Max Biermann steht auf jenem Platz, der nunmehr seit Wochen Schlagzeilen macht.
"All die schönen Blöömscher sind hier ganz jrau"
Der 39-Jährige singt – und zwar ein Lied auf den Ebertplatz, jener Betonwüste aus den 70er-Jahren in der Kölner Innenstadt, mit ausgefallenem Brunnen, viel Verkehr – und dunklen Ecken.
"Et is hässlich, ävver mit Herz – am wunder, wunderschönen Ebertplatz."
Biermann, Sohn des ehemaligen Sängers der Kölner Band Bläck Fööss, hat in diesem Jahr einen Karnevalslieder-Nachwuchswettbewerb gewonnen – und wohl nicht nur da einen Zeitgeist getroffen. In Köln gibt es wohl für alles ein Lied und es gehört wohl zur kölschen Seele, in allem auch etwas Gutes zu sehen: Dem aufkeimenden Rassismus der 90er-Jahre setzten Musiker einst ein Konzert und die Kampagne "Arsch huh, Zäng ussenander" entgegen, dem NSU-Anschlag auf der Keupstraße folgte das jährliche Birlikte-Festival. Nun der Erfolg für ein Lied auf den Ebertplatz, an dem Biermann wohnt – und auf den er auch beim TV-Dreh angesprochen wird:
"Ja, aber der Ebertplatz ist ja gerade auch ein bisschen in Verruf, ne?"
"Man darf es nicht verharmlosen, aber es ist medial ja jetzt total krass. Eigentlich passieren hier ziemlich geile Sachen auch. Das ist halt nie in der Presse. Du hast halt unten die Kunst-Szene, hier finden halt manchmal so Flashmobs statt. Das ist schon sehr cooles, belebtes Viertel. Eigentlich."
Mann nach Messerstecherei am Ebertplatz gestorben
Eigentlich: Doch der Ebertplatz hat sich in den letzten zwei Jahren zu einem Treffpunkt für Drogendealer, Obdachlose, Krawallmacher entwickelt. Mitte Oktober eskalierte der Streit zwischen nordafrikanischen Kleindealern und den Konkurrenten aus Schwarzafrika, ein 22-jähriger Flüchtling wurde erstochen – der Fall zog die internationale Aufmerksamkeit auf sich: Das rechtslastige US-Nachrichtenportal "Breitbart" berichtete über eine "No-Go-Zone" in der Kölner Innenstadt und Anwohner und engagierte Bürger wurden auf einmal gehört:
"Das größte Problem ist, dass Köln wie ein Magnet geworden ist. Wir haben ja nicht nur das Problem, dass das Menschen sind hier aus Köln, sondern die kommen ja aus dem ganzen Umkreis, weil sie bewusst hier dealen – oder ihre Geschäfte machen – und das Gefühl haben, dass ihnen nicht viel passiert."
"Das ist schlagartig nach den Vorfällen, nach Silvestervorfällen ist das schlagartig ein Hotspot geworden."
Andreas Hupke ist Mitglied der Grünen, seit gut 13 Jahren Bezirksbürgermeister, in dessen Bereich der Ebertplatz fällt. Der 67-Jährige, früher Facharbeiter und Personalrat bei den Bühnen der Stadt Köln, ist ein Mann offener Worte – und sieht eindeutig eine Kettenreaktion nach der sogenannten Kölner Silvesternacht mit zahlreichen Übergriffen vor nunmehr zwei Jahren.
"Durch die massive Polizeipräsenz, die auch gut war, die auch wichtig war. Da hat der Staat mal auch Flagge gezeigt, aber da konnte er nur da. Und das war, also man konnte fast die Uhr danach umstellen, schlug das am Ebertplatz sofort auf. Noch keine Woche später war das ein riesen Hotspot schon. Nur, er war in den Medien noch nicht so beachtet und auch noch nicht so bekannt. Und erst jetzt, wo das leider passiert ist, wo der Totschlag da passiert ist durch die Messer-Attacke, jetzt ist es bundesweit natürlich in allen Blättern."
Polizeipräsenz wurde erhöht
Es müsse halt immer erst etwas passieren. Hupkes Hoffnung – oder vielmehr Erkenntnis:
"Wenn wir nicht ein vernünftiges Einwanderungsgesetz bekommen und dann das von Berlin, auf die Landeshauptstädte und von den Landeshauptstädten auf die kommunale Städte runtergebrochen wird, der Hilfe, um solche Herausforderungen zu lösen, dann wird mir, muss ich sagen, so ein bisschen Angst und Bange."
