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Koalitionsvertrag
JU-Chef: Stimmen nicht mit Jubel zu

Die Mehrheit der jungen CDU-Mitglieder begrüßt die Große Koalition, sagt Philipp Mißfelder, Bundesvorsitzender der Jungen Union. Schließlich komme man damit dem Wählerauftrag nach. Mit der geplanten Rentenpolitik ist er jedoch unzufrieden, sie gehe zulasten zukünftiger Generationen.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.12.2013
    Philipp Mißfelder übt Kritik am Koalitionsvertrag
    Philipp Mißfelder: "Wir nehmen den Abschluss mit der SPD genau unter die Lupe" (dpa / picture-alliance / Bernd Wüstneck)
    Mario Dobovisek: Und es gibt sie doch noch, die jungen Wilden in der CDU. Still war es um sie geworden, doch jetzt begehren sie auf - zumindest mit, sagen wir, moderaten Tönen: gegen den Koalitionsvertrag mit CSU und SPD, vor allem gegen die vereinbarte Wirtschaftspolitik, Stichwort Rente. So unterzeichnen mehr als 50 CDU-Politiker, alle so Mitte 30, 40 alt, eine gemeinsame Erklärung, in der sie neue Weichenstellungen für die Zukunft fordern. Und auch Vertreter des Wirtschaftsflügels der CDU wehren sich öffentlich per „Bild“-Zeitung gegen den Koalitionsvertrag, pünktlich zum Bundesausschuss, dem kleinen Parteitag der CDU, der heute Nachmittag über die Vereinbarung mit CSU und SPD abstimmen will.
    Einen der erwähnten jungen Politiker, die ihrem Unbehagen Luft verschafft haben, begrüße ich nun am Telefon: Philipp Mißfelder, Bundesvorsitzender der Jungen Union und Präsidiumsmitglied der CDU. Guten Morgen, Herr Mißfelder!
    Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Sie kritisieren also Teile des Koalitionsvertrages und damit indirekt auch Angela Merkel. Genießen Sie denn jetzt auch, sagen wir, „das vollste Vertrauen“ der Kanzlerin?
    Mißfelder: Wir haben die Kanzlerin in dem Papier nicht kritisiert. Es ist so, dass wir den Abschluss mit der SPD genau unter die Lupe nehmen. Wir kommen ja auch in der Abwägung zu einem anderen Ergebnis als die Wirtschaftspolitiker und sagen, es ist zustimmungsfähig. Trotzdem kann man nicht von uns erwarten, dass wir jetzt mit Jubel zustimmen und sagen, wir sind mit der Rentenpolitik, die dort angekündigt wird, einverstanden, denn es geht nun mal zulasten zukünftiger Generationen und es geht auch darum, deutlich zu machen, dass die Jüngeren in der Union damit nicht einverstanden sind.
    Dobovisek: Die Wirtschaftsexperten, der Wirtschaftsflügel nennt das ein Verbrechen an der nächsten Generation. Bei Ihnen heißt das im Papier, „Unsere Sorge, dass das vereinbarte Rentenpaket inklusive der abschlagsfreien Rente mit 63 die Erfolge der Rentenpolitik der letzten 15 Jahren gefährden könnte, bleibt.“ Das klingt doch eher weichgespült. Warum so weich formuliert?
    Mißfelder: Vielleicht sind wir einfach freundlich und formulieren auch dementsprechend so.
    Dobovisek: Ist der Wirtschaftsflügel dann unfreundlich?
    Mißfelder: Na ja, die Wortwahl ist halt unterschiedlich. Im Kern trifft es den gleichen Punkt der Kritik, denn wir haben in den letzten 15 Jahren eine Rentenpolitik gemacht, die zwar schmerzhaft war für viele, wo alle Generationen einen Beitrag geleistet haben, sowohl die Jüngeren als auch die Älteren, und sind auf dem richtigen Weg gewesen. Wenn man jetzt dieses ins Gesetzgebungsverfahren so eins zu eins übertragen würde, wie es im Koalitionsvertrag steht, dann sind wir natürlich schon vor einer Herausforderung, wo man sagen muss, wer soll das Ganze bezahlen? Und wir sehen: Mit der Summe der Einzelmaßnahmen landen wir bei einer Kostensteigerung in der Rentenversicherung, die nicht ohne ist.
    Dobovisek: Wie können Sie dann einem solchen Koalitionsvertrag zustimmen, der Sie und Ihre Generation belastet?
