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Koalition in Thüringen
"Linke will DDR nicht ansatzweise zurück"

Bodo Ramelow (Die Linke) werde heute im ersten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt, prognostizierte sein Parteikollege, Frank Kuschel im DLF. Seine eigene Stasi-Tätigkeit nannte der thüringische Landtagsabgeordnete einen schweren Fehler. Er erklärte, er sei "gegen jede Schlussstrichdebatte".

Frank Kuschel im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Porträt von Frank Kuschel
    Der Thüringer Landtagsabgeordnete Frank Kuschel von der Linkspartei. (dpa / Martin Schutt)
    Auf die Frage, ob er es als normal empfinde, dass neben ihm Ina Leukefeld (Die Linke) als weitere ehemaliger Stasi-Mitarbeiterin Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen könne, sagte er: "Ich habe mich kritisch mit den Ereignissen in der DDR auseinandergesetzt, ich stehe immer noch im Prozess der Auseinandersetzung. Ich gestehe den Opfern durchaus eine kritische Sichtweise zu. Ich habe Verständnis, dass da immer Zweifel bleiben." Falls er DDR-Opfern geschadet habe, sei dies "nicht wieder rückholbar und ich habe mich entschuldigt", sagte er.
    Stasi-Akten müssen zugänglich sein
    Niemand solle Angst haben, wenn er sich zu seiner Biografie, seinen Fehlern bekenne. Kuschel hat sich nach der Wende zu seiner Stasi-Tätigkeit bekannt. Er bekräftigte, dass weiterhin ein Zugang zu Stasi-Akten bestehen müsse, gerade für eine wissenschaftliche Aufarbeitung. "Ich bin gegen jede Schlussstrichdebatte, wir brauchen diese Auseinandersetzung mit der DDR, gerade wir Linken."
    Kein Linker will DDR wieder zurückhaben
    Politiker anderer Parteien kritisieren, dass die Linke - die sich selbst als Rechtsnachfolgerin der SED und nicht als "Nachfolgepartei" sieht - nun mit Ramelow einen Ministerpräsidenten stellen könnte. "Ich kenne niemanden in meiner Partei, der die DDR an die Macht zurückhaben will - nicht mal ansatzweise", sagte Kuschel dazu.

    Das gesamte Interview können Sie hier nachlesen:
    Christoph Heinemann: Gestern Protest in Erfurt gegen einen linken Ministerpräsidenten in Thüringen, heute die Wahl. - Johanna Wanka (CDU) hat die Linkspartei wegen ihres SED-Erbes als "Täterpartei" bezeichnet, "die uns im Osten dahin gebracht hat, wo wir 1989 waren: Unfreiheit, marode Umwelt, eine im Schnitt drei Jahre niedrigere Lebenserwartung als im Westen."
    Bodo Ramelow wirft die Bundesbildungsministerin vor, sich mit Stasi-Stimmen zum Regierungschef wählen zu lassen, und damit meint Johanna Wanka auch Frank Kuschel. Der Abgeordnete der Linken im Landtag von Thüringen ist ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit der DDR. Er bekennt sich dazu, hat diese Tätigkeit als schweren Fehler bezeichnet und sich entschuldigt. Guten Morgen.
    Frank Kuschel: Guten Morgen!
    Heinemann: Herr Kuschel, Ramelow braucht starke Nerven, haben wir gerade gelernt. Sind Sie nervös?
    Kuschel: Ich gestehe, ja.
    Heinemann: Wie geht das heute aus?
    Kuschel: Ich prognostiziere, im ersten Wahlgang wird Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten gewählt.
    Heinemann: Im ersten!
    Kuschel: Ja.
    Heinemann: Kehrt mit der Linkspartei in Thüringen ein Stück DDR an die Macht zurück?
    Kuschel: Nicht mal ansatzweise. Schon die PDS, Linkspartei PDS (und Die Linke schon ganz) hat sich mehrfach und immer wieder von der Geschichte in der DDR distanziert, kritisch auseinandergesetzt, und mir sind keine Linken in Verantwortung bekannt, die zurück zur DDR wollen.
    "Habe mich mit DDR-Vergangenheit auseinandergesetzt"
    Heinemann: Bodo Ramelows Wahl hängt von den Stimmen mindestens zweier ehemaliger Stasi-Mitarbeiter ab, eine davon von Ihnen. Halten Sie das für normal?
