Archiv

Koalition in der Krise
"Wir müssen uns jetzt mal zusammenreißen"

Nach dem Streit um die Zukunft von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen plädiert der SPD-Politiker Carsten Schneider für eine Rückbesinnung auf die Kernthemen. Statt der Diskussion über Besoldungsgruppen müsse es um Themen wie Mieten, Einkommen oder innere Sicherheit gehen, sagte er im Dlf.

Carsten Schneider im Gespräch mit Ann-Katrin Büüsker |
    Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Carsten Schneider, nimmt am 27.09.2017 in Berlin im Bundestag an der SPD-Fraktionssitzung teil.
    Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Carsten Schneider (dpa/ picture alliance/ Kay Nietfeld)
    Ann-Kathrin Büüsker: Wie kommt diese Einigung nun in der SPD-Fraktion an? Dazu jetzt Fragen an Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer. Guten Morgen, Herr Schneider!
    Carsten Schneider: Guten Morgen. – Ich grüße Sie.
    Büüsker: Herr Schneider, Andrea Nahles, die hat vor den Nachverhandlungen betont, dass eine Lösung das Vertrauen wiederherstellen muss und das Gerechtigkeitsempfinden der Bürger(innen) nicht verletzen dürfe. Inwiefern ist das jetzt dadurch gegeben, dass Maaßen Sonderberater statt Staatssekretär wird?
    Schneider: Ich glaube, dass wir jetzt eine Beruhigung insofern öffentlich als auch im politischen Bereich erfahren, als Herr Maaßen nicht mehr Chef des Verfassungsschutzes ist. Das war für uns extrem wichtig, denn der Ausgangspunkt war ja seine eklatante Fehleinschätzung zu der Situation in Chemnitz.
    Maaßen als Sonderberater: "Eine angemessene Lösung"
    Büüsker: Aber das war ja auch schon vor dem Wochenende klar, dass er da abgelöst wird.
    Schneider: So klar war es nicht. Ich will nur mal zu dem Punkt zurückkommen, worum geht es hier eigentlich, weil ich glaube, ganz vielen Leuten ist das mittlerweile gar nicht mehr klar und sie denken, es dreht sich hier der Kreis nur um sich. Sondern für die SPD war einfach entscheidend, dass wir das hundertprozentige Vertrauen in jemanden haben müssen, der im Geheimen operiert, gerade im Inlandsgeheimdienst. Das war nicht mehr der Fall. Deswegen und bei der Frage Bekämpfung insbesondere von Terrorismus, aber auch von Fragen des Rechtsextremismus sind wir hypersensibel. Aus diesem Grund ist das äußerst wichtig.
    Jetzt ist Herr Maaßen wieder zurückversetzt - das ist die Lösung, die gestern gefunden wurde -, ins Innenministerium, in den Nahbereich von Herrn Seehofer als sein Berater. Er wird in der gleichen Besoldungsgruppe sein wie bisher. Das hätten wir gleich haben können als Sozialdemokraten, nämlich das war unser Kernvorschlag gewesen. Aber ich sage mal, es haben insbesondere in der Union, glaube ich, andere Interessen eine Rolle gespielt. Da ging es in Teilen auch darum, wer sein Gesicht wahrt oder verliert und wer den Stärkeren mehr oder weniger zeigt.
    Büüsker: Aber, Herr Schneider, helfen Sie mir kurz beim Verständnis. Sie sagen, die SPD hat das Vertrauen in Hans-Georg Maaßen verloren. Aber warum ist es dann für Sie in Ordnung, dass er künftig als Sonderberater im Innenministerium für wichtige Aufgaben zuständig ist, unter anderem für so was wie Rückführungsabkommen mit anderen Staaten?
    Schneider: Ja, weil das absolut transparent ist. Zum einen, Sie müssen sehen: Es gibt wenig Behörden, die im Verborgenen arbeiten, wo Sie das hundertprozentige Vertrauen haben müssen, wie der Inlandsgeheimdienst. Dann gibt es noch den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst. Da brauchen Sie, weil Sie eben nicht die volle Öffentlichkeit haben, weil Sie nicht die parlamentarischen Kontrollrechte haben, wirklich hundertprozentiges Vertrauen. Das war aus unserer Sicht und, ich glaube, auch aus Sicht der breiten Öffentlichkeit, nachdem Herr Maaßen auch noch Verschwörungstheorien mehr oder weniger Vorschub geleistet hat, nicht gegeben.
    Wenn Herr Seehofer jetzt für sich entscheidet, dass er Herrn Maaßen zurück in seinen Nahbereich, seinen Kernbereich seines Ministeriums holt, bei gleicher Besoldung, finde ich das eine angemessene Lösung, weil dort ist er natürlich in vollem Maße dem Parlament auch verpflichtet, Auskunft zu geben, und ich finde, damit ist jetzt auch gut.
