Die Terrororganisation Islamischer Staat hat am späten Abend neue Angriffe auf die seit mehr als einem Monat umkämpfte Stadt Kobane gestartet. Es waren Schüsse leichter und schwerer Waffen zu hören, aber auch die Explosionen von Granaten und mehrerer Geschosse, wie es heißt: abgefeuert von Jets der Anti-IS-Koalition. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit, am Abend seien in Kobane auch zwei Selbstmordattentate von IS-Terroristen verübt worden. Zuvor hatte die US-Armee die kurdischen Volksverteidigungseinheiten in Kobane erstmals aus der Luft unter anderem mit Waffen und Munition versorgt, wie es heißt, aus russischer Produktion, zur Verfügung gestellt von den irakischen Kurden.
In Erbil, der Hauptstadt von Irakisch-Kurdistan, freuen sich die Menschen über die Hilfslieferungen für die Kurden in Kobane. So sagt dieser Buchhändler:
"Wir Kurden sind froh diese Neuigkeiten zu hören! Die Leute von Kobane haben lange kämpfen müssen, ohne Unterstützung zu bekommen."
Und ein Passant vor der Buchhandlung:
"Die Kurden sind stolz darauf zu sehen, dass Amerika die Kämpfer von Kobane gegen IS unterstützt. Wir sind sehr froh, dass sie ihnen Waffen geschickt haben und wir hoffen, dass sie ihnen noch mehr Waffen schicken."
Kurswechsel in der Politik?
Die US-Luftwaffe hat die Lieferungen über Kobane abgeworfen, obwohl sich die türkische Führung zuvor gegen jede Hilfe für die Volksverteidigungseinheiten ausgesprochen hatte. Denn: Diese Volksverteidigungseinheiten gehören zur „PYD", der Partei der Demokratischen Union – einem Arm der türkischen PKK, die in den USA, aber auch in der Türkei als Terrororganisation verboten ist wie IS. Daher auch räumt US-Außenminister John Kerry prinzipiell Verständnis für die türkische Position ein:
"Wir haben mit der türkischen Regierung gesprochen und klar gemacht, dass (die Luftlieferungen für Kobane) keinen Wandel der US-Politik darstellen. Es ist jedoch jetzt ein Moment der Krise, eine Notsituation, in der wir ganz klar nicht sehen wollen, dass Kobane ein schreckliches Beispiel wird, für den Unwillen von Völkern jenen zu helfen, die gegen IS kämpfen."
Kein Wandel der Politik – sondern ein kurzzeitiger Kurswechsel? Den legte die türkische Regierung gestern auch hin – als sie erklärte, kurdische Peschmerga-Kämpfer aus dem Irak könnten zur Unterstützung der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten über die türkische Grenze nach Kobane reisen. Türkisch-kurdischen Kämpfern der PKK soll das jedoch offenbar weiter untersagt bleiben.
Gespräche zwischen Kurdenvertretern und türkischer Regierung
Während sich die türkische Regierung in einem jahrzehntelangen Konflikt mit der PKK befindet, hat sie in den vergangenen Jahren engere Verbindungen zu den Kurden im Nordirak aufgebaut. Deren Präsident, Masoud Barzani, ist zwar auch kein Freund der PKK und deren syrischem Arm, der PYD, aber Barzani hatte in den vergangenen Tagen mehrfach die Weltgemeinschaft dazu aufgefordert, sich für den Schutz von Kobane stark zu machen. In der zurückliegenden Woche soll er sich dann mit einem der beiden Präsidenten des syrischen PKK-Ablegers, PYD, getroffen haben. Anschließend habe Barzani – so heißt es aus irakisch-Kurdistan - die Regierung in Ankara ersucht, seinen Kämpfern die gut dreihundert Kilometer lange Passage durch die Türkei nach Kobane zu gestatten.
Dass die Türkei dieser Bitte nun entsprechen will, mag auch damit zusammenhängen, dass die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten, der militärische Arm der PYD, am Wochenende eine Stellungnahme abgab: Deutlich wie nie zuvor betonte die Miliz darin, Seite an Seite mit der Freien Syrischen Armee zu stehen. Wiederum ein Kurswechsel: Die Freie Syrische Armee gehört zur Syrischen Nationalen Koalition – dem Oppositionsbündnis gegen Syriens Präsident Bashar al-Assad, das der Westen und die Türkei unterstützen.
Die PYD und ihre Volksverteidigungseinheiten hingegen hatten sich bisher weder offiziell mit der Syrischen Nationalen Koalition zusammengetan noch mit der Freien Syrischen Armee. Und da sie auch nie den Sturz Assads gefordert hatten, wurde ihnen immer wieder vorgeworfen, mit Assad gemeinsame Sache zu machen, wenn es ihnen gerade geraten schien. Die Regierung in Ankara soll den syrischen Kurden auch deshalb die Hilfe im Kampf um Kobane verweigert haben, solange sich die PYD nicht von Assad distanziert und mit der Freien Syrischen Armee zusammenarbeitet. Dadurch, dass sich die syrischen Kurden nun aber zu diesem gemeinsamen Kampf deutlich bekannte, konnte nun möglicherweise auch die Türkei Gesichtswahrend zumindest indirekte Hilfe für die Kurden in Kobane zulassen.