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Koalitionsverhandlungen
"Jetzt müssen Prioritäten gesetzt werden"

Der Prozess zum Koalitionsvertrag werde "kein Zuckerschlecken", letztendlich werde aber eine Annäherung stattfinden, so Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Der ein oder andere werde auch Abstriche machen müssen. Er betonte aber, dass es mit der CDU keine Steuererhöhungen gäbe.

Stanislaw Tillich im Gespräch mit Stephan Detjen |
    Das Interview mit Stanislaw Tillich hören Sie am Sonntag ab 11.05 Uhr im Deutschlandfunk.

    Stephan Detjen: Herr Ministerpräsident, mitten in die Koalitionsverhandlung platzte in dieser Woche die jüngste Steuerschätzung – schlechte Nachrichten für Sie. Die Einnahmequellen werden nicht mehr so weiter sprudeln wie bisher. Sie müssen die milliardenschweren Wunschlisten kürzen, wenn Sie nicht doch noch mal mit der SPD über Steuererhöhungen reden wollen.

    Stanislaw Tillich: Ja, für uns gilt ja ganz deutlich, dass es mit uns keine Steuererhöhungen gibt. Das ist nicht nur ein Wahlversprechen, sondern auch eine tiefe Überzeugung. Man muss mit dem auskommen, was man hat, und nicht den Bürger stärker belasten. Zum Zweiten, die Steuerschätzung ist ja nicht schlechter ausgefallen, sie weist nur geringere Steigerung auf, als vielleicht der ein oder andere erhofft hat, um sich das ein oder andere politische Ziel noch erfüllen zu können.

    Detjen: Aber viel von den Plänen, die Sie im Wahlkampf gemacht haben, rechnen damit, dass die Einnahmen weiter so sprudeln, wie das bisher der Fall war. Darauf ist ja im Wahlkampf immer hingewiesen worden, wenn man gefragt hat: Wie soll das alles bezahlt werden?

    Tillich: Ja, der Bundesfinanzminister hat ja deutlich gemacht, dass es in 2014 und 15 etwas enger zugeht, da sind die Spielräume nicht so groß, aber ab 15/16 sind die Spielräume bei rund zehn Milliarden. Da, glaube ich, kann auch diese Koalition, auch wenn es ums Geld geht, als Mittel zum Gestalten von Politik letztendlich auch dann dieses in Anspruch nehmen. Aber ich glaube, dass man Politik nicht allein nur mit Geld machen kann. Und das beweist ja auch …

    Detjen: … aber es spielt ja doch die entscheidende Rolle. Im Wahlkampf – da darf man das machen – ist viel versprochen worden. Wie teuer das dann wird, haben wir nie genau herausgefunden, 30, mal 50 Milliarden ist das, was Journalisten zusammengerechnet haben. Wissen Sie eigentlich, wie viel die Pläne und Versprechen kosten würden?

    Tillich: Ich habe mir die Mühe nicht gemacht, das zusammenzuzählen. Weil ich sagte ja gerade auch, die Frage zum Beispiel in dem Bereich der Rentenversicherung, wenn es um die Mütterrente geht, dort hat man ganz deutlich gesagt, man hat im Prinzip die notwendigen Spielräume auch in der Rentenversicherung. Wenn es um die Frage zum Beispiel auch des Infrastrukturausbaus geht, dort haben wir schon auf dem Bundesparteitag deutlich gesagt, dort müssen wir auch etwas machen und dafür müssen wir auch das Geld zur Verfügung stellen. Und das bedeutet ja nicht weiß Gott immer nur, dass man also quasi zusätzliches Geld braucht, sondern dass man die Prioritäten im Haushalt auch anders setzt.

    Detjen: Jetzt bleiben wir bei dem ersten Beispiel, das Sie genannt haben: Mütterrente. Da soll in die Rentenkassen gegriffen werden, obwohl es eigentlich um eine Aufgabe geht, die nicht aus dem Generationenvertrag herkommt, sondern die eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Also ehrlicherweise müsste man eigentlich den Staatszuschuss zu den Rentenversicherungsträgern erhöhen.

