"Fitness hatte mal ganz viel auch mit Freiheit zu tun, also mit der Idee, selber über sein Schicksal bestimmen zu können, und diese Möglichkeit am Körper zu arbeiten und den Körper zu formen, geht auch sehr stark mit der Einsicht einher, dass Gesellschaft überhaupt etwas Veränderliches ist."
"Ich muss sagen, im Ganzen fühl ich mich besser, seit ich trainiere, nicht nur die Gesundheit, irgendwo auch das Selbstbewusstsein ist dadurch gesteigert."
"Dieses Thema Body-Modifikation und dieses sich Schönheitsbildern anpassen, die von außen kommen, das ist sicherlich etwas, was historisch und kulturell sich durchzieht."
"Der Körper und die körperliche Beschaffenheit sind in Bezug auf das ästhetische Erscheinungsbild eben nicht mehr Schicksal."
Das Verhältnis des modernen Menschen zum Körper ist paradox. Die Mediengesellschaft braucht ihn kaum mehr, weil weltweite Kommunikation ohne materielle Anwesenheit möglich ist. In der Arbeitswelt haben vielerorts Maschinen den Platz eingenommen. Auf der anderen Seite gilt der Körper als das Statussymbol der Leistungsgesellschaft – mit regelrechter Besessenheit: Es wird trainiert, geformt, gepierct, operiert oder mit Prothesen versucht, den Körper zu bekommen, den man für beruflichen und privaten Erfolg sowie gesellschaftliches Ansehen braucht. Daneben gibt es aber auch eine "Körpervergessenheit": Ohne medizinische Labordaten, Röntgenbilder oder Fitness-App wissen viele nicht mehr genau, ob sie gesund sind oder krank. Und nicht, wie sie wirklich aussehen ohne Photoshop oder Facetune.
"Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Sprin: Der Mensch ist ein Wesen aus Fleisch und Blut – und der Körper bestimmt auch den Umgang miteinander. "Innere Werte" mögen langfristig wichtig sein, aber die "äußere Hülle" entscheidet darüber, ob eine Beziehung überhaupt zustande kommt. Zuerst müssen wir einander sehen, hören, riechen, berühren.
"Meine Partnerin bräuchte keinen durchtrainierten Körper, also es reicht ein flacher Bauch und nicht zu breit gebaut."
"Er sollte schon einen guten Körper haben, also schlicht, schlank – das reicht."
"Er sollte schon einen guten Körper haben, also schlicht, schlank – das reicht."
Wechselnde Vorstellungen vom "idealen" Körper
Die Vorstellung von männlicher Schönheit ist relativ konstant, für Frauen dagegen haben die Normen gewechselt. Im Laufe der Jahrhunderte pendelte es stets zwischen den Polen "weiblich-üppig" und "androgyn-schlank". Die "Venus von Willendorf" aus der Altsteinzeit hatte große, hängende Brüste und sehr dicke Beine, viel Bauch und Po – als Symbol der Fruchtbarkeit. Und Marilyn Monroe trug Kleidergröße bis 44. Typische Vertreterinnen des anderen Extrems waren Models wie Twiggy in den 1960ern oder Kate Moss in den 90er-Jahren, die bei einer Mindestgröße von 1,80 deutlich unter 50 Kilo wiegen sollten. Heute unterscheiden sich Körperideale kulturell kaum noch, sagt die Berliner Psychoanalytikerin Dr. Ada Borkenhagen, die zu Körperstörungen und Schönheitsoperationen forscht.
"Es gibt sozusagen ein globales Schönheitsideal, das sich sehr stark nach dem westeuropäischen oder US-amerikanischem Körperideal formt. Das heißt nicht, dass nicht eine Asiatin dunkles Haar haben darf, aber es heißt sehr wohl, dass beispielsweise die Augenform sehr normiert ist."
