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Koalitionsverhandlungen
Barthel: Essenzielle SPD-Forderungen müssen erfüllt werden

Die SPD müsse sich in den Koalitionsverhandlungen mit dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro durchsetzen, sagt Klaus Barthel, Vorsitzender des SPD-Arbeitnehmerflügels. Die Partei sei nur glaubwürdig, wenn sie sich ihren Zielen treu bleibe, betont er.

Klaus Barthel im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich jetzt den SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Barthel. Er ist auch Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels seiner Partei. Schönen guten Morgen, Herr Barthel.
    Klaus Barthel: Guten Morgen!
    Barenberg: Herr Barthel, wir haben gerade ein paar skeptische Stimmen von SPD-Mitgliedern gehört. Recherchen des "Spiegel" fördern jetzt ja auch zutage, dass in vielen Landes- und Kreisverbänden die Mitglieder immer noch sehr skeptisch sind, was eine Neuauflage der Großen Koalition angeht. Was ist Ihr Eindruck?
    Barthel: Na ja, es macht wenig Sinn, jetzt jeden Tag neue Wasserstandsmeldungen abzugeben. Ich denke, die Skepsis ist da, aber wir haben uns ja gemeinsam vorgenommen, dass wir jetzt nicht ins Blaue hinein diskutieren wollen und nicht auf der Grundlage von Ängsten und Gefühlen, sondern auf der Grundlage von einer Koalitionsvereinbarung, die hoffentlich bald auf dem Tisch liegt.
    Barenberg: 90 Prozent sollen ja schon vereinbart sein, wie Parteivize Olaf Scholz gestern gesagt hat.
    Barthel: Ja das mag sein, aber das normale SPD-Mitglied kennt diese Vereinbarungen nicht und in zentralen Fragen, die für uns zum Beispiel dann wichtig sind, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Rente, bei der europäischen Politik, da hakt es ja ganz gewaltig und da müssen wir einfach sehen, was dann rauskommt.
    Barenberg: Und deshalb trauen Sie sich selber auch keine Prognose zu, was den Mitgliederentscheid angeht?
    Barthel: Nein, und ich könnte heute auch noch niemandem eine Empfehlung abgeben. Ich wundere mich über manche Diskussionen, die da jetzt schon geführt werden, die einen, die grundsätzlich dagegen sind, und die anderen, die für eine Große Koalition werben, ohne zu wissen, was eigentlich dann drin ist.
    Barenberg: Martin Schulz tut das zum Beispiel, der Präsident des Europäischen Parlaments. Er sagt, es wird einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland geben, eine bessere Finanzmarktregulierung, mehr Geld für Bildung, die doppelte Staatsbürgerschaft. Ist das nicht Grund genug, für dieses Projekt zu werben?
    Europapolitik und Rente stehen noch zur Diskussion

    Barthel: Na, wenn es so wäre, wären das ja schon wichtige Fortschritte. Aber wir wollen schon auch sehen, gerade auf dem Gebiet der Europapolitik oder zum Beispiel auch bei Rente und den anderen Sozialsystemen, Gesundheit und Pflege, wie das Kleingedruckte aussieht, denn wir müssen vier Jahre lang mit so einer Konstellation dann vernünftig arbeiten können und wir verlassen uns nicht auf irgendwelche Überschriften und schöne Formulierungen, sondern wir wollen schon wissen, was wir dann konkret gesetzlich für die Menschen umsetzen können.
    Barenberg: Für Sie ist das also alles noch offen, beispielsweise was den Mindestlohn angeht?
    Barthel: Ja. Ich höre zwar die einen oder anderen Gerüchte und auch Zwischenstände, da scheint sich was zu bewegen, aber auf der anderen Seite auch immer wieder Vorbehalte und Differenzierungen und Durchlöcherungen und Zeitverschiebungen. Das ist noch längst nicht durch und offensichtlich, jetzt heute auch wieder mit der Ankündigung von Herrn Dobrindt, die Sache noch in die Länge zu ziehen, versucht die Union, die Preise hochzutreiben.
    Gesetzlicher Mindestlohn
    Ein gesetzlicher Mindestlohn definiert die Untergrenze der Bezahlung für abhängig Beschäftigte. Diese Untergrenze darf kein Arbeitgeber unterschreiten. Eine Mindestlohnregelung kann sich sowohl auf einen Stundensatz als auch auf einen Monatslohn bei Vollzeitbeschäftigung beziehen. Deutschland gehört innerhalb der EU zu den wenigen Ländern, die bisher keinen gesetzlichen Mindestlohn haben.
    Quelle: Bundeszentrale für Politische Bildung
    Barenberg: Ist es also ein Fehler, dass Parteichef Sigmar Gabriel bereits durch die Lande reist und für das Projekt wirbt?
    Barthel: Ja, ich frage mich schon etwas, ob das Sinn macht, weil so lange wie gesagt nichts auf dem Tisch liegt, bewegen wir uns im Bereich auch des Angstmachens, wie wir es zum Teil wieder erlebt haben: Die einen haben Angst vor der Großen Koalition. Aber dem kann man nicht dadurch begegnen, dass man Angst vor Neuwahlen macht, und eine Partei mit 25,7 Prozent, die Angst hat davor, dass die Grünen womöglich es billiger machen als die SPD, oder die Angst hat vor Neuwahlen, die muss sich schon Gedanken über ihr Selbstbewusstsein machen, weil sie sich selber kleiner macht, jetzt dann auch in den Gesprächen, als sie ist.
    Barenberg: Auf der anderen Seite, Herr Barthel, Sie haben die 25,7 Prozent angesprochen. Muss man sich das nicht auch vor Augen halten, wenn es darum geht, wie viele Forderungen die SPD wird durchsetzen können?
    Barthel: Das ist klar. Darüber, denke ich, sind sich ja unsere Mitglieder auch sehr bewusst. Es kann nicht 100 Prozent SPD drin sein. Aber es müssen essenzielle Forderungen von uns erfüllt sein. Es geht ja auch darum, dass dieses Wahlergebnis deswegen zustande gekommen ist, weil uns Glaubwürdigkeit und Vertrauen gefehlt haben, und die gewinnen wir nur, wenn wir unseren Zielen treu bleiben und wenn eine sozialdemokratische Mithandschrift erkennbar bleibt.
    Barenberg: Was sind denn für Sie die wesentlichsten Punkte, die noch klar werden müssen jetzt in den nächsten Tagen, bis am Mittwoch, wenn es dabei bleibt, das Verhandlungsergebnis dann feststeht?
    Neuordnung des Arbeitsmarkes ist zentrale SPD-Forderung