    Kuschel: Ja, insoweit sich die Betroffenen, also so wie ich und auch Frau Leukefeld, sehr kritisch mit dem eigenen Tun in der DDR auseinandergesetzt haben. Ich habe das seit 1990 gemacht. Ich stehe heute immer noch in diesem Prozess der Auseinandersetzung und ich glaube, auf Grundlage dieser Auseinandersetzung ist es durchaus möglich, heute glaubwürdige Politik zu gestalten.
    Heinemann: Herr Kuschel, haben Sie Verständnis dafür, dass es Opfern der DDR, des SED-Regimes bei dem Gedanken einer solchen Wahl ihres Regierungschefs durch ehemalige Stasi-Leute übel wird?
    Kuschel: Ich gestehe diesen Opfern durchaus eine kritische Sichtweise zu. Wo ich immer Bedenken habe ist, wenn es durch Unbeteiligte politisch instrumentalisiert wird. Aber dass die Opfer Bedenken haben, das kann ich nachvollziehen.
    "Menschen Fehler zugestehen"
    Heinemann: Kann jemand, der so wie Sie Landsleute verraten hat, jetzt unabhängig davon, ob er das wie Sie bereut oder nicht, kann ein solcher Mensch Volksvertreter sein?
    Kuschel: Das ist eine Grundsatzfrage, ob man Menschen zugesteht, aus Fehlern zu lernen, und ich bin davon überzeugt, eine Mehrheit in diesem Lande gesteht das Menschen zu.
    Heinemann: Wieso sind Sie als ehemaliger Zuträger für das staatliche Unterdrückungsregime ausgerechnet in die Politik gegangen?
    Kuschel: Ich war schon 1990 in der Politik auf kommunaler Ebene. Ich war Bürgermeister.
    Heinemann: In Ilmenau.
    Kuschel: Erst in Ilmenau, dann in Großbreitenbach, in der Stadt Großbreitenbach, eine Kleinstadt im Landkreis Ilmenau. Und letztlich haben das die Wählerinnen und Wähler entschieden. Es gab immer wieder an mich die Bitte zu kandidieren. Ich habe auch gesagt, ich kandidiere bewusst, um zu sehen, inwieweit Menschen mit so einer Biografie und einem kritischen Umgang damit in diesem Land wählbar sind.
    "Ich bin gegen jede Schlussstrich-Debatten"
    Heinemann: Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" berichtete, Herr Ramelow habe Sie überreden müssen oder überredet, ein drittes Mal für den Landtag zu kandidieren. War das so?
    Kuschel: Ja. Ich bin ja ein Verfechter der Mandatszeit-Begrenzung und ich mache ja diese Arbeit sehr intensiv und hatte deshalb gesagt, nach zehn Jahren will ich mich wieder neu orientieren, also nicht aus dem politischen Raum zurückziehen, sondern mich auf andere Projekte konzentrieren. Dazu gab es intensive Gespräche und ich konnte die Argumentation von Bodo Ramelow nachvollziehen. Er verwies darauf, dass man ihm den Vorwurf machen würde, er würde personelle Problemfälle im Vorfeld einer Ministerpräsidentenwahl sozusagen beseitigen, wenn ich nicht mehr kandidiere.
    Das hätte man ihm vorgehalten und insofern habe ich gesagt, in diese Situation will ich Bodo Ramelow nicht bringen und deshalb kandidiere ich noch mal, auch in Kenntnis, dass dann natürlich, wie jetzt ja geschehen, diese Auseinandersetzung stattfindet.
    Heinemann: Zurecht stattfindet?
    Kuschel: Ja. Ich bin gegen jede Schlussstrich-Debatten, weil wir brauchen diese Auseinandersetzung mit der DDR, gerade wir Linke, weil wir wollen ja Projekte realisieren, die nicht wieder zurückführen zur DDR, aber wo natürlich Menschen immer wieder Vergleiche herstellen. Insofern müssen wir uns kritisch mit den Versagen in der DDR sowohl politisch als auch persönlich auseinandersetzen.
    Heinemann: Anders als andere Parteifreunde wären Sie zum Beispiel auch dafür, dass die Stasi-Unterlagenbehörde ihre Arbeit fortsetzen soll.
