch "Wenn die Flüsse versiegen". Daniel Blum stellt es vor.

07.05.2007
    "Etwas Irritierendes ist geschehen. Ganz allmählich wurde es mir bewusst, durch die eine oder andere Nachrichtenmeldung. Die Karten in meinem Atlas schienen nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinzustimmen. Ganze Binnenmeere und Seen waren verschwunden. Die alten Lehren aus dem Erdkundeunterricht, wonach ein Fluss in den Bergen entspringt, das Wasser aus den Nebenflüssen aufnimmt und seine angeschwollenen Massen schließlich ins Meer ergießt, waren plötzlich überholt. Viele Flüsse sterben auf ihrem Weg ab, statt anzuschwellen. Der Nil in Ägypten, der Gelbe Fluss in China, der Indus in Pakistan, der Colorado und der Rio Grande in den USA - von allen wird berichtet, dass sie im Sand versickern, manchmal Hunderte Meilen vom Meer entfernt. Eine Art erdgeschichtliche Katastrophe."

    Und der Londoner Wissenschaftspublizist Fred Pearce arbeitet solche Katastrophen journalistisch auf. Während Polizeireporter des Boulevards zu Autobahnunfällen oder brennenden Häusern rasen, um ihre Leser mit erschütternden Szenen zu rühren, fliegt Pearce dorthin, wo gleich ganze Völker in Not geraten, in den afrikanischen Tschad oder an den Aralsee, um zu dokumentieren, was geschieht, wenn, so auch der Titel seines Buches, "wenn die Flüsse versiegen". Dass das Trinkwasser weltweit knapp wird, hat jeder schon mal aufgeschnappt und in der Regel für ein Problem gehalten, das andere haben, nicht man selbst. Ein Trugschluss, wie Pearce nachweist. Auch wenn in Deutschland noch niemand dursten muss: Das Schwinden der weltweiten Wasservorräte trifft uns mit, vor allem deswegen, weil es auch der hohe Lebensstandard der Industrieländer ist, der die Wasserreservoirs in aller Welt geradezu leer pumpt. Fred Pearce rechnet es vor:

    "Es mag lobenswert sein, lieber zu duschen, als ein Vollbad zu nehmen, den Hahn zuzudrehen, während man sich die Zähne putzt, doch niemand sollte glauben, dass es unser täglicher Wasserkonsum daheim ist, der die Flüsse der Welt leert. Erst wenn wir das Wasser hinzurechnen, das für den Anbau dessen, was wir essen und trinken, notwendig ist, schnellen die Zahlen in die Höhe. Für ein Kilo Weizen sind 1.000 Liter Wasser vonnöten. Für jeden Löffel Zucker im Kaffee werden 50 Tassen Wasser verbraucht. Ganz oben auf der Liste steht die Kilopackung Kaffeepulver mit 20.000 Litern Wasser - 20 Tonnen. Stellen Sie sich vor, Sie würden diese Menge aus dem Supermarkt nach Hause tragen!"

    Ein guter Teil der Lebensmittel dieser Welt kann nur produziert werden, weil die Nutzpflanzen dafür künstlich bewässert werden. Die so genannte Grüne Revolution hat uns Hochertragssorten beschert: neue Weizen- oder Maisarten, die besonders hohe Ernten bringen, aber auch besonders viel Wasser brauchen. Mit dem Regenwasser alleine ist es da nicht getan. Die Flüsse und Seen reichen auch schon lange nicht mehr aus. Immer häufiger pumpen Regierungen oder Privatunternehmer das Wasser aus unterirdischen Reservoirs, aus gewaltigen uralten Grundwassertanks, die jetzt binnen weniger Jahre geleert werden - ohne wieder aufgefüllt zu werden. Politiker weltweit begreifen zwar allmählich, dass ihren Wohlstandsträumen blühender Landschaften buchstäblich das Wasser abgegraben wird, aber als Lösung fällt ihnen zumeist nur ein, vom Falschen noch mehr zu tun.

