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Kölner Kongress
"Die Form wirkt zurück auf das Thema"

Der Buchpreisträger Frank Witzel eröffnet den Kölner Kongress zum Thema "Erzählen in den Medien". Was eine Geschichte spannend macht, ist nicht nur der Inhalt, sondern wird auch vom Medium bestimmt. Und beides wirke sich aufeinander aus, sagte Frank Witzel im Deutschlandfunk.

Frank Witzel im Corsogespräch mit Christoph Reimann |
    Der Autor Frank Witzel im Deutschlandfunk
    Für Frank Witzel bedingen sich Form und Inhalt gegenseitig (Deutschlandradio / Kerstin Janse)
    Podcast, YouTube-Video, UKW-Feature – wer eine Geschichte erzählen will, hat die Qual der Medien-Wahl. Welches Medium kann den Hörer, Zuschauer, Nutzer am besten in den Bann ziehen? Und lassen sich verschiedene Medien vielleicht auch miteinander kombinieren? Das sind die Fragen, die heute und morgen beim Kölner Kongress gestellt werden, einer Veranstaltung im und vom Deutschlandfunk. Die Keynote, die kommt heute Abend vom Buchpreisträger Frank Witzel. Er selbst experimentiert ja gerne mit verschiedenen Medienformen.
    "Die größte Arbeit ist, eine Form zu finden"
    Christoph Reimann: Frank Witzel, Hallo zum Corsogespräch.
    Frank Witzel: Hallo.
    Reimann: Frank Witzel, was meinen Sie denn? Muss eine Geschichte heute mehr mit dem Inhalt überzeugen, also das, "was" erzählt wird, oder kommt es eher auf die Art und Weise an, also "wie" erzählt wird?
    Witzel: Ich glaube, beides ist ganz wichtig. Ich würde diese beiden Formen, also Inhalt und Form, gar nicht so trennen wollen und darum geht es auch ein bisschen über das, was ich heute Abend spreche, das ist nämlich, dass Inhalt und Form sich gegenseitig bedingen. Und ich gehe an einen Text eigentlich immer so ran, dass ich mir auch eine Form zu dem suchen muss erst, was ich sagen will. Ich habe nicht eine Form vorgegeben, in der ich dann beliebige Themen abarbeite, sondern wenn ich ein Thema habe, was mich interessiert, dann ist eigentlich die größte Arbeit, eine Form zu finden, in der das Thema auch gut aufgehoben ist. Deswegen könnte ich das gar nicht so generell beantworten. Es ist schon sehr themenabhängig. Und dann, wenn ich die Form gefunden habe, das ist dann das Interessante beim Schreibprozess, dann wirkt diese Form natürlich auch wieder zurück auf das Thema. Also auch das Thema kann sich verändern. Es findet alles sozusagen in einem Wechsel-Prozess statt.
    "Wir haben versucht, eine gleichberechtigte Ebene herzustellen"
    Reimann: Nehmen wir uns mal ein Beispiel vor: Von Ihnen wird ja auch etwas zu hören sein, ein Hörspiel wird präsentiert im Rahmen des Kölner Kongresses – "Die apokalyptische Glühbirne", eine Produktion vom BR ist das. Und das ist die Geschichte von einem Mann, der die meiste Zeit seines Lebens hinter verschlossenen Türen in der Psychiatrie verbracht hat. Und in dieser Isolation hat er geschrieben und hat gezeichnet. Und das Ganze – wie gesagt – ist ein Hörspiel, aber nicht nur: Es ist auch ein Film. Was erzählt denn dieser Film, was das Hörspiel alleine nicht erzählen kann?
    Witzel: Ja, das war eine interessante Herausforderung. Weil es ging darum, dass das Hörspiel als Hörspiel funktioniert. Also das wurde auch zuerst von mir geschrieben, das wurde fertig produziert und existiert als Hörspiel. Das heißt, es wurde auch so in der Ur-Sendung beim BR gesendet, es wird im Juni hier auch vom Deutschlandfunk gesendet werden und man kann sich das anhören, ohne dass einem da eine Ebene fehlt oder verloren geht. Und jetzt haben wir aber versucht, weil man ja oft mittlerweile am Rechner hört, in der Mediathek, als Podcast – man schaut also irgendwie auf einen Bildschirm, da ist manchmal ein Foto, manchmal ist da gar nichts. Oder man liest dabei, macht irgendwas. Wenn man schon dasitzt, kann man nicht eine Ebene finden, die etwas Zusätzliches gibt, ohne dass sie illustrativ wirkt und ohne dass das Hörspiel sie zwanghaft benötigt. Sonst wären wir ja wieder beim Film. Film ist klar, funktioniert als Bild und Ton in einer Einheit. Aber hier haben wir die Vorgabe des Hörspiels. Ich habe natürlich in dem Hörspiel kleine Verbindungen angelegt, nämlich dass die Hauptperson, Christoph Wendel, auch zeichnet – Sie haben es ja bereits gesagt. Und man sieht dessen Bilder. Aber man sieht eben nicht die Bilder als eine Illustration dessen, was man auch hört, als eine Doppelung sozusagen, sondern als eine selbstständige Ebene.