Ähnliches gilt auch für Nasen, vor allem in den USA. Bis heute wirkt das koloniale Erbe nach: Weiß und schlank bedeutet erfolgreich. Aber Körperbilder sind immer noch durch Kunst und Medien in verschiedenen Zeiten und Weltregionen vermittelt:
"Die Möglichkeit, in jedem Moment von mir ein Bild zu machen, was ich dann auch digital posten kann, hat zunehmend dazu geführt, dass ich als Individuum auch dazu gezwungen, sag ich mal in Anführungsstrichen, werde, mich in jedem Moment als idealen Körper zu inszenieren und ideal, schön oder gut oder attraktiv auszusehen."
Seit dem Zeitalter der Aufklärung gilt der Körper nicht mehr als biologisches Schicksal, sondern als veränderbar und in die eigene Verantwortung gegeben. Seine umfassende Pflege wird vordringlichste Aufgabe des mündigen Bürgers. Der französische Philosoph Michel Foucault hat dafür den Begriff "Biopolitik" geprägt. Der Erfurter Soziologe Professor Jürgen Martschukat befasst sich mit Körper- und Fitnessgeschichte.
"Mit diesem Recht auf Selbstverantwortung und mit dem Recht auf Freiheit geht auch immer die Pflicht einher, diese Freiheit auch bestmöglich zu nutzen, zum eigenen Vorankommen, aber dann in der Summe eben auch zu der Entwicklung der Gesamtgesellschaft, sowohl individuelle als auch kollektive Produktivität und Leistungsfähigkeit zu erzeugen."
"Das Ganze soll den Zweck haben, dass mir meine Gesundheit und die Arbeitskraft erhalten bleibt."
Geschichte von Fitness und Fitness-Wahn
Die individuelle Beschäftigung mit dem Körper seit der Aufklärung ist der eigentliche Beginn der Fitness-Idee, fit sein bedeutet passförmig sein und tüchtig. Eine Art protestantisches Ideal: Schön ist ein Körper, dem man die Arbeit daran und die Disziplin ansieht. Martschukat:
"Im späten 19. Jahrhundert haben wir ja so eine erste große Fitnesswelle, die losbricht, und in der Zeit beginnt eben auch so etwas wie eine erste Welle der Dicken-Diskriminierung einzusetzen. Also dass Körperfett eben nicht mehr nur für Wohlstand steht, das tut es auch noch, aber man kann feststellen, dass eben schlanke Körper in der Zeit immer mehr als Ausdruck von Leistungsfähigkeit und Erfolg und Rationalität und guter Selbststeuerung fungieren."
Zu dieser ersten Fitness-Bewegung gehören zum einen die diversen Gesundheits- und Ernährungsideologien wie die der Vegetarier oder Lebensreformer, die Turner-, FKK- und Wandervogel-Bünde. Sie alle haben auch einen mehr oder weniger starken politisch-nationalen Hintergrund.
"Das finden wir, wo es um die Frage der Wehrhaftigkeit geht, also um das Training des Körpers im Sinne der Kampfbereitschaft, und das ist ja übrigens etwas, was die Fitnessbewegung heute auf eine Art auch noch sehr stark reflektiert, dass es um so etwas geht wie die Bereitschaft geht, den Kampf aufzunehmen, ja, und das finden wir auch in so einem Bereich, den man vielleicht im weitesten Sinne mit sexueller Attraktivität und Reproduktivität beschreiben kann."
Nach dem Ersten Weltkrieg gibt es einen wahren Körperkult in Deutschland: Förderung des Leistungs- und Massensports, Bodybuilding, Ausdruckstanz, Schönheitskonkurrenzen – alles mit dem Ziel, sich als Nation starker, gesunder, schöner Menschen zu präsentieren.
