Melis, der mit seinem verblüffend breitem Spektrum von Themen und Motiven zu den herausragenden deutschen Lichtbildnern der Kriegsgeneration gehört, hat sich in 45 Berufsjahren auf keine Rolle festlegen lassen.
Er begann als wissenschaftlicher Fotograf an der Berliner Charité, fotografierte für die DDR-Modezeitschrift "Sybille", war als Bildreporter und für Reisebücher unterwegs, begleitete unzählige Theateraufführungen mit der Kamera. Das Porträt, vielleicht die "Königsdisziplin" der Zunft, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch sein Schaffen.
"Die "Königsdisziplin" - hört sich schön an. Es ist die Neugier, es ist der Reiz, also, zu Leuten Kontakt zu haben, Leute kennen zu lernen. Es in Übereinklang zu bringen: Das Erlebnis und das "Abbild" der Person. Da klafft ja dann meistens eine ganz große Lücke. Aber, den Ehrgeiz zu haben, die Person, so wie man sie erlebt, auch in Bildern festhalten zu können. Und das macht ganz großen Spaß. Für mich fängt das Fotografieren, das Porträtieren einer Person mit dem Druck auf den Klingelknopf an. Ich klingle. Und wenn die Tür aufgeht - wie die Tür aufgeht, wie die Person sich mir nähert, also devot, oder 'Was wollen Sie denn?' oder oder oder - da fange ich schon an, mir ein Bild zu machen."
Wie Barbara Klemm oder Isolde Ohlbaum im Westen hat Roger Melis im Osten das "Gesicht" der neueren deutschen Literatur mitgeprägt. Wer etwa an Johannes Bobrowski, Wolf Biermann, Anna Seghers, Peter Hacks, Heiner Müller, Stephan Hermin oder Christa Wolf denkt, sieht seine Bilder vor sich. Peter Huchel war Anfang der sechziger Jahre nicht nur williges Objekt für Melis' erste fotografischen Experimente - er setzt, obwohl er es streng vermeiden will, dass sein Ziehsohn durch seine Protektion Karriere macht, dessen Laufbahn als Porträtfotograf in Gang, in dem er ihn mit dem Dramaturgen und Publizisten Klaus Völker zusammen bringt.
Völker, der rasch zum Freund und Mentor von Melis wird, lädt den gerade 21-Jährigen zur Mitarbeit an einem Buchprokjekt über Schriftsteller in der geteilten Stadt Berlin ein. Obwohl das deutsch-deutsche Buchprojekt schlussendlich nicht erscheinen kann, gilt Melis im Westen binnen kürzester Zeit als "Literaturfotograf des Ostens". Seine Arbeiten erscheinen, von Völker vermittelt, in "Magnum", im Feuilleton der "Zeit" oder in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Auch namhafte DDR-Verlage wie Volk & Welt oder Aufbau werden auf Melis aufmerksam; über mehr als zwei Jahrzehnte finden sich seine Fotografien auf Buchumschlägen, Verlagskatalogen, in Zeitungen und Literaturkalendern. Viele Autoren traten im Lauf der Jahre immer wieder vor Melis' Kamera; die Spuren der Zeit kerben sich ähnlich verlässlich in die Züge wie innere Verletzungen, enttäuschte Hoffnungen, geplatzte Träume. Von heute betrachtet fügen sich die so entstandenen Bild-Serien zu einer hoch spannenden visuellen Geschichte des geistigen Lebens in der DDR. Melis' Schriftstellerporträts, sämtlich in klassischem Schwarzweiß, wollen weder verklären noch denunzieren. Bei einer Porträt-Sitzung mit Anna Seghers etwa, wenige Wochen nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, kommt der Moment der Wahrheit, als eigentlich schon alles vorbei ist.
