Es sei in den letzten Wochen zunehmend schwerer geworden, den Koalitionspartner CDU zu durchblicken, erläuterte Sebastian Striegel, Co-Landeschef der Grünen in Sachsen-Anhalt. "Wir haben Verhandlungssituationen erlebt, in denen die Verhandlungsführenden ohne Mandat ankamen, wir hatten Situationen, in denen Einigungen nach wenigen Stunden nichts mehr wert waren."
Bei den Machtkämpfen in der CDU sei es offensichtlich nie um 86 Cent gegangen, nie um die Rundfunkbeitragserhöhung als solche, sagte Striegel, der die kompromisslose Haltung der CDU bedauert: "Da, wo keine Kompromisse möglich sind, sind Verhandlungen deutlich erschwert".
"Wir erwarten, dass der Ministerpräsident für die Vorlage, die er eingebracht hat, die er gemeinsam mit 15 anderen Ministerpräsidenten unterschrieben hat, kämpft." Es sei schließlich "das normalste der Welt", dass Regierungsvorlagen im Parlament mit Mehrheiten versehen würden, so Striegel.
"Wir wollen, dass eine Regierungsvorlage zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags – die im übrigen eine moderate, eine angemessene Erhöhung ist nach vielen Jahren, in denen der Beitrag nicht erhöht worden ist – eine Mehrheit bekommt."
Das Interview in voller Länge:
Peter Sawicki: Durchblicken Sie Ihren Koalitionspartner noch?
Sebastian Striegel: Nein, es ist uns in den letzten Wochen zunehmend schwerer gefallen. Wir haben Verhandlungssituationen erlebt, in denen die Verhandlungsführenden ohne Mandat ankamen. Wir hatten Situationen, in denen Einigungen nach wenigen Stunden nichts mehr wert waren, und wir haben immer wieder gelesen, dass es keine Kompromisse geben kann. Das Wesen von Verhandlungen, das Wesen von Demokratie ist es, dass Menschen miteinander sich austauschen, um Lösungen ringen, und dazu braucht es auch Kompromisse.
Sawicki: Erleichtert diese Entlassung von Holger Stahlknecht jetzt die Situation oder erschwert sie sie vielmehr noch?
Striegel: Das ist noch unklar. Es ist klar, der Machtkampf oder die Machtkämpfe in der CDU, die eine ganze Zeit eine Rolle gespielt haben in der Debatte – es ging offensichtlich nie um 86 Cent, nie um die Rundfunkbeitragserhöhung als solche, sondern um die Machtkämpfe in der CDU –, diese Machtkämpfe sind gestern voll ausgebrochen, auch nach außen sichtbar. Es gab zwei Runden, in denen zunächst Holger Stahlknecht seine Position unmissverständlich klargemacht hat, auch einen Angriff auf den Ministerpräsidenten gefahren hat. Der hat dann am Nachmittag zurückgeschlagen, hat Holger Stahlknecht als Innenminister entlassen, und am Abend ist Holger Stahlknecht mit Wirkung zum 8. Dezember als Landeschef der CDU dann zurückgetreten, aber damit ist die Sachauseinandersetzung nicht entschieden. Holger Stahlknecht hat deutlich gemacht in seiner Erklärung zum Abschied, dass er weiterhin sich sieht in einer Position für die gesamte CDU sprechend, dass er Rückhalt hat für seine Position, und diese Position ist ausbuchstabiert worden als keine Kompromisse. Aber da, wo keine Kompromisse möglich sind, sind Verhandlungen deutlich erschwert.
Der Ministerpräsident solle für die Regierungsvorlage kämpfen
Sawicki: Genau, Sie sagen es ja, die CDU, die hat ja weiterhin ihre Position, und Holger Stahlknecht ist ja auch weiter Landtagsabgeordneter, er würde ja auch mit abstimmen bei einem Votum im Landtag. Was erwarten Sie jetzt vom Ministerpräsidenten, von Reiner Haseloff?
