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Königsdrama auf der Baustelle

Arthur Kogan lässt Shakespeares "Richard III." in seiner Inszenierung auf einer Baustelle spielen und den von ihm ausgebildeten Itay Tiran von dort als skrupellosen Monarchen agieren und intrigieren. Das Stück am Cameri Theater in Tel Aviv wirkt aber insbesondere durch den zynischen Einsatz der Musik.

Von Christian Gampert |
    Wenn man behauptet, das israelische Theater stehe in voller Blüte, dann ist das eher eine Untertreibung. Wer sich an einem normalen Abend in das Cameri-Theater in Tel Aviv begibt, der wähnt sich eher in einem Cinemaxx-Kino-Komplex: vier, fünf Aufführungen werden hier gleichzeitig gespielt, oft gibt es auch noch Vormittags- und Nachmittags-Vorstellungen, von der extremen Reisetätigkeit dieser Bühne im In- und Ausland mal abgesehen.

    Und in der Tat ist es oft eine filmische Ästhetik, die von den großen Bühnen gepflegt wird: Ein politisch kontroverses Thema wird dann mit viel Musik, unterhaltsamer Dramaturgie und Starbesetzung durchgenommen. Das kann man durchaus auch kritisch sehen: Ilan Rosenthal, der Manager des Tmuna-Theaters, der größten Alternativ- und Off-Bühne Tel Avivs, beklagt ständig sinkende Subventionen für sein Haus, wo junge Künstler mit geringem Budget produzieren und nebenbei oft als Kellner arbeiten müssen. Die mit viel Staatsgeldern gepolsterten Aufführungen des Nationaltheaters Habima, von Beit Lessin und Cameri dagegen seien pures Entertainment, sagt Rosenthal.

    Immerhin werden die subkulturell angehauchten Arbeiten aus der Tmuna-Küche nun auch auf der "Theatre Exposure" gezeigt, die jedes Jahr die besten Aufführungen ins Ausland bringen will. Neben (erst auf den zweiten Blick als Fake erkennbaren) Globalisierungs-Biografien, in denen ostdeutsche Mädchen in Jerusalem landen, kann man da alle möglichen theatralen Formen bewundern, vom Puppen- zum Körpertheater, vom Märchen zur politischen Agitation.

    Die wichtigste Aufführung, Shakespeares "Richard III" in der Regie von Arthur Kogan, kommt gleichwohl vom Cameri-Theater. Kogan ist vor allem Schauspiellehrer und hat als solcher auch Itay Tiran ausgebildet, der als verstockter, auf pubertäre Weise politisch aufbegehrender Hamlet in Omri Nitzans legendärer Inszenierung Geschichte schrieb. Der erst 32-jährige Tiran ist heute Israels wichtigster Theaterakteur, und er wollte noch einmal mit seinen alten Kommilitonen von der Schauspielschule arbeiten – und eben mit seinem Lehrer Arthur Kogan als Regisseur.

    Das Ergebnis ist originell und widersprüchlich zugleich. Die Bühne, der Königshof ist eine Baustelle, was sich unschwer auf Israel und Tel Aviv als ewige Baustelle beziehen lässt. Aus diesem Baugerüst heraus wird Itay Tiran als hässlicher Richard agitieren, intrigieren, Finten schlagen und auch als armer Büßer auftreten, um auf den Thron zu gelangen. Zunächst aber schreitet er ein, als die Prinzen in der Neujahrsnacht einen Behinderten quälen. Er selbst ist nur leicht gehandicapt, ein steifes Bein, nichts Schlimmes, aber keiner liebt ihn – und die Liebe, oder vielmehr den Sex holt er sich durch sprachliche Virtuosität, durch politische Verstellungskunst.

    Zentral die Szene, in der er Anne, die Frau des soeben erschlagenen Konkurrenten Edward, noch in der Kirche an der Leichenbahre verführt. Das ist anfangs ganz sanft, dann aber durchaus rüde gemacht, und Tiran, der Herzog von Gloucester, der spätere Richard III, besteigt die Ehefrau des Toten über der auf einem OP-Tisch liegenden Leiche. Für Israel ist das harter Stoff ...

    Das beherrschende Stilprinzip der Aufführung aber ist der durchaus zynische, ironische Einsatz von Musik. Wenn der Tod, der Mörder Tyrell auf der Bühne erscheint, dann hat er stets einen Ghetto-Blaster dabei und ein Lied auf den Lippen, von Gounod aus der "Bartholomäusnacht" oder auch aus Mozarts "Don Giovanni".

    Und wenn der Auftrags-Mörder im Tower die beiden jungen Prinzen meuchelt, dann singt er, auf Deutsch: Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein. Ansonsten ist diese Shakespeare-Oper aber durchaus konventionell inszeniert, das Personal steht stocksteif herum wie das Kabinett von Benjamin Netanjahu. Dass dieser im Januar wiedergewählt werden könnte, das beunruhigt weite Teile der Kulturschaffenden Israels ... und zwar viel mehr als alle ästhetischen Probleme.