    Zu den Kernaufgaben zurückkehren
    Büüsker: Sie fühlen sich nicht vom Innenminister veräppelt, dass er Maaßen jetzt zu sich holt?
    Schneider: Nein, überhaupt nicht. Das war von Anfang an die Idee, die ich im Kopf auch hatte, und das hätte man vorige Woche haben können Ich muss Ihnen sagen, ich hätte erwartet, dass die Bundeskanzlerin genügend Sensibilität hat, das auch mit durchzusetzen. Im Endeffekt hat die SPD hier einen stellvertretenden Kampf für einen sehr großen Teil der Gesellschaft geführt, die auch der Auffassung sind, dass es mit Herrn Maaßen an dieser Stelle als Geheimdienstchef nicht mehr ging. Aber sie ist total abgetaucht und die Scherben, die haben wir jetzt vor uns liegen.
    Büüsker: Herr Schneider, ich bin jetzt ein bisschen irritiert. Sie sagen, Sie hatten diese Idee schon im Kopf. Da gab es ja gestern Abend durchaus ein bisschen Verwirrung. Horst Seehofer hat bei seiner Pressekonferenz nämlich tatsächlich auch gesagt, diese Lösung habe schon bei den ersten Verhandlungen auf dem Tisch gelegen. Andrea Nahles hat das dann dementiert und Olaf Scholz hat gestern auch noch mal im "Heute"-Journal im Prinzip gesagt, dass Horst Seehofer sich das ausgedacht hätte. Wer hat denn jetzt recht, was stimmt denn jetzt?
    Schneider: Das ist eine Frage der unter gesundem Menschenverstand bezeichneten Logik. Die SPD, Andrea Nahles hätte zugestimmt, dass er Staatssekretär wird, höher besoldet, hoch gruppiert, voll im öffentlichen Druck, und hätte nicht zugestimmt einer Situation, wo Herr Maaßen Abteilungsleiter bliebe, so wie es jetzt ist, in seiner bisherigen Funktion – warum sollten wir das tun? Das ist doch absurd. Von daher ist das von Herrn Seehofer eine weitere Vernebelungstaktik. Keine Ahnung, was ihn da antreibt. Oberblödsinn! Ich erwarte, ganz simpel gesprochen, dass im Bereich der inneren Sicherheit sich der Innenminister, aber auch die Kanzlerin – die gehört ja dazu – jetzt mal um die Kernaufgaben wieder kümmert - das ist Terrorismusabwehr, das sind die Gefahren von rechts auch – und hier nicht persönliche Spielchen spielt.
    Mehr Handeln im Bereich Innere Sicherheit
    Büüsker: Aber jetzt noch mal ganz konkret nachgefragt. Dieser Vorschlag, der jetzt am Ende als Einigung dabei herausgekommen ist, der lag vor einer Woche auf dem Tisch oder nicht?
    Schneider: Das kann ich Ihnen gar nicht sagen, weil es waren nur drei Personen dabei. Ich hatte Ihnen gesagt, dass ich das im Kopf hatte. Man spielt ja manche Punkte in der Vorbereitung und das ist für uns natürlich als SPD die bevorzugte Variante gewesen. Aber das haben Andrea Nahles, Seehofer und Merkel gemeinsam verhandelt. Da war ich nicht dabei, das kann ich Ihnen nicht hundertprozentig sagen.
    Büüsker: Okay. – Jetzt haben Sie gerade noch mal darauf angespielt, dass Horst Seehofer Ihnen als SPD im Prinzip dann gestern Abend noch mal einen mitgegeben hat. Können Sie mit so einem Innenminister weiter in einer Koalition zusammenarbeiten?
    Schneider: Schwer! Ich sage Ihnen das ganz offen. Wir haben diese Große Koalition geschlossen für Stabilität im Land, und insbesondere vor der Sommerpause und jetzt danach habe ich mit Spiegelfechtereien der CSU zu tun, die mit den Kernproblemen im Land nichts zu tun haben. Ich erwarte, sage ich Ihnen ganz offen, vor allen Dingen für den Bereich der inneren Sicherheit, dass dort weniger gesprochen und diskutiert wird, sondern mehr gehandelt wird, und das ist ja einer der Grundvorwürfe, die wir an Herrn Maaßen hatten, dass er beim Inlandsnachrichtendienst, der seine Arbeit in Ruhe machen muss, permanent in der Öffentlichkeit stand wegen eines Interviews, wo er die Bundeskanzlerin bloßgestellt hat. Machen wir hier als Sozialdemokraten den Schlichter zwischen CDU und CSU? Das geht so nicht weiter.