"Ich hatte jetzt also einen Termin bei ihr - und da bekam ich all die Posen: Aufgeklappte Bücher, aus denen sie vorlas, und Seiten blättern, und am Bücherregal stehen, und an die Schreibmaschine setzen, und sie kuckt dann von der Schreibmaschine hoch. Und das genau wollte ich alles nicht! Aber sie ließ sich kaum davon abbringen. Natürlich kann ich nicht sagen, wenn einer sagt: So möchte ich gerne fotografiert werden, kann ich nicht sagen: Nee, det mach ick nich! Sondern ich hab' es gemacht, ich hab's eine ganze Weile gemacht. Und dann gibt es also so eine Regel - aber ich glaube, zu der Zeit wusste ich das noch nicht -, dass ich mir einfach den unbequemsten Stuhl im Zimmer suche und die Personen darauf setze. Und sie setzte sich dann eigentlich an den Stubentisch, also auf den Stuhl, und hatte irgendwie so eine ... "Ja, junger Mann, wenn Sie doch bloß fertig würden!" Das ist eigentlich die Geste. Sie sitzt so da und sagt: "Ich hab' aber keene Lust mehr, wann sind Sie denn endlich fertig mit dem Fotografieren?""
Heute zählt das in der Aufregung falsch belichtete Bild - die Seghers in schwarzem Kleid vor schwarzem Hintergrund - zu den Ikonen in Melis' Werk. Bei manch anderem seiner Porträts setzt der Fotograf indes auf die Wahrheit der Pose.
"Also, Stefan Hermlin wusste genau, wie er fotografiert werden will. Setzte sich hin, überschränkte seine Arme, nahm die Pfeife - das habe ich im Abstand von 30 Jahren drei Mal fotografiert, immer im Abstand von zehn Jahren. Wie er dasitzt, wie er in eine Pose verfällt, aus der er auch kaum raus kommt. Das IST er aber letzten Endes! Da ist die Schauspielerei das auf den Punkt gebrachte Ich."
Neben den Auftragsarbeiten für Verlage, Zeitungen und Zeitschriften hat Melis über Jahrzehnte auch Autoren und Künstler in eigenem Auftrag besucht. Nicht selten wurden aus solchen Begegnungen Freundschaften; viele der in privaten Situationen in Wohnungen und Ateliers entstanden Aufnahmen besitzen Kultstatus: Die auf ihren Ausreisekisten sitzende Sarah Kirsch, der formatfüllende Schädel von Thomas Brasch, der sich dem Betrachter für immer mit dessen Debütband "Vor den Vätern sterben die Söhne" verbindet, Wolf Biermann als "Preußischer Ikarus" auf der Weidendammer Brücke. Es waren die Zeiten, als man sich im Osten noch nicht telefonisch verabredete - Brasch oder Biermann lebten im selben Kietz.
"Ich wohnte in der Hannoverschen Straße 1 - und das Eckhaus ist die Chausseestraße 131. Und er sang seine Lieder bei offenem Fenster. Es schallte über die ganze Kreuzung! Und wenn ich ihn singen hörte, dachte ich: Ach, komm, geh mal! Mal sehen! Natürlich: So wie Wolf Biermann immer zufällig seine Gitarre dabei hatte, hatte Roger Melis zufällig immer seinen Fotoapparat dabei - und möglicherweise auch eine Lampe. Und so sind dann eben sehr, sehr viele Fotos entstanden. Ich bin dann hingegangen, weil ihn gehört hatte - und eigentlich kann man ja auch mal wieder ein paar neue Fotos gebrauchen, und vielleicht krieg' ich noch eins, was noch besser ist. Bei dem letzten hat er sich so geärgert, weil er so eine schöne Jacke anhatte, und da sah er so vornehm aus - und er wollte doch eigentlich der Barde sein. Versuchste mal heute, ihn als Barden zu kriegen!"