    Tillich: Es gibt ja einen Staatszuschuss, den man bisher auch schon gewährt, auch bei dieser guten Rentensituation, die wir momentan haben. Und jetzt ist es eine Frage – so wie Sie es ja gerade nachgefragt haben –, so könnte ich Ihnen jetzt sofort darauf antworten, es ist auch beabsichtigt, den Teil, den man dafür braucht für die Mütterrente, der wird im Prinzip aus dem Staatszuschuss gezahlt. Das heißt also, die ursächlichen Rentenbeiträge müssen dafür nicht in Anspruch genommen werden.

    Detjen: Aber das ist ja ein Thema, das weit in die Zukunft reicht, auch künftige Generationen belasten wird. 30, 40 Jahre wird es dauern, bis diese Finanzierungsaufgabe, die man sich da vornimmt, abgearbeitet ist. Also man macht jetzt Verträge und die Rechnung kriegen dann spätere Regierungen.

    Tillich: Ja, nicht nur die späteren Regierungen, sondern vor allem hier geht es ja nicht um die Regierungen, sondern es geht um die Menschen im Land …

    Detjen: … spätere Generationen, ja …

    Tillich: … und den Rentner, der zukünftig – also ich denke da so an meine Kinder und deren Rente, wie auch vielleicht noch sogar an die eigene, die ja auch noch eine gewisse Zeit auf sich warten lässt. Also lange Rede, kurzer Sinn, worauf es hier drauf ankommt, ist, dass ein Stück Ungerechtigkeit –die ja entstanden ist durch eine Jahreszahl 1992 – auch ausgeglichen wird. Das, glaube ich, ist auch allen bewusst, dass es aber auch gleichzeitig nicht weitergehen kann in diesem Maß wie bisher, weil man natürlich auch an die Belastung der zukünftigen Generationen auch denken muss und gleichzeitig deutlich zu machen – auch als Partei, die sich der Familienpolitik nicht nur zuwendet, sondern sie auch macht –,dass man auch diese Ungerechtigkeit bei Müttern vor 1992 und nach 1992 quasi beseitigt. Das war unser politisches Ziel und das werden wir damit auch erreichen.

    Detjen: Aber jetzt sind wir ja in einer Phase, wo zumindest in der Öffentlichkeit jeder erst mal seine Wünsche auf den Tisch gelegt hat. Mütterrente als Wunsch der CDU haben Sie genannt, Verkehrsinfrastruktur wollen alle, die CSU will nicht aufs Betreuungsgeld verzichten, die Kommunen, die Ländern, für die Sie stehen, brauchen unbedingt Hilfen, um die Vorgaben des Fiskalpaktes zu erfüllen – also jetzt müssen Prioritäten gesetzt werden.

    Tillich: Das ist korrekt, jetzt müssen Prioritäten gesetzt werden, und das wird auch ein sicherlich schwieriger Prozess in den Koalitionsverhandlungen nach wie vor bleiben. Man muss ja immer noch mal berücksichtigen, vor dem Wahlabend war ja die SPD eigentlich auch politisch angetreten, mit den Grünen zusammen eine andere Republik zu wollen, nämlich eine andere, wie Schwarz-Gelb das wollte. Und deswegen wird ein solcher Prozess zum Koalitionsvertrag kein Zuckerschlecken sein, sondern es wird letztendlich eine Annäherung stattfinden und dort wird der ein oder andere auf seine politischen Ziele letztendlich auch verzichten müssen bzw. wird Abstriche machen müssen. Das haben Koalitionsverhandlungen an sich.

    Detjen: Welche Bewegungen haben Sie denn da schon gesehen?

    Tillich: Wir sind ja erst am Anfang. Also die Arbeitsgruppen tagen und in den verschiedensten Bereichen. Es gibt Einigkeit gerade auch im Bereich der erneuerbaren Energien und der Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Dort will man die Kosten ein Stück dämpfen. Umgekehrt gibt es …

    Detjen: … unter lauten Protesten der Wirtschaft, die Sie auch brauchen.

