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Knochenarbeit für das Buch des Lebens

Für die Genetiker in Michael Crichtons Bestseller "Jurassic Park" war es ganz einfach. Sie konnten aus dem Magen einer Mücke Dinosaurierblut gewinnen und daraus lebende Urzeitechsen klonen. Das Insekt hatte die 65 Millionen Jahre im Bernstein eingeschlossen fast schadlos überstanden. Solche Science-Fiction-Forschungen sind in der realen Welt undenkbar. Trotzdem ist es Paläogenetikern in den vergangenen Jahren gelungen, Gensequenzen längst ausgestorbener Tiere, Menschen und Bakterien zu gewinnen. Mit immer neuen Methoden rekonstruieren sie längst verloren geglaubte Daten und eröffnen sich damit neue Einblicke in den Stammbaum des Lebens. Doch die Möglichkeiten der Paläogenetik enden mit der Dauerhaftigkeit der Erbsubstanz DNA.

Von Michael Stang |
    " Ich lege den Mundschutz an, das dauert ein bisschen, Knoten hinterm Kopf ... so ungefähr. "

    Wolfgang Haak stellt das größte Risiko für seine eigene Arbeit dar. Eine Körperzelle von dem Paläogenetiker reicht aus, um das Objekt seiner Untersuchung zu verunreinigen. Im Hochrein-Genlabor der Universität Mainz sucht er in alten Knochen nach Spuren von Erbmaterial. Da in den Überresten nur noch winzige Fragmente der alten DNA erhalten sind, ist Schutzkleidung unerlässlich. Sie schützt die Proben vor den genetisch modernen Körperzellen des Forschers. Im Labor staut sich die Hitze. Eine Klimaanlage gibt es nicht.

    " Das würde unseren Vorhaben entgegenwirken, d.h. wir wollen keine hohe Luftumwälzung, die uns wieder Partikel von außen reintragen kann. "

    Die Laborordnung der Mainzer Forschergruppe Paläogenetik ist streng. Jeder, der das Labor betreten will, muss unmittelbar vorher Duschen, Haare waschen und frische gewaschene Kleidung anziehen. Dadurch wird das Risiko verringert, moderne DNA in das Labor einzuschleppen. In der ersten Schleuse zieht sich Wolfgang Haak bis auf die Unterhose aus. Sterile Latexhandschuhe dürfen nicht fehlen.

    Am Übergang zur zweiten Schleuse soll eine Klebematte am Boden weitere Hautzellen und Haare von dem Spurenlabor fernhalten. Von allen Personen, die je das Labor betreten haben, sind die genetischen Profile analysiert. Damit können die Forscher feststellen, ob es sich bei einer Gensequenz tatsächlich um die erhoffte alte DNA aus einem Knochen handelt oder bloß um die Spuren eines unvorsichtigen Mitarbeiters. Wolfgang Haak stülpt sich ein Haarnetz über. Danach schlüpft er in einen weißen Plastikoverall, der den Körper vollständig vermummt.

    " Ziehe die Kapuze des Schutzanzuges über, bis über die Stirn, Reißverschluss zu, an den Füßen gibt's noch Überschuhe aus dem gleichen Schutzanzugmaterial, die gehen bis zu den Knien hoch und werden durch eine Schlaufe von hinten nach vorne gebunden. "

    Langsam neigt sich das tägliche Anziehritual seinem Ende zu.

    " Jetzt habe ich meine dritte Schicht Handschuhe an und setz nur noch ein Gesichtsschild auf: eine Maske mit einem durchsichtigen Visier, um die restlichen freiliegenden Gesichtspartien - also die Augenpartie - noch zu bedecken. "

    Nun erst erfüllt Wolfgang Haak die vorgegebenen Reinheitsbedingungen, um das Labor betreten zu dürfen.

    " So, und so eingepackt betrete ich jetzt den Flur des Spurenlabors. "


    Man wusste vom Quagga nur, dass es in Südafrika lebte und ähnlich aussah wie ein Zebra. 1883 starb das letzte Exemplar im Zoo von Amsterdam. Kopf und Hals waren wie bei einem Zebra gestreift, zum Rumpf hin verschmolzen die Streifen zu einem rötlichen Braun. Die Beine hatten keine Streifen. Da das Quagga eine andere Fellfarbe als alle bekannten Zebras hatte, sahen viele Forscher in ihm eine eigene Zebraart. 1984 konnten Genetiker erstmals aus dem Fell eines ausgestopften Tieres eine Gensequenz untersuchen und damit den Streit klären. Das Quagga hatte das gleiche Erbgut wie ein heutiges Steppenzebra. Das Quagga kann also keine eigene Art gewesen sein. Mit der Untersuchung war der Startschuss für eine neue Forschungsrichtung gefallen: die Paläogenetik.


