Archiv

Koalitionsbeschlüsse zu Leiharbeit und Rente
"Ein kleiner Schritt"

Die Große Koalition hat heute eine Beschränkung der Leiharbeit beschlossen. Arbeitsmarktexperte Gerhard Schröder hält die neuen Regelungen für sinnvoll, glaubt aber nicht, dass sie vor einem Missbrauch der Leiharbeit für Lohndumping schützen, sagte er im DLF. Auch bei den Rentenplänen der Koalition ist er skeptisch.

Gerhard Schröder im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Der Bochumer Maschinenbauer Eickhoff produziert seit 2009 in Klipphausen bei Dresden Getriebe fuer Windkraftanlagen.
    Viele Metaller-Betriebe nutzen Werkverträge mit externen Firmen, um die IG-Metall-Tarife zu umgehen. (imago/Rainer Weisflog)
    Sandra Schulz: Mit den Hartz-Reformen hatte die rot-grüne Regierung von Gerhard Schröder neben den vielen Änderungen in der Sozialpolitik vor Jahren auch eine wichtige Stellschraube der Arbeitsmarktpolitik ganz feste bewegt. Die Regelungen für Leiharbeit und Werkverträge, die wurden deutlich gelockert. Damit wurde es für Unternehmen einfacher, Leute von Zeitarbeitsfirmen auf Zeit an Bord zu holen und schlechter zu bezahlen. Für eine wichtige Flexibilisierung hielten und halten das die Befürworter, aber erheblichen Missbrauch kritisieren diejenigen, die das skeptischer sehen - unter ihnen seit geraumer Zeit viele Sozialdemokraten- Und jetzt werden die Regeln strenger. Das hatte die Große Koalition schon länger verabredet. Zuletzt hatte die CSU noch Nachbesserungsbedarf angemeldet. Aber seit gestern Abend, da steht jetzt der Kompromiss der Großen Koalition.
    Wir wollen schauen auf die Einigung zur Leiharbeit und zu den Werkverträgen. In Berlin zugeschaltet ist mir jetzt unser Kollege Gerhard Schröder, unter anderem Arbeitsmarktexperte in unserem Hauptstadtstudio. Hallo!
    Gerhard Schröder: Ja, hallo!
    Leiharbeit: "Eine Sättigungsgrenze ist erreicht"
    Schulz: Die Beschränkungen, die jetzt verabredet wurden, ergeben die Sinn?
    Schröder: Sie ergeben Sinn, aber sie werden das Problem nicht lösen, dass Leiharbeit und auch Werkverträge nach wie vor dazu benutzt werden, um geringere Bezahlungen durchzusetzen. Das Equal-Pay-Gebot, das ja ein zentraler Bestandteil dieser Reform sein soll, das wird nur für eine Minderheit der Leiharbeiter wirklich sich entfalten können, weil es erst ab dem neunten Monat gilt. Die meisten Leiharbeiter aber, die arbeiten nicht einmal sechs Monate. Das heißt, für die verändert sich überhaupt nichts.
    Schulz: Welche Rolle spielt die Leiharbeit inzwischen denn in den Betrieben?
    Schröder: Sie ist natürlich wichtig. Aber wir sehen seit einigen Jahren, dass da so eine Sättigungsgrenze erreicht ist. Wir haben derzeit gut 900.000 Leiharbeiter. Das schwankt seit Jahren so um diese Zahl, 800.000 bis 900.000. Was passiert, wenn die Wirtschaft in eine Krise gerät, das haben wir in der Finanzkrise erlebt vor sieben, acht Jahren. Da hat sich dann die Zahl der Leiharbeiter dramatisch vermindert. Das waren die ersten, die ihren Job verloren haben. In den Jahren danach hat sich das dann wieder aufgebaut. Wir haben ja jetzt eine lange Zeit des Aufschwungs erreicht. Aber wir können davon ausgehen, wenn es jetzt mal wieder bergab gehen würde, dann würde das die Leiharbeiter als erstes treffen.
    "Leiharbeit in in den vergangenen Jahren teurer geworden"
    Schulz: Ist es denn ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, wenn es viele Leiharbeiter gibt?