In dieser Woche empfängt Hupke nunmehr den dritten Kölner Polizeipräsidenten in der Bezirksversammlung, um über den Ebertplatz zu sprechen. Uwe Jacob und die Kölner Polizei haben in Folge des jüngsten Vorfalls, die Präsenz erhöht. Dennoch gab es gut eine Woche nach dem tödlichen Zwischenfall erneut eine Schlägerei. Jacob und auch Stadtdirektor Stephan Keller machten unmittelbar danach ein Platzbegehen – deren Erkenntnis allerdings eher hilflos wirkte. Obwohl seit Jahrzehnten umstritten, obwohl es im Jahr 2008 ein Plan gab, den Platz umzubauen – ist bislang nichts passiert – und dabei bleibt es wohl vorerst, so Keller:
"Mit den Planungsvorläufen, die wir haben, ist ein Spatenstich für einen Umbau vor 2020 nicht realistisch."
Kurzfristig seien Glühbirnen ausgetauscht worden, Bepflanzung zurückgeschnitten, es gab die Pläne, Eingänge zuzumauern, die nach Widerstand dann von der Oberbürgermeisterin Henriette Reker wieder kassiert wurden.
"So, ihr Lieben. Francesco, ihr baut die Bude auf ..."
Franco Clemens steht auf dem Lessingplatz in Düsseldorf, im sogenannten Maghreb-Viertel – und gibt Anweisungen.
"Aber bei den Kleinen ein bisschen aufpassen."
"Guck mal, wie stark ich bin."
"Ja, Du bist der Super-Held."
Der 53-jährige Sozialarbeiter wohnt unweit des Ebertplatz in Köln – arbeitet aber hier. Direkt nach der sogenannten Kölner Silvesternacht hat er in Düsseldorf angefangen. Seine Aufgabe: Friedensarbeit, sprich Ansprechpartner für alle in einem sozialen Brennpunkt zu sein, Perspektiven aufzeigen. Die Situation am Lessingplatz sei mit der des Ebertplatzes vergleichbar, so Clemens – und so etwas brauche eigene Ansätze:
"Denn die Hotspots sind flexibel. In dem Moment, wo ich nur mit reiner Repression arbeite, arbeite ich nicht am Milieu und den multiplen Problemlagen ab, sondern mache im Prinzip nur eine Vertreibungspolitik."
"Wir betreiben eigentlich nur noch Schadensbegrenzung"
Auch bei der Stadt Köln habe man zwar mit mehr Sozialarbeitern reagiert, so Clemens. Entscheidend sei jedoch eine Erkenntnis:
"Ich muss der Repression auch ein Angebot gegenübersetzen. Ja, also nur zu sagen: Das geht nicht und hab keine Alternativen für die Menschen, das geht auf Dauer nicht. Ich sage, wir haben immer noch Alternativen in dieser Gesellschaft. Es ist trotzdem sehr, sehr schwierig, das wissen wir, ob ich nun im Bereich Jobcenter denke, Niedriglohn-Geschichten, Nicht-Arbeiten-Dürfen, gerade als Zuwanderer, die Problematiken der Sprache zu erlernen und so weiter."
Dennoch, auch er sieht die Kommunen als überfordert an:
"Wir betreiben insgesamt seit vielen, vielen Jahren eigentlich nur noch Schadensbegrenzung. Wir haben Probleme in der Gesetzgebung bei Hartz IV, wir haben Probleme in der Gesetzgebung bei Einwanderungsgesetzen, Flüchtlingsgesetze. Dazu haben wir eine immer größere Armut und damit einhergehend eine immer größere Armutskriminalität."
Die Hektik, die nach Vorfällen in den kommunalen Verwaltungen einsetze, die dann runde Tische einberufe, sei wenig zielführend. Erstmal nun, so Clemens, werde aber der einsetzende Winter, die Kälte, die Probleme verdrängen. Doch sie kommen wieder – und bis was passiert am Ebertplatz, sei es durch Sozialarbeiter, sei es durch Umbauarbeiten, sei es durch weitere Verdrängung, bleibt wohl nur die Musik von Max Biermann:
"All die schönen Blöömscher sind hier ganz jrau"
Der Text, der wie ein Versprechen wirkt:
"Et is hässlich, ävver mit Herz"
Er könnte aber auch als bitterer Ironie verstanden werden.
"Am wunder-, wunderschönen Ebertplatz."