    Tillich: Ja gut, die Wirtschaft weiß, dass sie tatsächlich die Wettbewerbsfähigkeit ... und das war ja auch das Petitum des sächsischen Ministerpräsidenten immer wieder, wir müssen uns die Frage des Strompreises als eines der wichtigsten Wettbewerbs Vor- oder Nachteile immer wieder stellen. Das heißt, Investitionen müssen ja getätigt werden, die werden ja gegenwärtig nicht getan. Ich habe gerade die Nachricht gestern bekommen als Ministerpräsident, dass Alstom bei uns in einem Werk momentan keine Aufträge mehr hat. Weil eben bei klassischen Kraftwerken, die bisher im Prinzip große Kessel brauchten, dort sind die Aufträge auf Null gesunken. Das heißt, die Menschen werden entweder ihre Arbeit verlieren oder wir schaffen es, neue Aufträge an Land zu ziehen. Das ist die Situation, wie wir sie haben. Es investiert gegenwärtig keiner, weil die Unsicherheit da ist, deswegen brauchen wir schleunigst eine Entscheidung.

    Detjen: Eine neue Finanzquelle scheint sich die sich anbahnende Koalition schon erschlossen zu haben für den Bereich der Verkehrsinfrastruktur-Investitionen. Das ist die Maut. Ihr Kollege Horst Seehofer hat – wenn wir das richtig hören – die Kanzlerin rumgekriegt.

    Tillich: Gut, das ist in den Sondierungsgesprächen relativ deutlich geworden, dass ein Beitrag ... wir sind drei Koalitionspartner: CDU, CSU und SPD, dass jeder dieser Koalitionspartner natürlich auch seine Prioritäten und Prämissen hat, die er in die Verhandlung einbringt, das ist, glaube ich, nachvollziehbar. Da spielt für die bayerische CSU natürlich die Maut eine starke Rolle. Und wenn man das richtig macht, kann sie dazu auch beitragen, dass der deutsche Autofahrer sich nicht nur dadurch im Prinzip ungerecht behandelt fühlt, dass er im Ausland seine Beiträge zahlen muss und umgekehrt ausländische Fahrer in dem Transitland Deutschland dazu nicht beitragen müssen, dass die Verkehrsinfrastruktur erhalten bleibt. Aber es muss natürlich europakonform sein, und da sind noch einige Schritte zu tun, das ist noch nicht so weit.

    Detjen: Mit den europarechtlichen Einwänden hat ja auch die Bundeskanzlerin ihr kategorisches "Mit mir nicht" aus dem Fernsehduell mit Peer Steinbrück begründet. Sehen Sie denn, wie diese europarechtlichen Hürden überwunden werden könnten?

    Tillich: Im Unterschied zu Ihnen bin ich kein Jurist. Ich sehe aber, dass im Prinzip die Gespräche mit Brüssel in dieser Angelegenheit – also ich vermute mal – sogar von den Bayern vorher geführt worden sind und jetzt intensiviert werden.

    Detjen: Aber auch die Kommission hat das, was da als Ja verkauft, als Zustimmung schon verkauft worden ist aber doch gleich wieder zurückgenommen?

    Tillich: Ja gut, man hat auf eine Anfrage eines Abgeordneten reagiert und die Medien haben daraus im Prinzip schon eine Zustimmung der Kommission gemacht. Das ist natürlich auch eine Interpretation ...

    Detjen: … das war die CSU!

    Tillich: Na ja, also ich glaube zumindest, dass dann also sich die Kommission bemüßigt fühlt, noch mal zu sagen: Erst einmal wollen wir ein Konzept haben und dann können wir über dieses Konzept entscheiden. Das ist der normale Prozess.

    Detjen: Steuererhöhungen haben Sie weiterhin kategorisch ausgeschlossen – gilt das auch für die Verbrauchssteuern? Bei der letzten Großen Koalition kamen Union und SPD ja schnell bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer zusammen.

    Tillich: Wenn ich von Steuererhöhungen spreche, dann meine ich natürlich auch die Verbrauchssteuer, das ist, glaube ich, eingeschlossen. Und ich weiß auch, wenn man … also es ist auch oftmals diskutiert worden, ob man noch im Bereich der Mehrwertsteuer noch die Ungerechtigkeiten zwischen 7 und 19 Prozent noch ausgleichen soll. Das werden die Gespräche jetzt weiter führen. Da gibt es ja wohl das Ansinnen, dass man an die Hotelsteuer und an die Erleichterung ran will seitens der SPD. Ich glaube, dass wir auch in diesem Bereich also eigentlich deutlich und nicht eigentlich, sondern wir deutlich gesagt haben: Auch die Verbrauchssteuern schließen wir – weil sie auch eine Steuer ist – bei den Steuererhöhungen eben aus.