    Joachim Burger schwitzt. Die Sonne spendet seinem Büro nicht nur ausreichend Licht, sondern auch mehr Hitze als ihm lieb ist. Eine Lüftungsanlage, geschweige denn eine Klimaanlage, ist für den Juniorprofessor für Molekulare Archäologie in Mainz nicht in Sicht. Sobald er aber von seiner Forschung an altem Erbmaterial erzählt, denkt er nicht mehr an die Sommerhitze, gegen die ein kleiner Ventilator in der Ecke vergeblich ankämpft.

    " Das Interessante und Faszinierende daran ist, dass man die Gene oder die DNA von längst ausgestorbenen Tieren oder generell gesprochen aus der Vergangenheit analysieren kann, d.h. also nicht nur die heute lebende Bevölkerung, sondern eben auch die vergangenen. "

    Joachim Burger beschreibt die Vorteile, die die Paläogenetik gegenüber der Archäologie und der Paläontologie, also der Wissenschaft von den Lebewesen vergangener Zeitalter, hat.

    " Von manchen ausgestorbenen Tieren wissen wir überhaupt nicht, wo sie sozusagen in der Ordnung des Lebendigen auf dem Stammbaum zu stehen kommen. Und das kann man eben über Analysen der DNA feststellen, die teilweise im Vergleich zu den klassischen Analysen, die also lediglich die Gestalt, Größe und Form der Knochen sich anschauen, sehr viel exakter und detaillierter machen, also dass dort also ein besseres Verständnis von der Ordnung des jeweiligen Tieres im biologischem System erreicht werden kann. "

    Soviel zur Theorie. Im Optimalfall finden Forscher wie Joachim Burger in den alten Knochen genau die Gensequenzen, die eine Streitfrage klären können - etwa ob das Quagga eine eigene Art ist oder nicht. So etwas erleben die Forscher in der Paläogenetik aber selten. Meist ist nur noch wenig oder gar kein analysierbares Erbgut mehr vorhanden. Es hat sich im Laufe der Jahrtausende seit dem Tod des Organismus zersetzt.

    " Es geht letztendlich um die Anzahl an Molekülen. Dafür braucht man hervorragende DNA-Erhaltung, dafür braucht man auch eine Menge Ausgangsmaterial an Knochen. Das wird man nicht immer haben und wir haben eine ganze Reihe von Knochen hier, die enthalten so nach unseren Schätzungen so um die tausend Moleküle überhaupt nur, das ist sehr wenig. "

    Die Nachweisgrenze liegt bei mindestens fünf bis 500 Molekülen pro Knochenprobe. Dabei muss jedes DNA-Molekül wenigstens 50 bis 200 Basenpaare lang sein. Zum Vergleich: Im Mitochondrium, dem Energielieferanten einer modernen Körperzelle, sind bis zu 10.000 DNA-Moleküle enthalten. Das sind die Erbmoleküle, die die Paläogenetiker aus den alten Knochen isolieren und analysieren wollen. Um die wenigen intakten Moleküle aus den Knochenproben nicht auch noch zu verlieren oder mit modernem Erbgut zu verschmutzen, sind Forscher wie Joachim Burger darauf bedacht, die Proben schnell und unter Beteilung nur weniger Personen ins Labor zu schaffen.

    " Der Optimalfall ist natürlich der, dass man direkt von der archäologischen Grabung den Knochen möglichst ungewaschen und mit Einhaltung der Kühlkette ins Labor bekommt. Das ist leider Gottes nicht immer der Fall. "

    Wolfgang Haak hebt im Mainzer Spurenlabor den Deckel einer Gefriertruhe. Rauchschwaden senken sich. Dahinter werden Plastiktüten mit Knochen sichtbar. Der Paläogenetiker fischt eine Tüte heraus.

    Zum Vorschein kommen ein Oberschenkelknochen und mehrere Zähne. Wolfgang Haak holt sie vorsichtig aus der Verpackung.