    "Die Koalition ist Wählerauftrag"
    Mißfelder: Es ist ein Unterschied natürlich zwischen dem, was ein Gesetz im Deutschen Bundestag angeht, wo ich übrigens auch schon mehrmals gegen die eigene Fraktion gestimmt habe, wenn es um Generationengerechtigkeit ging, und dem, was in einem Koalitionsvertrag drinsteht. Ein Koalitionsvertrag ist ja auch die Abstimmung über die Frage, will man die Große Koalition oder will man sie nicht. Die meisten von den Unterzeichnern unseres Briefes oder unseres Aufrufes möchten die Große Koalition - nicht, weil wir die Große Koalition selber so toll finden, sondern weil wir der festen Überzeugung sind, dass das der Wählerauftrag ist, und dem können wir uns nun mal nicht entziehen. Ganz unrealistisch sind wir ja nicht, und ganz unerfahren sind wir ja auch nicht, sondern es gibt ganz viele Leute, die auch schon Verantwortung tragen, die unseren Aufruf mit unterschrieben haben, und die sehen, was das für eine Zwickmühle für die Partei ist. Wir wollen diese Große Koalition und wollen sie auch erfolgreich gestalten. Unabhängig davon bleibt die Kritik in der Sache, wo wir sagen, bei der Rentenpolitik sehen wir große Schwierigkeiten.
    Dobovisek: Ein guter Kompromiss zeichnet sich unter anderem darin aus, dass alle mit ihm irgendwie zufrieden sind, und bei der Großen Koalition merken wir im Moment, dass alle irgendwie unzufrieden sind. Ist das die richtige Ausgangslage für eine gemeinsame Zusammenarbeit?
    Mißfelder: Das ist ja das, wo viele Leute immer gesagt haben, na ja, wir werden uns noch wundern bei der Großen Koalition, wie das Ganze konkret vonstatten geht, weil die Große Koalition ist zwar immer die Wunschkonstellation. Solange sie nicht da ist, sagen auch viele Bürger, das wäre doch schön, wenn die beiden großen politischen Kräfte im Land, also Union und SPD, sich an einen Tisch setzen würden und einen großen Kompromiss herausbekommen. Aber es ist ja nicht so, sondern wir haben gesehen in den Verhandlungen: Die SPD hat häufig auf Forderungen beharrt, die ja eher rückwärts gewandt gewesen sind, und auch bei uns gab es Umverteilungsforderungen, die immer wieder stakkatohaft erhoben worden sind, und das hat dann zu dieser Form des Kompromisses geführt. Die Große Koalition hat eine Legitimationschance, wenn sie wirklich große Themen angeht und löst. Das wollen wir zum Beispiel im Bereich der Länderfinanzen machen, und zwar im Verhältnis zum Bund; das gilt aber auch für die Sozialversicherung, und dahin geht unsere Kritik, dass wir sagen, auch da braucht man einen großen Wurf und nicht diesen Kompromiss.
    Dobovisek: Doch lieber eine Zusammenarbeit mit den Grünen?
    Mißfelder: Ich sehe das relativ skeptisch. In unserem Aufruf sagen wir ja, es muss Mehrheiten jenseits der SPD und jenseits der Wunschvorstellung einer absoluten Mehrheit geben, und da gibt es viele, die für die Kooperation mit den Grünen plädieren. Das ist mittlerweile eine sehr spannende Herausforderung, denn wenn der konservativste Landesverband der CDU in Deutschland, nämlich die CDU Hessen, und einer der linkesten Landesverbände der Grünen-Partei, nämlich die Grünen in Hessen, selbst nun koalieren wollen, dann ist das eine interessante Sache. Wenn das gelingt, ist es wirklich eine greifbare Option. Ich bin mal gespannt, wünsche unseren Kollegen dort viel Erfolg. Ich selber sage auch aber ganz deutlich: Für uns ist natürlich die FDP in erster Linie der natürliche Partner, und ich wünsche mir auch, dass wir den Kontakt zur FDP halten. Ich wünsche mir auch von Herzen, dass die FDP dem nächsten Bundestag wieder angehört und wir dann eine gemeinsame bürgerliche Mehrheit auch stellen.
    Dobovisek: Nun haben wir ein großes Problem, wenn Sie sich auf die FDP beziehen wollen. Die hat nämlich am Wochenende gesagt: Nein, die Union ist nicht mehr unser erster Partner, wir wollen eigenständig sein. Wie interpretieren Sie das?
    Mißfelder: Ja, ein eigenständiges Profil der FDP kann nicht schaden. Das glaube ich. Es gibt, glaube ich, in Deutschland genügend Potenzial für eine liberale Partei. Sie wird es schwer genug haben in der Auseinandersetzung. Mit den Euro-Kritikern der AfD oder auch mit dem Werben der Grünen-Partei in der Mitte haben sie schon sehr viel Konkurrenz, und ich wünsche mir, dass die FDP erfolgreich ist und dass dann mit uns nachher eine bürgerliche Mehrheit auch von bürgerlichen Parteien gestellt werden kann.