Striegel: Wir erwarten, dass der Ministerpräsident für die Vorlage, die er eingebracht hat, die er gemeinsam mit 15 anderen Ministerpräsidenten unterschrieben hat, dass er für diese Regierungsvorlage kämpft. Sie ist durchs Kabinett gegangen, sie ist eine Regierungsvorlage, und es ist zunächst mal das Normalste der Welt, dass Regierungsvorlagen im Parlament mit Mehrheiten versehen werden. Wir wollen, dass eine Regierungsvorlage zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags, die im Übrigen eine moderate, eine angemessene Erhöhung ist nach vielen Jahren, in denen der Beitrag nicht erhöht worden ist, wir wollen, dass diese Regierungsvorlage eine Mehrheit bekommt.
Sawicki: Aber Sie haben ja eben auch gesagt, der CDU ist es offenbar nie um diese 86 Cent Erhöhung gegangen, sondern es sei in erster Linie eben um diesen Machtkampf gegangen, der da jetzt ausgebrochen sei auf offener Bühne, aber Rainer Robra beispielsweise, der CDU-Politiker von der CDU im Landtag, der hat auch bei uns im Programm neulich gesagt, dass seine Partei seit Jahren schon auf dieses Problem, wie Sie es sehen in der CDU, hingewiesen hat. Haben Sie das vielleicht auch einfach ausgeblendet als Grüne?
Striegel: Nein, Rainer Robra muss sich an dieser Stelle fragen lassen, wie er eigentlich verhandelt hat. Er ist maßgeblich als Chef der Staatskanzlei für die Verhandlungen auch verantwortlich gewesen. Sein eigener Chef und Ministerpräsident Reiner Haseloff hat den Vertrag unterschrieben, hat ihn ins Kabinett gebracht, auch Rainer Robra hat im Kabinett für diesen Staatsvertrag die Hand gehoben und hat ihn ins Parlament geschickt. Von dieser Verantwortung kann er sich nicht freisprechen. Wir haben als Grüne immer deutlich gemacht, dass wir auf der Suche nach einer Lösung sind. Wir haben im Koalitionsvertrag miteinander Beitragsstabilität vereinbart, das heißt nicht, dass ein Beitrag von 17,50 Euro festgeschrieben war, sondern wir haben gesagt, ein Inflationsausgleich muss immer möglich sein, und das Verfahren der KEF ist ein unabhängiges. Hier wird Sorge getragen, dass die Bedarfe der Anstalten geprüft werden, und zwar entlang des Auftrages, den die Politik ihnen gegeben hat. Wir haben festgestellt, dass die CDU nie an diese Aufträge ran wollte. Der Medienstaatsvertrag ist im Landtag ohne Debatte nicht diskutiert, sondern verabschiedet worden, und wir haben zum Beispiel beim MDR-Staatsvertrag über die Frage mit der CDU gestritten, ob die Intendantengehälter nicht gedeckelt werden sollten auf das Niveau des öffentlichen Dienstes. Das Ergebnis war, dass die CDU diesen Vorschlag brüsk zurückgewiesen hat, und insofern müssen wir feststellen, dass die Kritik der CDU hier nicht wirklich ehrlich ist. Sie geben den Öffentlich-Rechtlichen einen Auftrag, sind aber nicht bereit, ihn abschließend zu finanzieren.
Begriff "Beitragsstabilität" anstatt konkrete Geldsumme
Sawicki: Aber die Kritik richtet sich ja auch an die Grünen von verschiedenen Seiten. Bleiben wir noch mal beim Stichwort Beitragsstabilität: Wie kann das sein, dass es vier Jahre später nach Abschluss des Koalitionsvertrages erneut oder immer noch so unterschiedliche Interpretationen darüber gibt, was dieser Begriff überhaupt bedeutet?
Striegel: Nun ja, ich meine, man kann gemeinsam ja auf diesen Begriff der Beitragsstabilität schauen, er findet sich auch im Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen zwischen CDU und FDP wieder, und auch der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat der Erhöhung zugestimmt.
Sawicki: Bleiben wir mal in Sachsen-Anhalt: Warum haben Sie heute immer noch unterschiedliche Auffassungen, warum wurde das nicht konkreter damals formuliert?
