
Der Fall Gisèle Pelicot hat international für Aufsehen gesorgt. Ihr damaliger Ehemann Dominique Pelicot hatte sie heimlich betäubt und anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten. Der Fall ist auch deshalb spektakulär, weil der Nachweis von Verbrechen, die mithilfe von K.o.-Mitteln begangen werden, nur selten gelingt. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.
Im Dezember 2024 hat ein Rechercheteam des öffentlich-rechtlichen Reportageformats STRG_F mehrere Telegram-Chats aufgedeckt, in denen sich bis zu Zehntausende Nutzer darüber austauschen, wie man Menschen für sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen unbemerkt betäuben könne. In diesen Chats wurden auch Vergewaltigungen angekündigt und entsprechende Aufnahmen geteilt.
Ein Verbot von K.-o.-Tropfen wurde im Bundestag immer wieder diskutiert, aber nicht umgesetzt. Viele Präventionskampagnen raten Frauen, im Partykontext auf ihr Getränk aufzupassen. Expertinnen und Experten halten das einerseits für unmöglich, andererseits für einen falschen Ansatz. Stattdessen müsse man in Clubs und Gastronomie aufklären, das Personal schulen und schon im Schulalter Konsenskultur vermitteln.
Was sind K.-o.-Tropfen?
Es dürfte mehr als 100 verschiedene Substanzen geben, die als K.-o.-Mittel eingesetzt werden können. Darunter fallen zum Beispiel Schlaf- und Beruhigungsmittel. Besonders bekannt ist die Substanz GBL (Gamma-Butyrolacton). Sie wird in der chemischen Industrie tonnenweise eingesetzt, findet sich aber auch in Produkten wie Felgenreiniger und Graffitientferner. GBL lässt sich derzeit einfach im Internet bestellen.
GBL ist farb- und geruchlos und wird im Körper in GHB (Gamma-Hydroxybuttersäure) umgewandelt. Diese Substanz ist wiederum verboten, wird aber als Partydroge konsumiert.
Zum K.-o.-Mittel werden GBL und andere Stoffe dadurch, dass sie den Betroffenen heimlich verabreicht werden. Täter tropfen sie zum Beispiel in ein Getränk oder injizieren das K.-o.-Mittel unbemerkt mit einer dünnen Nadel. Man spricht auch von “Spiking”. In vielen Fällen dürften Täter K.o.-Mittel dafür nutzen, um ihren Opfern sexualisierte Gewalt anzutun, zum Beispiel eine Vergewaltigung.
Was macht K.-o.-Tropfen so gefährlich?
Betroffene vergleichen die Wirkung häufig mit einer plötzlichen Überdosis Alkohol. Ihnen wird schwindelig, sie können ihren Körper kaum noch kontrollieren, werden willen- und im schlimmsten Fall bewusstlos. Wenn die Wirkung nachlässt, haben sie häufig große Erinnerungslücken.
In der Rechtsmedizin spricht man von einer Sedierung, die einer Vollnarkose im Krankenhaus ähneln kann. Die Tiefe der Sedierung hängt dabei von der Dosis ab. Zwei Milliliter GBL gelten bereits als hohe Dosis. Wenn ein Täter zum Beispiel in einer Diskothek einer Person unbemerkt GBL ins Glas tropft, kann es zu einer lebensbedrohlichen Überdosierung kommen.
Bei einer tiefen Sedierung, die vergleichbar ist mit einer Vollnarkose, setzten die Schutzreflexe des Körpers aus, sagt Gitta Mall, Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin in Jena. Erbricht sich die betroffene Person unter dem Einfluss von K.-o.-Mitteln, droht sie an ihrem Erbrochenen zu ersticken oder eine Lungenentzündung zu entwickeln. Auch der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom Oktober 2024 festgestellt, dass der Einsatz von K.-o.-Tropfen lebensgefährlich sein und eine Strafverschärfung zur Folge haben kann.
Wie häufig passiert das und wer sind die Täter?
Eine bundesweite Auswertung der Fälle von K.-o.-Tropfen gibt es nicht. Die Landesregierung in Baden-Württemberg nennt für das Jahr 2023 171 Fälle, geht jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus. Das liegt in der Natur des Tatmittels. Denn GHB ist nur bis zu acht Stunden im Blut und bis zu zwölf Stunden im Urin nachweisbar. Betroffene müssen sich in dieser Zeit ärztlich untersuchen lassen.
Aufgrund der Erinnerungslücken bleiben die Täter oft unbekannt, die Ermittlungsverfahren werden eingestellt. Weil K.-o.-Tropfen häufig im Zusammenhang mit Körperverletzungen und Sexualdelikten eingesetzt werden, kann man davon ausgehen, dass ein Großteil der Täter Männer ist.
Täter nutzen K.-o.-Mittel auch für andere Straftaten. Zum Beispiel, um ihre Opfer zu betäuben und anschließend auszurauben. Davon sind auch Männer betroffen.