    Barthel: Ganz wichtig ist für uns natürlich die ganze Frage Neuordnung auf dem Arbeitsmarkt. Ein Element davon ist ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro ab den nächsten Monaten. Der zweite Bereich ist die Rente. Wir können nicht damit leben, dass nur jetzt für einzelne Gruppen Angebote gemacht werden, die dann aus den Beiträgen der anderen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler oder womöglich aus einem noch schneller sinkenden Rentenniveau heraus finanziert werden.
    Und schließlich und endlich brauchen wir auch eine andere makroökonomische Politik in Europa, die bei uns dann auch die Arbeitsplätze und die Arbeitsbedingungen sichern muss, anstatt dass in Europa weiter auf die Löhne und den Sozialstaat gedrückt wird, was dann bald auch unseren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf die Füße fallen wird.
    Barenberg: Sie haben die Rente angesprochen. Bei diesem Punkt stecken ja sehr kostspielige Wünsche in den Koalitionsverhandlungen. Der Finanzminister macht darauf aufmerksam, dass der Spielraum sehr viel geringer ist, dass da Milliarden, zig Milliarden, muss man ja sagen, sich auftun, eine Kluft. Können Sie am Ende viel weniger bezahlen, als Sie im Moment sich wünschen würden? Müssen Sie sich damit abfinden?
    Barthel: Ja wir haben da auch unterschiedliche Vorstellungen über die Finanzierung. Wir sagen Ja zur Mütterrente und ja zu den Verbesserungen für Erwerbsgeminderte und vor allen Dingen wollen wir ja auch den Rentenzugang für langjährig Versicherte.
    Aber wir sagen ganz klar, zum Beispiel die Mütterrente muss aus Steuermitteln finanziert werden, weil sie nicht durch Beiträge gedeckt ist, und uns geht es darum, dieses Rentensystem auf die Dauer zu stabilisieren und nicht jetzt, wo Überschüsse da sind, in die Kassen der Beitragszahler zu greifen, und deswegen muss das Finanzierungsmodell und auch die Leistungen, die müssen stimmen und wir müssen vor allen Dingen etwas dafür tun, dass für die breite Arbeitnehmermitte, sowohl was die Beitragszahler betrifft als auch was dann die Leistungsempfänger betrifft, nicht weitere Entlastungen jetzt daraus entstehen, dass jetzt auf die Schnelle bestimmte Gruppen bedient werden, zum Beispiel auch bei der Mindestrente oder Sockelrente, und dann die Beitragszahler das bezahlen, bloß damit Herr Schäuble die Spitzeneinkommen und die Vermögen schonen kann.
    Barenberg: Herr Barthel, wir haben nicht mehr viel Zeit für unser Gespräch. Ich will die Frage aber dennoch los werden. Ohne Steuererhöhungen ist das aus Ihrer Sicht nicht zu machen? Können wir das so festhalten?
    Barthel: Ich kann das nicht erkennen und da muss die Union Vorschläge machen, da warten wir ja schon lange drauf. Die haben ja schließlich auch einen Haufen teuere Wünsche. Uns geht es nicht um Steuererhöhungen aus Prinzip, sondern darum, dass die notwendigen Leistungen finanziert werden können, auch im Bereich der Investitionen.
    Barenberg: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Barthel: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.