Im Tierpark von Köthen heulen die Polarwölfe. Kamerunschafe blöken und Krähen ziehen ihre Kreise. Hier, auf dem Platz vor dem Tierpark, retteten einige Köthener am 29. September die Ehre der Stadt. Sie luden zu einem Fest für ein buntes Köthen ein, zu einer Kundgebung gegen die Demonstration von Rechtsradikalen auf dem Marktplatz. Per Gerichtsbeschluss hatten die Rechten durchgesetzt, dass sie zwischen Rathaus und Kirche demonstrieren durften. Über Nacht organisierte die Initiative "Ein friedliches Köthen" die Gegendemonstration. Die treibenden Kräfte waren die Besitzer des Tierparks, das Ehepaar Michael Engelmann und sein Mann David Schaller-Engelmann.
"Wir sind Köthener, und alles, was jetzt in den letzten Wochen passiert ist mit den Rechtsradikalen - da haben wir gesagt - nee, wir lassen uns von denen nicht irgendwie in die Ecke drängen oder verschieben. Wir machen das jetzt im Tierpark, vorm Tierpark und setzen dadurch ein Zeichen gegen Rechts, für Frieden und Freiheit."
Auf diese Geschichte sind viele in Köthen stolz, denn vor dem Tierpark versammelten sich 800 bis 1.000 weltoffene Köthener - und gleichzeitig auf dem Marktplatz 300 Rechtsradikale. Und darunter waren kaum Bürger der Stadt, wie Eckhard-Bodo Elze bestätigt, der Präsident des Köthener Karnevalsvereins "Kukakö".
"Von diesen 300 bis 350 wurde gesagt, dass marginal nur Köthener dabei waren, die dann auch nur abseits standen und von denen rund 50 Leuten, die dort abseits standen, waren noch der größte Teil Journalisten. Also ich denke mal: Köthen zeigt, dass sie das nicht wollen."
Die nächste Veranstaltung für ein weltoffenes Köthen
Auf dem Marktplatz von Köthen plätschern auch im Oktober noch Springbrunnen. Ein Marktstand verspricht in riesigen Lettern "geile Burger" und "geile Pommes", direkt vor der schwarzgrauen Fassade der mittelalterlichen St.-Jakobs-Kirche. Daneben, im Turmzimmer des Gründerzeit-Rathauses, lotst Oberbürgermeister Bernd Hauschild von der SPD seine Stadt durch die Krise. Er wirbt schon für die nächste Veranstaltung für ein weltoffenes Köthen am 13. Oktober.
"So wollen wir zeigen, dass in Köthen Normalität zu Hause ist, ja, und wenn hier 1.000 ausländische Studenten studieren, wo noch nie was passiert ist, dann wird auch jeder Außenstehende mitbekommen, dass diese Frage des Rechtsrucks in Köthen nicht in Köthen entstanden ist, sondern von außen hereingetragen wurde, und da kann man nur hoffen, dass dieses eben ein Ende finden wird."
Seit dem Tod von Markus B. auf einem Spielplatz in der Karlstraße am 9. September lud die evangelische St. Jakobskirche jeden Tag um 17 Uhr zum Friedensgebet ein und sammelte Geld für die Beerdigung des 22-Jährigen.
Pfarrer Horst Leischner fährt an den Ort, wo Markus B. starb.
2016 wählten 26,2 Prozent der Köthener die AfD
Vertrocknete Rosen, steinerne Engel und eine Borussia-Dortmund-Flagge erinnern an Markus B., der Dortmund-Fan war. Horst Leischner sagt, er und seine Mitstreiter für ein friedliches Köthen hätten unbedingt "ein zweites Chemnitz" verhindern wollen.
"Es gibt natürlich in Köthen auch sehr viele AfD-Wähler, und es gibt sehr viele Menschen, die sind unzufrieden, die sind unsicher, und das kann man in Gesprächen erleben, wenn ich zum Beispiel Geburtstagsbesuche bei Gemeindegliedern mache, da gibt es schnell Diskussionen, auch zur Politik. Und es gibt viele Menschen, die sind auch von der deutschen Einheit enttäuscht, das wird deutlich."
Bei den Landtagswahlen im Jahr 2016 wählten 26,2 Prozent der Köthener die AfD, mehr als im Durchschnitt in Sachsen-Anhalt. Und auch die berüchtigten Fans des 1. FC Magdeburg sind stark vertreten in Köthen. Am 1. Oktober feierten kurz geschorene Magdeburg-Fans in einer ehemaligen Köthener Kirche eine Party, und auf den Laternen der Stadt sind ihre Aufkleber unübersehbar. Die Übergänge von Fußball und Rechtsradikalismus sind hier fließend.
"Unter der Bevölkerung artet das aus"
Dennoch klagt der Besitzer vom "Dilan-Döner", der Kurde Sabri Koban, nicht. Markus B. aß bei ihm, der als rechtsradikal verrufene Bruder des Opfers isst bei ihm, und die Asylbewerber tun es auch.
"Ich kenne den, der war ein ganz lieber Mensch, ja. Ganz lieb, ganz ruhig. Aber die Afghaner, die kommen auch her, die waren immer besoffen."
Weit weg vom Döner-Imbiss, im bürgerlichen Zentrum der Stadt, arbeitet Dagmar Witte als Kellnerin. Sie sagt, die Asylbewerber würden zu Unrecht über einen Kamm geschoren. Und überhaupt, findet sie:
"Es ist schlimm, dass es passiert ist. Man kennt’s ja nur von Medien in den anderen Städten. Dass es dann mal vor der eigenen Haustür ist, damit hat man ja nicht gerechnet. Aber ich finde, es wird gerade in den Medien, bei Facebook, wenn dann mal jemand was schreibt, es wird hochgeschaukelt, und ich sag mal, das artet dann auch untereinander, unter der Bevölkerung, artet das aus."
Der Rückweg aus Köthen führt durch die Bahnhofshalle der Stadt. Schwarzafrikaner sitzen auf einer Bank, muslimische Frauen auf der anderen. Ihre Blicke zeugen noch nicht vom "friedlichen Köthen".