Jule Reimer: Leer, nichtssagend, vernichtend fällt das Urteil der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft über die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen im Bereich Landwirtschaft aus. Die ABL vertritt relativ wenige Bauern im Vergleich zum Deutschen Bauernverband, aber jene kleinere und mittelgroße Landwirtschaftsbetriebe, die nicht unbedingt streng ökologisch wirtschaften, aber für sich beanspruchen, im Gegensatz zur großen Linie des Deutschen Bauernverbandes, stärker auf Tierwohl und Artenschutz bei der Bewirtschaftung ihrer Höfe zu achten.
Die Kritik der ABL entzündet sich vor allem an den vagen Vorgaben zum Tierschutz im Stall, zum Beenden des Tötens männlicher Küken und der Einführung einer Fleischkennzeichnung – alles Dinge, die der derzeit noch amtierende Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt doch eigentlich seit mindestens zwei Jahren angekündigt, aber nie umgesetzt hat. Und was will jetzt die GroKo?
Am Telefon in Berlin ist Carsten Neßhöver, Generalsekretär des Sachverständigenrates SRU, der die Bundesregierung bei Umweltfragen berät. – Herr Neßhöver, die Landwirtschaft, so der Vorwurf, ist wesentlich beteiligt am Artensterben, an der Gefährdung von Bestäubern von Wildbienen. Wird das Ihrer Ansicht nach in dem, was wir gehört haben, ausreichend berücksichtigt?
Carsten Neßhöver: Zunächst einmal ist es sehr erfreulich, dass man sich des Themas Insektensterben annehmen möchte – ein Thema, das eigentlich schon sehr lange bekannt ist, aber die letzten Jahre doch durch entsprechende Daten noch mal nachträglich belegt wurde. Das ist einerseits erfreulich, dass man sich dem widmen will. Andererseits sieht man aber in den Diskussionen über die Agrarpolitik doch relativ wenig Ansätze, das wirklich grundlegend anzugehen und dort auch an den Grundlagen der Agrarpolitik anzusetzen.
Grüne Säule der Agrarpolitik deutlich ausbauen
Reimer: Wo würden Sie genau ansetzen?
Neßhöver: Wir wissen, dass natürlich die Förderung der Agrarpolitik vor allen Dingen aufgrund der gemeinsamen Agrarpolitik mit der EU passiert. Wir wissen, dass dort die öffentlichen Güter immer noch unzureichend gefördert werden. Es sind hauptsächlich Direktzahlungen, die dort gezahlt werden für die Produktion, und dort müsste man die sogenannte Grüne Säule der Agrarpolitik deutlich ausbauen und vor allen Dingen dort Maßnahmen fördern, die auch wirklich Umwelt- und Biodiversitätsschutz bedeuten. Hier weiß man deutlich besser, was man eigentlich manchen könnte im Verhältnis zu dem, was derzeit getan wird.
Reimer: Gefällt Ihnen das Thema Glyphosat, wie es behandelt wird?
Neßhöver: Wir vom SRU sehen das Thema etwas breiter, dass man allgemein sich über das Thema Pestizide in der Landwirtschaft oder in der Umwelt auseinandersetzen muss. Glyphosat ist da ein wichtiger Ansatzpunkt.
Dünger- und Pestizidnutzung mit Abgaben belegen
Reimer: Hätten Sie es direkt verboten?
Neßhöver: Man muss auch berücksichtigen, dass Glyphosat ein wichtiges Mittel ist und dass seine Wirkungen gut bekannt sind. Das heißt, wir müssen ein adäquates Monitoring der Nutzung haben. Wir brauchen die Datenerhebung für die faktische Nutzung, damit wir sehen, ob es gut eingesetzt wird, und es dann auslaufen zu lassen. Wir müssen das aber als Gesamtbild sehen, dass wir den Pestizideinsatz im Gesamten überwachen und kontrollieren und vielleicht auch über eine Abgabe für Pflanzenschutzmittel allgemein die Nutzung von Pestiziden reduzieren.
Reimer: Gülle, Tierhaltung, was wünschen Sie sich da? Es gibt ja ein neues Gesetz.
Neßhöver: Genau. Die Stickstoff-Problematik in der Landwirtschaft ist hinreichend bekannt, nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch aus Umweltschutzgründen. Wir haben sehr, sehr große Probleme weiterhin, dass wir Nitrat im Grundwasser haben, dass wir unsere Gewässer, auch unsere anderen Ökosysteme mit zu viel Nitrat belasten. Hier muss man weiter sehen, dass man die Düngeverordnung weiter reformiert, dass man die Stickstoff-Überschüsse reduziert, auch eventuell durch eine Abgabe uninteressanter macht. Da ist aber relativ viel Unkonkretes zu lesen oder eigentlich nichts zu lesen in den bisherigen Vorhaben.
Einheitliches Wolfs-Monitoring und -Management
Reimer: Der Wolf, großes Thema auch in der "Bild"-Zeitung heute, und es hat wohl auch zu einigem Eklat gestern bei den Verhandlungen geführt. Ein Gefährder der Nutztiere, oder schützenswert? Wie kommt der Wolfsbeschluss bei Ihnen an?
Neßhöver: Da kann ich jetzt nur als Biodiversitätsforscher sprechen, weniger im Namen des SRU. Wenn man den genauen Text liest, geht er letztendlich auf die Situation ein und sagt, wir müssen uns die Ausbreitung genau anschauen, wir brauchen ein bundeseinheitliches Monitoring und vor allen Dingen auch Management, damit nicht 16 Bundesländer sich jetzt einzeln überlegen, wie man das macht. Man muss die Besitzer von Weidetieren entsprechend entschädigen, das schnell machen, damit dort keine großen Schäden entstehen beziehungsweise sie kompensiert werden. So gesehen liest sich das nicht so dramatisch aus meiner Sicht, wie es ein wenig jetzt in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Das ist ja auch immer ein sehr emotionales Thema.
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