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Koenigs: Hilfsorganisationen müssen selbstständig arbeiten können

Um eine effektive Hilfe für die Taifun-Opfer auf den Philippinen leisten zu können, dürften Hilfsorganisationen zu ihrer Arbeit vor Ort keine Auflagen gemacht werden, sagt der Grünen-Politiker Tom Koenigs.

Tom Koenigs im Gespräch mit Bettina Klein | 13.11.2013
    Bettina Klein: Tom Koenigs von Bündnis 90/Die Grünen war bisher Vorsitzender im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag und er hat den Bericht des Kollegen Carsten Vick gerade mitgehört. Guten Morgen, Herr Koenigs.

    Tom Koenigs: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Wir haben gehört, inzwischen kommt die Hilfe allmählich zu den Betroffenen. Aber es geht offenbar im Zeitlupentempo. Wir hören immer wieder, die Hilfe ist eigentlich da, aber die Betroffenen vor Ort sind seit Tagen immer noch ohne das, was sie eigentlich brauchen. Ist das eigentlich in einer solchen Krisensituation unvermeidlich?

    Koenigs: Leider ja, und das haben die Helfer ja auch oft gesagt. Das ist unvermeidlich, weil die Infrastruktur gestört ist. Zu den entfernteren Gebieten kommt man erst gar nicht hin. Die Flughäfen und Straßen sind zerstört und worauf es ankommt, ist, da ein Mindestmaß an Koordination zu schaffen. Auch die Sicherheit ist prekär, wie wir gehört haben, und von daher sind diese Hilfskräfte auch auf solche Situationen eingerichtet. Wir haben ja sehr früh dort das Technische Hilfswerk gehabt, das immer sehr segensreich vor Ort ein Zentrum der Koordination, das auch autonom ist, einrichtet, und das ist in dem Fall auch so gewesen. Die sind seit Sonntag mit dem Vorkommando da. Das ist ein deutscher Beitrag, der sehr wichtig ist.

    Klein: Ein deutscher Beitrag, aber es sind natürlich auch viele Staaten dort vor Ort beteiligt. Sagen Sie, die Koordination der internationalen Hilfe ist optimal?

    Koenigs: Nein, die ist nicht optimal. Das ist immer schwierig. Es haben die Vereinten Nationen ja durch die Organisation OCA versucht, da ein Mindestmaß an Koordinierung hereinzukriegen. Aber wenn Sie einen Ort, der schwer geschädigt ist, wie vor Zeiten Bandar Aceh oder jetzt Tacloban, sehen, da gibt es ein hohes Maß auch von Durcheinander.

    Klein: Die Hilfsorganisation Care sagte zum Beispiel gestern, das Land, die Philippinen sind eigentlich sehr gut organisiert in der Infrastruktur, sie haben Erfahrung mit solchen Wirbelstürmen. Woraus resultieren denn nach Ihrem Eindruck die Probleme im Augenblick genau?

    Koenigs: Das Land ist zwar erfahren, aber die Leute sind ohnehin schon vorgeschädigt. Es gibt sehr hohe Armutsraten. Und ein Taifun von diesem Ausmaß mit solchen Zerstörungen ist natürlich nicht erwartet worden. Es gibt dann auch Korruption und es wäre notwendig, dass dort investiert wird in Vorbereitung auf solche Desaster. Aber das geht auch sehr langfristig. Ein Element zum Beispiel ist: Die Leute können gar nicht schwimmen.

    Klein: Das wissen Sie?

    Koenigs: Das ist dort wohl üblich, dass man das nicht lernt, und das erhöht natürlich nicht in den unmittelbaren Gefahrenzonen, aber weiter weg die Verlustrate. 40 Prozent der betroffenen Bevölkerung sind Kinder.

    Klein: Das heißt, das wäre noch mal der Appell an die Regierung dort, auch auf dieser Ebene Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. – Bei vielen wecken ja die Fernsehbilder im Augenblick Erinnerungen an den Tsunami 2004. Ist das auch eine ähnliche Problemstellung für die humanitäre Hilfe?