Aber nach dem Krieg gibt es auch über zwei Millionen Kriegsinvaliden. Darum wird nun viel Anstrengung auf die Körper-Reparatur gelegt: Prothesen, Ersatzkörperteile aus künstlichen Materialien, gab es zwar schon vorher, sie waren jedoch ein Privileg der Oberschicht. Jetzt, im Zeitalter von technischer Machbarkeit und Prothesen-Massenproduktion entsteht auch ein neues Körperbild: Dazu forscht Sabine Kienitz, Professorin für Kulturwissenschaften in Hamburg mit dem Schwerpunkt Körper- und Prothesengeschichte:
"Es gab damals Theorien über zivilisatorischen Fortschritt, und die Hand stand für den Menschen, der diesen zivilisatorischen Fortschritt auch umsetzen kann."
Der handelnde Mensch, der zupacken, etwas begreifen, handhaben kann. Sabine Kienitz:
"Es wurde wesentlich mehr Aufwand gesteckt in die Entwicklung von Armprothesen, der Verband deutscher Ingenieure ist da ganz groß eingestiegen, alle damaligen großen Industriestandorte hatten ihre eigene Prothesen-Produktion, hatten Schulen, in denen Menschen an den Maschinen angeleitet worden sind, das war die große Zeit einer bestimmten Form von industrieller Fertigung, wo man gar nicht mehr dran interessiert war, dass der Mensch vielfältige Handbewegungen braucht, um ein Produkt herzustellen, sondern man stellte einen Mann hin, der kriegte eine Prothese, und dann machte er auch nur diese eine Handbewegung, die er mit dieser Apparatur machen konnte. Also der Mensch wurde quasi an die Maschine angepasst."
Fitte Körper für die moderne Industriegesellschaft. "Passförmig" auch im Hinblick auf Klassenunterschiede:
"Es ist wirklich sozial ausdifferenziert gewesen, wer welche Prothesen brauchte, der Beamte, der am Schalter saß, wurde nicht ausgestattet mit einer hochtechnischen, nicht menschlich aussehenden Prothese, sondern der kriegte natürlich trotzdem seine den Schaden verdeckende Prothese, mit der er nach außen hin auch als vollständiger Mann identifizierbar war."
Auch für Kriegsversehrte der Oberschicht geht es um Fitness: Hier sind vor allem gute, also unsichtbare Beinprothesen wichtig, damit man zumindest optisch nicht hinterherhinkt.
Andererseits sind nach dem Ersten Weltkrieg die vielen verletzten Körper unübersehbar, und damit wird Politik gemacht, mit den "Beschädigten Helden", wie Sabine Kienitz das in ihrer Habilitation genannt hat.
Körper und Politik
"Auf den großen Kriegsbeschädigtendemonstrationen beispielsweise, wo Tausende unterwegs waren, die einen wurden dann auf Wagen gefahren, die anderen wurden von ihren Frauen geführt, die dritten sind mit den Krücken unterwegs gewesen, also wie dieser geschlagene Staat auch eben über diese Inszenierung des versehrten Körpers ja sichtbar geworden ist, und das hängt auch mit dieser Politisierung zusammen, dass die Kriegsgegner die Versehrten für sich funktionalisiert haben, um zu zeigen, 'nie wieder Krieg', also was für schreckliche Folgen Krieg hat, auch Hitler hat die Kriegsversehrten dazu benutzt, seht her, was wir hier alles gelitten und geopfert haben, dafür müssen wir uns doch jetzt irgendwie rächen oder dafür brauchen wir Kompensation."
Körperbilder sind eben sehr stark – aber starke, perfekte Körper wiederum noch stärker, wenn es nicht um einzelne, sondern um den "kollektiven Körper" geht. Schon im Zuge des Sozialdarwinismus, erst recht mit den Nazis, verengen sich die Vorstellungen von der gesellschaftlichen Bedeutung des Körpers zum "Volkskörper", zu jenem imaginären größeren Organismus, der mit Hilfe von Züchtung und Auslese durch Rassenhygiene und Eugenik gestärkt werden soll.