    Kuschel: In jedem Fall. Ob jetzt in dieser Struktur, wie sie jetzt besteht, das ist eine andere Frage. Aber der Zugang muss bleiben und auch die wissenschaftliche Aufarbeitung.
    "Offener Umgang mit Vergangenheit wird nicht honoriert"
    Heinemann: Ist es Ihre Aufgabe, Herr Kuschel, Wählerinnen und Wähler mit ähnlichen Lebensläufen an die Linkspartei zu binden, also Leute, die aktiv für die Diktatur gearbeitet haben?
    Kuschel: Das mach ich nicht bewusst. Ich mach politische Angebote an alle und diejenigen müssen das entscheiden. Im Übrigen habe ich eher eine andere Erfahrung. Aufgrund der Tatsache meines Umgangs mit Geschichte und mit auch persönlichen Fehlern werde ich immer wieder damit konfrontiert, dass Leute sagen, ich wäre der Beweis dafür, dass so ein offener Umgang nicht mal ansatzweise gesellschaftlich honoriert wird, und insofern ziehen sich Menschen mit einer vergleichbaren Biografie meist aus dem politischen Leben völlig zurück.
    Heinemann: Aus einer Haltung des beleidigt seins heraus?
    Kuschel: Nein, überhaupt nicht, sondern das ist nur eine Feststellung. Wenn wir tatsächlich Aufarbeitung wollen, glaube ich, müssen wir noch ein anderes Klima schaffen.
    Heinemann: Herr Kuschel, wie lief das bei Ihnen? Sie haben für das Unrechtsregime gearbeitet. Wie und wann sind Sie im Rechtsstaat angekommen?
    Kuschel: Ich kann Ihnen jetzt kein Datum sagen. Aber ich war 1990 Bürgermeister und der Übergang ging ja fast nahtlos und insofern musste ich mich sehr schnell wie alle in den neuen Bundesländern auf die neuen Gegebenheiten einstellen. Ich habe das jetzige politische System eher als Chance gesehen, auch für Die Linke, und das hat sich ja bestätigt. Ich hatte ja auch nicht prognostiziert 1990, dass Die Linke 20 Jahre später so im politischen System der Bundesrepublik verwurzelt ist.
    Verständnis für Zweifel
    Heinemann: Haben Sie denn Verständnis dafür, dass Menschen, die unter Ihnen gelitten haben, Ihnen diesen Wandel nicht abkaufen?
    Kuschel: Dafür habe ich immer Verständnis. Aber ich kann ja nur ein Angebot machen. Ich kann nicht Leute zwingen, sozusagen meinen Argumenten und meinem Handeln kritiklos zu folgen. Insofern habe ich da volles Verständnis, dass da immer Zweifel bleiben.
    "Ich habe damals die Auseinandersetzung gescheut"
    Heinemann: Sie haben in der Stadtverwaltung von Ilmenau in der Arbeitsgruppe Übersiedlung mitgearbeitet, wo über Ausreiseanträge in die Bundesrepublik entschieden wurde, und über diese Gespräche mit den Ausreisewilligen haben Sie der Stasi berichtet. Wie dachten Sie damals über Leute, die die DDR verlassen wollten?
    Kuschel: Erst mal zur Klarstellung: Diese Arbeitsgruppe, da wurden keine Anträge entschieden. Das wurde bei den Räten der Bezirke gemacht. In dieser Arbeitsgruppe wurde beraten, welcher Umgang mit den Antragstellern erfolgt. Dort wurden sogenannte Rückdrängungskonzeptionen erstellt und umgesetzt. Das war der Versuch, Menschen zu bewegen, wieder ihren Antrag zurückzunehmen. Da war ich mit beteiligt und die Staatssicherheit leitete diese Arbeitsgruppe. Insofern musste da nichts zugearbeitet werden, sondern das erfolgte innerhalb der Arbeitsgruppe.
    Ich habe zunächst als junger Mensch - ich war glühender Sozialist - durchaus Menschen, die die DDR verlassen wollten, als Verräter an der sozialistischen Sache gesehen. Nach relativ kurzer Zeit habe ich dann aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass das ganz normale Menschen sind, die überhaupt nichts irgendwie Böses wollten, sondern zurecht auf Widersprüche in der DDR hingewiesen haben.