    Koenigs: Das sieht so aus. Die Bilder, die man jetzt von der größten dort betroffenen Stadt Tacloban sieht, ähneln sehr denen, die wir im Fernsehen gesehen haben oder selber gesehen haben in Bandar Aceh. Das sind große Flutwellen, die wirklich alles zerstören. Allerdings ist dort die Armut ohnehin schon sehr groß und die Familien leben in prekärer Situation. Die Armutsrate ist extrem hoch. Das verhindert auch, dass es eine systematische Desaster-Prepairness, also Vorbeugung, Vorbereitungshandlungen, Investitionen in Infrastruktur zur Vorbereitung von solchen Schäden gibt. Dazu kommt, dass dieser Taifun offensichtlich der schwerste ist, der dort jemals registriert worden ist. Da kann man natürlich fast gar nicht mit rechnen.

    Klein: Deutschland hilft ebenfalls, wir haben es angesprochen. Wir haben hier auch im Deutschlandfunk immer wieder Interviews mit Hilfsorganisationen vor Ort geführt. Woran wird eigentlich die Hilfe gemessen, die ein Land wie jetzt zum Beispiel das unsere leistet?

    Koenigs: Es gibt meistens eine Einschätzung von den Vereinten Nationen. OCA macht auch jeden Tag Berichte, die die Kosten berechnen, die dort wahrscheinlich anfallen. Dann wird ein Hilfsaufruf gemacht. Den hat sowohl OCA gemacht als auch das Internationale Rote Kreuz. Dann ruft man sowohl die Staaten als auch in den Fernsehsendungen die einzelnen Personen zur Hilfe auf. Wir haben in Deutschland ja eine sehr gute Nicht-Regierungsstruktur von Organisationen, Caritas, Diakonie, Malteser, Welthungerhilfe; es gibt aber auch die internationale Struktur mit den Organisationen der Vereinten Nationen, Internationales Rotes Kreuz oder Unicef. Die rufen zu Hilfen auch der Privaten auf. Dann läuft diese Maschinerie an, die dann auch koordiniert werden muss.

    Worauf es jetzt auch ankommt, ist, dass die Hilfslieferungen nicht konditioniert werden, dass sie an diesen oder jenen Ort oder an diese oder jene Maßnahme fließen, sondern dass den Hilfsorganisationen auch vertraut wird, dass sie zum Beispiel solche Investitionen in Vorbereitungen, in Sicherung, auch in längerfristige Hilfen damit tätigen können.

    Klein: Herr Koenigs, ich habe es gesagt: Sie waren Vorsitzender im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag. Inwieweit ist eigentlich dieser Ausschuss mit einer solchen Hilfsmaßnahme oder auch mit der Kontrolle derselben befasst?

    Koenigs: Der Ausschuss ist damit regelmäßig befasst. Leider tagen wir im Augenblick nicht. Das ist aber eine der Katastrophen, mit denen wir uns dort befassen, auch mit den entsprechenden Hilfsorganisationen reden, oder vom Auswärtigen Amt informiert sind. Da werden wir ja auch jetzt informiert, was gemacht wird, zum Beispiel welche Teams von staatlicher Seite - Technisches Hilfswerk ist eine staatliche Organisation -, aber auch vonseiten der NGOs geschickt werden und unterstützt werden. Die Bundesregierung hat am Anfang 500.000 Euro zur Verfügung gestellt, das jetzt noch mal um weitere eine Million aufgestockt. Bei einem geschätzten Schaden von 300 Millionen ist das natürlich noch nicht so viel.

    Klein: Noch ganz kurz, Herr Koenigs. Die Ausschüsse haben sich ja noch nicht konstituiert. Sie haben darauf hingewiesen. Wer macht die Arbeit jetzt?

    Koenigs: Die Arbeit machen einerseits natürlich die Ministerien, andererseits einzelne Abgeordnete, die sich an das Auswärtige Amt wenden. Man kann auch sehr viel Informationen über öffentliche Stellen, über offene Kanäle bekommen.

    Klein: Der Grünen-Abgeordnete Tom Koenigs, bisher Vorsitzender im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag, zur Lage auf den Philippinen und den gegenwärtig anlaufenden Hilfsmaßnahmen. Danke für das Interview, Herr Koenigs.

    Koenigs: Danke, Frau Klein.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.