    " Das ist dieser besagte Spaziergänger aus Eltville. Spaziergänger heißt der intern bei uns, weil er so frisch aussieht, weil man sagen könnte, da ist ein Spaziergänger bei der Grabung reingefallen. "

    Der gut erhaltene Knochen stammt aus der Merowingerzeit im fünften Jahrhundert nach Christus; der ältesten fränkischen Herrscherdynastie. Der massive Oberschenkelknochen gehörte einem stattlichen Mann, der in einem Reihengräberfeld im hessischen Eltville bestattet worden war. Archäologen konnten das Leben und die Bestattungen des so genannten Spaziergängers und der anderen Toten gut nachzeichnen. Die Trauernden legten ihren Verstorbenen Perlen, aufwendig verzierte Scheibenfibeln als Gewandnadeln, Silberschmuck und Gürtelschnallen mit ins Grab. Erst im Zuge der Christianisierung lösten Grabkreuze die heidnischen Grabbeigaben allmählich ab. Wolfgang Haak will noch mehr über den toten Merowinger erfahren. Antworten auf seine Fragen stecken vielleicht in dem Oberschenkelknochen. Das Erbgut des Merowingers könnte verraten, woher die Vorfahren des Mannes kamen oder auch, ob er an einer genetischen Krankheit litt.
    Bevor der Forscher den Knochen und die Zähne genetisch analysieren kann, muss er sämtliche DNA auf der Oberfläche zerstören. Denn sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit neu. Dazu legt der Paläogenetiker den Knochen und die Zähne auf die Sonnenbank.

    " So, hier ist unser UV-Raum, ein Raum der speziell zur Probenbestrahlung dient. Wir gehen jetzt rein und hier sind auf Tischen die Proben niedergelegt und die werden jetzt mit darüber hängenden UV-Lampen bestrahlt. Ich lege jetzt hier die Proben aus und wir verlassen jetzt den Raum und schalten von außen das UV-Licht ein. "

    Mais kennen die Menschen schon seit der über 6300 Jahren. Bauern in Mexiko haben damals begonnen, aus Wildpflanzen das Getreide zu züchten, das heute auf der ganzen Welt angepflanzt wird. Forscher aus England, Amerika und Deutschland haben bei Ausgrabungen Maissamen aus verschiedenen Epochen entdeckt. Im Labor konnten sie drei Gene aufspüren, die dem Mais erst die Eigenschaften verliehen, für die er heute so geschätzt wird. Ein Gen sorgt dafür, dass der Mais keine verzweigte Pflanze mehr ist, sondern ihren Körnerbeladenen Kolben auf einem unverzweigten Stamm trägt. Das zweite Gen verändert die Stärkezusammensetzung der Körner und Gen Nummer drei beeinflusst den Proteinspeicher der Samenkörner. Erstaunlicherweise gibt es diese Gene aber erst seit 4400 Jahren. Damit war der Mais in den ersten 2000 Jahren seiner Züchtung noch längst kein so ergiebiges Getreide, wie viele Archäologen vermutet hatten.


    Haak: " Jetzt gehen wir rein in den UV-Raum. Sobald wir die Tür bewegen, schaltet sich das UV-Licht aus und holen unsere Proben wieder ab. ... So, hier haben wir jetzt die Proben ... "

    Die Zahn- und Knochenproben bringt Wolfgang Haak einen Raum weiter zu einem Sandstrahlgerät. Dort fräst ein Strahlmittel die Oberfläche mehrere Zehntel Millimeter mechanisch ab.

    " So, das ist hier die Sandstrahlanlage. Ich habe hier zwei Eingrifflöcher, hier führe ich die Probe ein und nehme den Strahlgriffel, betätige mit dem Fußschalter die Anlage, die schaltet sich automatisch ein und nehme die Oberfläche mechanisch ab. "

    " Hier an dem Zahn, den ich eben bestrahlt hab, kann man deutlich sehen, dass die obere Hälfte, die ich abgenommen hab, deutlich heller und sauberer wirkt als die untere Wurzelhälfte. "

    Wolfgang Haak nähert sich langsam der eigentlichen DNA-Analyse. Bevor er dazu kommt, muss er aber erst einmal das Sandstrahlgerät putzen. Durch das Sandstrahlen haben sich Reste der Zahnprobe und damit genetische Spuren in der gesamten Anlage verteilt.

    " Das ist eigentlich die Hauptarbeit bei uns. "

    Damit die nächste Probe nicht mit fremdem Genmaterial in Kontakt kommen kann, reinigt der Forscher den ganzen Arbeitsplatz. Putzen nimmt rund zwei Drittel seiner Arbeitszeit in Anspruch.

