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Koalitionsvertrag
Fricke: sehr viel Wünsch-Dir-was-Finanzierung

Es werde Schwierigkeiten geben, das Versprochene aus dem Koalitionsvertrag zu finanzieren, sagt FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke. Denn in die Finanzplanung seien Steuereinnahmen eingeplant worden, deren Höhe noch nicht feststehe.

Otto Fricke im Gespräch mit Reinhard Bieck | 28.11.2013
    Christiane Kaess: Die solide Finanzierung des Koalitionsvertrags hat Angela Merkel gestern besonders herausgestellt. Mein Kollege Reinhard Bieck hat gestern Abend mit Otto Fricke, dem Haushaltsexperten der FDP, gesprochen. Er hat ihn zuerst gefragt, ob er erfreut ist über die angeblich solide Finanzierung.
    Otto Fricke: Na ja, für mich war bemerkenswert der Satz von Frau Merkel: "Wenn alles normal läuft, dann haben wir das einigermaßen auf finanziell solider Basis." Und da kann ich als Haushälter nur sagen: Ich kenne keine Legislatur, wo alles normal läuft. Das hat es nie gegeben, das wird es nie geben, und damit ist auch schon klar, wie die Argumentation laufen wird, wenn es denn eben schief geht, wo viel für angelegt ist. Dann wird man eben sagen, wer hätte erwartet, dass, und wir konnten ja nicht davon ausgehen, dass die Wirtschaft mal wieder runtergeht, und Ähnliches mehr.
    Reinhard Bieck: Jetzt blicken Sie aber schon in die Zukunft voraus.
    Fricke: Ja.
    Bieck: Gehen wir doch mal von heute aus. Projekte für 28 Milliarden Euro will Schwarz-Rot auf den Weg bringen. Das müsste aber doch angesichts sprudelnder Steuerquellen zu verkraften sein. Oder sind Sie anderer Meinung?
    Fricke: Ja wenn in der Finanzplanung die sprudelnden Steuerquellen nicht schon ganz wesentlich verplant gewesen wären in den letzten Jahren. Es ist noch mal ein wenig was dazugekommen, wenn man die letzte Steuerschätzung nimmt, aber der Großteil ist in der Finanzplanung ja schon drin.
    Es ist nicht so, dass eine Steuermehreinnahme, die im nächsten Jahr kommt, überhaupt noch nicht berücksichtigt worden ist. Und deswegen muss man klar sagen, dass das, was da an Zahlenwerk kommt, sehr viel "wünsch Dir was" ist, sehr viele Risiken darstellt und vor allen Dingen eines, glaube ich, sehr klar macht: Es wird große Schwierigkeiten geben, wie übrigens auch schon in der Koalition CDU/CSU/FDP, das was an Versprochenem kommt dann auch umzusetzen. Weil am Ende: Wer sitzt wieder im Finanzministerium und sagt, tut mir leid, geht doch nicht? – Derselbe Finanzminister wie vorher.
    Bieck: Ich wollte Sie gerade fragen. Von dem Finanzierungsvorbehalt war heute so gut wie überhaupt keine Rede. Wie beurteilen Sie das?
    Fricke: Na ja, ich glaube, dass man den ein bisschen Außen vornimmt. Ich halte es auch für einen großen Fehler, dass die SPD – und da sage ich ganz bewusst aus eigener Erfahrung; man muss ja auch aus eigenen Fehlern lernen – nicht das Finanzministerium übernommen hat. Das erfordert natürlich Mut und das erfordert natürlich auch viel Kraft, aber das wäre notwendig gewesen. Denn wenn man sich genau anguckt – ich glaube, ab der Seite 87, 88 des Koalitionsvertrages -, kann man genau erkennen: Am Ende hat der Finanzminister dieselbe Vorbehaltssituation, wie er sie schon in den letzten vier Jahren gehabt hat. Bei uns war das dann eine Abwehr von Steuersenkungen, und da kann man sich schon überlegen, was das für eine Abwehr dann bei den Sozialdemokraten werden wird.
    Bieck: Aber im Jahr 2015 – so steht es drin – will Schwarz-Rot keine Schulden mehr machen. Das ist doch ein Wort, oder?
    Fricke: Ist ein Wort und ist das, was im Endeffekt vorher von Schwarz-Gelb schon beschlossen worden ist. Nur wenn man dann in die restlichen Kapitel guckt, sieht man, wo überall Mehrausgaben sind. Wo bei der Grundsicherung was dazukommt, wo übrigens auch erhöhte Risiken bei der Frage kommen, wie finanziere ich Rente. Auf den ersten Blick hört sich das ja gut an: Das kriegen wir aus den Mehreinnahmen. Man verschweigt dabei schon mal, dass man zwar nicht die Steuern erhöht, aber eigentlich den Beitragssatz der Rente erhöht, verschweigt, dass man den Zuschuss für die Rentenversicherung erhöhen muss. Und es sind viele andere Dinge mehr, an denen diese kleinen Mehrausgaben kommen.
