Über sieben Wochen sind seit der Landtagswahl in Thüringen vergangen. Die Ministerien werden verwaltet, die Ministerpräsidentin besucht Routinetermine, alles ist im Stillstand. Heute nun sollen die knapp 4.500 SPD-Mitglieder den Gang beschleunigen. Ihr positives Votum in der Mitgliederbefragung vorausgesetzt, steht Rot-Rot-Grün in Thüringen eine Hürde weniger im Weg. Deutlich über die Hälfte der Genossen soll die Stimmzettel zurück geschickt habe. Der Parteivorsitzende Andreas Bausewein hatte ein Wunschergebnis von mindestens 70 Prozent Zustimmung vorgegeben. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Landtag, Matthias Hey, zeigt sich optimistisch, dass dies erreicht werden könnte:
"Wenn ich mir die Stimmung angucke, die zum Beispiel auch in Weimar bei der Basiskonferenz, die sich mir da präsentiert hat, war es tatsächlich so - ich hab jetzt nicht mitgezählt - bei den Wortmeldungen, aber es war fast so 70/30. Das kann ich mir schon vorstellen. Und vielleicht werden wir ja alle auch von einem klaren Ergebnis überrascht - da muss man abwarten."
Heute Vormittag werden die Stimmen der Genossen ausgezählt. Wohl alle gehen davon aus, dass eine Mehrheit für Verhandlungen mit Linken und Grünen, für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis in Thüringen stimmt. Dabei ist der Ton in den letzten Wochen rauer geworden: Die Angriffe auf die SPD nehmen zu. Zumindest die Führungsspitze, so machte es den Eindruck, rückte unter dem Druck zusammen und stand zunehmend fester zum eigenen Beschluss.
Hey: "Ja, logischerweise ist so eine Entscheidung und eine Woche drauf ein Parteitag immer auch eine Zeitspanne, wo eine gewisse Entwicklung vor sich geht, weil spätestens seit dem Votum des Landesvorstandes natürlich viel Kritik auch auf uns eingeprasselt ist, auch aus den eigenen Reihen, das muss man deutlich sagen.
Auf einer Basiskonferenz und auf dem Parteitag der SPD hatte es heftige grundsätzliche innerparteiliche Kritik an einer Regierungsbeteiligung unter linker Führung gegeben.
"Die SPD geht unter"
Stefan Sandmann: "Die SPD geht unter, wenn das hier zu Rot-Rot-Grün kommt! Die SPD muss weiter bestehen; wir dürfen mit den Kommunisten nicht zusammen machen. Sagt das euren Leuten in den Ortsverbänden!"
Doch trotz aller Kritik hatte sich eine überwiegende Mehrheit der Genossen für Rot-Rot-Grün ausgesprochen - vor allem, weil die Inhalte übereinstimmten und weil die Regierungserfahrungen mit der CDU einen bitteren Nachgeschmack bei vielen Genossen hinterlassen hatten.
Die amtierende Ministerpräsidentin Lieberknecht, der Präsident der Erfurter Industrie- und Handelskammer und zuletzt Bundespräsident Gauck waren Kritiker von außen, deren Auftritte Befremden hervorgerufen haben in der Erfurter Politik - zumindest jenseits der CDU. Der grüne Landeschef Dieter Lauinger formulierte es so:
"Es ist ein Amt, das gebietet - und das sagt ja schon die ganze Entwicklung dieses Amtes - politische Zurückhaltung in tagesaktuellen Dingen. Das hat diesem Amt auch immer gutgetan. Ich kann mich nicht erinnern, dass andere Bundespräsidenten Regierungsbildungen in anderen Ländern kommentiert haben. Seine persönlichen Bedenken, die er äußert, kann ich nachvollziehen."
Der linke Anwärter auf das Ministerpräsidentenamt, Bodo Ramelow, hielt sich mit Kritik am Bundespräsidenten zurück. Doch fand er einen Ausweg, sie doch zu formulieren: Gauck hätte seine Kritik nicht in einer Kirche äußern dürfen, einer Institution, die doch für Toleranz stehe.
"Das irritiert mich, und das befremdet mich. Und deswegen ist der gewählte Ort der eigentliche, der mich als Mensch sehr irritiert."
"Geschwurbeltes Drumherum"
Auch die Unrechtsstaats-Diskussion schwelt noch in Thüringen. Die Grünen will sie in den Koalitionsverhandlungen noch einmal anstoßen. Der Linke Ramelow aber zeigt in den vergangenen Wochen ein immer schärferes Profil gegen innerparteiliche Kritiker, die sich ihre heile DDR nicht zerstören lassen wollen.
"Und deswegen verstehe ich jeden, der skeptisch ist, wenn ein Linker - das ist ein Vertreter der Partei, die sie SED war, und nicht ein geschwurbeltes Drumherum. Es ist die gleiche Partei in der Rechtskontinuität. - Und jetzt müssen wir die Unrechtsstaats-Debatte führen, wir müssen sie führen; wir kommen gar nicht drum herum."
Diese Debatte wird die Linke noch länger beschäftigen. Die SPD, die heute auf grünes Licht von der Basis für Koalitionsverhandlungen hofft, drängt auf eine baldige Regierungsbildung. Parteichef Andreas Bausewein:
"Wir dürfen auch keine weitere Zeit verlieren. Die Wahlen sind mittlerweile 7½ Wochen her. Und wir haben vieles von dem, was jetzt noch kommt, auch während der Sondierung schon abgeräumt. So gesehen müßten die Verhandlungen auch zügig vorangehen. Aber dann haben ja noch Linke und Grüne Mitgliedervoten geplant, und wir alle brauchen noch Parteitage. Aber das Ziel muss einfach sein, dass die Regierung Anfang Dezember steht."
Dann kommt die Ministerpräsidentenwahl. Bei einer Stimme Mehrheit das nächste Abenteuer.