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Koalitionstreffen zur Flüchtlingspolitik
Gespaltene Identitäten

Offiziell regieren CDU, CSU und SPD gemeinsam, aber in vielen Aspekten der Flüchtlingspolitik gibt es teils nur noch wenige Gemeinsamkeiten. Darüber soll heute gesprochen werden. Die Regierungschefs der Länder reden, die Spitzen der Großen Koalition sprechen in Berlin und am Ende alle zusammen.

Von Stephan Detjen |
    Horst Seehofer, Angela Merkel und Sigmar Gabriel stehen im Kanzleramt vor einer blauen Wand mit dem Bundesadler.
    Schon im November trafen sich die Spitzen der Koalition Seehofer, Merkel und Gabriel (v.l.) im Kanzleramt mit den Ministerpräsidenten (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    "Es gibt in der Bundesregierung keinen Streit", stellt der Vizekanzler, fest.
    "Das ist schon offensichtlich lustig und ironisch gemeint, obwohl ich eigentlich gar nicht finde, dass es Grund dafür gibt", sagt der Oppositionsführer.
    Sigmar Gabriel hatte noch gestern versucht, die offenkundigen Auseinandersetzungen im Regierungslager als unionsinterne Querelen einzugrenzen. Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag, hatte dafür im Frühstücksfernsehen nur Spott übrig. Die Nachrichten von den wechselseitigen Attacken in der Großen Koalition kommen auch heute schon fast im Stundentakt.
    DLF-Nachrichten: "Sechs Uhr, die Nachrichten: Die CSU wirft der SPD vor, das Koalitionsklima zu vergiften..."
    Die CSU hat längst nicht mehr nur die Kanzlerin im Visier. Die Sollbruchstellen werden auch in Richtung SPD zielstrebig vertieft, selbst von denen, die bisher nicht als Scharfmacher in der CSU auffielen:
    DLF-Nachrichten: "Die Meldungen im Einzelnen: Die Vorsitzende der CSU Landesgruppe im Bundestag, Hasselfeld, wirft der SPD vor, in der Flüchtlingskrise untätig zu sein. Die SPD trage nichts zur Bewältigung dieser riesigen Herausforderung bei und vergifte stattdessen das Koalitionsklima."
    Kramp-Karrenbauer redet von schwieriger Situation
    Tief zerstritten und mit leeren Händen taumelt die Koalition heute auf das seit Wochen für den Abend geplante Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder zu.
    "Ich glaube das wir in einer sehr schwierigen Situation stehen", sagt Annegret Kramp Karrenbauer, CDU-Ministerpräsidentin im Saarland. Die Einigung der Berliner Regierungsparteien auf ein Asylpaket II, mit dem die Kanzlerin den Ländern eine Linderung ihrer Nöte bei der Bewältigung der Migrationskrise in Aussicht stellen wollte, ist gescheitert. Selbst in der CDU weist man der bayerischen Schwesterpartei die Verantwortung dafür zu.
    Kramp-Karrenbauer: "Deswegen ist das in der Sache ein Problem und das erschüttert Vertrauen in die Politik allgemein. Ich kann nur hoffen, dass heute vom Treffen im Übrigen auch mit uns Ministerpräsidenten klare Signale ausgehen, dass wir weiter gemeinsam an der Lösung des Problems arbeiten."
    Noch vor der Begegnung mit Kramp-Karrenbauer und den anderen Länderchefs wird Angela Merkel das Ausmaß der Zerrüttungen in ihrer Koalition höchstpersönlich in Augenschein nehmen: Am späten Nachmittag trifft sie sich zum Sechs-Augen-Gespräch mit Sigmar Gabriel und Horst Seehofer. Der hat der Kanzlerin vorab schon schriftlich mitgeteilt, dass er ihre Politik nicht nur in der Sache für falsch, sondern für verfassungswidrig hält. Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigte gestern:
    Stapel von Briefen aus den eigenen Reihen
    "Sie haben recht: Das Schreiben ist eingegangen. Das ist auch beinahe schon alles, was ich Ihnen dazu sagen kann; denn Sie wissen, dass die Bundeskanzlerin ihren Briefverkehr grundsätzlich nicht über die Öffentlichkeit kommuniziert. So wird es auch in diesem Fall sein."
    Das Protestschreiben des bayerischen Ministerpräsidenten liegt im Kanzlerbüro inzwischen auf einem ganzen Stapel von Briefen aus den eigenen Reihen, die sie zu einer Umkehr auffordern. Eine Gruppe junger SPD Abgeordneter dafür forderte Merkel – ebenfalls in einem Brief – auf, Kurs zu halten. Eine möglicherweise vergiftete Forderung. Denn auch in der SPD wird längst darüber spekuliert, wie ein Ausstiegsszenario aus der Koalition aussehen könnte.
    Denn wenn die CDU bei den Landtagswahlen am 13. März sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland Pfalz zwar Verluste einsteckt, aber trotzdem die Ämter der Ministerpräsidenten gewinnt, könnte der innerparteiliche Druck sowohl in der CSU als auch in der SPD in ähnlicher Weise steigen. Beide Parteien jedenfalls könnten dann ein gemeinsames Interesse haben, eine Wende in der Politik herbeizuzwingen.