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Kölner Kellergeschoss

Der Spaziergang im Kölner Untergrund ist wie eine Zeitreise. Unter dem Dom fängt es an mit einem Katzenpförtchen an, durch das der Erzbischof früher entwischen konnte. Und unter der Universität findet sich ein Stollen. Heimliche Kohlereserven sind hier jedoch nicht versteckt.

Von Isabell Ullrich | 17.04.2011
    Wenn man am ersten schönen Tag des Jahres zu den Spitzen des Kölner Doms aufblickt und in die Sonne blinzelt, ist es eigentlich das Letzte was man will - sich unter der Erde zu verschanzen. Aber genau das habe ich heute vor. Ich bin auf dem Domvorplatz mit Stadtführer Till Busse verabredet, der mit mir die Unterwelt der Domstadt erkunden will.

    Dazu führt er mich zunächst einmal in ein Parkhaus. Was daran interessant ist, offenbart sich schon nach ein paar Stufen: Man hat das Parkdeck im ersten Souterrain um die Ruine der alten Stadtmauer herumgebaut, die umzingelt von einer Betonbrüstung wie Tiere in einem Zoogehege für die Parkenden zur Schau steht. Während eine Autofahrerin noch ihren Parkschein löst, erklärt mir Till Busse, dass der Spaziergang unter Köln eigentlich eine Zeitreise ist.

    "Da sehen sie, dass die Mauer hier weiter geht und da rechts sind wir eigentlich schon unterm Kölner Dom. Und hier hat man also einen tiefen Schacht, der geht senkrecht nach unten, dann geht's unter der Mauer durch und dann wieder senkrecht hoch: Das sogenannte Annoloch. Das hat damit zu tun, dass das hier ein unglaublich solides Bauwerk war. Das war der sehr harte römische Zement und das konnte man nicht abreißen im Mittelalter. Und um da einen Durchbruch zu schaffen, hat man hier so ein Katzenpförtchen gebaut. Das heißt also, dass der Erzbischof dann die Möglichkeit hatte, unter der Mauer durchzuklettern und dann also wieder raus aus der Stadt. Und der Name kommt daher, dass es im 11. Jahrhundert hier einen äußerst unsympathischen Kölner Erzbischof gibt, Arno der Zweite. Der hat hier in Köln mit äußerst harter Hand regiert und dann gibt es eine Rebellion gegen ihn und er muss dann die Stadt fluchtartig verlassen und nimmt dann eben diesen Tunnel unter der Stadtmauer hindurch."

    Und so legt das Annoloch und die grau-braunen Überreste der nördlichen Stadtmauer hier in der Abgas-geschwängerten Luft des Parkhauses tagein tagaus Zeugnis davon ab, wie es hier zu Zeiten der Römer ausgesehen hat und dass deren Mauern auch schon den Kölnern im Mittelalter zu schaffen machten.

    Zur nächsten Station gehen wir wieder treppauf und über die Domplatte, wo die Skateboarder bei ihren Kunststückchen in der Mittagssonne von Touristen bestaunt werden. An einer Stelle wird einem hier im Schatten des Doms besonders schön verdeutlicht, dass wir heute auf höherem Niveau leben als Bischof Anno im Mittelalter und die Römer vor ihm:


    "Wenn sie mal hier nach unten kucken sehen sie ja dieses große römische Mosaik das 1941 entdeckt worden ist. Das besonderes ist, dass das Mosaik immer noch in der Tiefe liegt, in der man es auch gefunden hat. Das heißt als,o man hat wahrscheinlich einen Bodenunterschied von vier bis sieben Metern zwischen der Römerzeit und unserer Zeit.

    Durch die verglaste Front des römisch germanischen Museums kann jeder Spaziergänger direkt von der Domplatte auf das achtzehnhundert Jahre alte kunstvolle Fundstück hinunterschauen. Es liegt dort mit einer alltäglichen Selbstverständlichkeit, mit der man solche beeindruckenden Residuen nur in Fundgruben wie Trier, Mainz oder Köln behandelt. Denn es ist nicht nur der weiche rheinische Untergrund der den Kölnern beim Graben eines Kellers oder eines U-Bahn-Schachtes das Leben schwer macht:

    "Sobald man hier die Erde öffnet, findet man irgendwas. Also soweit ich weiß hat man allein auf dem Platz hier vor uns und auf dem Alter Markt in den vergangenen sechs bis sieben Jahren um die zwei Millionen Fundstücke aus der Erde geholt. Das sind Hafengegenden gewesen und die Römer haben da ihren Müll reingeworfen, sodass man dadurch unglaublich viel über den römischen Alltag erfahren kann."

