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Koalitions-Sondierungen
"Ich kann nur allen raten, einen Gang runterzuschalten"

Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt rief die potenziellen Partner einer Jamaikakoalition dazu auf, sich im Ton zu mäßigen. "Der Wahlkampf ist vorbei. Wir müssen schauen, dass wir Lösungen finden", sagte die Fraktionsvorsitzende im Dlf.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Deutschland, Berlin, Bundestag, Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017 zwischen CDU/CSU, FDP und B90/Grüne, Katrin Göring-Eckardt B90/Grüne, 24.10.2017 ***
    Deutschland Berlin Bundestag Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2 (imago stock&people)
    Dirk-Oliver Heckmann: Es fehlt an Grundvertrauen, meinte FDP-Vize Wolfgang Kubicki in der vergangenen Woche. Und auch inhaltlich kam man sich nicht näher bei den schwierigen Themen Migration und Klimaschutz. FDP-Chef Christian Lindner hat die Grünen bereits davor gewarnt, die Sondierungsgespräche hin zu Jamaika platzen zu lassen.
    Gestern in Berlin dann ein Treffen der Verhandlungsführer in der bayerischen Landesvertretung. Ich habe vor wenigen Minuten Katrin Göring-Eckardt sprechen können. Sie ist die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Und sie habe ich gefragt: Gestern Abend das Krisentreffen der Verhandlungsführer – wie war denn da die Stimmung?
    Katrin Göring-Eckardt: Na ja, es war ja notwendig, dass man sich tatsächlich mal zusammensetzt und schaut, ob man eine gemeinsame Vertrauensbasis hat, ob nicht immer jede Aktion, die in den Verhandlungen gemacht wird, sofort nach draußen dringt und es eine Interpretationsschlacht gibt. Über solche Fragen haben wir gesprochen und entsprechend war die Stimmung anständig und gut.
    Heckmann: Anständig und gut, die Stimmung. – Das Ziel war aber auch, einen Kompromiss bei den Streitthemen Klima und Zuwanderung zu finden. Das war ja sehr strittig in der vergangenen Woche, konnte nicht abschließend beraten werden. Jetzt sind wir natürlich gespannt. Können Sie da Vollzug melden?
    Göring-Eckardt: Nein, das war nicht das Ziel, sondern das Ziel war, sich gegenseitig noch mal deutlich zu machen, wo die ganz schwierigen Punkte dabei sind und was das jeweils bedeutet, das noch mal ein bisschen zu vertiefen. Das ist, ich glaube, in so einer Situation, wo sich drei Partner miteinander an einen Tisch setzen und versuchen, eine Regierung zu bilden, die doch sehr weit voneinander entfernt sind, auch ein ganz normaler Vorgang, dass sich die Spitzen dann mal noch mal gegenseitig in die Augen schauen und sagen, wie es ist. Aber da gibt es jetzt noch keine Ergebnisse. Die werden dann in den entsprechenden Runden gefunden werden, die dafür gedacht sind, und das sind ja die Koalitionsrunden, die ab heute wieder tagen.
    Strittige Punkte Klima und Migration weiter ungelöst
    Heckmann: Das heißt, Frau Göring-Eckardt, inhaltlich sind Sie sich nicht näher gekommen?
    Göring-Eckardt: Wir sind weitergekommen, aber wir haben da keinen Abschluss gemacht, weil das muss in der großen Runde gemacht werden. Und das dauert auch ein bisschen noch mal. Das sind ja sehr verschiedene Partner. Und Sie wissen, für Bündnis 90/Die Grünen ist die Frage, wie das mit dem Klimaschutz weitergeht, ob wir die Klimaschutzziele einhalten, 2020 und 2030, ganz elementar. Wir sind damit nicht nur im Wahlkampf unterwegs gewesen, sondern zutiefst überzeugt, und die Bundesregierung, die alte, hat ja nicht ohne Grund diese Klimaschutzziele auch verabredet. Und jetzt muss man sehen, wie kommt man dahin, so dass zugleich Versorgungssicherheit gilt und auch Bezahlbarkeit. So ähnlich ist es beim Thema Flucht natürlich auch. Da haben wir auf der einen Seite die Union, die mit einer nicht mehr Obergrenze, sondern mit einem Richtwert arbeitet. Wir sagen, wir wollen Ordnung und Menschlichkeit, wir wollen, dass Familien zusammengehören, und dafür muss es ja dann, wenn es zu so einer Konstellation kommt, auch eine vernünftige Lösung geben und darüber muss sicherlich noch in verschiedenen Runden gesprochen werden.
