Tobias Armbrüster: Union und SPD haben in ihren Koalitionsverhandlungen einen Kompromiss gefunden beim schwierigen Thema Familiennachzug für Flüchtlinge. Das Ganze galt als einer der ganz großen Stolpersteine in diesen Gesprächen.
Am Telefon ist jetzt Eva Högl. Sie ist Fraktionsvize der SPD im Bundestag und sie ist mit dabei in den Koalitionsverhandlungen. Schönen guten Tag, Frau Högl.
Eva Högl: Schönen guten Tag, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Frau Högl, können wir festhalten: Die SPD hat hier klein beigegeben?
Högl: Nein! Das ist ein Erfolg für die SPD. Wir haben als ersten wichtigen Schritt eine Einigung. Das entspricht dem, was wir bei den Sondierungen mit CDU und CSU auch vereinbart haben. Wir werden zunächst bis längstens 31. Juli 2018 den Familiennachzug weiter ausgesetzt lassen. Und wir haben uns dann verständigt, dass wir danach eine Neuregelung in Kraft treten lassen, die wir bis dahin entwickeln, nach der es dann wieder Familiennachzug geben wird. Deswegen ist das ein Erfolg für die SPD in zwei Punkten. Erstens: Wir haben diese Frist in den Gesetzentwurf reingeschrieben, 31. 7. 2018. Das war uns wichtig. Und nur mit der SPD wird es überhaupt wieder Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte geben.
Armbrüster: Aber Tatsache ist auch, es bleibt bei der Obergrenze. Die haben Sie festgeschrieben: 200.000, 180 bis 220.000. Tausend Personen zusätzlich pro Monat, die mit Familiennachzug kommen dürfen. Und daneben eine Härtefallregelung, von der wir aber wissen, dass sie im vergangenen Jahr etwa 100 Leute nach Deutschland gebracht hat. Das können Sie jetzt nicht wirklich als Erfolg verkaufen.
Högl: Das war heute alles noch gar nicht Gegenstand der Einigung, denn das wird weiter verhandelt. Worum es heute ging war, tatsächlich nur diesen ersten Schritt zu machen und die Aussetzung des Familiennachzugs noch zu verlängern. Wir haben bei der Einigung heute noch nicht vorgegriffen auf die künftige Neuregelung.
Wir haben allerdings schon mal gesagt, dass auf jeden Fall ab 1. August überhaupt wieder Menschen zu uns kommen dürfen, nämlich die Familienangehörigen von sogenannten subsidiär Schutzberechtigten, also Kriegsflüchtlingen, Bürgerkriegsflüchtlingen, und wir haben uns verständigt, dass es kein individueller Anspruch mehr sein soll, sondern stattdessen eine Kontingentlösung, also tausend pro Monat, 12.000 im Jahr, und zusätzlich können auch Personen zu uns kommen, die unter eine sogenannte Härtefallregelung fallen.
"Das kann ich gegenüber den SPD-Mitgliedern wunderbar vertreten"
Armbrüster: Dann wollen Sie das Ganze sozusagen noch einmal neu verhandeln, wenn die Koalition steht. – Dann müssen Sie uns jetzt nur kurz erklären: Wie wollen Sie das Ihren Mitgliedern als Erfolg verkaufen?
Högl: Zunächst einmal ist es wichtig zu betonen, dass für viele in der SPD der Familiennachzug aus guten Gründen wichtig ist, denn wir wissen auch, dass Integration nur mit der Familie gelingt und dass sich niemand auch hier in unserem Land sicher und wohl fühlt, wenn er die Liebsten im Heimatland noch in großer Gefahr weiß. Für viele in der SPD ist der Familiennachzug ein wichtiger Punkt. Wir wollen ihn steuern und staffeln. Das ist für die SPD auch ganz wichtig, dass es geordneten Zuzug gibt. Deswegen haben wir uns verständigt auf diese tausend pro Monat. Das heißt – und das kann ich gegenüber den SPD-Mitgliedern wunderbar vertreten – erstens ein geregelter, legaler, gesteuerter Zuzug. Und zweitens: Wir ermöglichen den Familiennachzug wieder. Das gibt es tatsächlich nur, wenn die SPD in einer Koalition beteiligt ist.
Armbrüster: Das ist aber, Frau Högl, doch nichts anderes als das, was im Sondierungspapier auch schon drinsteht.
Högl: Wir waren aber ja jetzt aufgefordert, im Deutschen Bundestag – und das werden wir am Donnerstag beschließen – bereits den ersten Schritt zu machen. Denn der Familiennachzug, die Aussetzung läuft ja aus am 16. März, und wir mussten uns jetzt schon verständigen aus Fristgründen darauf, was machen wir denn danach. Deswegen haben wir gesagt, wir verlängern jetzt erst mal die Aussetzung, und dann werden wir eine Neuregelung verhandeln.
