Friedbert Meurer: Diese Woche fällt die Entscheidung, ob Deutschland wieder von einer Großen Koalition regiert wird. Nächsten Samstagabend will die SPD das Ergebnis ihres Mitgliederentscheids bekannt geben. Dann würde am nächsten Dienstag, genau in einer Woche, Angela Merkel wieder zur Bundeskanzlerin gewählt werden. Die CDU hat gestern über das Vertragswerk abgestimmt in ihrem sogenannten Bundesausschuss. 167 Teilnehmer und davon sagten 165 Ja, zwei haben sich enthalten, keine Neinstimme.
Die ganz große Euphorie des Wahltages vom 22. September aber, die scheint verflogen zu sein. CDU-Mitglieder fragen sich, teilweise offen, manche hinter vorgehaltener Hand, ob der Koalitionsvertrag denn auch wirklich das Wahlergebnis widerspiegelt, oder ob nicht eher die Handschrift der SPD zu erkennen ist. Der Wirtschaftsflügel grummelt, jüngere CDU-Politiker rügen, die Beschlüsse zur Rente seien eine Politik gegen die jüngere Generation.
Reiner Haseloff ist Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt (CDU), war gestern bei der Abstimmung dabei. Guten Morgen, Herr Haseloff.
Reiner Haseloff: Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Wie will die CDU verhindern, eine Partei der Untoten zu werden?
Haseloff: Ach wissen Sie, wir haben damals voller Inbrunst gesungen, ich war selber mit dabei, und das bleibt auch so. Wir haben die Wahl gewonnen, aber keine absolute Mehrheit, und wir wussten schon am Abend, das war auch am Gesicht von Angela Merkel schon zu erkennen, dass wir einen Koalitionspartner brauchen und dass sich eigentlich nur die SPD anbietet, wenn wir eine Politik aus der Mitte heraus gestalten wollen, und das wollen wir jetzt machen und ich glaube, die Chancen stehen gut.
Meurer: Herr Haseloff, was ist daran lebendig, wenn 99,5 Prozent Ja sagen?
Haseloff: Daran lässt sich ermessen, wie viel wir umgesetzt haben. Wir haben ganz wesentliche Punkte unseres Wahlprogramms umgesetzt. Wir haben im Vertrag vermittelt, dass wir keine Steuererhöhung wollen, wir lehnen die Eurobonds ab, wir haben die Mütterrente durchgesetzt, das waren ganz wesentliche Kernpunkte der CDU, mit diesen Kernpunkten haben wir Wahlkampf gemacht und das haben wir in den Vertrag hineinprojiziert.
"Mütterrente war ein ganz klares Thema der Frauenunion"
Meurer: Einige Mitglieder scheinen, das aber ein bisschen anders zu sehen. Die Mütterrente ist umstritten. War das nicht übrigens auch eine Idee von der CSU gewesen, wie man ja überhaupt sagt, die Ideen hatten die anderen, wenn dann hat die CDU nur verhindert?
Haseloff: Ja man merkt, wie schnell so was in Vergessenheit gerät, was geschichtlich sich entwickelt hat. Die Mütterrente ist ein ganz klares Thema der Frauenunion gewesen, das heißt der Frauen der CDU und der CSU. Die wollten damit eine Generationengerechtigkeit dahingehend herbeiführen, dass die Kinder, die vor 1992 geboren wurden, genauso angerechnet werden wie danach, und ich denke, das ist dringend notwendig gewesen und hat uns auch unter anderem den Wahlsieg gebracht und erhebliche Stimmen gerade bei den Frauen, die dieses als Thema gesehen haben.
Also ich denke, wir sollten diesen entsprechenden Koalitionsvertrag gar nicht schlecht reden, sondern wir haben uns dort in vielen Punkten durchgesetzt. Wenn man die Sozialdemokratie natürlich als Partner haben möchte, müssen auch diese Punkte, die dort im Wahlprogramm gestanden haben, in Teilen vorkommen, und ich glaube, wir haben einen guten Mix geschaffen.
