Schaut man nur auf Schmerzempfinden und Leiden, funktioniert das Gehirn bei Mensch und Tier weitgehend gleich, analysiert der Verhaltensforscher Colin Allen von der Indiana University.
"Besonders wichtig ist eine Region im Vorderen Kortex, wo der Schmerz registriert wird. Das Gehirn schüttet dann Endorphine aus und Menschen wie Tiere versuchen, den Schmerz zu lindern. Also etwa eine Brandwunde zu kühlen und möglichst schnell der Situation zu entkommen."
Anders als das Tier kann der Mensch allerdings Schmerzen auch gezielt in Kauf nehmen. Sportler zum Beispiel quälen sich bewusst im Training, in der Hoffnung, später als Sieger gefeiert zu werden. Menschen können also vielfältiger mit Leid umgehen.
"Wir haben ein viel größeres Vorstellungsvermögen als Tiere. Das hilft uns, Schmerzen besser vorzubeugen und Gefahren früher zu erkennen. Das kann uns aber auch Leid bescheren, etwa wenn wir uns düstere Zukunftsszenarien ausmalen. Tiere kennen keine Zukunftsangst. Das Problem haben nur Menschen."
Die Leidensfähigkeit ist nur ein Gebiet, auf dem Menschen einzigartige geistige Fähigkeiten hervorbringen. Die Frage ist, wieso sie das können und Tiere nicht, wenn doch die biologischen Voraussetzungen so ähnlich sind.
"Was macht den entscheidenden Unterschied zwischen der menschlichen und der Kognition anderer Primaten aus? Da gibt es eben im Moment zwei miteinander rivalisierende Theorien. Die eine sagt, es ist im Wesentlichen die Sprache. Die andere sagt, es ist im Wesentlichen die menschliche Kooperationsfähigkeit."
Welche Annahme plausibler erscheint, lässt sich für den Philosophen Michael Pauen von der Berlin School of Mind and Brain kaum sagen. Denn sowohl Sprache als auch Kooperation beherrschen Primaten in einfacher Weise ebenfalls.
Mensch hat einzigartige Formen der Kooperation entwickelt
Der Direktor am Max-Planck-Institut für Anthropologische Evolution in Leipzig legt sich hingegen fest: Michael Tomasello ist überzeugt, dass die besondere Entwicklung des Menschen damit begann, dass er einzigartige Formen der Kooperation entwickelte.
"Menschen tun sich nicht nur einfach zusammen und machen jeder das Gleiche, etwa gemeinsam hinter einer Beute herzurennen. Menschen verständigen sich über Ziele, sie koordinieren ihre Aktionen und sie motivieren sich gegenseitig. Schon Kinder, die noch gar nicht sprechen können, machen das mit ihren Eltern, etwa durch Blicke oder Gesten. Sie sehen nicht nur ihre Rolle, sondern auch die der Eltern. Und sie lernen schon sehr früh, auch deren Perspektive einzunehmen."
Nach Tomasellos Ansicht war die Sprache ein zweiter Entwicklungsschritt. Um sich immer besser in andere hineinversetzen zu können, habe der Mensch seine kommunikativen Fähigkeiten ausbauen müssen. Tiere kennen nur einzelne Laute, mit denen sie bestimmte Objekte benennen. Menschen haben gelernt, Verben zu nutzen und dann auch ganze Sätze zu bilden, um Handlungen oder Absichten zu beschreiben.
"Die Sprache kommt spät ins Spiel, aber dann erweitert sie die Möglichkeiten des Denkens, des Fühlens, der Vorstellung und auch der Kooperation enorm. Immer komplexere Formen der Kooperation erfordern eine immer ausgefeiltere Sprache und die ermöglicht dann eine noch bessere Zusammenarbeit. Sprache wird zum Motor der Entwicklung."
Erst sie befähigte den Menschen, Kulturen aufzubauen und derart komplexe Gedankengebäude zu entwerfen wie etwa Moral.
"Einige Voraussetzungen, die für die Herausbildung von Moral unerlässlich sind, haben wir durch die Evolution geerbt. So verstehen auch Primaten, dass Handlungen Folgen haben. Auch sie zeigen Gefühle, kennen sogar Mitgefühl und zeigen eine Aversion gegen ungleiche Behandlung. Das sollte man ihnen nicht absprechen."
Moral als kulturelles Produkt
Dennoch widerspricht der Philosoph Edouard Machery von der University of Pittsburgh der Behauptung vieler Evolutionsbiologen, moralisches Verhalten sei Tieren wie Menschen von der Natur mitgegeben.
"Wir kennen zwar keine menschliche Gemeinschaft ohne Moral. Also könnte man sie für angeboren halten, zumal einige moralische Normen allgemeingültig erscheinen. Aber wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass sie in verschiedenen Kontexten unterschiedlich begründet werden, hier religiös, dort rational. Und auch wenn zum Beispiel Diebstahl in allen Kulturen verboten ist, folgen daraus unterschiedliche Konsequenzen: Soll man Dieben die Hand abhacken oder nicht? Also, Moral ist ein Produkt von kultureller Entwicklung, von Geschichte."
Seine außergewöhnlichen kognitiven Leistungen habe sich der Mensch erarbeiten müssen, betont auch Michael Tomasello. Von der Natur sei er nicht unbedingt mit überlegenen Fähigkeiten ausgestattet worden.
"Ich war oft mit Affen im Dschungel und schon nach 20 Metern hatte ich jede Orientierung verloren. Die Affen schienen aber immer genau zu wissen, wo wir waren. Was räumliche Orientierung angeht, sind wir ihnen also ganz sicher nicht überlegen."
Keine spezifische genetische Disposition habe den Menschen auf seinen einzigartigen Entwicklungsweg gebracht, sondern eine besondere geschichtliche Herausforderung – auch wenn man nicht genau weiß, wann und wie.
"Irgendetwas muss die Menschen ganz plötzlich vor eine Situation gestellt haben, in der sie individuell mit anderen Primaten nicht mehr um Nahrung konkurrieren konnten. Sie mussten lernen, gemeinsam zu handeln. Es war mehr eine soziale Selektion als eine natürliche, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Wer jetzt nicht in der Lage war zu kooperieren, sich sozial zu verhalten und später auch die Beute zu teilen, der flog raus aus der menschlichen Gemeinschaft. "
Andere Spezies, vermutet Michael Tomasello, hätten durchaus die Voraussetzungen gehabt, einen ähnlichen Entwicklungspfad einzuschlagen wie der Homo sapiens. Weil sie aber nicht von der Geschichte dazu gezwungen wurden, sind sie einen anderen Weg gegangen.