    Heckmann: Da geht es ja auch ganz stark um den Familiennachzug für die sogenannten subsidiär Schutzbedürftigen, also Flüchtlinge aus Syrien beispielsweise. Sie sind ja dafür, dass dieser Familiennachzug möglich ist. Die Union und die FDP sind dagegen. Christian Lindner, der hat jetzt am Wochenende gesagt, mit der unbegrenzten Ausweitung des Familiennachzugs würde man die Protestwähler in die Arme der AfD treiben, statt sie von dort abzuholen. Und wenn die Grünen sich nicht bewegten, dann bliebe Jamaika ein Luftschloss. – CSU-Landesgruppenchef Dobrindt, der meinte, die Grünen, die müssen endlich verstehen, dass es hier um unser ganzes Land geht und nicht um die Prenzlauer-Berg-Mentalität der Wohlstandsgrünen. – Das heißt, innerhalb dieser Jamaika-Konstellation stehen die Grünen ziemlich alleine da.
    Familiennachzug, da wichtig für Integration
    Göring-Eckardt: Na ja, ich glaube auch, dass solche Art von Vorhaltungen nicht sehr viel weiterhelfen. Für mich ist die Frage des Familiennachzugs auch deswegen wichtig, weil es der Integration hilft. Das hilft der Integration in ganz Deutschland, bei mir zuhause in Erfurt, was jetzt nicht vergleichbar ist mit dem Prenzlauer Berg, aber natürlich sehr schön ist. Es sind ganz viele Menschen, die mir sagen, wir wollen unbedingt, dass diejenigen, um die wir uns hier kümmern, endlich ihre Familienangehörigen nachholen können, und zwar ihre engsten Familienangehörigen – nur um die geht es ja –, damit sie hier tatsächlich mal ankommen können, damit sie sich integrieren können. Die lernen Deutsch, die sind schon dabei, sich erste Jobs zu suchen, oder führen schon welche durch, und da ist es einfach ein riesiges Hindernis.
    Mir geht es auf der einen Seite natürlich ganz banal um die Menschlichkeit, wenn Familienangehörige noch in Lagern sitzen, die alles andere als menschenwürdig sind, oder gar noch in Syrien. Aber andererseits geht es mir auch darum, dass man hier ankommen kann, dass man hier sich tatsächlich integrieren kann und loslegen kann. Ich weiß natürlich wie alle: Subsidiär Geschützte sind Menschen, die auch wieder zurückkehren sollen, übrigens auch wollen. Bei allen jedenfalls, mit denen ich geredet habe, spürt man das auch. Aber das ist natürlich jetzt nicht möglich und dann gehören die Familien zusammen.
    Heckmann: Sie haben gerade in einem Nebensatz gesagt, Frau Göring-Eckardt, es sei ihnen wichtig, dass die Leute, die jetzt hier in Deutschland sind, ihre Familienangehörigen nachkommen lassen können. Das heißt, können Sie sich eine Regelung vorstellen, die besagt, diejenigen, die schon hier sind, die können ihre Familie holen, und die, die noch kommen, die nicht?
    Göring-Eckardt: Es ist toll, Herr Heckmann, dass Sie uns jetzt helfen dabei, Kompromisse zu finden, und darüber nachdenken. Aber das muss natürlich eine Grundsatzentscheidung sein. Da kann man ja nicht irgendwie so eine Zwei-Klassen-Aktion draus machen. Das wird auch rechtlich gar nicht gehen, dieser Vorschlag. Und es wäre auch nicht sinnvoll, weil dann hätten wir irgendwie in zwei Jahren das gleiche Problem, was wir jetzt haben. Ich möchte gerne, dass wir eine Lösung finden, die da Ordnung reinbringt, die auch planbar ist und die zugleich dafür sorgt, dass wir nicht dieselben Themen immer wieder auf der Agenda haben, sondern so eine Lösung muss auch nachhaltig sein und muss halten.