    Meine Schlussfolgerung war - und das war ein schwerer politischer Fehler -, diesem System dann einfach auszuweichen, sodass ich schon nach relativ kurzer Zeit, nach 14 Monaten Ilmenau verlassen habe und mich in eine Kleinstadt mit 3000 Einwohner habe versetzen lassen, weil dort das Problem der Antragsteller in dem Maße ja nicht stand. Klar, ich habe da die Auseinandersetzung gescheut.
    "Freiheit bedingt Gleichheit"
    Heinemann: Sie haben dazu beigetragen, Menschen, die die Freiheit wollten, zu kriminalisieren. Was ist Ihnen heute wichtiger, Freiheit oder Gleichheit?
    Kuschel: Beides bedingt sich und Freiheit geht immer vor. Gleichheit ist ja ohnehin etwas sehr Kompliziertes und ich verfolge dieses Ziel der Gleichheit überhaupt nicht, sondern ich will nur, dass Menschen gleiche Chancen haben. Das ist was anderes. Gleichmacherei oder so ist nicht Ziel meines politischen Wirkens. Aber die Freiheit, dass jeder seine Lebensphilosophie umsetzen kann, halte ich für wichtig, immer unter der Maßgabe, dass niemand einem anderen seine Lebensphilosophie aufzwingt.
    Heinemann: ..., was Sie ja lange Zeit getan haben.
    Kuschel: Was heißt lange Zeit? Das waren zwei Jahre. Aber klar, das gehört zu meiner Biografie und ich hatte damals andere politische Auffassungen. Das ist richtig.
    Heinemann: Wie denken Sie heute über die Menschen, denen Sie damals geschadet haben?
    Kuschel: Ich hatte ja mehrfach mein Bedauern zum Ausdruck gebracht. Weil ich über Anträge oder dergleichen nicht zu entscheiden hatte, kann ich immer schlecht sagen, ob mein Tun nun ausschlaggebend für bestimmte Dinge war, aber ich kann es auch nicht ausschließen. Ich habe es ja zumindest billigend in Kauf genommen und habe das als schweren Fehler eingestanden und habe mich dafür entschuldigt. Das ist nicht wieder rückholbar. Ich kann nur darauf verweisen, dass ich mich damit kritisch auseinandersetze.
    Heinemann: Bodo Ramelow hat die Grundstruktur des Ministeriums für Staatssicherheit mit der der Gestapo verglichen beziehungsweise sogar gleichgesetzt. Sie war gleich angelegt. Hat er das richtig beschrieben?
    Kuschel: Er hat ja einen kleinen Ausschnitt, insbesondere was Strukturen betrifft und Verankerung im System der Gewaltenteilung, und da kann man Parallelen durchaus erkennen. Ansonsten sind solche Vergleiche immer problematisch und halten sicherlich einer wissenschaftlichen Begründung nicht Stand. Ich habe Bodo Ramelow auch nicht so verstanden, dass er da eine Gleichsetzung gemacht hat, sondern er wollte auf bestimmte Wirkungsmechanismen hinweisen und wie gesagt solche einzelnen Elemente. Da kann man Parallelen erkennen.
    "Klima der Aufarbeitung muss geschaffen werden"
    Heinemann: Herr Kuschel, welchen Umgang mit ehemaligen Mitarbeitern der Stasi halten Sie für angemessen heute?
    Kuschel: Ich glaube, wenn wir wollen, dass die Menschen diese Gesellschaft annehmen und als Chance betrachten, müssen wir ein Klima der Aufarbeitung schaffen, wo niemand Angst haben muss, wenn er sich zu seiner Biografie, seinen Fehlern und dergleichen bekennt. Ich bin immer dafür, Menschen eine zweite oder dritte Chance zu geben, nicht nur im politischen Raum.
    Ich habe jahrelang Strafentlassene betreut. Da ist das ähnlich. Wenn man dann nicht verinnerlicht, dass Menschen eine zweite oder dritte Chance verdient haben, dann kann man in so einem Bereich ja nicht tätig sein. Das gilt auch für den politischen Raum. Ich gestehe Menschen politische Fehler zu, ich habe selbst welche begangen, und verlange aber von einer modernen Demokratie, dass sie Menschen die Chance einräumt, aus diesen Fehlern zu lernen und sie zu korrigieren.
    Heinemann: Frank Kuschel, Abgeordneter der Linksfraktion im Landtag von Thüringen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Kuschel: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.