    Detjen: Das heißt, Sie schließen auch Bereinigungen im Bereich der ermäßigten Mehrwertsteuersätze oder bei den – was ein Fehler der letzten Koalition im Nachhinein war – Hotelsteuern aus?

    Tillich: Es ist eine Arbeitsgruppe gegründet worden auf Wunsch der SPD, die sich mit gerade auch solchen Fragen, also Subventionsabbau und anderen Fragen, beschäftigt, wo bekommt man aus dem bestehenden System auch noch Geld zusätzlich her, also wie man so schön sagt: "flüssig machen". Diese Arbeitsgruppe wird Vorschläge unterbreiten und danach können wir dann darüber diskutieren, ob die auch mehrheitsfähig sind.

    Detjen: Herr Ministerpräsident, ein Thema haben wir schon angesprochen, das ist das Thema, ist die Aufgabe, die Finanzen von Ländern und Kommunen zu sanieren. Das wird eine der ganz wichtigen, großen Aufgaben für diese Große Koalition sein. Der Fiskalpakt – ich hatte es erwähnt – muss mit strikten Fristen umgesetzt werden. Wie weit sind Sie?

    Tillich: Also, wir haben ja auf der Ministerpräsidentenkonferenz in Heidelberg uns auch darauf verständigt unter den Ministerpräsidenten, dass wir es als opportun ansehen, dass die Koalitionsverhandlungen einerseits stattfinden, aber gleichzeitig wir dann im Prinzip zügig auch an die Lösung der Finanzbeziehungen zwischen den Ländern und zwischen den Ländern und dem Bund herangehen, damit wir rechtzeitig – spätestens im Jahr 2017 – im Prinzip ein Konzept haben, das wir, wenn der Länderfinanzausgleich 2019 ausgelaufen ist, dann auch eine Anschlussregelung haben. Das heißt, wir sehen es nicht als machbar an und nicht als klug an, dass in den Koalitionsverhandlungen irgendwelche Eckpfeiler über das Maß hinaus festgeklopft werden, die also dazu führen, dass dann schon Vorfestlegungen auf den Länderfinanzausgleich gemacht werden. Gleichwohl erwarten wir natürlich, dass der Bund seine Zusagen einhält, was die Eingliederungshilfe anbetrifft. Das würde die Kommunen und zum Teil auch die Länder entlasten – da gibt es ja unterschiedliche …

    Detjen: Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen ...

    Tillich: Genau, so ist das. Und das Zweite ist, dass ich davon überzeugt bin, dass in dem Bereich, wo zum Beispiel der Bund in der Vergangenheit Programme aufgelegt hat und sie jetzt auslaufen lässt und sagt: Jetzt kümmert ihr euch mal da drum. Also ein schönes Beispiel ist die Schulsozialarbeit, dass wir also da auch mit dem Bund immer einiger werden, dass der Bund weiß, dass er das nicht mehr tun soll. Darüber waren sich die Ministerpräsidenten auch einig. Es kann nicht sein, dass der Bund etwas anfängt und anschließend sagt: Und jetzt macht ihr das mal weiter, sondern da muss dann eine konsequente Fortfinanzierung auch gesichert sein.

    Detjen: Das Deutschlandfunk-Interview der Woche, heute mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich. Herr Ministerpräsident, Ihre Kollegen, Horst Seehofer und Hannelore Kraft, werden die Bühne des Bundesrates mit ihren spezifischen Landesinteressen in den nächsten Jahren dominieren. Seehofer hat die Koalitionsverhandlungen ja schon im Wahlkampf mit einem Bayernplan eröffnet. Hannelore Kraft macht immer wieder deutlich, ihr geht es vor allem um Nordrhein-Westfalen, auch um den Machterhalt in Bayern. Und Sie haben nächstes Jahr auch eine Kommunalwahl und eine Landtagswahl in Sachsen. Was müssen Sie für Sachsen von diesen Koalitionsverhandlungen in Berlin nach Hause mitbringen?