    " Das gehört zum Geschäft. (lacht) Ein bisschen Schicksalsergebenheit gehört schon dazu. Allerdings rennen die Proben ja auch nicht weg ... fatalistische Einstellung muss man schon mitbringen. "

    Die Paläogenetik begeisterte anfangs nicht nur Forscher; auch die Literatur und das Kino griffen die Idee auf, Erbinformationen aus der Vergangenheit zu rekonstruieren. 1993 produzierte der Regisseur Steven Spielberg den Film Jurassic Park nach einer Romanvorlage von Michael Crichton. Darin entdecken die Roman-Genetiker im Magen einer vor Millionen Jahren im Harz eingeschlossenen Mücke eine Blutmalzeit. Das im Bernstein eingeschlossene Blut enthält Dinosaurier-DNA. Aus diesen Erbgutresten erwecken die Forscher die Saurier wieder zu Leben.

    " Ja, also Jurassic Park, jetzt mal ganz abgesehen von allen anderen technischen Problemen, die es dabei gäbe, rein von der Idee her, Dinosaurier-DNA zu bekommen, das ist komplette Science Fiction. "

    Michael Hofreiter schüttelt ungläubig den Kopf. In der Geschichte hapert es schon an den Grundvorrausetzungen, sagt der Paläogenetiker vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

    " Bernstein ist gar nicht so extrem gut, also es gibt Chemiker, die machen Untersuchungen am Chitin, also an sehr viel stabileren Molekülen und auch die sind komplett verändert. Also es ist einfach chemisch unmöglich, ein intaktes Stück DNA aus Bernstein zu bekommen, das 65 Millionen Jahre alt ist. "

    Aber nicht nur die Literatur trieb mit diesen angeblich fantastischen Methoden ihre Gedankenspiele. In den Anfängen der Paläogenetik sorgten Sensationsergebnisse für Furore - die im Nachhinein bar wissenschaftlicher Grundprinzipien waren. Denn nicht nur in den Köpfen der Kinozuschauer spukte die Idee von Dinosaurier-DNA, sondern auch bei einigen Kollegen, sagt Michael Hofreiter.

    " Also diese ganze Dinosaurier-DNA, DNA aus Bernstein, miozäne Pflanzenfossilien mehrere Millionen Jahre alt, das sind alles Sachen, wo man heute von ausgeht, das sind Kontaminationen. "

    Also Verunreinigungen. Die vermeintliche Dinosaurier-DNA zeigte meist nur das genetische Profil von einem der Bearbeiter, der die Knochen in der Hand gehabt hatte. Obwohl die Methoden heute ausgereifter sind und dadurch mehr und bessere Daten liefern, müssen die Forscher weiterhin auf der Hut vor falschen Ergebnissen sein. Vor allem genetische Analysen an organischem Material, das älter ist als eine halbe Million Jahre, sind unglaubwürdig. Um solche unwissenschaftlichen Experimente zu vermeiden und die Paläogenetik auf seriöse Beine zu stellen, hat der Leipziger Forscher mit seinen Kollegen Standards vorgeschlagen, die Anwendung finden sollen, sobald ein Paläogenetiker alte Knochen untersuchen will.

    " Zunächst einmal sollte man Kontrollexperimente machen, um sicher zu sein, dass während des experimentellen Verlaufes alles sauber ist, dass man also nicht - wenn man keine DNA zugibt - Ergebnisse bekommt. "

    Solche so genannten Leerkontrollen sind eine einfache Sicherheitsmaßnahme, die anzeigt, ob alle Beteiligten sauber arbeiten.

    " Dann, was ganz wichtig ist, dass man jede Position zweimal bestimmt, weil alte DNA beschädigt ist und Positionen also fehlerhafte Sequenzen ergeben können. Hat man sehr, sehr ungewöhnliche Ergebnisse, sollte man die in einem anderen Labor reproduzieren lassen. "

    Doppelt hält besser. Wenn man zweimal das gleiche Ergebnis bekommt, ist es wahrscheinlich, dass in dem alten Knochen tatsächlich noch DNA-Moleküle enthalten sind. Das ist oft die einzige Möglichkeit der Paläogenetiker, Verunreinigungen im eigenen Labor auszuschließen.

    " Dann sollte prinzipiell das Alter und die Erhaltungsbedingungen irgendwie Sinn machen. Also, wenn ich einen fünf Millionen Jahre alten Knochen aus Australien hab, dann ist es also sehr, sehr unwahrscheinlich rein von der Chemie her, dass da noch DNA erhalten ist. "

    Zudem sollten die Paläogenetiker nur Knochen untersuchen, die eine wissenschaftliche Frage beantworten können, etwa ob die heute ausgestorbenen Höhlenbären alle zur gleichen Art gehörten oder nicht. Im Prinzip sind das heutige Laborstandards. Das war aber nicht immer so, sagt Michael Hofreiter. Erste Arbeiten, bei denen es hauptsächlich darum ging, möglichst alte und spektakuläre Ergebnisse zu bekommen, haben der Paläogenetik eher geschadet als genutzt.