    "Brauchen wir die Mammutprojekte, die die Großen Seen in den amerikanischen Westen ableiten, den Kongo-Fluss in die Sahara, die reißenden Ströme Sibiriens in die Wüsten Zentralasiens? Oder sollten wir uns lieber bescheiden, das Regenwasser vom Dach auffangen und unsere Gärten mit durchlöcherten Fahrradschläuchen bewässern? Nichts, vielleicht nicht einmal der Klimawandel, wird für die Zukunft der Menschheit auf unserem Planeten im kommenden Jahrhundert von derartiger Bedeutung sein wie das Schicksal unserer Flüsse. Einst zogen Entdecker in großer Zahl aus, um ihre Quellen zu finden. Meine Reise ist eine Chronik ihres Sterbens."

    Seine Reisen haben Fred Pearce rund um den Globus geführt. Er hat mit Ingenieuren gesprochen, die gigantische Talsperren planen, und mit Regenwassersammlern in Indien. Doch Pearce hat nicht nur Bonusmeilen gesammelt, er hat auch am Schreibtisch gesessen, Studien und Fachliteratur ausgewertet. Beide Quellen, Literatur und die Inaugenscheinnahme vor Ort, verknüpft er im Text mit leichter Hand zu einem harmonisch wirkenden Ganzen. Zahlenwerk und Reportagen illustrieren sich wechselseitig. Das ist nicht nur inhaltlich überzeugend, sondern auch sprachlich sehr gelungen. Mit seinem einfachen, aber eleganten Stil liest sich das Buch leicht. Dafür, dass es ein eigentlich beklemmendes Thema behandelt, macht seine Lektüre erstaunlich viel Freude. Die Aufgabe, die sich Pearce gestellt hat, war gewaltig: Er wollte nichts weniger als eine umfassende, globale Bestandsaufnahme des heraufziehenden Wassernotstandes erstellen mit selbst recherchiertem, aktuellen Wissen aus allen Teilen der Welt. Für einen einzelnen Autor eine wahre Herkulestat. Nun, er hat die Arbeit gestemmt, und, was noch erstaunlicher ist, er hat sich in der Fleißarbeit nicht verzettelt. Pearce präsentiert seine Erkenntnisse mit Überblick, schafft ständig neue Bezüge zwischen den Kapiteln, nimmt den Leser an die Hand und geleitet ihn sicher durch das Thema. Sein Anliegen ist es, für eine "Blaue Revolution" zu werben, wie er es nennt: einen radikal neuen, sparsamen Umgang mit dem Wasser:

    "Diese neue Ethik verlangt von uns, Möglichkeiten des Wasserspeicherns zu finden, ohne die Umwelt zu zerstören; den Flüssen ihr Wasser zurückzugeben und Seen und Feuchtgebiete wieder zu füllen, ohne dass Menschen verdursten müssen; und das Wasser zu teilen, anstatt sich darum in Kriegen zu streiten. Wir sollten mit dem Strom schwimmen. Und zwar, bevor die Flüsse versiegt sind."

    "Wenn die Flüsse versiegen", das Buch von Fred Pearce, ist keine Fachliteratur für die Universitäten. Es fehlt ein wissenschaftlicher Fußnotenapparat. Pearce hat, statt das gelehrte Abschreiben zu perfektionieren, viel Mühe darauf verwandt, sich vor Ort ein eigenes Bild zu verschaffen, seine Anschauung durch eigenes Schauen zu erwerben. Mit besonderem Interesse hat er die ersten kleinen Schritte der "Blauen Revolution" begleitet: die Versuche, mit dezentralen und naturnahen Techniken das Wasser effizienter zu nutzen. Das Ergebnis seiner Arbeit: eine umfassende und aktuelle Dokumentation des Wassernotstandes, hervorragend lesbar und spannend.


    Fred Pearce: Wenn die Flüsse versiegen
    Verlag Antje Kunstmann, München 2007
    398 Seiten, 24,90 Euro