Im Nationalsozialismus wird aber auch die Idee vom perfekten individuellen Körper gepflegt – unterstützt vom medialen Frontalangriff der Filme von Leni Riefenstahl, die sich gern der Klischees antiker Sportler bediente. Der Nazi-Körperkult gehört durchaus in die Fitnessgeschichte, meint Jürgen Martschukat:
"Das ist schon ein Phänomen, was tatsächlich auch mit dieser Fitnessbewegung sich überlagert. Ein Unterschied ist, dass Fitness ganz wesentlich auf Selbstaktivierung setzt. Beide operieren aber über die Vorstellung, dass es einen Leistungskörper, einen nach bestimmten Maßstäben erfolgreichen Körper herzustellen gilt, und dass dieser Körper dann auch einen gesunden und leistungsfähigen Kollektivkörper herstellt, der in diesem nicht enden wollenden Wettbewerb und Kampf, als den man das gesellschaftliche Miteinander lange definiert hat, erfolgreich sein kann."
Auch der demokratische Staat ist an körperlicher Gesundheit und Fitness seiner Bürger interessiert.
"It's time to BeActive! Deutschland ist dabei."
Fitness wird geradezu ein Symbol moderner Gesellschaften, meint der Soziologe Martschukat.
"Gesellschaften, die sich in ihrem Handeln sehr stark am Markt orientieren und die eben schlanke Menschen in schlanken Gesellschaften fordern, also man fängt an von schlanker Produktion zu reden, von einer höheren Flexibilisierung, es wird deutlich mehr auf Selbstverantwortung gesetzt, der Sozialstaat wird zunehmend abgebaut, und das ist ganz eng verzahnt mit diesem Aufkommen der Fitnesswelle ab den 1970er-Jahren, in denen eben diese Idealisierung des Leistungskörpers tatsächlich neue Höhen erreicht."
Eine amerikanische Schauspielerin macht in den 80ern "Aerobics" weltweit bekannt – ursprünglich ein Fitnesstraining für die US-Luftwaffe und Astronauten. Die Aerobic-Bewegung ist zugleich Körperschau.
"Jane Fonda hat sich und das Aerobic schon dezidiert in den Kontext der feministischen Bewegung gestellt. Und auch als Frau Körperarbeit zu betreiben, den Körper zu zeigen und muskulös zu sein. Und gleichzeitig findet da natürlich eine Praxis statt, in der frau sich bestimmten Idealen eines weiblichen Normkörpers unterwirft."
30 Jahre später gibt es statt Aerobic "Bodyforming", Power Yoga, Zumba und Pilates. Ende 2016 sind über zehn Millionen in Fitness-Studios angemeldet. Oder vergnügen sich beim individuellen "Workout":
"Trainiere jederzeit und überall mit deinem persönlichen Plan – egal, was dein Ziel ist, werde stärker und fitter."
Millionen Körper unter "digitaler Selbstkontrolle", "Self-Tracking" mit dem Schrittzähler im Smartphone, unzähligen Apps oder speziellen technischen Gadgets. Immer mehr Vitalitätswerte werden gemessen. So soll man dann im nächsten Schritt die "Selbstoptimierung" in Angriff nehmen können. Und der Erfolg lässt sich am besten in Kilogramm messen.
Dick und Dünn
"Der Körper muss nicht unbedingt durchtrainiert sein, aber sie sollte jetzt auch nicht dick sein."
In den 50er-Jahren war der dicke Ludwig Erhard Symbol des mächtigen Mannes. Heute behauptet eine amerikanische Untersuchung:
"Pro Pfund Übergewicht sinkt das Jahreseinkommen amerikanischer Führungskräfte um 1.000 Dollar."
"Wenn Sie sich den erfolgreichen Kapitalisten angucken, dann ist er eigentlich nicht mehr der klassische dickbäuchige Zigarre rauchende Unternehmer, sondern der schlanke Typ, der möglichst noch ein Laufband im Büro stehen hat, während er aus den riesigen Glasfenstern auf die Wallstreet schaut."