Striegel: Es gab eine Auseinandersetzung über diese Frage in den Koalitionsverhandlungen. Es war ein politischer Kompromiss, dort nicht 17,50 Euro hineinzuschreiben, sondern Beitragsstabilität, und Beitragsstabilität lässt einen Inflationsausgleich eben auch zu. Die KEF hat eine solche Einschätzung abgegeben, die übrigens unterhalb des Inflationsausgleiches bleibt, und auch im Koalitionsvertrag in Sachsen-Anhalt taucht an anderen Stellen Stabilität auf, zum Beispiel bei den Kommunalfinanzen – hier hat die Koalition in den letzten vier Jahren fast eine Milliarde Euro zusätzlich hineingegeben. Das zeigt, Stabilität ist nicht eine Festsetzung auf einen ganz konkreten Betrag.
Sawicki: Und dennoch bleibt eben die Frage, wie jetzt ein Kompromiss gefunden werden soll. Substanziell hat sich ja möglicherweise gar nicht viel verändert aufseiten der CDU, was die Position angeht. Das heißt, was für Szenarien sind jetzt überhaupt denkbar, wenn Sie, wenn wir das richtig verstehen, ja bei Ihrer Position bleiben, einem Ja zu der Erhöhung?
Striegel: Wir wollen, dass die Regierungsvorlage eine Mehrheit im Parlament bekommt, aber wir sind sehr gern bereit, über Fragen zu reden, die damit verbunden werden können. Wir könnten als Koalition nach vorne schauen, könnten bestimmte Reformerfordernisse noch mal genauer festschreiben in einem Entschließungsantrag. Es wäre ein differenziertes Abstimmungsverhalten denkbar. Denkbar ist auch, dass wir angesichts der Pandemiesituation schauen, ob die KEF nicht zu einem früheren Zeitpunkt als bisher geplant eine neue Gebührenkalkulation, eine neue Beitragskalkulation vornehmen kann. All das sind Möglichkeiten, aber das setzt zunächst voraus, dass die CDU bereit ist, in Verhandlungen einzutreten. Bisher hieß die Ansage: keine Kompromisse. Unser Ansatz ist, miteinander reden, Lösungen suchen und in Verhandlungen zu einem Ergebnis kommen, das Sachsen-Anhalt aus der Isolation holt.
Sawicki: Sehen Sie die Chancen, CDU-Abweichler auf Ihre Seite zu ziehen?
Striegel: Es ist nicht unsere Aufgabe, die CDU-Fraktion zu spalten. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass eine Regierungsvorlage im Parlament eine Mehrheit bekommt.
Sawicki: Aber dafür brauchen Sie ja CDU-Stimmen.
Striegel: Das ist die Notwendigkeit, dass die CDU ihrer eigenen Regierungsvorlage auch mit zustimmt, mindestens in Teilen. Da sind viele in Verantwortung, auch der Ministerpräsident, und ich bin guter Dinge, dass wir jetzt vielleicht auch eine Situation haben, wo wir in den Verhandlungen vorankommen können. Es braucht aber dafür zunächst ein Signal, dass bei der CDU wieder Verhandlungsbereitschaft herrscht. Bisher hieß die Ansage "keine Kompromisse" – das kann in einer Demokratie kein Ausgangspunkt für Verhandlungen sein.
Sawicki: Nur kurz zum Schluss: Wenn es dabei bleibt, bei dieser Haltung "keine Kompromisse", treten Sie dann aus aus der Kenia-Koalition?
Striegel: Unser Ziel ist, dass die Regierungsvorlage im Parlament eine Mehrheit bekommt, dafür kämpfen wir, und dafür werden wir auch weiterkämpfen.
Sawicki: Und wenn nicht?
Striegel: Wir werden uns weiter darum bemühen, dass diese Regierungsvorlage eine Mehrheit bekommt und werden an dieser Stelle klarmachen, Sachsen-Anhalt muss dem Rundfunkänderungsstaatsvertrag zustimmen. Nur das würde dafür sorgen, dass die Isolation des Landes aufgehoben wird.
Sawicki: Noch mal: Was passiert, was machen Sie, wenn das nicht passiert?
Striegel: Für uns ist klar als Grüne, Kenia hat an dieser Stelle ein Fundament zu verlieren. Diese Regierungsvorlage braucht eine Mehrheit im Parlament.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.