    Dobovisek: In Ihrem Aufruf im Internet, in diesen acht Punkten, die wir bereits besprochen haben, da ist auch ein interessanter Punkt dabei. Da fordern Sie eine Mitmachpartei. Hätte die CDU genau wie die SPD die Basis über den Koalitionsvertrag befragen sollen?
    "Parteiarbeit ist häufig abschreckend"
    Mißfelder: Mitmachpartei heißt, es gibt auch unterschiedliche Interpretationen. Bei mir heißt Mitmachen, dass man sich auch dauerhaft engagiert und auch bereit ist, Zeit zu geben und dann auch wirklich mitzumachen und aktiv mitzugestalten. Dafür müssen Möglichkeiten geschaffen werden, denn manchmal ist es ja tatsächlich so, dass man gerade vor Ort, gelinde gesagt, eher abschreckendere Beispiele hat, was Parteiarbeit angeht, als dass man sagt, Mensch, toll, das zieht jetzt gerade in urbanen Gebieten die kreativen Jungen an, Frauen an, die dann sagen, da opfere ich meine Zeit. Das ist häufig etwas verstaubt und das ist etwas, wo Mitmachpartei eine Art Aufbruch auch sein kann.
    Dobovisek: Mitmachen bezieht sich nicht auf direktdemokratische Elemente?
    Mißfelder: Darüber gibt es natürlich auch viele Diskussionen in unserer Partei. Ich kann Ihnen sagen, ich bin leidgeprüft. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, wir haben eine Mitgliederentscheidung gehabt, wo Norbert Röttgen Landesvorsitzender geworden ist. Das hat gerade nicht positive Auswirkungen gehabt, weil nicht nach den normalen Kriterien, wie sie sonst in einer innerparteilichen Diskussion geführt worden ist, abgestimmt worden ist, sondern gerade nach dem Bekanntheitsgrad aus Talkshows, und das ist die Gefahr bei der SPD. Die schränkt das ein. Bei der SPD sieht man jetzt, dass, wenn es um eine inhaltliche Diskussion geht, es doch offenbar eine sehr interessante Form des Mitmachens gibt, obwohl man sieht, das wird sowohl angenommen als auch das Zusammenspiel Parteiführung, die sich teilweise ja auch rechtfertigen muss, auch sehr strittig rechtfertigen muss, und Parteibasis, dass das funktioniert. Das finde ich eine interessante Entwicklung, das muss man sich genau anschauen.
    Dobovisek: Sie fordern auch, dass junge Köpfe an verantwortlicher Stelle Profil gewinnen und Themen für die Union besetzen sollen - so heißt es jedenfalls in einem der Punkte -, vielleicht auch Minister werden. Kennen Sie da schon mehr als wir und wissen, dass nicht so viele Junge im Kabinett vertreten sein werden?
    Mißfelder: Nein, wir kennen da gar nichts drüber, weil aus den Gesprächen der höchsten Führung uns nicht berichtet worden ist und niemandem berichtet worden ist. Bislang ist ja auch nichts durchgesickert.
    Dobovisek: Was bedeutet dann diese Forderung?
    Mißfelder: Wir sagen ja CDU-Aufbruch 2017. Wir sind der Meinung, dass man sowohl Inhalte dann präsentieren muss, mit denen man für die CDU werben will, mit der Perspektive auf 2017 hin. Aber wir sagen natürlich auch, was die Mannschaftsaufstellung angeht, werben wir dafür, dass auch junge Gesichter sich in dieser Mannschaftsaufstellung dann wiederfinden. Das ist ganz zentral, denn tatsächlich ist es ja so: Wir haben mit einer Superaufstellung diese Bundestagswahl gewonnen, vor allem deshalb, weil Angela Merkel sie angeführt hat, und nicht nur, dass wir Angela Merkel behalten wollen, sondern wir gehen davon aus, dass sie die volle Legislaturperiode macht, allen Gerüchten aus dem Medienwald dort zum Trotz. Wir sind aber auch der Meinung, dass wir das ergänzen können dadurch, dass wir uns selber in der Fraktion beispielsweise einbinden, und das bezieht sich ja auch auf Fraktion, Partei und auch auf die Koalition. Aber das entscheidet keiner von denjenigen, die dort unterschrieben haben, sondern das wird an anderer Stelle entschieden.
    Dobovisek: Der CDU-Politiker Philipp Mißfelder, der sich gemeinsam mit mehr als 50 anderen jungen Parteifreunden gegen den Koalitionsvertrag auflehnt, zumindest gegen Teile davon. Ich danke Ihnen, Herr Mißfelder.
    Mißfelder: Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.