    Schröder: Es zeigt, dass die Wirtschaft Flexibilität braucht. Es zeigt vielleicht auch, dass wir jetzt eine Grenze erreicht haben, dass zum einen auch Flexibilitätsbedürfnisse der Unternehmen Grenzen kennen. Wir sehen aber auch, dass hier vielleicht Maßnahmen greifen, Regeln greifen, die jetzt schon seit einigen Jahren eingeführt wurden in den Branchen. Die Gewerkschaften haben erreicht, dass in der Metallindustrie, in der Chemieindustrie Branchentarifzuschläge gezahlt werden. Das ist schon ein Schritt hin gewesen zu einer besseren Bezahlung. Und wir erleben, dass es einen Branchenmindestlohn gegeben hat noch vor dem gesetzlichen Mindestlohn. Das heißt, Leiharbeit ist in den vergangenen Jahren schon teurer geworden, und da überlegen die Unternehmen natürlich etwas genauer, brauche ich wirklich Leihkräfte auf Zeit, oder stelle ich nicht Leute fest ein. Der Anreiz, Leiharbeiter nur aus Kostengründen einzustellen, der ist etwas geringer geworden.
    "Werkverträge werden genutzt, um IG-Metall-Tarife zu umgehen"
    Schulz: Aber dass die Unternehmen diese Flexibilität, von der Sie sprechen, brauchen, das liegt doch auf der Hand, oder?
    Schröder: Das liegt auf der Hand und das nutzen sie ja auch gerade in den gut organisierten Industriebranchen. Wenn wir mal ein Beispiel nehmen: BMW hat ein sehr modernes Werk in Leipzig. 2005 gingen da die ersten Autos vom Band. Fast jeder zweite Beschäftigte dort arbeitet als Leiharbeiter oder als Werkvertragsarbeiter. 4.700 Stammbeschäftigte gibt es dort, in gleichem Umfang etwa Werkvertragsarbeiter und Leiharbeiter, und die Flexibilität, die damit erreicht wird, durch Leihkräfte, die ist dem Unternehmen wichtig. Dort hat man auch längst Branchentarifzuschläge vereinbart. Wenn wir jetzt vielleicht mal auf das Thema Werkverträge schauen: Da ist die Situation etwas anders. Das sind ja Arbeiten, die dann ausgegliedert werden an andere Unternehmen, zum Beispiel Kantinen, die dann per Werkvertrag vergeben werden an Dienstleister. Oder gerade bei den Autofirmen ist das so. Da werden mittlerweile schon tief in die Produktion hinein Leistungen an auswärtige Firmen vergeben, etwa die Achsmontage bei BMW oder bei Porsche in Leipzig, und da kann man sich natürlich fragen, ist das nicht eigentlich eine Kernkompetenz des Unternehmens, die Stammbeschäftigte erfüllen sollten. Denn eines ist ganz klar: Werkverträge, die werden in ganz hohem Umfang genutzt, zum Beispiel in der Autoindustrie, um die hohen IG-Metall-Tarife zu umgehen. Die verdienen dann schlicht weniger Geld.
    "Der schrittweise Ausstand soll attraktiver werden"
    Schulz: Gerhard Schröder, ganz nahe an der Arbeitsmarktpolitik liegt ja auch die Rentenpolitik, und auch da hat die Große Koalition heute Morgen eine wichtige Änderung öffentlich gemacht. Arbeitnehmer in Deutschland sollen ab dem nächsten Jahr flexibler in die Rente einsteigen können. Was genau ist da geplant?
    Schröder: Zwei Punkte sind da wichtig. Zum einen: Die, die früher in Rente gehen wollen, für die soll das attraktiver werden. Ein Beispiel: Jemand geht mit einer Teilrente mit 63 in den Ruhestand, in den Teilruhestand, verdient sich nebenbei aber noch etwas dazu. Da musste er bislang hohe Abschläge zahlen, wenn er mehr als 450 Euro verdient. Das konnten dann bis zu zwei Drittel Abzüge bedeuten. Das wird in Zukunft weniger sein. Das werden maximal dann 40 Prozent sein. Es soll der schrittweise vorzeitige Ausstand auch attraktiver werden. Und zum anderen soll es attraktiver sein, länger zu arbeiten: Zum einen dadurch, dass die Unternehmen geringere Sozialbeiträge zahlen, die Arbeitslosenbeiträge werden gestrichen. Und auf der anderen Seite sollen die Beschäftigten künftig auch Rentenbeiträge bezahlen, nicht nur die Arbeitgeber. Aber - und das ist wichtig - das wirkt dann auch rentensteigernd. Das heißt, wer länger arbeitet, der erhöht damit dann auch seine Rente. Ob das nun der große Wurf ist, das muss man abwarten, aber es ist ein kleiner Schritt, um die Übergänge etwas flexibler zu gestalten.
    Schulz: Informationen aus unserem Hauptstadtstudio von Gerhard Schröder. Danke dafür.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.