Wahlprogramm "hat wirklich den Puls der Menschen"
Meurer: Vielleicht liegt ja dieser Eindruck, dass die CDU ohne Inhalte in den Wahlkampf oder in die Bundestagswahl gegangen ist, daran, dass es noch nicht mal einen Parteitag gegeben hat über das Wahlprogramm und jetzt auch wieder nur einen Bundesausschuss, ein Gremium, das völlig unbekannt ist. Wird es da nicht Zeit, ein bisschen sich andere Formen der Beteiligung einfallen zu lassen?
Haseloff: Ich kann mich an den monatelangen Prozess erinnern, in dem wir das Wahlprogramm aufgestellt haben. Alle Gliederungen der Partei waren daran beteiligt und wir haben, denke ich, auch ein gutes Programm hingelegt. Ansonsten wären wir ja nicht seit vielen, vielen Jahren erstmalig wieder über 40 Prozent angekommen. Das heißt, dieses Programm hat wirklich den Puls der Menschen erreicht und wir haben damit auch ganz klar ein Votum der Wählerinnen und Wähler bekommen.
Große Teile dieses Programms haben wir umgesetzt, so dass wir ganz kontinuierlich von der Wahlaufstellung und Wahlprogrammsaufstellung bis hin zum Koalitionsvertrag eine Linie haben erkennen lassen, die sich gestern auch in diesem eindeutigen Votum niedergeschlagen hat.
Meurer: Über 41 Prozent, das ist natürlich ein Argument der Spitze. Aber erschlägt das alles andere, Hauptsache die CDU stellt die Kanzlerin?
Haseloff: Die Menschen wollten, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt, und haben ein entsprechendes Votum abgegeben. Selbst Wählerinnen und Wähler der SPD haben bei demoskopischen Umfragen erkennen lassen, dass man Angela Merkel als Kanzlerin in Deutschland haben möchte. Genau das setzen wir um und wir erfüllen damit ein ganz klares breites Wählervotum.
Meurer: Hat die CDU Angst davor, dass interne Debatten dazu führen, dass es in den Umfragen und bei den Wahlen sich negativ auswirkt?
Haseloff: Wir haben ganz intensiv diskutiert und auch gestern zum Beispiel haben sich junge Leute der Jungen Union auch aus Sachsen-Anhalt dort zu Wort gemeldet und haben ganz klar gesagt, wir stehen zu diesem Koalitionsvertrag, wir wollen, dass Angela Merkel regiert und damit die CDU. Aber auf der anderen Seite haben sie natürlich auch Signale gegeben, was sie im Gesetzgebungsverfahren zum Beispiel zur Rente umgesetzt sehen wollen, nämlich auch eine Generationengerechtigkeit nach vorne. Das heißt, dass wir nachhaltig regieren und demzufolge auch denjenigen eine Chance geben, die nach uns kommen. Ich denke, diese Signale sind angekommen, aber die sind auch bei der SPD klar artikuliert worden, bei den ganzen Diskussionen an der Basis, so dass ich glaube, dass sich diese Koalition durchaus der Gesamtverantwortung bewusst ist.
"Der Mindestlohn ist kein Teufelszeug"
Meurer: Herr Haseloff, Sie sind Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, einem neuen Bundesland. Reden wir mal über einige Punkte, die Sie vielleicht ganz besonders betreffen. Der Mindestlohn von 8,50 Euro, der kommen soll – kann die ostdeutsche Wirtschaft sich das leisten?
Haseloff: Erstens muss man sagen, dass der Mindestlohn ja schon in unserem Parteiprogramm vorgesehen war. Es gibt Parteitagsbeschlüsse dazu, der Mindestlohn ist kein Teufelszeug. Natürlich hätten wir ein anderes Modell zur Einführung vorgezogen, das ist leider in der letzten Legislaturperiode nicht machbar gewesen, …
Meurer: Und auch eine andere Höhe, weniger als 8,50 Euro.