    Tillich: Ja, ich muss mitbringen, dass es keine Steuern gibt, dass wir mit dem Geld auskommen, was wir haben. Dass wir gleichzeitig aber auch nicht für die Schulden anderer eintreten. Die Sachsen haben ordentlich gewirtschaftet. Und wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands behalten. Und Sachsen will ja auch unabhängiger von den Geldtöpfen anderer werden, das heißt, die Entwicklung der Forschungs- und Innovationsausgaben, die ist für uns natürlich extrem wichtig.

    Detjen: Was heißt das konkret? Was stellen Sie sich da vor?

    Tillich: Konkret heißt, dass wir uns die Frage stellen müssen, welche Ausgaben in den Ländern getätigt werden und auf welche, man verzichten muss. Ich kann es zum Beispiel nicht verstehen, dass sich hochverschuldete Kommunen – sei es in Nordrhein-Westfalen oder in anderen Orten – große Kraftwerke einverleiben und anschließend feststellen, dass jetzt da keiner mehr in die Kraftwerke investiert, die Kraftwerke im Prinzip Verluste schreiben, damit letztendlich auch die kommunalen Haushalte belastet werden. Das sind Fehlentscheidungen, da kann nicht die Allgemeinheit dafür geradestehen, das müssen die verantworten, die diese Fehlentscheidung auch getroffen haben. Das waren die kommunalen Aufsichtsräte und das waren im Prinzip diejenigen, die sie beraten haben. Und da, glaube ich, da müssen wir etwas auch deutlicher sagen, dass die Verantwortung, wo sie dann da auch da ist, auch wahrgenommen werden muss. Trotzdem …

    Detjen: Aber was heißt das für den Bereich Bildung, den Sie angesprochen haben?

    Tillich: Ja, für den Bereich Bildung heißt das, dass gerade auch die Bundesländer, die bisher also in den Bereichen noch Möglichkeiten der Verbesserung haben, natürlich auch die Prioritäten in den eigenen Haushalten setzen müssen. Sie müssen sich die Frage stellen, ob vielleicht die kostenfreie Kinderbetreuung die große Priorität ist oder ob es nicht besser ist, im Prinzip vielleicht in das Schulsystem stärker zu investieren. Wobei auch nicht das meiste Geld alleine immer nur erfolgreich … also den Erfolg voraussetzt, sondern ich muss mir die Frage stellen: Wie setze ich das Geld ein, damit der Erfolg sich einstellt? Und diese Diskussion muss man in den Ländern führen, das ist auch eine eigenen Länderzuständigkeit und da gehört es auch hin.

    Detjen: Es gibt ja gerade eine sich anbahnende Einigung darüber, das Kooperationsverbot, dass man gerade in den letzten föderalen Veränderungen eingeführt hat, wieder aufzuheben, um die Verflechtungen zwischen Bund und Ländern wieder zu verstärken.

    Tillich: Das ist korrekt. Aber das beschränkt sich auf den Hochschulbereich, weil man im Hochschulbereich mittlerweile auch die Erfahrung gemacht hat – und es ist auch legitim, dass die Politik auch noch mal dazulernt –, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen immer teurer werden, dass hier eine Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern sich auch sehr bewährt hat – gerade bei den drei Pakten, die wir in der Vergangenheit hatten: Pakt für Forschung und Innovation, Hochschulpakt und Innovationspakt, dass in diesen drei Bereichen also der Bund mit seinen Mitteln uns geholfen hat. Und letztendlich die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beruht gerade auch auf diesen Erfolgen, die wir in dem Bereich gehabt haben. Und damit das verfassungsgemäß auch zukünftig weitergehen kann, muss es hier die Aufhebung des Kooperationsverbotes geben. Gleichwohl ist die weitergehende Forderung, auch das Kooperationsverbot bei den Schulen einzuführen. Da sind wir aber dann bei dem Punkt, dann können wir gleich sagen: Dann ist Schule auch Bundesaufgabe. Und da, glaube ich, sind die Ländervertreter, die das wieder wollen, die wollen einerseits das Geld, aber wollen sich von demjenigen, der das Geld gibt, nicht sagen lassen, wofür sie das Geld verwenden dürfen oder sollen. Da, glaube ich, gehört dann die Ehrlichkeit auch dazu, da muss ich dann das eigene Geld nehmen, dann kann ich auch darüber bestimmen, wofür ich es einsetze.

