Sarah Zerback: Sie wollen nichts weniger als Thüringen demokratisch, sozial und ökologisch erneuern. Unter diese Überschrift hat Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag vorgestellt, den die drei Parteien am Mittag gemeinsam präsentiert haben. Dahinter verbergen sich auf 105 Seiten eine ganze Reihe zentraler Projekte, darunter ein gebührenfreies Kindergartenjahr, ein staatlich geförderter Arbeitsmarkt, 500 neue Lehrer pro Jahr, und außerdem soll der Verfassungsschutz nur noch in Ausnahmefällen V-Leute einsetzen dürfen. Viele wichtige Punkte auf der Agenda, und über die möchte ich jetzt sprechen mit Werner Patzelt. Er ist Politikwissenschaftler an der TU Dresden und uns jetzt am Telefon zugeschaltet. Guten Tag, Herr Patzelt.
Werner Patzelt: Guten Tag, Frau Zerback.
Zerback: Viele Pläne sind das. Gleichzeitig will die neue Landesregierung keine neuen Schulden machen in den kommenden fünf Jahren. Auch das haben sie heute gesagt. Was ist also dran an der Kritik der CDU, das Parteiprogramm sei nicht seriös finanziert?
Patzelt: Man weiß zumindest noch nicht, wie genau die Sache finanziert werden soll, denn die Grundaussage ist, es soll keine Neuverschuldung geben. Ansonsten ist auf der Pressekonferenz von Haushaltsüberschüssen gesprochen worden. Wo sie herkommen, ist offen geblieben. Die einzige Gegendeckung war die Abschaffung des Landeserziehungsgeldes, und wie weit die reicht, um pro Jahr 500 neue Lehrer zu finanzieren und ein kostenloses Kita-Jahr, das ist in der Tat offen.
Zerback: Die schwarze Null auch in Thüringen. Wer trägt denn daran die schwerste Last in der kommenden Legislaturperiode?
Patzelt: Die schwerste Last an der schwarzen Null und insgesamt am Zusammenhalt des Regierungsbündnisses wird wohl die Linkspartei tragen, denn sie ist besonders vom üblichen Problem der Linken geplagt, dass man in Oppositionszeiten sich vielerlei Alternativen und schönere Dinge, als die Wirklichkeit sie bietet, vorstellt, dass man aber, sobald man regiert, Lernerlebnisse nicht nur selber vollziehen, sondern auch der eigenen Partei vermitteln muss. Und was die SPD immer wieder erlebt, erlebt nun auch die Linkspartei, diesmal verschärft dadurch, dass sie hier den Regierungschef stellt.
Zerback: Apropos Last: Die Rolle der Linken ist in Thüringen ja sowieso hart umstritten, nicht erst seit der Äußerung des Bundespräsidenten. Im Koalitionsvertrag haben sich alle drei Parteien darauf geeinigt, die DDR als Unrechtsstaat einzustufen. Dazu hat sich jetzt auch Die Linke bekannt. Ist dadurch jetzt der Konflikt ein für alle Mal entschärft?
Patzelt: Ich glaube nicht. Die Linke musste eine Kröte schlucken. Wie gut sie diese Kröte verdauen kann, ist eine offene Frage. Es gibt ja auch klare Aussagen der Linken, das sei lediglich eine Protokollnotiz und insbesondere sei es gänzlich undenkbar, dass man die DDR mit dem Nazi-Reich vergleichen würde. Die anderen beiden Parteien des Regierungsbündnisses mussten durchaus aufgrund von Selbstachtung den Begriff Unrechtsstaat durchsetzen. Besser getan hätte man freilich, auf den Begriff des Unrechtsstaates zu verzichten und die DDR einen Willkürstaat zu nennen, denn das ist genau der Gegenbegriff zum Begriff des Rechtsstaates. Hier ist also eine sachliche Debatte mit einer moralischen Bewertung verbunden worden und das tut der Sache nicht richtig gut.
Zerback: Und vor allen Dingen tut das auch Bodo Ramelow nicht gut. Das ist ja bisher der einzige Kandidat für die Wahl zum Ministerpräsidenten, die ja voraussichtlich am 5. Dezember stattfindet, von der Linkspartei aufgestellt. Auch da ist jetzt noch mal ein Streit entbrannt, und zwar geht es da um die Modalitäten der Wahl. Worum geht es da genau?
Patzelt: Es steht in der Verfassung des Landes Thüringen im Grunde das gleiche wie im deutschen Grundgesetz. Der Regierungschef ist mit absoluter Mehrheit im Parlament zu wählen. Und sollte das in zwei Wahlgängen nicht klappen, dann wird er eben mit relativer Mehrheit gewählt. Und aus dieser eigentlich klaren Bestimmung haben nun die Juristen der Landtagsverwaltung gemacht, dass Bodo Ramelow auch in einem dritten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen bräuchte, was eine Interpretation der Verfassungsbestimmungen ist, die dem, was die Staatsrechtslehre sagt, überhaupt nicht standhalten wird.
Zerback: Jetzt hält sich ja bislang Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht noch zurück. Sie hat sich noch nicht aufstellen lassen für die Wahl. Aus strategischen Gründen?
Lieberknechts Kandidatur noch nicht auszuschließen
Patzelt: Es macht keinen Sinn, das gegnerische Lager, von dem man immer noch hofft, dass es die einstimmige Mehrheit nicht aufbringen wird, dadurch zu stabilisieren, dass die abgewählte Regierungschefin gleich im ersten und dann im zweiten Wahlgang kandidiert. Sollte aber Ramelow nicht die absolute Mehrheit der Stimmen bekommen, dann wäre es gerade ein Kneifen, wenn die Union niemanden als Gegenkandidaten aufstellen würde, und nachdem die Union sich womöglich noch keine Gedanken gemacht hat, wer auf andere Abgeordnete attraktiver wirken könnte als Frau Lieberknecht, ist es dann nicht auszuschließen, dass sie die Pflicht auf sich nimmt zu kandidieren, vermutlich mit der verhohlenen Hoffnung, doch noch eine Mehrheit zu bekommen.
Zerback: Das wissen wir erst ganz sicher am 5. Dezember. Das rot-rot-grüne Regierungsbündnis in Thüringen, das ist dem Machtwechsel einen Schritt näher gekommen, und über den Koalitionsvertrag, der heute Mittag in Erfurt vorgestellt wurde, habe ich jetzt gesprochen mit Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Herr Patzelt, besten Dank.
Patzelt: Gern geschehen.
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