Die Oper "Königskinder" hatte es immer schwer gegen ihre weitaus häufiger aufgeführte Schwester "Hänsel und Gretel". Schon, weil sie zunächst als Melodram komponiert wurde und nach wenigen Jahren von den Bühnen verschwand. Erst als Humperdinck das Werk zur durchkomponierten Oper umgearbeitet hatte und 1910 in New York urauf-führte, konnte es sich die Bühnen behaupten. In dieser Fassung wird sie bis heute gespielt. Aber im Gegensatz zu "Hänsel und Gretel" hat Humperdinck in den "Königskindern" eine traurige, ja deprimierende Geschichte über die Unbelehrbarkeit und Lieblosigkeit einer Gesellschaft vertont, die ihre Königskinder verkennt und verhungern lässt. Schon vom Sujet her ist das weit weniger attraktiv als das allbekannte Märchen von Hänsel und Gretel mit seinem Happy End . Und - bei allem Respekt vor dem Werk: Es hat Längen. Das Libretto hat seine Schwächen, und die Musik ist weniger eingängig und stringent als die von "Hänsel und Gretel".
Moderne Parabel
Die junge niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen hat mit ihrer Dresdner Inszenie-rung dem Märchen von der Gänsemagd und dem Königssohn alles Märchenhafte ausgetrieben und stattdessen die Tatsache, dass die jüdische Librettistin Elsa Bernstein in Sichtweite der Münchner Feldherrnhalle gewohnt hat und 30 Jahre nach der Entstehung der Oper das Aufkommen des Nationalsozialimus hautnah miterlebte, zum Ausgangspunkt ihrer Inszenierung gemacht. Sie zeigt eine moderne Parabel, in der erkennbar werden soll, wie es ist, wenn eine Gesellschaft in ihrer Sehnsucht nach einer Führergestalt verroht und ihre Menschlichkeit verliert. Schön und gut, aber die Handlung spielt in einem tristen Einheitsraum eines Gebäudes aus den Dreißigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Es ist eine Art Empfangshalle eines Grandhotels, in dem statt des Märchens die Vorgeschichte des aufkommenden Nationalsozialismus angedeutet werden soll: Die Entmenschlichung einer Gesellschaft und den Sieg des Bösen über das Gute. Alle Mitwirkenden treten in Kostümen und Perücken der Dreißigerjahre auf, alles atmet muffig-völkische Bürgerlichkeit der Nazizeit. Auf Hakenkreuze und Führergruß hat die Regisseurin immerhin verzichtet. Ihr Konzept beißt sich auf geradezu groteske Weise mit dem Libretto, das man als Übertitel mitlesen kann. Es geht nicht auf.
Alles Kindliche, Traumhafte, Phantastische wird dem Stück ausgetrieben, weitgehend auch die naturhafte Außenwelt, bis auf den Ast eines Baums, der in ein Fenster ragt, und auf Schneefall in der Hotelhalle. Kinder spielen Tiere. Das grenzt immer wieder ans Lächerliche. Da die Personenführung auf psychologische Plausibilität und Glaubwürdigkeit verzichtet, gerinnt das Stück, das immerhin drei Stunden dauert, zu einer langweiligen, weitgehend statuarischen, nazitümelnden Stehparty ohne Charme und Poesie.
Nicht mehr als Mittelmaß
Ursprünglich sollte Hartmut Hänchen diese Oper einstudieren. Doch der renommierte Dirigent hat sich wegen unzumutbarer Produktionsbedingungen, wie er erklärte, aus der Produktion zurückgezogen. Es knirscht im Gebälk der Semperoper, seit der designierte Intendant Serge Dorny noch vor seinem Amtsantritt gefeuert wurde. Ausreichende Probenzeiten, so ist zu hören, werden nur Christian Thielemann zugestanden. Der Dialog zwischen Opernhaus und Orchester sei nicht optimal. Die Folgen sind zu hören: Der junge estländische Dirigent Mikhle Kütson sollte die Aufführung retten. Doch er dirigiert unbeteiligt, routiniert, um nicht zu sagen brachial und hemdsärmlig. Vom subtilen Seelenzauber der Musik Humperdincks bleibt kaum etwas übrig. Die Sächsische Staatskapelle Dresden spielt – bei aller Bewunderung - schlampig und unter ihrem Niveau. Auch sängerisch gerät die Aufführung nicht über Mittelmaß hinaus. Eine herbe Enttäuschung, diese Neuproduktion der Semperoper Dresden.