    " Es gibt viele Arbeitsgruppen, die sich nicht daran halten und es gab in der alten DNA sehr viele Ergebnisse, die einfach falsch waren, wie zum Beispiel eben diese Dinosauriersequenz. Das war der Grund, warum irgendwann diese Kriterien in einem Katalog zusammengefasst wurden, weil die Leute halt einfach nicht erkannt haben, dass PCR ne sehr, sehr sensitive Technik ist. "

    Die PCR - englisch für Polymerasekettenreaktion - ist so etwas wie die Wunderwaffe der Paläogenetik. Dabei werden winzige DNA-Fragmente in chemischen Schritten millionenfach vervielfältigt - Segen und Fluch zugleich.

    " Man kann aus Spuren von DNA bestimmen- was ja der große Vorteil ist - das heißt aus Spuren von DNA sind quasi überall, zum Beispiel menschliche DNA findet sich überall, d.h. man kann immer menschliche DNA analysieren, egal ob das jetzt ne Kaffeetasse ist oder ein Kugelschreiber oder eben ein Knochen, den ein Kurator mal in der Hand hatte. Da ist in jedem Fall menschliche DNA drauf, d.h. aber nicht, dass die aus dem Knochen stammt. "

    Vor allem Untersuchungen an menschlichem Skelettmaterial sind heikel, da die Forscher bei der alten DNA nie 100prozentig sicher sein können, ob das analysierte Erbgut aus dem alten Knochen oder vom Kollegen stammt. Deshalb forschten die Paläogenetiker nach alternativen Techniken.

    " Es gibt jetzt zwei Methoden, die bisher ausprobiert wurden, wo man mehr oder weniger ohne PCR auskommt. Das eine ist die DNA direkt in Bakterien zu klonieren, also eine Genbank anzulegen. "

    Dabei nimmt jede Bakterienzelle ein einzelnes Stück DNA auf. Die Bakterienzellen vermehren sich. Danach können die Forscher die einzelnen Erbgutstückchen analysieren. Bei einer zweiten Methode werden alle DNA-Stücke einer Knochenprobe zufällig sequenziert. Da auf den Knochen auch Pilze und Bakterien leben, müssen die Forscher anschließend diese Fremd-DNA wegsortieren.

    " Beide Methoden haben einen sehr hohen "throughput", d.h. man bekommt sehr große Datenmengen, haben aber den Nachteil, dass man nicht mehr ein bestimmtes Fragment bekommt, sondern einfach zufällige Stücke aus dem Genom. "

    Michael Hofreiter ist froh, dass es inzwischen diese Alternativen zur PCR gibt, zumal die neueren Methoden wesentlich weniger Knochenmaterial für die Analyse benötigen. Darüber freuen sich auch die Museums-Kuratoren, die oft mit tränenden Augen zusehen, wenn Michael Hofreiter unwiederbringlich aus seltenen Mammutknochen handliche Stücke heraussägt.

    Bis vor 7.500 Jahren ist Europa von Jägern und Sammlern bewohnt. Dann tauchen sehr plötzlich die ersten Bauern auf. Wer aber sind diese Menschen, die ihre Felder bestellen und Tiere züchten? Sind es die einstigen Nomaden, die Pfeil und Bogen gegen Hacke und Schaufel eintauschten, nachdem sie sich den Ackerbau von ihren Nachbarn aus dem Nahen Osten abgeschaut hatten? Oder machten sich die überlegenen Erfinder des Ackerbaus und der Viehzucht in Europa breit und verdrängten die Jäger und Sammler? Mainzer Forscher haben Skelette der ersten Ackerbauern aus dieser Umbruchphase untersucht. Demnach trugen sie ein genetisches Profil, das heute kaum noch in Europa existiert. Im Ursprungsgebiet des Ackerbaus im Nahen Osten war es aber sehr häufig. Es sind also nur wenige Bauern von dort nach Europa eingewandert und haben ihre Technik mitgebracht. Unsere Vorfahren sind mehrheitlich die einst schon in Europa ansässigen Jäger und Sammler.


