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Koalitionsverhandlungen in Sachsen
Es knirscht zwischen den Parteien

In Sachsen verhandeln CDU, SPD und die Grünen seit Wochen. Sie planen eine gemeinsame Regierungskoalition. Zwar wirken sie bei öffentlichen Auftritten harmonisch. Aber Interessenkonflikte zwischen den Parteien erschweren einen gemeinsamen Koalitionsvertrag.

Von Bastian Brandau | 21.11.2019
Beginn der Koalitionsverhandlungen in Sachsen: Wolfram Günther (l-r) und Katja Meier, Spitzenkandidaten von Bündnis 90/ Die Grünen zur sächsischen Landtagswahl, Michael Kretschmer (CDU), Sachsens Ministerpräsident, und Martin Dulig, Vorsitzender der SPD Sachsen, stehen im Ständehaus vor Medienvertretern beisammen. Dort haben die Koalitionsverhandlungen zur Bildung der Landesregierung begonnen.
Die Parteispitzen wollen einen Koalitionsvertrag aushandeln (von links nach rechts): Wolfram Günther und Katja Meier (Bündnis 90/ Die Grünen), Michael Kretschmer (CDU) und Martin Dulig, (SPD). (Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa )
"Uns liegt daran, eine Sachsenkoalition zu bekommen, die klug, mit Mut und mit Freude an die Arbeit geht. Ich habe auch nach dem heutigen Tag den Eindruck, dass uns das gelingen könnte."
Wann immer CDU, Grüne und SPD in Sachsen in den vergangenen Monaten gemeinsam vor die Presse treten, herrscht wie hier bei Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU: demonstrative Harmonie.
Mit den Grünen hätten CDU und SPD eine Mehrheit
Kretschmers CDU erzielt bei den Wahlen am 1. September zwar mit 32 Prozent das schlechteste Wahlergebnis im Nachwendesachsen. Innerhalb der Partei aber gilt es schon als Erfolg, dass die seit 1990 regierende CDU fünf Prozent vor der AfD liegt. Für eine Fortsetzung der bisherigen Koalition mit der SPD reicht es nicht. Aber gemeinsam mit den Grünen hätte man eine Mehrheit. Deren Spitzenkandidatin Katja Meier betont die "Partnerschaft auf Augenhöhe".
"Hier geht’s nicht darum, dass wir zur CDU und SPD dazukommen, sondern dass wir alle drei sehr eigenständige Parteien sind. Mit unseren Programmen und Konzepten. Es geht natürlich auch darum, dass wir aufeinander zugehen und für alle tragfähige Konzepte und Maßnahmen gemeinsam entwickeln. Und dass natürlich jede Partei für sich auch sichtbar bleibt."
Der Balanceakt in jeder Koalition. Und in diesem Fall eine besondere Herausforderung: Schließlich trennen CDU und Grüne in Sachsen etwa in der Umwelt- und Klimapolitik Welten. Hier stemmte sich die Union gegen den Ausstieg aus der klimaschädlichen Braunkohle. Den Ausbau der Erneuerbaren Energien hat sie in den vergangenen Jahrzehnten verzögert. Und die Grünen klagen gemeinsam mit der Linken vor dem Verfassungsgerichtshof gegen das in diesem Frühjahr von schwarz-rot verabschiedete Polizeigesetz.
Die AfD eint die drei Parteien
Die SPD drängt auf Änderungen unter anderem in der Schulpolitik, hat das Längere gemeinsame Lernen über Klasse 4 hinaus zur Bedingung gemacht. Auch das lehnt die CDU bisher ab. Es sind die 27 Prozent der Stimmen für die AfD in Sachsen, die diese Parteien zusammenbringen.
"Was wir vor uns haben, ist ja vor allem, dass wir neues Vertrauen bekommen." SPD-Chef Martin Dulig weist immer wieder darauf hin, dass seine Partei zwischen den Antipoden von Grünen und CDU auch noch mitverhandle. Und es um Grundsätzliches gehe.
"Die Spaltungen, die wir in dieser Gesellschaft erleben, brauche Kitt. Und wir sind Vorbild. Wir sind mit dafür verantwortlich, dass es einen gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder gibt."