Würde ein Verbot von K.o.-Mitteln helfen?
Viele Substanzen, die als K.-o.-Mittel eingesetzt werden können, unterliegen bereits dem Betäubungs- oder Arzneimittelgesetz, sind also reguliert. Anders verhält es sich bei der Industriechemikalie GBL. Seit 2023 haben sowohl die Ampelkoalition als auch die CDU/CSU im Bundestag Vorschläge gemacht, wie man mit GBL umgehen könnte – bislang ohne Ergebnis.
Das liegt daran, dass GBL ein Grundstoff in der chemischen Industrie ist. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) warnt, dass die Aufnahme von GBL in das Betäubungsmittelgesetz den Einsatz in der Industrie verhindern könnte. Bislang gibt es lediglich eine Selbstverpflichtung der Branche, die Substanz nicht an Endverbraucher abzugeben.
Das Bundesgesundheitsministerium schlug daher vor, den Stoff in eine Anlage des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz aufzunehmen – eine Lösung, die sowohl von der Industrie als auch von der EU akzeptiert würde. Das Ministerium konnte es jedoch vor dem Ende der Ampelkoalition nicht mehr in den Bundestag einbringen.
Nina Fuchs, Vorsitzende des Vereins “Kein Opfer”, begrüßt ein Verbot von GBL grundsätzlich. Angesichts der mehr als 100 verschiedenen möglichen K.-o.-Substanzen sei es jedoch vor allem Symbolpolitik.
Ebenfalls diskutiert wurde immer wieder eine sogenannte Vergällung von GBL. Damit würde man die farb- und geruchlose Substanz bitter machen. In einem Getränk würde man es dann wenigstens herausschmecken und könnte sich Hilfe holen. Doch eine Vergällung würde den Stoff für die Industrie laut VCI weitgehend unbrauchbar machen.
Wie können sich potenziell Betroffene schützen?
Die meisten Präventionskampagnen halten potenziell Betroffene – vor allem Frauen – dazu an, ihr Getränk im Partykontext nicht unbeobachtet zu lassen. So sollen sie sichergehen, dass ihnen niemand etwas ins Glas schüttet.
Nina Fuchs vom Verein “Kein Opfer” hält das für unrealistisch. So könne niemand ausgelassen feiern, sagt sie. Außerdem schütze das nicht vor “Spiking” mit einer Nadel.
Auch von Produkten wie Armbändern, Nagellack und Strohhalmen, mit denen sich Getränke laut Herstellern auf mögliche K.-o.-Substanzen untersuchen ließen, hält sie nichts. Zum einen testeten sie in der Regel nur auf eine oder wenige Substanzen, zum anderen seien sie oft unzuverlässig, sagt die Expertin.
Wirksamen Schutz vor K.-o.-Mitteln biete im Party-Kontext bislang vor allem eins: Unter Freunden zusammenbleiben und aufeinander achten.
Fachleute betonen zudem, dass es nicht in der Verantwortung von Betroffenen liegt, sich selbst vor K.-o.-Tropfen zu schützen. Prävention müsse hingegen bei den Tätern ansetzen.
Wie gelingt bessere Prävention?
Einen neuen Ansatz hat Ulm 2024 in Zusammenarbeit mit den Clubs und Kliniken in der Stadt ausprobiert. K.-o.-Tropfen-Verdachtsfälle wurden in allen Rettungsstellen der Stadt kostenlos getestet. Bislang müssen Betroffene vielerorts für eine Untersuchung auf K.-o.-Tropfen rund 30 Euro zahlen – eine zusätzliche Hürde beim Nachweis dieser Mittel.
Dazu gab es eine Aufklärungskampagne in Clubs und Gastronomie mit Aushängen und Schulungen für Mitarbeitende. Das Ergebnis: Registrierte die Stadt Ulm in den vergangenen zehn Jahren bis zu sieben Betroffene pro Jahr, wurde im ersten Jahr des Pilotprojekts kein einziger Fall nachgewiesen.
Es dürfte zwar auch weiterhin eine Dunkelziffer geben, sagt Sebastian Kunz. Doch verweist der ärztliche Direktor am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Ulm darauf, dass möglicherweise potenzielle Täter durch die breit angelegte Aufklärungskampagne abgeschreckt wurden.
Für Nina Fuchs vom Verein “Kein Opfer” gelten K.-o.-Tropfen als “Extrembeispiel für nicht vorhandenen Konsens”. Prävention müsse daher breiter angelegt sein und dürfe sich nicht nur auf das Tatmittel beschränken. Stattdessen müsse Kindern und Jugendlichen schon frühzeitig Konsenskultur vermittelt werden, sagt sie. Das helfe dabei, sexualisierte Gewalt zu verhindern und mache damit auch das Tatmittel überflüssig.