Im Konflikt über das Vorhaben der rechts-religiösen Regierung von Premierminister Netanjahu waren zuvor sämtliche Vermittlungsversuche von Präsident Herzog gescheitert. Derweil dauerten die Proteste vor der Knesset gegen die Umsetzung an. Heute früh hatten Demonstrierende unter anderem die Zugänge zum Parlament blockiert. Die Polizei ging mit Wasserwerfern gegen sie vor. Netanjahu verteidigte die Entscheidung als "notwendigen Schritt für die Demokratie" und fügte hinzu, das Höchste Gericht bleibe "unabhängig". Oppositionsführer Lapid kündigte dagegen juristische Schritte gegen das Gesetz an. Unklar blieb zunächst, wie dies vor dem Hintergrund der Neuregelung erfolgen soll. Die USA bezeichneten die Entscheidung des Parlaments als "unglücklich". Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates erklärte in Washington, eine derart wichtige Entscheidung sollte im politischen Konsens getroffen werden.
Unversöhnliche Positionen
Das Gesetz war mit den 64 Stimmen der Koalition ohne Gegenstimme angenommen worden, da die Opposition die finale Abstimmung boykottierte. Die nun abgeschaffte sogenannte "Angemessenheitsklausel" ermöglichte es dem Obersten Gericht des Landes bisher, Regierungsentscheidungen als "unangemessen" abzulehnen. Kritiker befürchten, dass die Abschaffung Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten und Entlassungen begünstigt, aber auch die Gewaltenteilung einschränkt. Netanjahus Regierung wiederum wirft der Justiz vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen.
Verfassungsrechtliche Sondersituation
Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu. Seit mehr als einem halben Jahr spaltet das die geplante Justizreform weite Teile der israelischen Gesellschaft. Regelmäßig gehen Tausende Menschen gegen eine Schwächung der Justiz auf die Straßen. Verhandlungen, auch in letzter Minute, über einen Kompromiss blieben erfolglos.
Gespaltene Gesellschaft
Zuletzt nahm auch der Widerstand innerhalb des Militärs zu. Mehr als Zehntausend Reservisten kündigten an, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte ein Teil der umstrittenen Pläne verabschiedet werden. Auch aus der Wirtschaft und weiteren Teilen der Gesellschaft gab es solche Drohungen. Netanjahus Koalition ist die am weitesten rechts stehende, die das Land je hatte. Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck von Netanjahus strengreligiösen Koalitionspartnern. Lapid sprach von einer "beispiellosen Schwächedemonstration" des Regierungschefs. Benjamin Netanjahu sei "zur Marionette einer Reihe messianischer Extremisten geworden". Netanjahus Koalition ist die am weitesten rechts stehende, die Israel je hatte.
Generalstreik droht
Bis zuletzt hatte Präsident Isaac Herzog erfolglos versucht, in dem Konflikt zu vermitteln. Banken, Einkaufszentren und andere Geschäfte blieben als Zeichen des Widerstands gegen die Justizreform am Montag geschlossen, die Polizei setzte Wasserwerfer gegen Demonstranten ein. Die Gewerkschaft Histadrut beriet nach dem Votum über einen Generalstreik.
Diese Nachricht wurde am 24.07.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.