Eine Gesellschaft, in der Verhandlungen, Kompromisse und Vereinbarungen etwas gelten. Das klappt nach Außen lange gut: Außerhalb der Pressekonferenzen herrscht Schweigen. Erstaunlich geräuschlos stellen die Parteien Anfang Oktober ein Sondierungspapier vor, das alle drei Parteien mit großer Mehrheit annehmen. Bis Ende November will man einen Koalitionsvertrag vorliegen haben, vor Weihnachten soll die Regierung stehen.
"Justizministerium und Innenministerium haben eingeladen, kurzfristig zu einer Pressekonferenz heute, bei der es um Maßnahmen gegen den Linksextremismus speziell in Leipzig gehen soll. Dazu begrüßt sie auf dem Podium zunächst mal Justizminister Sebastian Gemkow, Innenminister. Roland Wöller ist auch mit aufs Podium gekommen.
Justiz– und Innenminister gemeinsam auf dem Podium der Landespresskonferenz, dazu Landespolizeipräsident und Generalstaatsanwalt. Kurzfristig verkünden sie vor zwei Wochen Maßnahmen gegen Linksextremismus. Die bedeuten faktisch kaum mehr als die Versetzung von zehn Beamten. Anlass sind Brandanschläge, bei denen die Behörden einen linksextremen Hintergrund vermuten.
CDU begeht Foulspiel in Sachsen
Zwei CDU-Minister richten eine Sonderkommission ein - ob über diese denn die potenziellen Koalitionspartner vorher informiert gewesen waren? Innenminister Sebastian Gemkow: "Wir besprechen das vor allem mit denjenigen, die das umsetzen müssen mit unseren Praktikern. Und diese Gespräche haben wir geführt."
"Es ist das gute Recht der Polizei nach fachlichem Ermessen bei Bedarf Sonderkommissionen einzusetzen," lassen die Grünen per Pressmitteilung wissen. "Dafür braucht es keine symbolische Pressekonferenz von gleich zwei Ministern in laufenden Koalitionsverhandlungen."
Auch die SPD protestiert. Ein erstes Foulspiel durch die Union in Sachsen. Später zitiert die Freie Presse aus einem Papier zur Innenpolitik, wonach sich die CDU für ein Verschleierungsverbot einsetze. Symbolpolitik aus Sicht der Grünen und der SPD.
Zwar nennt Ministerpräsident Kretschmer Vorschläge von Sozialdemokraten und Grünen zuletzt auf einem Parteitag "inspirierend". Doch schon die Klimapolitik der schwarz-roten Bundesregierung – die laut Experten die Pariser Ziele verfehlen dürfte – ist ihm zu ambitioniert. Es hört sich fast wie bei der AfD an, wenn Kretschmer die Möglichkeiten Deutschlands beim Klimawandel herunterspielt.
Schwarz-grün-rot ist die einzige Option
"Wir brauchen eine internationale Lösung. Und das was wir als kleinsten Regelungsrahmen haben, ist die Europäische Union. Und deswegen ist der Deutsche Alleingang ganz, ganz oft eine Inländer-Diskriminierung."
Von einem sich zuspitzenden Ton spricht die Grüne Parteivorsitzende Kristin Melcher im Interview mit der Leipziger Volkszeitung.
"Mit der Gründung der SoKo LinX im Alleingang oder auch den Kommentierungen zum Klima-Paket als "Inländer-Diskriminierung". Und flankierend dazu erklärt die Werteunion, es könne nicht Aufgabe der CDU sein, die Grünen in eine Koalition zu bringen. Das alles sollte nicht der Umgang miteinander sein, beim Bemühen, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Und darum muss es letztendlich gehen."
Allen ist klar, dass schwarz-grün-rot derzeit die einzige Option in Sachsen ist. Soll tatsächlich vor Weihnachten eine Regierung stehen, muss der Koalitionsvertrag bis Ende November stehen. Danach werden SPD und Grüne die Basis zum Koalitionsvertrag befragen, was mehrere Wochen in Anspruch nimmt. Die Landesverfassung gibt etwas mehr Zeit: Bis zum 1. Februar muss ein neuer Ministerpräsident gewählt werden, sonst gibt es Neuwahlen.