    Ich empfehle jedem Bürger, weil ich natürlich auch als Liberaler da befangen bin, einfach zu schauen, wie sich die Ausgabenzahlen, nicht das Defizit, sondern die Ausgabenzahlen erhöhen werden, weil daran kann ich erkennen, ob eine Regierung spart oder nicht. Gehen die Ausgaben hoch, dann ist klar erkennbar, das muss ich irgendwie auffangen, und das reicht dann meistens nicht, weil komischerweise am Ende bei Mehrausgaben es immer nicht reicht.
    Bieck: Das Ausland klagt ja laut, die Deutschen würden finanziell an einer zu kurzen Leine gehalten. Das bringe den Binnenkonsum und die Exportleistung in ein eklatantes Missverhältnis. Ist es in dieser Situation nicht genau richtig, etwas Geld unter die Leute zu bringen?
    Fricke: Ja wenn das Geld dann unter die Leute gebracht werden würde mit einem Ziel, dann wäre das gut. Aber es ist ja wieder dieses, ich sage mal, jeder kriegt vom Staat etwas mehr, bezahlt wird es dann später, und da liegt ja die eigentliche Schwierigkeit. Ich muss das – und das ist das Komische: Wenn ich von anderen Ländern in Europa verlange, dass sie sich strukturell verändern, dann muss ich, selbst wenn es mir gut geht – und das halte ich für die größte Gefahr für unser Land im Moment überhaupt -, doch erkennen, dass ich mich auch strukturell verändern muss.
    Und dann kommt ja die Kritik Europas, die, glaube ich, auch ein bisschen missverstanden worden ist bei der Frage Export. Das ist die eine Sache. Die kommt dahin, dass investiert werden muss. Nur konsumiert wird an der Stelle nichts bringen. Um Deutschland fitt zu machen, muss ich investieren, und da sind die Maßnahmen dann nicht diejenigen, die richtig sind, um unser Land für die nächsten Jahre fitt zu halten.
    Bieck: Otto Fricke, Ihre Partei hat in der schwarz-gelben Koalition die ermäßigte Mehrwertsteuer für Hotels durchgesetzt. Ist ein FDP-Politiker der richtige, um schwarz-rote Wohltaten zu kritisieren?
    Fricke: Na ja, erstens: Das Komische ist ja, dass inzwischen alle zugeben, dass es die gesamte Koalition war und die CSU ein besonderes Interesse hatte. Aber dennoch: Wir haben es mitgemacht, ja. Und komischerweise finden Sie ja zu dieser Frage im Koalitionsvertrag nichts und auch, glaube ich, keinen einzigen Versuch der SPD, das zurückzudrehen. Dennoch: Ich glaube, Kritik muss – und das sollte jeder Bürger dann auch tun – immer im Detail angeschaut werden. Zu behaupten, die anderen sind nur doof, nach dem Motto, ich als Liberaler sage jetzt, weil es nicht mehr eine Regierung mit meiner Beteiligung ist, sind die alle blöde, das ist mit Verlaub, natürlich blödsinnig bis zum geht nicht mehr. Nein!
    Aber man muss jetzt genau gucken: Worüber ging der Wahlkampf, über welche Themen, was ist eigentlich mit dem Betreuungsgeld – ach, komischerweise das bleibt - was ist mit vielen anderen Dingen, die kritisiert worden sind, was ist mit Steuererhöhungen, die die SPD wollte – ach, die kommen doch nicht. Nein, man muss jetzt genau gucken, wer bezahlt was. Es ist leider immer so – und das haben wir ja nun auch erfahren -, dass man genau gucken muss, was kann man versprechen und was kann man mit einem Koalitionspartner auch halten. Daran muss man dann messen. Das ist bei uns nicht so gut ausgegangen. Da brauche ich, glaube ich, nichts Neues zu erzählen.
    Aber dennoch heißt das ja nicht, dass bei der Frage, wie Mathematik funktioniert, ich schon sagen kann, dass das mathematisch nicht aufgeht. Und wenn ich weiterhin 132 Prüfaufträge sehe, die starke Position des Finanzministers sehe, dann weiß ich doch ganz genau, was in den nächsten Jahren noch auf uns zukommen wird. Aber so ist Demokratie, und das muss ein Liberaler dann auch akzeptieren.
    Kaess: Otto Fricke, Haushaltsexperte der FDP. Die Fragen stellte mein Kollege Reinhard Bieck.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.