    Detjen: Herr Ministerpräsident, Sie führen in Sachsen eine der selten gewordenen Regierungen, in der die Union mit der FDP zusammen regiert. Sind Sie im Vorfeld der Landtagswahlen nächsten Sommer auch schon auf der Suche nach neuen Koalitionsoptionen?

    Tillich: Also, wir versuchen bei dem Wähler mit unserer Politik zu überzeugen und um das Vertrauen weiter zu werben. Und wir haben in den letzten 23 Jahren in Sachsen das Vertrauen der Wähler immer wieder auch aufs Neue bestätigt bekommen, aber gleichzeitig auch nicht nachgelassen, das Land weiterzuentwickeln und weiter auch um dieses Vertrauen zu werben.

    Detjen: Das nimmt jeder Regierungschef für sich in Anspruch, aber es geht ja konkret um die Frage: Umgang mit der FDP. Und da hat die Union in diesem Jahr zwei Modelle, zwei Mustermodelle sozusagen entwickelt. In Niedersachsen Anfang dieses Jahres das Modell ‚Leihstimmen für die FDP’, in der Bundestagswahl eine rigide Anti-FDP-Zweitstimmen-Kampagne. Beide Modelle waren nicht richtig erfolgreich – wie machen Sie es?

    Tillich: Also ich könnte Ihnen jetzt darauf antworten, wir kämpfen ja nicht für eine Wahl, wo wir mit einem Koalitionspartner im Prinzip in die Wahl schon gehen wollen, sondern wir kämpfen für uns und das ist, glaube ich, auch das Richtige. Ich werde ein Wahlprogramm mit meiner Partei im Januar verabschieden, und wir werden dann mit diesem Wahlprogramm bei den Bürgern um Zustimmung werben. Und der Bürger wird dann die Entscheidung treffen, ob er uns dieses Vertrauen ausspricht. Wenn er das tut, dann stellt sich die Frage nach einem Koalitionspartner nicht; kriegen wir die Zustimmung nur in bestimmten Bereichen für das Wahlprogramm und der Bürger sagt, da muss dieser oder jener Aspekt auch mit berücksichtigt werden, dann werden andere Parteien für diese Aussagen ihre Unterstützung bekommen und dann werden wir am Ende des Tages entscheiden müssen: wer mit wem.

    Detjen: Also keine Hilfe für den notleidenden Koalitionspartner?

    Tillich: Keine Hilfe für den notleidenden Koalitionspartner. So notleidend ist der auch nicht. Die FDP in Sachsen ist genauso selbstbewusst wie die anderen politischen Parteien.

    Detjen: Der nächste wichtige Stimmungstest wird die Wahl zum Europaparlament im Frühjahr sein. Wie gefährlich ist die neue Alternative für Deutschland noch für Sie?

    Tillich: Also, die Alternative für Deutschland ist ja eine Partei, die momentan immer wieder auch genannt bzw. im Gespräch ist. Sie hat es in relativ kurzer Zeit geschafft auch bei der Bundestagswahl ein durchaus bemerkenswertes Ergebnis zu erreichen, ohne dass sie – so ähnlich wie auch am Anfang die Piraten – mit Inhalten überzeugen konnten. Und das ist an und für sich das, was mir die Sorgen bereitet, dass diejenigen, die versuchen, mit Parteiprogrammen, die versuchen auch mit ganzheitlichen Konzepten, die alle gesellschaftlichen Gruppen auch berücksichtigen, um die Gunst des Wählers zu werben, es sehr schwer haben, aber gleichzeitig es Gruppen gibt, die mit wenigen Themen manchmal sehr populistisch auch dabei vorgetragen sehr schnell auch Erfolge erfahren. Und da müssen wir uns, also in den großen Volksparteien, natürlich die Gedanken machen, was können wir anders machen, damit wir eben diese Wählergruppen, die scheinbar einfachere Lösungen präferieren, dass wir diese Wähler wieder für uns gewinnen. Und damit heißt das, dass wir ihnen auch erläutern, dass in der Politik es genauso ist wie im Leben, dass alles miteinander zusammenhängt.