    Reimann: Aber man läuft doch Gefahr, dass man dann vielleicht vom Hörspielmoment, wenn man sich auf die Bilder konzentriert, nicht so viel mitbekommt – das ist doch schon so?
    Witzel: Das war genau die Herausforderung. Deswegen, ich habe zusammen mit einem Regisseur, der vom Film kommt, den Film gemacht und aufgenommen und auch geschnitten. Und wir haben sehr, sehr viel Zeit darauf verwandt, dass wirklich keine Ebene dominiert. Weil das ist natürlich, wie Sie sagen, die Gefahr: Ich bin von den Bildern abgelenkt, höre gar nicht mehr, wie das Hörspiel weitergeht oder ich bin so im Ton drin, dass mir die Bilder entgehen – das wäre vielleicht gar nicht mal so schlimm. Aber wir haben versucht, wirklich so eine gleichberechtigte Ebene herzustellen. Und ich glaube, das ist ganz gut geglückt. Also zumindest sind die Rückmeldungen so und morgen kann man es dann hier auch noch mal direkt überprüfen und sich anschauen.
    Stimmen verändern den Text
    Reimann: Sie können ja recht viel. Also Sie sind Schriftsteller, Sie sind Musiker, Sie sind Illustrator. Bei diesem Projekt, bei der "apokalyptischen Glühbirne" hilft das natürlich, weil Sie vieles alleine machen können. Aber andere Autoren, kann ich mir vorstellen, die brauchen dann eben schnell Hilfe, eben von anderen Künstlerkollegen, Autoren. Was meinen Sie, entstehen die Erzählungen der Zukunft noch häufiger im Team als wir das bisher erleben?
    Witzel: Das kann ich mir vorstellen. Ich finde auch die Zusammenarbeit jetzt beim Hörspiel ist für mich eine sehr interessante. Weil ich schreibe den Text zuhause, denke mir irgendetwas aus, stelle mir natürlich Figuren vor, stelle mir Stimmen vor und wie das funktionieren könnte. Und dann gebe ich das aber – in diesem Fall - dem Regisseur Leonhard Koppelmann und er macht was wirklich ganz Eigenes draus. Und ich bin immer wieder fasziniert – und deswegen fasziniert mich wirklich das Hörspiel auch -, was Stimmen und wenn man nur auf Stimmen hört, Theater ist auch was ganz Tolles natürlich, da sieht man aber auch etwas. Also dass die Stimmen den Text noch mal so verändern. Und diese Zusammenarbeit, die ich jetzt aus eigener Erfahrung kenne, die finde ich sehr bereichernd, weil man lernt plötzlich auch, dass man sich den Stimmen auch überlassen kann, dass man auch den Text ein bisschen zurücknehmen kann. Also das, was ich beim Roman sozusagen erklärend oder als Schilderung auffüllen muss, das lässt sich im Hörspiel beim Hören eines Textes durch einen Raum, der hergestellt wird, durch eine bestimmte Stimme, durch eine Nuancierung der Stimme sofort mit wenigen Momenten herstellen. Und das fasziniert mich. Und ich kann mir solche Zusammenarbeiten auch gerade, weil ja auch die Medien sich immer mehr überschneiden und ineinander bewegen, sehr gut vorstellen. Und die "apokalyptische Glühbirne" ist da so ein erster Versuch darauf hin.
    Reimann: Das sagt Frank Witzel. Heute Abend hält er den Eröffnungsvortrag beim Kölner Kongress – eine zweitägige Veranstaltung zum Thema "Erzählen in den Medien" im Deutschlandfunk. Und der Kongress, der lohnt nicht nur, weil Frank Witzel dabei ist, sondern auch, weil viele spannende Erzählkonzepte vorgestellt werden. Zum Beispiel eine Live-Feature-Performance. Das Ganze geht los heute Abend um 19 Uhr im Kölner Deutschlandfunk, der Eintritt ist kostenlos. Frank Witzel, haben Sie vielen Dank für das Corsogespräch.
    Witzel: Vielen Dank auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.