    Im Mainzer Spurenlabor beginnt Wolfgang Haak jetzt mit der eigentlichen Probenentnahme vom Oberschenkel des merowingischen Spaziergängers.

    " In diesem kleinen abgetrennten Raum befindet sich unser Sägeplatz, in dem aus dem Langknochen eine Knochenprobe rausgesägt wird. Das geschieht in einer kleinen Box, die noch mal abgeriegelt ist mit zwei Eingriffslöchern und hier drin befindet sich auch ein Absaugstutzen, der den anfallenden Staub gleich wegsaugt. "

    In dem kleinen Raum ist die Luft trocken, es riecht nach Staub, genauer gesagt nach Knochenstaub. Die Sägebox ist in etwa so groß wie ein Kaninchenstall. Rückwand und Seiten sind weiß, vorne eine Plexiglasscheibe. Wolfgang Haak nimmt auf einem kleinen Drehhocker Platz, den Knochen hält er in der Hand.

    " Das ist ein Oberschenkelknochen und ich betrachte mir den Erhaltungszustand des Knochens und suche mir die schönste Stelle aus, an welcher die Knochenkompakta noch sehr gut erhalten aussieht, d.h. fest und elfenbeinartig aussieht. "

    Dann schiebt er den Knochen durch das rechte Eingriffsloch. Gleich wird Wolfgang Haak ein etwa ein mal ein Zentimeter großes Stück heraussägen.

    " Das ist eine Säge aus dem Dentalbereich, das ist ein Dentalwerkzeug, das auch der Zahnarzt benutzt, ein Handstück und vorne eingesetzt wird eine Trennscheibe, aus Diamant, ne und vorn eingesetzt wird eine Trennscheibe mit einem Diamantblatt. "

    Die Spanische Grippe tötete in den Jahren 1918/1919 Millionen von Menschen. Wie ein Grippevirus dermaßen gefährlich werden konnte, darüber haben sich Generationen von Virologen den Kopf zerbrochen. Des Rätsels Lösung lag bis Ende der 90iger Jahre vergraben im Permafrostboden Alaskas. Die DNA des tödlichen Virus hatte dort im Körper eines Grippe-Opfers die Jahrzehnte überdauert. Die Forscher konnten zunächst das Erbgut des Virus und schließlich gleich das ganze Virus rekonstruieren. Es war ein Vogelgrippevirus. Durch mehrere, gezielte Mutationen war es auch für den Menschen infektiös und todbringend geworden.

    Tuberkulose. Mit 1,7 Millionen Toten jährlich führt sie die Statistik der tödlichen Infektionskrankheiten an, trotz allen medizinischen Fortschritts. Die auch als Schwindsucht bezeichnete Tuberkulose begleitet die Menschen schon seit Jahrtausenden. Auch die alten Ägypter aus Theben-West, dem heutigen Luxor, in der Nähe des Tals der Könige, litten und starben an dieser Krankheit, sagt Andreas Nerlich.

    " Die Zahl der Fälle ist doch sehr hoch und bezogen auf die Tuberkulose deuten unsere Daten darauf hin, dass es eine extrem hohe Durchseuchungsrate gegeben hat, so dass wahrscheinlich jeder zweite bis dritte an einer Tuberkulose gelitten haben dürfte. "

    Damals wussten die Menschen noch nicht, wie sich die Krankheit verbreitet, sagt der Leiter des Instituts für Pathologie am Klinikum München-Bogenhausen in Schwabing. Erreger der Tuberkulose ist ein kleines, stäbchenförmiges Bakterium, das Mycobacterium tuberculosis. War die Tuberkulose tatsächlich so weit verbreitet, dann müssten Überreste der Bakterien auch in den ägyptischen Mumien zu finden sein. Um sie aufzuspüren, untersuchten Andreas Nehrlich und seine Kollegen rund 200 skelettierte Mumien. Die ältesten Exemplare stammten aus der Zeit von 3.200 vor Christus, die jüngsten waren 2500 Jahre alt. Die Forscher hatten Glück.