Für den zu DDR-Zeiten trotz aller Repression unter nahezu idealen Bedingungen arbeitenden Fotografen Roger Melis bedeutete der Zusammenbruch der Verlagslandschaft Ost nach 1990 zunächst den Sturz in die Namenlosigkeit. Neben gelegentlichen Reportagereisen für die "Zeit" oder die "Süddeutsche Zeitung" verlegte er sich fast gänzlich auf seine Lehrtätigkeit beim Berliner Lette-Verein. Mit den bislang zwei im Leipziger Lehmstedt Verlag vorgelegten Fotobänden erlebt er nun so etwas wie späten Ruhm. Die "Künstlerporträts", die über 200 Aufnahmen aus der Zeit zwischen 1962 und 2002 versammeln, sind in gewisser Weise Fortsetzung und Ergänzung des zuvor erschienenen Bandes "In einem stillen Land", der in atmosphärisch dichten Bildern von der DDR und dem Alltag ihrer Bewohner erzählt. Für Melis hat es nie einen Unterschied gemacht, ob er einen Schriftstellerverbands-Präsidenten oder Bauern in der Uckermark vor der Linse hatte. Nähe, weiß er, ist keine Frage der Aufnahmeentfernung. Um sie herzustellen braucht es Neugier, Menschenkenntnis - und Respekt.
"Ich nehme die Leute ernst! Und ich nehme natürlich einen Arbeiter oder einen Schornsteinfeger in nichten weniger ernst als einen jungen Lyriker oder einen älteren Lyriker. Ich hatte grundsätzlich die Auffassung: Sieh zu! Erkunde es, geh in die Situation rein! Dann kriegst du auch deine Bilder. Ich hab' seltenes Handwerk fotografiert und bin morgens um sieben - weil, mir wurde gesagt, der fängt um sieben an - zum Seifensieder gekommen, und hab' ihn auch schon beim ersten Arbeitsgang getroffen und habe sofort angefangen, los zu fotografieren. Und dann ging er Mittagessen, und dann kam er zurück und sagte: Sagen Sie mal, wie lange wollen Sie denn eigentlich hier noch? Und da sag' ich: Naja, wann ist denn Ihre Seife fertig? - Na, 17 Uhr. Na ja, da wissen Sie, wann ich gehe. Und das ist - da fühlen sich die Leute ernst genommen! Die merken: Halt mal, da interessiert sich einer, da will einer was machen, da will er's genau machen. Je tiefer man in eine Geschichte eindringt, desto mehr kommen die Fotos an die Situation ran."
Roger Melis: Künstlerporträts. Fotografien 1962-2002. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2008; 232 Seiten, 29,90 Euro.
Roger Melis: In einem stillen Land. Fotografien 1965-1989. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2007; 192 Seiten, 24,90 Euro.
Er begann als wissenschaftlicher Fotograf an der Berliner Charité, fotografierte für die DDR-Modezeitschrift "Sybille", war als Bildreporter und für Reisebücher unterwegs, begleitete unzählige Theateraufführungen mit der Kamera. Das Porträt, vielleicht die "Königsdisziplin" der Zunft, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch sein Schaffen.
"Die "Königsdisziplin" - hört sich schön an. Es ist die Neugier, es ist der Reiz, also, zu Leuten Kontakt zu haben, Leute kennen zu lernen. Es in Übereinklang zu bringen: Das Erlebnis und das "Abbild" der Person. Da klafft ja dann meistens eine ganz große Lücke. Aber, den Ehrgeiz zu haben, die Person, so wie man sie erlebt, auch in Bildern festhalten zu können. Und das macht ganz großen Spaß. Für mich fängt das Fotografieren, das Porträtieren einer Person mit dem Druck auf den Klingelknopf an. Ich klingle. Und wenn die Tür aufgeht - wie die Tür aufgeht, wie die Person sich mir nähert, also devot, oder 'Was wollen Sie denn?' oder oder oder - da fange ich schon an, mir ein Bild zu machen."
Wie Barbara Klemm oder Isolde Ohlbaum im Westen hat Roger Melis im Osten das "Gesicht" der neueren deutschen Literatur mitgeprägt. Wer etwa an Johannes Bobrowski, Wolf Biermann, Anna Seghers, Peter Hacks, Heiner Müller, Stephan Hermin oder Christa Wolf denkt, sieht seine Bilder vor sich. Peter Huchel war Anfang der sechziger Jahre nicht nur williges Objekt für Melis' erste fotografischen Experimente - er setzt, obwohl er es streng vermeiden will, dass sein Ziehsohn durch seine Protektion Karriere macht, dessen Laufbahn als Porträtfotograf in Gang, in dem er ihn mit dem Dramaturgen und Publizisten Klaus Völker zusammen bringt.
