Auf der Venloer Straße, der Hauptverkehrsader im Kölner Stadtviertel Ehrenfeld, ist an diesem Nachmittag viel los. Doch der Eindruck täuscht. Supermärkte und Imbisse sind geöffnet, aber fast alle Einzelhandelsgeschäfte geschlossen, vor allem die kleinen Shops in den Seitenstraßen.
"Wir fürchten alle um die Existenz, die finanzielle, die berufliche. Was ich von den anderen Ladenbesitzerinnen und Ladenbesitzern so höre, alle machen sich Gedanken, fahren wie wild ihre Online-Shops hoch. Und trotzdem, so eine Krise gab‘s noch nie."
Einlösen: nach der Krise
Auch das "Utensil", ein Geschäft für Design-Artikel, musste schließen. Inhaberin Anna Lederer verkauft ihre Produkte – von der gläsernen Butterdose bis zum klassischen Friesennerz - nur noch vereinzelt übers Internet. Als sie von der Online-Plattform "Veedelsretter" hörte, meldete sie ihr Geschäft sofort an. Kunden können dort Gutscheine bei ihrem Lieblingsgeschäft erwerben und später, wenn der Laden wieder geöffnet ist, einlösen. Kurz nach der Anmeldung wurden bereits eine Handvoll Gutscheine bei ihr gekauft, Anna Lederer ist gerührt.
"Diese Gutscheine über den ‚Veedelsretter‘, das ist eine ganz tolle Geste, die von den Leuten an die Läden getragen wird. Das ist unersetzbar, ich freu mich da total drüber und warte drauf, dass, wenn wir wieder öffnen dürfen, die Leute auch fleißig kommen und die Gutscheine einlösen und ich mich persönlich bedanken kann."
Die Kölner Webagentur "Railslove" hat die Plattform "Veedelsretter" entwickelt. Jan Kus ist Geschäftsführer der Agentur und selbst von der Corona-Krise betroffen. Eigentlich wollte er seine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, da kam ihm zusammen mit der Köln-Business-Wirtschaftsförderung die Idee, lokale Unternehmen mit einer Gutschein-Plattform zu unterstützen.
Vom Fotostudio über kleine Lokale bis hin zur Massagepraxis
Zwei Wochen nach Start arbeiten ein Dutzend Mitarbeiter rund um die Uhr für das Projekt:
"Ich bin überwältigt, es sind über 500 Shops die wir angemeldet haben, die wir kontinuierlich freischalten. Und wir haben jetzt seit dem Gutscheinverkauf 85.000 Euro umgesetzt. Das hätte ich nicht erwartet, dass das auf so eine Resonanz klingt bei den Bürgern und Bürgerinnen in Köln."
Unternehmen unterschiedlichster Art können sich bei "Veedelsretter" registrieren – vom Fotostudio über kleine Lokale bis hin zur Massagepraxis. Um Betrug auszuschließen, wird jeder Anbieter auf der Internetseite verifiziert. Die Käufer wiederum können auf der Webseite in ihrem Stadtviertel nach Geschäften suchen. Den Gutschein bekommen sie dann per Mail zugeschickt. Und die Betriebe erhalten sämtliche Einnahmen - ohne Abzüge:
Geld soll zu 100 Prozent den Läden zu Gute kommen
"Der Umsatz fließt wirklich eins zu eins an die Shops, es gibt keine Zwischenmittler, die irgendwie daran verdienen. Wir zahlen sogar ein bisschen drauf, weil wir die Transaktionsgebühren der Banken gerade übernehmen. Das hält sich noch in Grenzen, wir arbeiten an einer Lösung. Wir wollen auf jeden Fall, dass das Geld 100 Proeznt dem Shop zu Gute kommt, das ist unser erstes Ziel."
Neben dem Gutschein-Kauf kann man auch einen Veedels-Soli erwerben. Das ist eine reine Spende. Etwa ein Sechstel der bisherigen Umsätze entfielen auf den Veedels-Soli. Jan Kus:
"Die Idee ist tatsächlich dass man einen Shop unterstützt ohne Gegenleistung. Das heißt, man kauft einen Gutschein, aber zusätzlich kann man noch definieren, wie viel man ‚on top‘ dem Ladenlokal noch zukommen lassen möchte."
Noch arbeiten die Webentwickler ehrenamtlich. Eine Anschubfinanzierung der Kölner Wirtschaftsförderung deckt lediglich ihre laufenden Kosten. Langfristig wollen sie ihre Idee in anderen Städten als Dienstleistung umsetzen. Über die Plattform lokalsupport.com vernetzen sie sich dafür mit anderen Städten, wo ähnliche Initiativen laufen.
Keine Haftung für eine etwaige Schließung
Bei allem Engagement aber können die "Veedelsretter" nicht verhindern, dass ein Geschäft möglicherweise doch pleite geht. Schließlich weiß im Moment keiner, wann die Läden wieder öffnen dürfen. Es bleibt das Risiko, dass der Gutschein dann eben eine Spende war – so Jan Kus:
"Tatsächlich können wir keine Haftung für eine etwaige Schließung eines Geschäfts übernehmen."
Die laufenden Kosten, vor allem die Ladenmiete, können Gutscheine nicht decken, sagt Geschäftsinhaberin Anna Lederer. Sie hat deshalb Soforthilfe durch die nordrhein-westfälische Landesregierung beantragt und hofft, dass ihr das Geld bald überwiesen wird. Die Initiative "Veedelsretter" hilft ihr aber, in der Krisenzeit optimistisch zu bleiben:
"Die bescheuerte Tatsache, dass wir jetzt alle in einem Boot sitzen, ist auch gerade das, was uns hilft. In so einer Krisenlage so aufgefangen zu werden, das ist ja hauptsächlich mental, das ist weniger finanziell, das ist die Geste der Solidarität die zählt. Ich fühle mich nicht allein damit und kann jetzt geduldig sein, wann welche Hilfen kommen."