    " Wir haben eine, in zwei Teilen zerbrochene Mumie eines jüngeren Mannes gehabt, der so um die 30, 35 Jahre alt gewesen sein dürfte und dieser war entgegen des üblichen Rituses eben nicht ausgeweidet, also da waren die Organe sozusagen noch innerhalb des Leibes verblieben und dann haben wir eine Autopsie durchgeführt. "

    Bei der männlichen Mumie entdeckten sie zwei wesentliche Veränderungen: zum einen flächige Verwachsungen der im Brustkorb verbliebenen rechten Lunge mit dem Zwerchfell und dem Brustfell. Zum anderen entdeckten die Pathologen an zwei Wirbeln der Lendenwirbelsäule Veränderungen, die typisch für eine Knochentuberkulose sind. Die ersten genetischen Untersuchungen bestätigten den Befund. Im Lungengewebe fanden sie tatsächlich Überreste des Tuberkuloseerregers. Andreas Nerlich und seine Kollegen hatten damit erstmals genetische Daten eines alten Tuberkulosebakteriums gefunden. Nach dieser Entdeckung untersuchten sie sofort weitere Mumien. Sie hofften, dass sie mit etwas Glück an anderen Mumien nicht nur weitere Tuberkuloserreger finden würden, sondern auch den Ursprung der Tuberkulose selbst.

    " Es gibt verschiedene Tuberkulosestämme, wie zum Beispiel den humanen Stamm. Es gibt einen bovinen Stamm der alten Rindertuberkulose. Es gibt eine Reihe weiterer Stämme und die unterscheiden sich nur alle an einer bestimmten Stelle in der Signatur. "

    Diese Signatur ist eine charakteristische Abfolge von DNA-Fragmenten, ähnlich dem Strichkode, den die Kassen im Supermarkt ablesen. Der Tuberkulosebarcode besteht aus sehr kurzen DNA-Abschnitten. Diese Fragmente sind in den vergangenen Jahrtausenden kaum zerfallen. Dadurch können die Pathologen heute noch die Bakterienstämme identifizieren.

    " Der spannendste Teil eigentlich ist, dass wir eigentlich immer erwartet haben, wir würden die Signaturen des Mycobakterium bovis finden, also der Rindertuberkulose, weil man immer gedacht hatte, dass die Rindertuberkulose auf den Menschen übergegriffen hat im Zuge der Domestikation, also der Nutzbarmachung von Rindern und Tieren, die etwa um 10.000 bis 8.000 vor Christus in Palästina, im mesopotamisch-ägyptischen Raum aufgetreten sein dürfte. "

    In keiner der 200 Mumien fanden sie jedoch Spuren der Rindertuberkulose, sondern immer nur den menschlichen Bakterienstamm. Der humane Stamm ist also doch der ursprünglichere. Der Rinderstamm wäre folglich eine Form, die sich erst sehr viel später, wahrscheinlich erst im Mittelalter in Europa weiterentwickelt hat, sagt Andreas Nerlich.

    " Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass es vielleicht ein anderer, vielleicht vom Schaf her oder von der Ziege her, also ein capriner Stamm ist, der dem menschlichen Mycobakterium wesentlich ähnlicher ist, der vielleicht die Initialzündung gegeben hat, der dann auf den Menschen übergesprungen ist und sich von dort aus wie in einem vielleicht Art Pingpong-Spiel wieder auf andere Spezies ausgedehnt hat. "

    Zurück im Spurenlabor in Mainz. Wolfgang Haak hat das ausgesägte Knochenstück mittlerweile in weitere kleine Stückchen zersägt und alles wieder in den UV-Raum gebracht, wo sie ein weiteres Mal unter die Sonnenbank mussten. Die winzigen Knochenstückchen bringt der Paläogenetiker jetzt in das Extraktionslabor. Hier will Wolfgang Haak das Erbmaterial aus dem Knochen holen. Vorerst muss aber alles noch in den Schredder.

    " Das ist eine Kugelschwingmühle zum Zerkleinern der Knochenpröbchen in Pulverform. "

    Mit solchen Mühlen zermalen normalerweise Mineralogen ihre Steine.

    " Also der Knochen muss in kleinste Bestandteile zerlegt werden, d.h. in Pulverform. So, wir geben das Knochenstückchen hier in die Malbecher, geben die Malkugel drauf. Das ist Zirkonoxid, das härteste Material auf Erden, nach Diamant. "

    Nach dem Sandstrahlen und dem Sägen ist auch bei der Knochenmühle wieder körperlicher Einsatz gefragt - bei 30 Grad Celsius in einen atmungs-inaktiven Plastikanzug.

    " So, Malbecher samt Probe wird jetzt hier in den Schwenkarm eingespannt. Die Konterschraube angezogen. Wir haben hier Platz für zwei Malbecher, rechts der eingespannt. Schließen der Klappe, schalte das Gerät ein. "

    Nach kurzer Zeit ist der Knochen vollständig pulverisiert. Wolfgang Haak wiegt das feine, weiße Pulver und füllt zwei Plastikröhrchen mit je drei Gramm Knochenpulver. Darin ist irgendwo die Erbsubstanz des Spaziergängers enthalten. Bevor sich der Genetiker nun weiter um die DNA des Eltvillers kümmern kann, muss er allerdings erst wieder den Putzlappen schwingen.