Wenn der fitte Körper als Ergebnis von Anstrengung und Leistung gilt, dann wird der nicht mehr fitte Körper als Beweis für Schwäche und Unvermögen gewertet, sagt der Soziologe Jürgen Martschukat.
"Es gibt dann eben diejenigen, denen zugetraut wird, selbständig an sich zu arbeiten, und diejenigen, denen das nicht oder nur in geringem Maße zugetraut wird."
Die Folge: Diskriminierung von Übergewichtigen, ohne dass nach Gründen gefragt wird. Dicksein gilt als soziales Merkmal.
"Wenn ich jetzt ein erfolgreicher Politiker oder Unternehmer bin, dann kann ich mir möglicherweise mehr Köperfett leisten, als wenn ich jemand aus einer unteren Klasse bin, dessen Erfolglosigkeit vermeintlich durch das Köperfett ausgedrückt wird. Das Stigma des Dickseins, als Ausdruck dessen, dass man sich eben nicht im Griff hat, dass man falsche Entscheidungen trifft, dass man angeblich nicht über Selbstkontrolle verfügt."
Im digitalen Zeitalter geht es nicht so sehr darum, fit zu sein, man muss vor allem fit aussehen. Im Mittelpunkt stehen nun Selfies und Posen: Man muss zeigen, was man leistet an und mit dem Körper. Und wo die Mucki-Bude nicht reicht, greift man zu anderen Techniken, um den Körper zu optimieren, erklärt die Psychoanalytikerin Ada Borkenhagen.
"Den Körper aktiv zu formen, das geht ja nur bis zu einem gewissen Grad. Und alles, was darüber hinausgeht, erreichen Sie nur mit schönheitsmedizinischen Eingriffen. Wenn ich beispielsweise bestimmte Fettpölsterchen habe unter dem Kinn, das so genannte Doppelkinn, das bekommen Sie mit keinem Sportprogramm der Welt und keiner Kinngymnastik weg."
Der geformte Körper
Die Schönheitsmedizin wird Teil der Fitness-Bewegung. Botox, das unter die Gesichtshaut gespritzt Falten verschwinden lässt, gibt es jetzt in der Mittagspause. Und die plastische Chirurgie ist längst in der Lage, die menschliche Hülle total umzuformen: Nase, Brüste, Bauch, Beine, Po – nichts darf so bleiben, wie die Natur es wollte. 2017 etwa haben 45.000 Menschen solche Eingriffe vornehmen lassen. Bei Frauen sind Brustvergrößerung und Fettabsaugen am beliebtesten. Männer setzen mehr auf Augenlidstraffung oder Penisvergrößerung.
Und in der Prothetik gibt es immer neue Entwicklungen, um den Körper zu optimieren. Inzwischen wird intensiv an "Prothesen mit Gefühl" gearbeitet. Sabine Kienitz:
"Diese neuen Prothesen, also das fühlende Bein oder diese Sachen, das sind natürlich die Riesenfortschritte, weil damit wirklich auch dieses Maschinenteil am Körper eine Verlängerung des Körpers wird, weil man damit wieder etwas spürt, weil man damit auch bestimmte sensorische Fähigkeiten, die einem verloren gegangen sind, ersetzen kann."
Insoweit sieht die Kulturwissenschaftlerin Sabine Kienitz Fortschritte beim technischen Körperersatz. Allerdings geht es längst nicht mehr darum, fehlende Gliedmaßen zu ersetzen oder mit Kontaktlinsen, Hörgeräten und künstlichen Gebissen das Leben zu erleichtern. Es geht zum Teil auch um Verbesserung, "Enhancement". Zum Beispiel mit einer Brille, in der man Computer-Bilder direkt vor Augen hat. Das sieht die Expertin für Körper- und Prothesengeschichte kritisch.