    Treffen gestern sei "deutlicher Schritt zu mehr Vertrauen"
    Heckmann: Der FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der hat in der vergangenen Woche am Donnerstag gesagt, es fehle an Grundvertrauen zwischen den Partnern. Frau Göring-Eckardt, wenn das jetzt schon so anfängt, erleben wir jetzt quasi eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition, möglicherweise inklusive Wildsau- und Gurkentruppen-Beschimpfung, nur jetzt mit den Bündnis-Grünen zusammen?
    Göring-Eckardt: Da kann ich eins zu sagen. Ich werde nicht Teil einer Gurkentruppe werden und werde auch nicht Teil einer Beschimpfungskoalition werden. Und ich kann nur allen raten, jetzt mal einen Gang runterzuschalten. Der Wahlkampf ist wirklich vorbei und man muss sich jetzt nicht mehr gegenseitig vorhalten, dass die einen unrealistisch sind oder Wolkenkuckucksheim machen und die anderen was anderes sind, sondern jetzt muss man gucken, ob man gemeinsame Lösungen findet für das, was in unserem Land los ist. Dazu gibt es verschiedene Vorschläge und diesen Vorschlägen kann man sich nur nähern, indem man sich die Frage stellt, wie das eigene tatsächlich auch aus der Sicht der anderen sich anfühlt, und das kann man nur machen, wenn man davon ausgeht, die anderen könnten auch recht haben. Das verlange ich und das verlange ich rhetorisch, aber das verlange ich auch in der Sache, übrigens auch von mir selber.
    Heckmann: Ist das Grundvertrauen denn wiederhergestellt nach dem Treffen gestern Abend?
    Göring-Eckardt: Jedenfalls ist es ein deutlicher Schritt zu mehr Vertrauen und jetzt werden wir sehen, ob sich das auch auswirkt bei den Gesprächen, die wir diese Woche haben.
    Heckmann: Aber Sie sind da skeptisch offensichtlich?
    Göring-Eckardt: Ich bin da nicht so skeptisch, aber ich habe ja gelernt, dass man am Anfang Vertrauen haben kann. Das hatten wir auch. Wir haben ja auch kleinere Gespräche am Anfang geführt, bilaterale Gespräche. Und dann stellt sich im Inhalt raus, es geht doch nicht, und dann fallen erst mal manche wieder in die alten Muster zurück. Deswegen will ich dafür noch keine Garantie abgeben. Wahrscheinlich würde man bei so einer Beurteilung für einen Job sagen, Sie haben sich sehr bemüht, und dann schauen wir mal, ob aus dem Bemühen jetzt auch ein Vollbringen kommt.
    "Wir müssen uns anstrengen"
    Heckmann: Hand aufs Herz! Wie wahrscheinlich ist aus Ihrer Sicht, dass es eine Jamaika-Koalition geben wird, Stand heute, kurz vor halb acht?
    Göring-Eckardt: Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass wir das hinbekommen, aber ich sehe auch noch nicht, dass wir bei den entscheidenden Punkten wirklich einen Durchbruch haben. Insofern muss ich Sie heute Morgen kurz vor halb acht noch damit hinterlassen, dass ich jetzt keine Prognosen abgebe, die zwischen fifty-fifty und ich weiß nicht was liegen, sondern ich finde, wir müssen uns anstrengen, auch so eine übergreifende Koalition hinzubekommen, die ja völlig unüblich ist. Aber wir sind auch in einer völlig unüblichen Situation und vielleicht ist es ja auch nicht das Schlechteste, wenn sich Partner dann doch zusammenfinden und vielleicht das Land ein Stückchen mehr zusammenbringen, weil sie es selber geschafft haben.
    Heckmann: Katrin Göring-Eckardt war das, die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Frau Göring-Eckardt, ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch und wünsche einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.