    Büüsker: Haben wir im Moment im Prinzip keine stabile Regierung?
    Schneider: Sie haben ja selbst gesehen, dass das schwierig ist. Aber wir haben das klare Ziel, dass das passieren muss. Ich will mal einen Satz im Vorspann herausnehmen: Wir müssen zur Sacharbeit zurückkehren. Das machen wir natürlich parallel die ganze Zeit. Wir beraten den Haushalt, am Mittwoch voriger Woche hat Franziska Giffey, die Familienministerin, ein gutes Kita-Gesetz mit fünf Milliarden Euro mehr für bessere Betreuungsschlüssel und geringere Gebühren durchgebracht durchs Kabinett.
    "Wir müssen uns jetzt mal zusammenreißen"
    Büüsker: Die Umweltministerin streitet mit dem Verkehrsminister über Diesel und kommt auch da nicht zu einer Einigung?
    Schneider: Ich habe den Eindruck, dass sich dort jetzt einiges bewegt. Dass es im Kern, wenn es um inhaltliche Fragen geht, auch Streit oder, sagen wir mal, unterschiedliche Interessen gibt, die man abwägen muss und auch ausdiskutieren muss, das halte ich für absolut legitim. Das muss auch so sein. Aber diese Personalie jetzt war in ihrer Diskussion, ihrer Intensität und dafür, dass hier fast die Regierung an den Rand des Scheiterns gebracht wurde, überhaupt nicht angemessen, überhaupt nicht angemessen.
    Büüsker: Herr Schneider, Sie sagen selber, es ist gerade schwierig innerhalb dieser Regierung. Ich spitze jetzt mal ein bisschen zu und sage, im Prinzip schlittert diese Große Koalition ein bisschen von Krise zu Krise, und man könnte auch sagen, ein Ende ist absehbar. Sie haben sich ja sogar einen Überprüfungstermin reingeschrieben in den Koalitionsvertrag, wollen nach zwei Jahren mal gucken, ob das überhaupt so funktioniert, und behalten sich dann auch vor, im Prinzip auszusteigen. Wäre es, wenn Sie jetzt merken, es funktioniert alles irgendwie nicht so richtig, nicht jetzt der richtige Zeitpunkt zu sagen, Stopp an dieser Stelle? Dann könnten Sie immerhin noch in den Landtagswahlen von Bayern und Hessen davon profitieren.
    Schneider: Ich glaube, das ist für Sozialdemokraten nicht angemessen. Wir machen das abhängig, ob wir in der Regierung sind, ob wir inhaltlich uns dort wiederfinden, ob wir zu einer Verbesserung der Situation im Leben vieler Menschen kommen. Das ist für mich der Kernpunkt. Und jetzt mal ganz offen gesprochen: Die Welt dreht sich auch gerade noch ziemlich heiß um uns herum und wir führen irgendwie so eine Nabelschau, sowohl in Europa als auch mit der Eskalation, die wir da um Idlib hatten. Ich finde, diese Regierung wie auch das Parlament, wir müssen uns jetzt mal zusammenreißen und auch in der Öffentlichkeit das Bild abgeben, das ich von so einer Koalition auch erwarte. Das war in den letzten Monaten nicht so. Ich hoffe, dass das nach der bayerischen Landtagswahl, weil Sie die angesprochen haben – da kommt, glaube ich, viel Verunsicherung auch her -, vorbei ist.
    "Enttäuscht darüber, wie es bisher gelaufen ist"
    Büüsker: Weil Sie hoffen, dass Innenminister Horst Seehofer dann ohnehin weg vom Fenster ist?
    Schneider: Das wird die CSU entscheiden. Aber ich glaube, dass er mit diesem Kurs, sich verbal radikal an die AfD anzunähern, nicht geholfen hat und die CSU wahrscheinlich ein enttäuschenderes Erlebnis jetzt erleben wird, als sie es geplant hat. Wir werden sehen, was passiert. Das muss die CSU entscheiden.
    Für mich ist wichtig, wir gehen positiv in diese Regierung. So sind wir reingegangen. Ich bin einigermaßen enttäuscht darüber, wie es bisher gelaufen ist, weil wir uns mit Nebensächlichkeiten abgegeben haben, in der öffentlichen Wahrnehmung zumindest, und wir müssen jetzt liefern in den nächsten drei, vier Monaten, insbesondere was die Frage von ordentlichen Mieten, Wohnungen etc. betrifft, höhere Einkommen für die unteren Arbeitnehmerhaushalte. Das sind alles für mich Kernfragen, Arm-Reich-Verteilung. Das ist doch das, was mir zumindest brennt, und nicht, ob der eine B9 oder B11 als Abteilungsleiter hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.