Haseloff: Ja gut, man hätte deutlicher noch die Tarifparteien abgebildet. Aber die spielen ja auch weiterhin eine Rolle, genauso wie eine Kommission, so dass mit Augenmaß und mit den entsprechenden zeitlichen Übergangsmöglichkeiten, die auch die Tarifpartner mitbestimmen können, durchaus dieser Mindestlohn einführbar ist. Ich glaube, dass der Markt hier an dieser Stelle flexibler reagiert, als man gemeinhin denkt, und wenn ich auch an die Abwanderung denke, gerade auch aus den neuen Bundesländern, müssen wir mittel- und langfristig ein Signal geben, dass es sich lohnt, auch bei uns mit vernünftigen Löhnen zu leben.
Meurer: Werden nicht zum Beispiel Friseurinnen jetzt entlassen bei Ihnen?
Haseloff: Nein. Zwei Häuser neben meinem Haus, in dem ich wohne, ist ein Frisiersalon und ich bin dort ständig im Gespräch. Man passt sich an, man organisiert auch intern bestimmte Arbeitsregime, so dass man sich mittelfristig auch auf die entsprechenden Termine einstellen kann. Ich glaube, dass gerade in dem Gewerk und Gewerbe das durchaus aufnahmefähig ist, was jetzt dort per Gesetz kommt, und dass der Kunde durchaus die Kaufkraft auch im Osten aufweist, diese entsprechenden leichten Erhöhungen dann aufzunehmen.
Meurer: Nehmen wir einen anderen Punkt aus dem Koalitionsvertrag, Herr Haseloff: die Mütterrente. Ist das ungerecht, die Mehrkosten, die ja beträchtlich sind, nicht aus Steuermitteln zu nehmen?
Haseloff: Uns war klar, als wir diesen Programmpunkt formuliert haben, dass wir durchaus auf erhebliche Reserven im System rechnen können und damit auch rechnen können, dass dieses System dieses auch langfristig darstellen kann. Natürlich muss das mit Augenmaß jetzt eingeführt werden und auch entsprechende Regularien gefunden werden, wenn sich an der Einnahmesituation etwas ändert. Aber es ist ein ganz originäres Rentensystem, was wir hier zusätzlich mit einem Element versehen, was Generationengerechtigkeit heißt, und ich glaube, das ist verkraftbar. Allerdings – das muss ich auch klar sagen: Nachhaltigkeit heißt, dass das ganze evaluiert wird und auch flexibel reagiert wird, wenn sich einnahmeseitig etwas verändert.
Mütterrente später noch mal evaluieren
Meurer: Was heißt das, evaluieren? Könnte das am Ende doch bedeuten, dass Steuermittel herangezogen werden müssen für die Mütterrente?
Haseloff: Nein, das nicht. Aber wir müssen auf jeden Fall sehen, dass das Sozialversicherungssystem in Deutschland sich autark finanziert und wirklich nur versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln bezahlt werden. Das ist hier nicht der Fall.
Meurer: Wieso nicht? Das ist doch eine Aufgabe der Allgemeinheit, Müttern eine Sonderrente oder einen Bonus zu geben.
Haseloff: Ja gut. Man muss natürlich sehen, wie das historisch entstanden ist, dass wir dieses Erfordernis jetzt überhaupt sehen. Das System gibt es derzeit her. Wir haben versprochen, dass die Lohnnebenkosten nicht steigen sollen. Das werden wir auch in dieser Legislaturperiode einhalten. Das Rentensystem muss ständig weiterentwickelt werden, auch das haben die jungen Leute ja gerade auch gestern zum Ausdruck gebracht, dass man das von der CDU erwartet. Wir sind seit Jahrzehnten mit Unterbrechung in der Regierungsverantwortung. Ich glaube, Deutschland kann sich darauf verlassen, dass wir gerade dieses System stabil und vernünftig entwickeln lassen.
Meurer: Reiner Haseloff, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, zum Koalitionsvertrag, dem die CDU gestern zugestimmt hat. Danke, Herr Haseloff, auf Wiederhören nach Wittenberg.
Haseloff: Bitte schön! Auf Wiederhören.
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