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"Können die Grünen sich das überhaupt leisten?"

In den Augen von "Spiegel"-Autor Markus Feldenkirchen reagieren die Grünen mit übertriebenem Eifer auf ihr Abschneiden bei der Bundestagswahl. Die Verluste im Vergleich zum letzten Mal seien "wirklich nicht tragisch". Es wäre ein Fehler, "20 Prozent plus X" vor Augen zu haben.

Markus Feldenkirchen im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Bei den Grünen bleibt zurzeit kein Stein auf dem anderen, an jedem Tag gibt es einen weiteren Rücktritt und mindestens eine weitere Kandidatur. Jede Menge Spitzenpositionen in der Partei müssen in den kommenden Wochen neu besetzt werden. Einer, der das in Berlin beobachtet, ist der "Spiegel"-Autor und Schriftsteller Markus Feldenkirchen. Schönen guten Morgen.

    Markus Feldenkirchen: Einen schönen guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Feldenkirchen, kommen Sie noch mit bei dem, was sich da gerade bei den Grünen tut?

    Feldenkirchen: Nein! Ganz ehrlich: nein! Keine Partei legt einen solchen Eifer und eine solche Beflissenheit an den Tag, um zurückzutreten, um sich selbst aus dem Verkehr zu ziehen, um den Neustart zu ermöglichen. Angesichts von rund zwei Prozent Verlusten bei einer Bundestagswahl - denn mehr war es ja nicht im Vergleich zum Jahr 2009 - finde ich es, gerade verglichen mit dem, wie die anderen Parteien mit ihren Wahlergebnissen umgehen, beispielsweise die SPD, fast schon etwas übertrieben, und man fragt sich auch so ein bisschen: Können die Grünen sich das überhaupt leisten, haben sie so viele fähige und bekannte Leute, um diese Welle an Rücktritten überhaupt zu kompensieren.

    Armbrüster: Woran liegt denn dieser Übereifer?

    Feldenkirchen: Ich glaube, sie sind tatsächlich geschockt, die Grünen. Sie hatten sich blenden lassen von dem kurzzeitigen Erfolg quasi in der Welle von Fukushima, den Erfolgen in Baden-Württemberg und dann auch in den Umfragen, die ihnen über ein, zwei Jahre lang immer über 20 Prozent auch bundesweit vorgegaukelt haben. Diese Betroffenheit, jetzt sind sie bei 8,5 Prozent, das ist nicht schön, aber wenn man sich alle Wahlergebnisse von davor anschaut, ist es auch wirklich gar nicht tragisch.

    Armbrüster: Wir haben jetzt immer als Kritik in den letzten Tagen gehört, die Grünen waren in diesem Wahlkampf zu links. Sehen Sie jetzt, dass die Partei da vor einem Ruck nach rechts steht?

    Feldenkirchen: Es ist fast immer so, wenn Parteien für sie unangenehme Wahlergebnisse zu verkraften haben, dass man danach erst mal ziemlich blind - weil es ist ja dann tatsächlich ein Schock da; man weiß nicht genau, woran hat es gelegen - einfach mal auf das Gegenteil dessen tippt, was man bis dahin gemacht hat. Sicherlich war einiges strategisch falsch an diesem Wahlkampf. Es war der letzte Jürgen-Trittin-Wahlkampf, würde ich sagen, der ja nun auch seine Sozialisation in einer Zeit hat, als es nicht um ökologische Lebensführung ging und gesunde Ernährung, sondern als knallharte Interessen die Gesellschaft umtrieben ökonomistischer Art, als es um Steuer-, um Verteilungs-, um Gerechtigkeitsfragen ging, und es war ein bisschen so, dass der gar nicht so alte Jürgen Trittin, der aber nun mal lange dabei ist, der Partei ein letztes Mal mit seinen Lieblingsthemen, mit seinen Kernthemen den Stempel aufgedrückt hat. Diese ganzen Gefühlsgrünen, die die Partei in den letzten 20 Jahren hinzugewonnen hat, langsam, vor allem auch erst in den letzten zwei Jahren, denen es um behagliche Lebensführung geht - man könnte sie auch die neuen Spießer nennen -, die wurden mit der urgrünen Jürgen-Trittin-Kampagne tatsächlich vor den Kopf getreten, und da will man jetzt offenbar gegensteuern.

    Armbrüster: Das heißt, die gewinnen jetzt die Oberhand?

    Feldenkirchen: Ja, einfach weil die Gegenseite mit ihrem Kurs gescheitert ist. Man hat das sehr oft und sehr gern bei Parteien, dass dann erst mal alles, was bisher gemacht wurde, für schlecht erklärt wird. Ich bin da sehr, sehr skeptisch, weil genauso wie die Grünen eine wachstumsskeptische Partei sind, habe ich ehrlich gesagt nie an eine Volkspartei die Grünen und die 20-Prozent-Grünen geglaubt. Vielleicht sind die Grünen einfach auf die Größe zurückgeschrumpft, die sie tatsächlich ausmachen, rund um acht Prozent, und vielleicht ist das, was Kretschmann in Baden-Württemberg geschafft hat, wirklich nur diesem einmaligen historischen Moment geschuldet und vielleicht ist es deshalb auch ein Fehler, jetzt in der Neubesetzung wieder diese 20 Prozent plus X vor Augen zu haben.

    Armbrüster: Lassen Sie uns ganz kurz noch, Herr Feldenkirchen, über einen Namen sprechen. Simone Peter aus dem Saarland will sich um das Amt der Koparteichefin bewerben. Diese Person, dieser Name ist vielen, den meisten wahrscheinlich völlig unbekannt. Was ist das für eine Frau und was können die Grünen mit ihr erwarten?

    Feldenkirchen: Ich müsste lügen, wenn ich sagte, sie wäre mir schon allzu lange bekannt. Aber natürlich ist sie eine Frau, die gerade im Vergleich zu dem Spitzenduo, was jetzt in diesem Wahlkampf unterwegs war, Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt, ein bisschen mehr wieder an grüne Umgangsformen, wie man sie vorher kannte, erinnern lässt: ein bisschen überraschender, nicht so apparatschikmäßig unterwegs ist. Man kann gegen keinen der Grünen, die jetzt nach vorne drängen, sich um Ämter bewerben, irgendetwas sagen, außer der Tatsache, dass jeder unserer Zuhörer, aber erst recht die Leute, die nicht zuhören, als allererstes mal sagen werden: Wer ist denn das? Kennt man überhaupt noch jemanden von den Grünen?

    Armbrüster: Der "Spiegel"-Autor und Schriftsteller Markus Feldenkirchen über die aktuelle Lage bei den Grünen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Feldenkirchen.

    Feldenkirchen: Danke Ihnen.


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