Armbrüster: Und das, wie es danach weitergehen soll, da wollte sich die Union jetzt noch nicht auf Gespräche einlassen?
Högl: Nein, darüber führen wir Gespräche. Wir verhandeln das jetzt bei den Koalitionsverhandlungen auf der Basis des Sondierungsergebnisses. Dann werden wir etwas in den Koalitionsvertrag schreiben, wie wir uns die künftige Neuregelung vorstellen. Und auf der Basis, wenn es soweit kommt, dieses Koalitionsvertrages würden wir dann hier im Deutschen Bundestag das Gesetzgebungsverfahren starten.
Armbrüster: Aber die Delegierten auf dem Parteitag, die haben Ihnen doch etwas ganz anderes mit auf den Weg gegeben, dass Sie dieses Thema klären sollen und dass Sie deutlich mehr rausholen sollen für die SPD, als im Sondierungspapier steht.
Högl: Ganz genau, und deutlich mehr rausholen ist natürlich erst mal überhaupt ermöglichen, dass Menschen zu uns kommen. Dann ist die Härtefallregelung eine wichtige Regelung. Die kann man auch noch etwas anders ausgestalten. Daran arbeiten wir auch noch gemeinsam. Und auf dem Parteitag war der Wunsch, dass es eine weitergehende Härtefallregelung geben soll, denn im Jahr 2017 sind über die Härtefallregelung des Paragraphen 22 nur 66 Personen nach Deutschland gekommen. Und wenn man die Härtefallregelung insbesondere im Lichte der UN-Kinderrechtskonvention interpretiert, wenn man das Kindeswohl auch für die Entscheidung heranzieht, dann ist es sicherlich richtig, vielleicht auch noch der einen oder anderen Person mehr den Familiennachzug zu ermöglichen. Daran werden wir weiter intensiv arbeiten.
"Es können schon jetzt Anträge gestellt werden"
Armbrüster: Frau Högl, Sie sprechen jetzt immer wieder von dieser Härtefallregelung. Da sagt jetzt der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt: "Neue Härtefallregelungen, die ein Mehr an Zuwanderung bedeutet hätten, die wird es auch mit dieser Einigung nicht geben."
Högl: Zunächst einmal haben wir ja festgehalten, dass die Härtefallregelungen, die wir schon haben, die Paragraphen 22 und 23, dass die weiter gelten. Alles andere ist jetzt, wie wir die Härtefallregelung ausgestalten, auch noch Gegenstand der Koalitionsverhandlungen und dann des Gesetzgebungsverfahrens.
Was mir aber auch noch wichtig ist, wenn ich das ergänzen darf: Es können schon jetzt Anträge gestellt werden. Das ist auch eine wichtige Botschaft, die wir aussenden. Denn die Familien, die betroffen sind, können sich jetzt schon an die deutschen Auslandsvertretungen wenden und ihre Anträge schon mal einreichen.
Armbrüster: Dann sagen Sie uns: Wieviel an Mehr an Zuwanderung wird die SPD noch rausholen in den weiteren Gesprächen?
Högl: Das kann ich Ihnen nicht sagen.
Armbrüster: Oder wird es weiter bei diesen etwa 100 Härtefällen pro Jahr bleiben?
Högl: Das kann ich Ihnen noch nicht sagen, weil ich da den Verhandlungen vorgreifen würde, und das ist tatsächlich noch Gegenstand unserer Koalitionsverhandlungen.
Armbrüster: Wie wollen Sie das Ihren Mitgliedern erklären? Muss ich noch mal fragen.
Högl: Das werden wir am Ende gut begründen können. Wir werden hoffentlich ein gutes Ergebnis finden. Die Einigung heute ist schon mal ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Und ich sage es noch mal: Nur mit der SPD wird es überhaupt möglich sein, den Menschen den Familiennachzug zu ermöglichen, die in Bürgerkriegsländern leben und von dort zu uns fliehen und hier Schutz und Sicherheit haben wollen. Ich glaube, das kann man in der SPD gut diskutieren. Das wird, so hoffe ich doch, auf Zustimmung treffen in der SPD.
Armbrüster: Aber vor allem die CSU kann sagen, wir haben uns durchgesetzt.
Högl: Das ist jetzt ein Hin und Her, wer hat sich durchgesetzt. Ich lege immer großen Wert darauf, dass es gut ist, wenn wir Kompromisse finden, die beide Seiten gut vertreten können gegenüber ihren Mitgliedern und den interessierten Kreisen, und wenn das in diesem Fall so ist, dass beide mit gutem Gefühl rausgehen, dann ist es doch ein echter Erfolg.
Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Eva Högl von der SPD, Fraktionsvize ihrer Partei im Bundestag und mit dabei in den Koalitionsgesprächen in Berlin. Vielen Dank, Frau Högl, für Ihre Zeit heute Mittag.
Högl: Ich danke auch!
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