Die Prinzenproklamation im Gürzenich, das Kölner Dreigestirn wird eingeführt. Für Außenstehende schwer nachvollziehbar, doch in der karnevals-geprägten Domstadt das gesellschaftliche Ereignis des Jahres – und der eigentliche Prüfstein für das Kölner Stadtoberhaupt. Und auch in diesem Jahr, eine Woche nach den Vorfällen aus der Kölner Silvesternacht, ließen sich die Jecken um Festkomitees-Präsident Markus Ritterbach nichts anmerken:
"Liebes närrisches Volk, liebe Frau Oberbürgermeisterin, bitte, proklamieren sie unser Dreigestirn."
"Meine sehr verehrten, lieben Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, leev Fastelovendsfründe..."
Henriette Reker, die neue Oberbürgermeisterin, verkleidet als Stadtgründerin Agrippina führt erstmals das Dreigestirn ein, übergibt den Schlüssel für die Stadt. Mit "Charme und op kölsch", urteilt die Boulevard-Zeitung "Express", die "Prinzenproklamation sei Balsam für die Kölner Seele". Doch das Lob fällt hinten runter, die Ereignisse aus der Kölner Silvesternacht und deren Folgen dominieren die Schlagzeilen - und auch die bisherige Amtszeit von Oberbürgermeisterin Reker:
"Die Umstände lassen ihr keine Schonfrist."
Sagt Peter Pauls. Er ist Chefredakteur des "Kölner Stadt-Anzeigers", der führenden Zeitung der Stadt. Der WDR und Jochen Hilgers werden sogar noch deutlicher:
"Bei Oberbürgermeisterinnen oder bei Personen, die neu ins Amt kommen, gibt es eine 100-Tage-Schonfrist. Die hat Henriette Reker noch bei Weitem nicht ausgeschöpft, aber das Rennen auf sie oder die Jagd auf sie, wie immer man es nennen will, ist bereits eröffnet."
Denn im Zuge der Silvesternacht-Aufarbeitung überwarf sich Reker mit der Kölner Polizeiführung und geriet auch mit dem SPD-geführten NRW-Innenministerium aneinander. Die Aufbruchsstimmung der parteilosen Kandidatin, sie schien dahin:
"Es ist eine schwere Situation, vor allem für jemand, der diese Form von Verletzung davongetragen und auch mit der Bürde dieser Heilserwartung fast der gesamten bürgerlichen Mitte in der Stadt in sein Amt gekommen ist."
Parteilose Kandidatin für überparteilichen Aufbruch
Analysiert Chefredakteur Pauls. Der Einsturz des Stadtarchivs, falsche Stimmauszählung im Rat, verschobener OB-Wahltermin, die parteilose Kandidatin stand für einen überparteilichen Aufbruch - bis sie ein Attentäter ins Krankenhaus beförderte. Einen Tag später gewann Reker - nicht bei Bewusstsein - mit gut 52 Prozent die OB-Wahl und nahm am 22. Oktober, also heute vor 100 Tagen, das Amt an. Im Krankenhaus. Es brauchte noch einen weiteren Monat, bis Reker erstmals bei einer Pressekonferenz im Museum Ludwig, den Weg an die Öffentlichkeit suchte:
"Ja, guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich freue mich, hier zu sein..."
Sie lasse sich nicht unterkriegen, so Rekers Botschaft, auch nicht von dem Messer-Angriff:
"Dieses Attentat auf mich, diese Gewalt von außen, hat meine Überlegung, meine Werte, auch meine innere Entschiedenheit und meine Entschlossenheit noch gefestigt."
Einen Monat später, kurz vor Weihnachten wurde sie vereidigt, will sich an die Arbeit machen: Die marode Oper, eine Verwaltungsreform, Köln solle wieder in die Champions League der deutschen Metropolen - und macht wenige Wochen später doch anderweitig weltweit Schlagzeilen: Die Übergriffe auf Hunderte Frauen im Herzen der Stadt lösen ein Beben in ganz Deutschland aus - und die neue Oberbürgermeisterin macht keine glückliche Figur. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Menschen aus der "Flüchtlingsgruppe" unter den Beteiligten seien, sagte die frühere Sozialdezernentin fünf Tage später auf einer Pressekonferenz. Das stellt sich als falsch heraus. Und die Antwort auf die Nachfrage einer Journalistin nach Möglichkeiten des Schutzes für Frauen, brachte Reker in Bedrängnis ...
"Naja, es ist immer eine Möglichkeit eine gewisse Distanz zu halten, die weiter als eine Armlänge betrifft. Also von sich aus schon gar nicht eine große Nähe zu suchen zu Menschen, die einem fremd sind, zu denen man kein gutes Vertrauensverhältnis hat."
Köln braucht eine starke Führung
Die Protestwelle war gewaltig - auch wenn ihre Antwort aus dem Kontext gerissen wurde. Dennoch: Politisch ungeschickt, hieß es, medial unerfahren. Sowieso ist Reker in einem Dilemma: Das Amt des Oberbürgermeisters, es lasse einem wenig operativen Spielraum, so Peter Pauls, der Chefredakteur des "Kölner Stadt-Anzeigers". Daher brauche es Persönlichkeiten, so wie einst bei Petra Roth in Frankfurt am Main oder Joachim Erwin in Düsseldorf. Denn:
"Köln braucht eine starke Führung. Köln braucht eine Person, die nicht nur für die Medien sagt, ich übernehme Verantwortung, sondern die sich auch klar als Anwalt der Stadt und ihrer Bürger versteht."
Am 24. März ist Reker dann einhundert Tage vereidigt, vorher wolle sie keine Bilanz ziehen, lässt sie mitteilen. Doch für Chefredakteur Pauls ist jetzt schon klar – trotz des engen Amt-Korsetts:
"Sie müssen die Möglichkeiten, die sie haben, so konsequent nutzen, dass sie über einen ausgeprägten Macht- und Gestaltungswillen verfügen müssen. Sonst werden sie im Grunde zerrieben oder sie werden zum Moderator."
Und das wäre für Köln zu wenig – auch auf der nächsten Prinzenproklamation.