    Detjen: Herr Ministerpräsident, es ist eben schon angeklungen, Sachsen lebt zu großen Teilen von der Kraft der Halbleiter- und Chipindustrie – das ist ein weltweites Geschäft. Belasten Sie die Verstimmungen, die wir im Augenblick im Zusammenhang mit der NSA-Affäre haben, die ja auch was mit Hightech-Computern zu tun hat, mit Blick auf die sächsische Wirtschaft, auf die Hightech-Industrie in Ihrem Bundesland?

    Tillich: Also, Sachsen hat in den letzten 20 Jahren erfolgreich im Prinzip eine moderne Industrie aufgebaut, die eben heutzutage überall verwendet wird, von der Zahnbürste bis zum Flugzeug, nämlich die Halbleiter. Und ich glaube, dass wir etwas nachgewiesen haben, dass das noch in Europa, dass das noch in Deutschland geht. Wir haben heute Kommunikationstechnik, wir haben Computertechnik, die meistens aus dem Ausland bezogen wird und die macht uns natürlich anfälliger für Hintertüren, die sich NSA und andere Geheimdienste schaffen, ob das über Microsoft, über Softwareprogramme geht, ob das über die Hardware geht, bei Routern oder Ähnlichem. Und deswegen plädiere ich ganz stark dafür, dass wir in einer europäischen Zusammenarbeit natürlich auch mit Grenoble, einem Standort der Halbleiterindustrie, mit Leuven, einem Standort in Belgien und natürlich Sachsen und Deutschland – Bosch ist ja auch noch auf dem Markt unterwegs und Siemens – eben eine Allianz schmieden, die uns, Europa, die Möglichkeit überhaupt wieder eröffnet, eben nicht abhängig zu sein von Dritten und damit letztendlich auch für die Bürger mehr Sicherheit zu gewährleisten.

    Detjen: Also ein digitales Airbus-Projekt?

    Tillich: Ein digitales Airbus-Projekt, aber dann natürlich auch mit einer Zusammenarbeit – richtig – zwischen Europa und Deutschland; Sachsen alleine kann das nicht stemmen.

    Detjen: Gerade im Bereich der Luftfahrtindustrie haben wir gelernt, dass es bei den Geheimdienstaktivitäten der NSA auch um Wirtschaftsspionage geht. Die Repräsentanten von Airbus können Ihnen das erzählen, wie das ist, wenn man dann mit Boeing und den großen amerikanischen Luftfahrt- und Rüstungskonzernen verhandelt, die sich offenkundig auch mit Geheimdienstinformationen für den Bieterwettbewerb rüsten. Sind Sie sicher, dass Sie da vor solchen Aktivitäten geschützt sind?

    Tillich: Also sicher werden wir mit Sicherheit nicht sein können. Aber die Frage stellt sich doch: Wie verbessere ich die Voraussetzungen? Gegenwärtig sind wir gänzlich abhängig und immer mehr abhängig von der Technologie und dem Know-how, das andernorts entwickelt wird. Also ein anderer Bereich ist zum Beispiel für mich, wir sind sehr stark im Automobilbau – das kann mittlerweile Tata in Indien genauso, Autos bauen –, die Frage ist doch: Wo ist im Prinzip der Mehrwert? Und der Mehrwert, der werkelt in der Regel im Prinzip unter der Motorhaube oder ist heutzutage … also ein Auto wird mehr und mehr zum iPhone auf Rädern … jetzt habe ich schon iPhone gesagt, das ist ein amerikanisches Produkt. Das heißt also, wenn ich möchte, dass dieses auch in Deutschland produzierte Auto zukünftig auch verkauft werden kann, dann muss ich mehr Know-how auch selbst entwickeln. Das heißt also, ich muss die Wertschöpfungskette versuchen, auch im eigenen Land zu halten. Dazu gehört aber zum Beispiel auch ein Mikrowellen-Elektronik-Chip, dazugehört aber auch zum Beispiel eine Batterie für den Elektroantrieb und die Batteriesteuerung. Das sind alles Fragen, die sich zukünftig auch noch stärker stellen werden. Und wenn ich Sicherheit für den Bürger haben möchte – gerade auch in der Frage der Ausspionierung –, wenn ich also die eigenen Verschlüsselungstechnologien in Deutschland entwickle – so wie das auch in Deutschland noch passiert –, aber ich muss natürlich auch die Voraussetzungen dazu schaffen, dass sie dann auch eingesetzt wird. Das, glaube ich, da haben wir in den vergangenen Jahren nicht die notwendige Aufmerksamkeit darauf gerichtet. Diese Unternehmen haben dann im Ausland Erfolge gefeiert, aber nicht in Deutschland.