"Ich trag ne Brille, ja, die ersetzt mir etwas. Setze ich jetzt diese Google-Brille auf, dann bin ich auch mit einem Ding irgendwie verbunden, das mir andere Möglichkeiten bietet. Sie ersetzt ja nicht etwas, was ich nicht habe. Also was ist Prothese und was ist eine Form von Optimierung, also der Chip, den ich mir in die Hand implantieren lasse, um dann die Tür nicht mehr mit dem Schlüssel aufmachen zu müssen, sondern über den Chip öffnen zu können, das ist ja ein Gimmick, der aus meinem Körper ein Spielzeugladen macht, mit dem ich dann hinterher mehr kann als vorher."
Ob man das jetzt Prothesen nennt oder nicht – die Bereitschaft ist groß, Abschied vom "unzulänglichen" Körper zu nehmen. Das Internet als "Ganzkörperprothese": Man kann sich einen "Avatar" suchen, ein virtuelles Alter ego, oder aber digital umwandeln.
Diese App macht Sie schön / In drei Sekunden das Gesicht verschlanken / Die Haut wachsartig glatt, die Zähne makellos weiß / … repariert Eure Körper!
Ada Borkenhagen forscht zum Thema Schönheitschirurgie.
"Diese digitalen Apps, die angeboten werden, mit denen ich meine Körperbeschaffenheit quasi durch Photoshop beispielsweise verändern kann, die spiegeln mir natürlich so ein ideales Körperbild, so könnte ich aussehen."
Dabei werden mit Photoshop "nur" ein paar Pickel und Falten wegretuschiert. Heute kann man mit Apps wie "Facetune" den ganzen Körper modifizieren. Die Gesichtsform ändern, sich mit ein paar Klicks einen perfekt schlanken Körper geben mit Sixpack oder großer Oberweite, wie man es auf Modelplakaten oder im TV gesehen hat.
"Und der Schritt dahin, das dann mittels Schönheitsmedizin umsetzen zu wollen, ist dann nur noch ein sehr kleiner."
Aber am Ende, wenn man ein soziales Wesen bleiben will, das echte soziale Kontakte braucht, dann ist man wieder auf den realen Körper zurückgeworfen. Doch das Karussell dreht sich immer weiter:
"Ich kann mich in gewissen Grenzen nach meinem digitalen Schönheitsideal umoperieren lassen. Wenn ich über das nötige Geld verfüge und mir den entsprechend guten plastischen Chirurgen auch leisten kann."
Und weil damit viel, aber nicht alles möglich ist, gibt es seit einiger Zeit ein neues Krankheitsbild: "Dysmorphophobie", die Angst vor Hässlichkeit. Die Betroffenen leiden unter einer gestörten Körperwahrnehmung, so etwa bei der Magersucht. Und inzwischen spricht man sogar von "Selfie-Dysmorphophobie". Soll heißen, dass Menschen nicht wahrhaben wollen, dass sie anders aussehen als ihr bearbeitetes Foto im Internet. Ada Borkenhagen:
"Da die körperliche Erscheinung eine enorme Rolle in unseren westlichen industrialisierten Gesellschaften spielt, ist es ganz gut nachvollziehbar, dass eben so eine Selfie-Dysmorphophobie sich ausbildet."
Angeblich steigt die Zahl der Schönheits-OPs nach Selfie-Vorlage erheblich an.
Die Entdeckung des veränderbaren Körpers war eigentlich ein Akt der Befreiung. Aber man kann auch pessimistisch darauf blicken wie der US-amerikanische Philosoph Michael Sandel:
"Unsere Natur zu verändern, damit sie in die Welt passt und nicht umgekehrt, ist die tiefste Form der Entmachtung. Es lenkt uns davon ab, kritisch über die Welt nachzudenken, und betäubt den Drang nach sozialer und politischer Reform."