    Und so ist man vor gut 20 Jahren auch unter der Universität zu Köln auf etwas unerwartetes gestoßen. Bei Bauarbeiten offenbarte sich ein langer Schacht, von einem hölzernen Gerüst gehalten, an dessen Ende ein Kohlebohrer vor einer pechschwarz schimmernden Wand erkennen ließ, dass es sich um einen Bergwerksstollen handelte. Wie kommt ein Stollen unter eine Universität, noch dazu in einer Stadt in der zwar schon seit Jahrhunderten nach Relikten der Römer, nie aber nach fossilen Bodenschätzen gegraben wurde?

    "Dieser Stollen, der Barbarastollen der Universität zu Köln wurde 1935, -36, -37 errichtet. Hier im Hauptgebäude der Universität. Dann ist er auch eine Zeit lang genutzt worden und dann in den Wirren des Zweiten Weltkriegs ist er verschollen. Kein Mensch wusste mehr, dass es hier diesen Stollen gab. Es war immer nur ein Museum - sehr echt, das sehen sie auch, aber es hatte nie den Charakter - mangels Masse - hier eine Kohleförderung zu machen. Das sind keinesfalls die heimlichen Kohlereserven der Universität zu Köln."

    Peter Jäckel ist das Bergwerks-Replikat in seiner Zeit als technischer Leiter der Universität besonders ans Herz gewachsen. Heute ist er ein rüstiger Rentner und der weiße Helm, mit dem er mich schon "über tage" begrüßt, zeugt von seiner Begeisterung für diesen unwirklichen Ort. Vom Foyer der Universität, in dem Studenten von einer Vorlesung zur nächsten eilen, führt er mich über nur 2 Treppen hinab in die Welt des Bergbaus. Eine massive, schwarze Lore steht halb schief auf einem Schienenstrang am Eingang des Stollens. Aus einer Nische ragt über einem Haufen Kohlegeröll ein Förderband heraus.

    "Hier sehen sie die Geräte. Das ist eine Pfannenschippe, wo der Bergmann die Kohle mit geschaufelt hat, ein sogenannter Krätzer, und noch ander Werkzeuge und das einzige, was fehlt sind Bergleute."

    Tatsächlich liegen die eisernen Werkzeuge wie achtlos hingeworfen in der Kohle, als wären die Bergleute nur eben mit ihrem Butterbrot zur Mittagspause nach oben gefahren. Der Aufzug in der Mitte des Stollens sieht allerdings genauso verlassen aus. Jäckel erklärt mir, wie Mensch und Kohle mit so einem 'Blindschacht' transportiert werden.

    "An jeder Etage, an jeder Sohle hat er einen sogenannter Anschläger. Und über diese Signale korrespondierte er mit dem Maschinisten. Das heißt, der Maschinist musste immer warten und bekam dann seine Instruktionen oder was er machen musste von dem Anschläger. Und das hört sich dann so an: Ein Schlag heißt immer halt. Zwei Schläge heißt auf. Der Bergmann sagt nicht hoch, er sagt auf. Drei Schläge heißt hängen - der Bergmann sagt nicht runter sondern er sagt hängen."

    Außer Peter Jäckel, der früher selbst lange als Bergbauingenieur unter Tage tätig war, hat hier aber noch nie ein Kumpel gearbeitet. Der Stollen wurde als reines Anschauungsobjekt gebaut, um früher den Studenten im Fach Mineralogie und heute den Arbeitsmedizinern einen Eindruck von der Arbeit im Kohleflöz zu vermitteln. Wie funktioniert zum Beispiel der Luftaustausch?

    "Mindestens zwei Schächte hat jede Zeche. Einen sogenannten Wetterschacht und einen Förderschacht. Über den Wetterschacht wird verbrauchte Luft rausgesaugt. Da wird ein Unterdruck erzeugt und über den Förderschacht strömt dann Luft nach. Und verteilt wird die Luft - das Wetter - unter Tage wie Bewässerungsanlagen über Tage. Ich muss also etwas zu machen damit es wo anders hinläuft und da etwas auf machen, damit es auch ankommt. Und das macht man unter Tage über sogenannte Wettertüren. Das heißt man schließt diesen Bereich und die Luft kann nicht mehr weiter. Wenn nun einer diese Strecke hier begehen muss, und steht ordentlich Luftdruck drauf, dann wird er merken, was Luftdruck bedeuten. Er kriegt die Türe letztlich nicht auf. Und da ist der Bergmann sehr erfinderisch. Da macht er also hier oben ein kleines Fenster auf, ein Teilstrom entweicht und er kann mit Leichtigkeit die Tür öffnen."