    Detjen: Herr Ministerpräsident, am Ende unseres Gesprächs eine Frage, die auch uns selbst, diesen Sender, in dem wir uns hier unterhalten, den Deutschlandfunk, das Deutschlandradio, betrifft. In der zurückliegenden Woche wurde in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht über den ZDF-Staatsvertrag verhandelt, es ging um die Frage des Einflusses der Politik, des Staates auf die Aufsichtsgremien des öffentlich rechtlichen Rundfunks. Von den Auswirkungen eines Urteils, das da zu erwarten ist, werden wahrscheinlich auch ARD-Sender, auch das Deutschlandradio betroffen sein. Die Beobachter der Verhandlung gehen davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht den Staatsvertrag an dieser Stelle für verfassungswidrig erklären wird. Da kommt also eine Aufgabe auf die Medienpolitik zu, und Ihr Land Sachsen spielt da eine herausgehobene Rolle. Der Chef Ihrer Staatskanzlei war in Karlsruhe, um den ZDF-Staatsvertrag dort zu verteidigen. Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, wie man die Aufsicht über uns, über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk neu ordnen kann?

    Tillich: Also, wir werden erst mal das Urteil natürlich dann auch nicht nur abwarten, sondern wir werden es dann auch konsequent umsetzen. Aber jetzt einmal vielleicht auch die grundsätzliche Frage, es kann nicht sich auf die Aufgabe reduzieren, dass die Rundfunkanstalten ihren Gebührenbedarf anmelden, die KEF diesen nur prüft und feststellt, der ist auch sachgerecht zusammengestellt worden und dann im Prinzip die Landtage in 16 Ländern also quasi diese Gebührenerhöhung und damit auch die politische Verantwortung für diese Gebührenerhöhung übernehmen. Da müssen wir eine vernünftige Form finden, es kann sich nicht auf die Aufgabe reduzieren, dass wir das Geld beschaffen, aber nicht sagen dürfen, was mit diesem Geld passiert.

    Und ich glaube, dass wir auf einem guten Wege sind, Sachsen hat sich da insbesondere auch dafür eingesetzt. Wir sind jetzt mit den Intendanten im Gespräch, dass die Gebührenstabilität über die nächsten Jahre auch gewahrt werden muss. Wir sind von den auch erfolgreich gewesen bei der Umstellung von den Gebühren auf die Beiträge. Und als Drittes, es gibt ja auch im Bereich der Öffentlich-Rechtlichen mittlerweile auch deutliche Signale, dass man weiß, dass man mit dieser Gebührenerhöhung nicht rechnen kann, dass man also auch die in die Programminhalte konzentriert. Und das ist alles in Einvernehmen passiert. Was der Auslöser der Klage, auch der Rheinland-Pfälzer in Karlsruhe ist, ist im Prinzip eine Geschichte, die damals bei der Besetzung des ZDF-Chefredakteurs eine Rolle gespielt hat. Und wenn Sie sich die heutigen Entscheidungen, also auch sowohl im Fernsehrat wie im Verwaltungsrat, dem ich ja selbst angehöre, anschauen, also Drei-Fünftel-Mehrheiten, auch zu personellen Besetzungen, die bekommen Sie ganz, ganz selten. Solche großen politischen Mehrheiten haben Sie auch ganz selten, das heißt, das muss quasi im Konsens passieren. Und schaut man sich jetzt auch den weitestgehenden staatseigenen Sender, nämlich die Deutsche Welle an, da ist also durchaus auch im Konsens jemand als Intendant eingesetzt worden, der durchaus ein Medienprofi ist und nicht irgendwo dem einen oder anderen politischen Lager nahe steht in dem Sinne, dass er dafür irgendwo bekannt geworden ist. Also ich glaube, dass die Politik schon auch besonnener ist, in dieser Angelegenheit als das ja gelegentlich unterstellt wird.

    Detjen: Das Karlsruher Urteil kommt Anfang nächsten Jahres, dann hören wir uns wieder. Herr Ministerpräsident, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Tillich: Ich danke Ihnen auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.