Völker, der rasch zum Freund und Mentor von Melis wird, lädt den gerade 21-Jährigen zur Mitarbeit an einem Buchprokjekt über Schriftsteller in der geteilten Stadt Berlin ein. Obwohl das deutsch-deutsche Buchprojekt schlussendlich nicht erscheinen kann, gilt Melis im Westen binnen kürzester Zeit als "Literaturfotograf des Ostens". Seine Arbeiten erscheinen, von Völker vermittelt, in "Magnum", im Feuilleton der "Zeit" oder in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Auch namhafte DDR-Verlage wie Volk & Welt oder Aufbau werden auf Melis aufmerksam; über mehr als zwei Jahrzehnte finden sich seine Fotografien auf Buchumschlägen, Verlagskatalogen, in Zeitungen und Literaturkalendern. Viele Autoren traten im Lauf der Jahre immer wieder vor Melis' Kamera; die Spuren der Zeit kerben sich ähnlich verlässlich in die Züge wie innere Verletzungen, enttäuschte Hoffnungen, geplatzte Träume. Von heute betrachtet fügen sich die so entstandenen Bild-Serien zu einer hoch spannenden visuellen Geschichte des geistigen Lebens in der DDR. Melis' Schriftstellerporträts, sämtlich in klassischem Schwarzweiß, wollen weder verklären noch denunzieren. Bei einer Porträt-Sitzung mit Anna Seghers etwa, wenige Wochen nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, kommt der Moment der Wahrheit, als eigentlich schon alles vorbei ist.
"Ich hatte jetzt also einen Termin bei ihr - und da bekam ich all die Posen: Aufgeklappte Bücher, aus denen sie vorlas, und Seiten blättern, und am Bücherregal stehen, und an die Schreibmaschine setzen, und sie kuckt dann von der Schreibmaschine hoch. Und das genau wollte ich alles nicht! Aber sie ließ sich kaum davon abbringen. Natürlich kann ich nicht sagen, wenn einer sagt: So möchte ich gerne fotografiert werden, kann ich nicht sagen: Nee, det mach ick nich! Sondern ich hab' es gemacht, ich hab's eine ganze Weile gemacht. Und dann gibt es also so eine Regel - aber ich glaube, zu der Zeit wusste ich das noch nicht -, dass ich mir einfach den unbequemsten Stuhl im Zimmer suche und die Personen darauf setze. Und sie setzte sich dann eigentlich an den Stubentisch, also auf den Stuhl, und hatte irgendwie so eine ... "Ja, junger Mann, wenn Sie doch bloß fertig würden!" Das ist eigentlich die Geste. Sie sitzt so da und sagt: "Ich hab' aber keene Lust mehr, wann sind Sie denn endlich fertig mit dem Fotografieren?""
Heute zählt das in der Aufregung falsch belichtete Bild - die Seghers in schwarzem Kleid vor schwarzem Hintergrund - zu den Ikonen in Melis' Werk. Bei manch anderem seiner Porträts setzt der Fotograf indes auf die Wahrheit der Pose.
"Also, Stefan Hermlin wusste genau, wie er fotografiert werden will. Setzte sich hin, überschränkte seine Arme, nahm die Pfeife - das habe ich im Abstand von 30 Jahren drei Mal fotografiert, immer im Abstand von zehn Jahren. Wie er dasitzt, wie er in eine Pose verfällt, aus der er auch kaum raus kommt. Das IST er aber letzten Endes! Da ist die Schauspielerei das auf den Punkt gebrachte Ich."
Neben den Auftragsarbeiten für Verlage, Zeitungen und Zeitschriften hat Melis über Jahrzehnte auch Autoren und Künstler in eigenem Auftrag besucht. Nicht selten wurden aus solchen Begegnungen Freundschaften; viele der in privaten Situationen in Wohnungen und Ateliers entstanden Aufnahmen besitzen Kultstatus: Die auf ihren Ausreisekisten sitzende Sarah Kirsch, der formatfüllende Schädel von Thomas Brasch, der sich dem Betrachter für immer mit dessen Debütband "Vor den Vätern sterben die Söhne" verbindet, Wolf Biermann als "Preußischer Ikarus" auf der Weidendammer Brücke. Es waren die Zeiten, als man sich im Osten noch nicht telefonisch verabredete - Brasch oder Biermann lebten im selben Kietz.