    Die Frischluftzufuhr brachte genügend Sauerstoff für die Bergleute in den Stollen und reduzierte außerdem den Anteil des gefährlichen Grubengases CH4 im Stollen. Ich erfahre von Jäckel, dass dieses hochexplosive Gas aus der Erde in den Stollen gelangt und neben eindringendem Wasser eine der größten Gefahren beim Bergbau darstellt. Zwei Stockwerke unter der Kölner Universität war das Grubengas allerdings nie ein Problem. Und Wasser ist in manchem Tunnel der Stadt sogar willkommen. Die Cloaca Maxima war das Herzstück des antiken römischen Kanalisation und nach ihrem Vorbild bauten die Römer im 4. Jahrhundert auch in Köln ein Abwassersystem.

    Heute gelangen mein Stadtführer Til Busse und ich aber trockenen Fußes in den langen schmalen Tunnel. Die Wände sind aus flachen Ziegelsteinen gemauert und ich bin erstaunt, dass man in einem römischen Abwasserkanal bequem aufrecht stehen kann. Er wirkt eher wie ein unterirdischer Geheimgang und ist mit knapp 150 Metern schmaler und um einiges länger als der Bergwerksstollen. Doch wie der Stollen unter der Universität war auch die Kloake eine Zeit lang in Vergessenheit geraten.

    "Diese Kanalröhre die ist um 1830 entdeckt worden. Da wollte anscheinend eine kölnische Familie einen Kohlenkeller graben. Und dann wurde auf einmal eben diese Röhre frei. Und im 19. Jahrhundert hat man das ganze für was sehr kölnisches verwendet. Man hat nämlich einfach Löcher in die Wände gebohrt und da Kölsch-Fässer rein gesteckt, weil man noch keine Kühlmaschinen hatte. Auf diese Weise hatte man immer schönes frisches Bier. Sehr typisch für die Kölner, die ja immer sehr pragmatisch gedacht haben. Im Zweiten Weltkrieg ist es dann so gewesen, dass man diese Röhre hier als Bunker verwendet hat. Das stelle ich mir nun nicht so schön vor, wenn es über einem wackelte und bebte hier drin zu sitzen."

    Viele der römischen Gemäuer wurden schon viel früher für andere Zwecke umfunktioniert. Das sieht man besonders gut am offenen Herzen der archäologischen Zone in der Altstadt. Die Cloaca Colonia, wie ich sie für mich nenne, ist eigentlich schon ein Teil davon. Trotzdem müssen wir nur wieder ans Tageslicht und zweimal um die Ecke, dann stehen wir davor: Der quadratische Platz vor dem Rathaus ist eine einzige Baugrube aus der mittelalterliche Mauern wie ein Labyrinth herausragen.
    "Man hat hier also lauter Kellerräume aus dem Mittelalter. Und beim Untersuchen der Mauern hat man dann festgestellt, dass die oft aber wohl aus der Römerzeit stammen. Das heißt also, dass man einfach Bausubstanz aus der Römerzeit immer weiter verwendet hat."

    Der kölsche Pragmatismus zieht sich so durch die Stadtgeschichte wie die römischen Ruinen durch die unterirdische Altstadt. Ein besonders mächtiges Gebäude muss sich zwischen dem Rathausplatz und der Cloaca Colonia befunden haben: Der Palast des römischen Stadthalters, das Prätorium. Nur die Grundmauern des linken Seitenflügels sind noch erhalten, aber die alleine erstrecken sich in einer unterirdische Halle, von der Größe eine Fußballfeldes. Vor meinem inneren Auge erscheint das ganze monumentale Bauwerk aus dem römische Soldaten und Politiker in Tuniken ein und aus gehen. Im Mittelalter dann ist der Regierungsbezirk hier mit dem jüdische Viertel verschmolzen. Mein Begleiter deutet auf die linke Wand der unterirdischen Hall und erklärt mir, dass dort das mittelalterliche Rathaus stand. Direkt darüber steht heute das aktuelle. Geradeaus vermute ich dementsprechend den Rathausplatz mit den vielen Ruinen des jüdischen Viertels, die sind von hier aus aber noch nicht zugänglich.

    "Es soll wahrscheinlich darin münden, dass es hier eine Archäologische Zone gibt, die man dann besuchen kann und da wird man dann wirklich quer durch 2000 Jahre Stadtgeschichte laufen können."

    Ich finde, man bekommt in Kölns Kellergeschoss auch jetzt schon einen gute Einblick ins die Vergangenheit der Stadt. Jetzt will ich aber wieder raus aus den Katakomben und noch ein wenig die Sonne genießen. Von meinem treppenreichen Stadtspaziergang bleibt mir die Erkenntnis, dass man in Köln für eine Zeitreise keine futuristische Maschine braucht, sondern nur ein paar Stufen. Und damit ich die wohlbehalten wieder hinaufkomme, singt Peter Jäckel, mein Führer durch den Bergwerkstollen der Universität, für mich zum Abschied das Lied der Bergleute.