    Danach bringt der Forscher das Knochenpulver in den Brutschrank.

    " Hier werden im Lyseschritt die Proben über Nacht in den Brutschrank gegeben, auf einen Rotor gesetzt, zu und mindestens 24 Stunden, also über Nacht rotiert. So wird die Knochenmatrix aufgelöst und die Zellen frei gespült. "

    Anderthalb Tage braucht Wolfgang Haak, um an die nur noch bruchstückhaft vorhandene DNA des Eltviller Spaziergängers zu gelangen. Erst danach geht es mit der eigentlichen Genetik los. Der Mainzer Paläogenetiker muss die DNA-Fragmente dann chemisch reinigen und danach millionenfach vervielfältigen, damit er das genetische Profil erstellen kann.

    War der Neandertaler eine eigene Menschenart oder war er so nah mit uns verwandt, dass er mit dem ersten modernen Menschen Nachkommen zeugte? In dem Fall müssten wir noch heute Neandertalergene in uns tragen. Dieser Frage gingen 1996 Forscher nach, als sie ein Stück aus dem Oberarm des ersten bekannten Neandertalers sägten. In dem Knochenstück fanden sie eine Gensequenz, die sich deutlich von allen heute lebenden Menschen unterscheidet. Die Genetiker folgerten, dass die Neandertaler nicht zu unseren direkten Vorfahren gehören konnten.

    Umgekehrt wird allerdings ein Schuh daraus: Die Neandertaler trugen Gene, die sie vom Homo sapiens geerbt haben müssen. Das legt zumindest die Analyse der ersten Million Bausteine des Neandertaler-Erbgutes nahe.

    Der letzte gemeinsame Vorfahr lebte diesen Daten zufolge vor rund einer halben Million Jahre. Zur endgültigen Trennung der beiden Menschenformen ist es vor 370.000 Jahren gekommen.

    Zwei Wochen später ist es soweit. Die Arbeit im Mainzer Spurenlabor ist für Wolfgang Haak vorerst beendet. Der Paläogenetiker sitzt vor seinem Computer, schaut sich die Gensequenzen des Spaziergängers aus Eltville an und lächelt.

    Er blickt gerade tiefer in die Vergangenheit, als es Archäologen mit noch so guten Grabbeigaben vermögen. Seine genetische Analyse ergab, dass der Tote einer Verwandtschaftslinie angehörte, die erst nach der letzten Eiszeit im Nahen Osten entstanden ist. Seine Vorfahren gehörten wahrscheinlich zu den ersten Bauern, die die Idee des Ackerbaus und der Viehzucht nach Europa brachten. Jetzt wollen die Mainzer Paläogenetiker weitere Skelette aus dieser Zeit untersuchen, um die Wanderungsbewegungen genau zu verstehen.

    Joachim Burger steht am Fenster und blickt hinaus. Obwohl die Paläogenetik in den vergangenen Jahren ihre Methoden stetig verbesserte, sieht er diese Forschungsrichtung noch lange nicht am Ende ihres Weges. Niemand kann bislang absehen, wie lange DNA in Fossilien stabil bleibt und wie weit die Paläogenetiker eines Tages in die Vergangenheit blicken können.

    " Es gibt eigentlich kein theoretisches Zeitfenster, das wird zwar immer gerne wieder formuliert und am Anfang hieß es, die DNA ist nach 5.000 Jahren kaputt, dann hieß es irgendwie 20.000, dann hieß es irgendwann mal 100.000. "

    Bei optimalen Erhaltungsbedingungen wie Permafrost sind aber auch Gendaten aus mehreren hunderttausend Jahre alten Knochen denkbar. Mit den neuen Methoden können die Forscher zudem immer mehr Daten aus immer weniger Material bekommen. Obwohl sie entgegen der Meinung vieler Jurassic-Park-Fans nicht nach Dinosaurier-DNA suchen, hat sich diese junge Forschungsrichtung einen Namen gemacht. Sie ist zu einer Art Referenzmethode zur Archäologie und Morphologie, also der bloßen Beschreibung von Knochen, geworden. Zaubern kann die Paläogenetik aber immer noch nicht, das einzige was zählt, sind gut erhaltene Knochen, die so aussehen, als wäre bei der Grabung ein Spaziergänger reingefallen.