"Ich wohnte in der Hannoverschen Straße 1 - und das Eckhaus ist die Chausseestraße 131. Und er sang seine Lieder bei offenem Fenster. Es schallte über die ganze Kreuzung! Und wenn ich ihn singen hörte, dachte ich: Ach, komm, geh mal! Mal sehen! Natürlich: So wie Wolf Biermann immer zufällig seine Gitarre dabei hatte, hatte Roger Melis zufällig immer seinen Fotoapparat dabei - und möglicherweise auch eine Lampe. Und so sind dann eben sehr, sehr viele Fotos entstanden. Ich bin dann hingegangen, weil ihn gehört hatte - und eigentlich kann man ja auch mal wieder ein paar neue Fotos gebrauchen, und vielleicht krieg' ich noch eins, was noch besser ist. Bei dem letzten hat er sich so geärgert, weil er so eine schöne Jacke anhatte, und da sah er so vornehm aus - und er wollte doch eigentlich der Barde sein. Versuchste mal heute, ihn als Barden zu kriegen!"
Für den zu DDR-Zeiten trotz aller Repression unter nahezu idealen Bedingungen arbeitenden Fotografen Roger Melis bedeutete der Zusammenbruch der Verlagslandschaft Ost nach 1990 zunächst den Sturz in die Namenlosigkeit. Neben gelegentlichen Reportagereisen für die "Zeit" oder die "Süddeutsche Zeitung" verlegte er sich fast gänzlich auf seine Lehrtätigkeit beim Berliner Lette-Verein. Mit den bislang zwei im Leipziger Lehmstedt Verlag vorgelegten Fotobänden erlebt er nun so etwas wie späten Ruhm. Die "Künstlerporträts", die über 200 Aufnahmen aus der Zeit zwischen 1962 und 2002 versammeln, sind in gewisser Weise Fortsetzung und Ergänzung des zuvor erschienenen Bandes "In einem stillen Land", der in atmosphärisch dichten Bildern von der DDR und dem Alltag ihrer Bewohner erzählt. Für Melis hat es nie einen Unterschied gemacht, ob er einen Schriftstellerverbands-Präsidenten oder Bauern in der Uckermark vor der Linse hatte. Nähe, weiß er, ist keine Frage der Aufnahmeentfernung. Um sie herzustellen braucht es Neugier, Menschenkenntnis - und Respekt.
"Ich nehme die Leute ernst! Und ich nehme natürlich einen Arbeiter oder einen Schornsteinfeger in nichten weniger ernst als einen jungen Lyriker oder einen älteren Lyriker. Ich hatte grundsätzlich die Auffassung: Sieh zu! Erkunde es, geh in die Situation rein! Dann kriegst du auch deine Bilder. Ich hab' seltenes Handwerk fotografiert und bin morgens um sieben - weil, mir wurde gesagt, der fängt um sieben an - zum Seifensieder gekommen, und hab' ihn auch schon beim ersten Arbeitsgang getroffen und habe sofort angefangen, los zu fotografieren. Und dann ging er Mittagessen, und dann kam er zurück und sagte: Sagen Sie mal, wie lange wollen Sie denn eigentlich hier noch? Und da sag' ich: Naja, wann ist denn Ihre Seife fertig? - Na, 17 Uhr. Na ja, da wissen Sie, wann ich gehe. Und das ist - da fühlen sich die Leute ernst genommen! Die merken: Halt mal, da interessiert sich einer, da will einer was machen, da will er's genau machen. Je tiefer man in eine Geschichte eindringt, desto mehr kommen die Fotos an die Situation ran."
Roger Melis: Künstlerporträts. Fotografien 1962-2002. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2008; 232 Seiten, 29,90 Euro.
Roger Melis: In einem stillen Land. Fotografien 1965-1989. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2007; 192 Seiten, 24,90 Euro.