Zu klären sei auch die rechtliche Situation, wem die Tonbänder, auf denen der Altkanzler Weggefährten wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) oder den ehemaligen russischen Präsidenten Michail Gorbatschow mit kritischen Worten beurteilt, gehörten ,sagte Bernhard Vogel, Ehrenvorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, im DLF. Die Äußerungen seien zudem nicht für die Öffentlichkeit eins zu eins bestimmt gewesen.
Helmut Kohl bescheinigte zum Beispiel Angela Merkel, "keine Ahnung" gehabt zu haben. Die Äußerungen seien 2001/2002 gemacht worden. Helmut Kohl stand damals wegen seiner Verstrickung in der Spendenaffäre unter Beschuss, sein Lebenswerk war bedroht, seine Frau schwer erkrankt. Vor diesem Hintergrund seien die Worte nicht überraschend, sagte Vogel: "Ich bin sicher, dass Helmut Kohl heute Angela Merkel ganz anders beurteilt." Die CDU werde durch Kohls Worte von vor zwölf Jahren keinen Schaden nehmen. Vogel: "Die Welt 2014 ist eine andere."
Generell plädiert der Ehrenvorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung dafür, dass die offiziellen Akten Kohls der Öffentlichkeit zugänglich bleiben müssen. "Sie werden von der Wissenschaft für die Geschichtsschreibung benötigt."
Das Interview mit Bernhard Vogel in voller Länge:
Silvia Engels: Das Verhältnis zwischen Altkanzler Helmut Kohl und seiner Partei, der CDU, ist seit Jahren angespannt. Die Spendenaffäre aus dem Jahr 2000 und daraus folgende Verletzungen wirken bis heute nach. Nun berichtet das Magazin "Der Spiegel" aus bislang unveröffentlichten Interviews, die der Journalist Heribert Schwan 2001 und 2002 mit Helmut Kohl geführt hat. Darin rechnet der Altkanzler mit früheren Weggefährten hart ab.
Er nennt im Zusammenhang mit der Spendenaffäre die CDU-Politiker Blüm und Wulff Verräter, bezeichnet Michail Gorbatschow als gescheitert und bescheinigt Angela Merkel, keine Ahnung zu haben. In dieser Woche will Schwan die Abschrift der Interviews in einem Buch veröffentlichen; Helmut Kohl will dagegen rechtliche Schritte einleiten.
Am Telefon ist Bernhard Vogel, langjähriger Ministerpräsident von Thüringen, Wegbegleiter Helmut Kohls und Ehrenvorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Guten Morgen, Herr Vogel!
"Die Welt sieht 2014 anders aus als 2001 und 2002"
Bernhard Vogel: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Herr Vogel, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie diese harten Zitate von Helmut Kohl lesen?
Vogel: Zunächst geht mir als Nichtjurist durch den Kopf: Wie ist eigentlich die rechtliche Situation? Sie sprachen gerade von Interviews. In Wahrheit sind es wohl viele, viele Stunden Vorbereitung für spätere schriftliche Arbeiten. Wer ist Eigentümer und wer kann über diese Aufzeichnungen verfügen? Soviel ich weiß, ist der Rechtsstreit darüber noch nicht zu Ende gekommen und noch offen.
Engels: Sie haben recht: Diese Gespräche sollten wohl nie eins zu eins an die Öffentlichkeit gehen.
Vogel: Ja.
Engels: Sie dienten der Vorbereitung des letzten Teils der Memoiren, die eigentlich Heribert Schwan schreiben sollte. Durch ein späteres Zerwürfnis zwischen Kohl und Schwan kommt es nun dazu, dass sie öffentlich sind. Möglicherweise hat das rechtliche Konsequenzen für Herrn Schwan, da haben Sie recht. Aber die Zitate sind in der Welt. Nimmt die CDU so oder so dadurch Schaden?
Vogel: In der Tat, wie die rechtliche Situation auch ist: Was man lesen kann, muss man auch kommentieren können. Ich hoffe nicht, dass das der CDU Schaden zufügt. Ich glaube es auch nicht. Denn man muss bedenken, viel zu lange Zeit ist über diese Äußerungen, die da publiziert worden sind, hinweggegangen worden. Sie stammen aus dem Jahre 2001 und 2002. Die Welt sieht 2014 ein bisschen anders aus und auch die Erfahrungen der handelnden Politiker sind andere.
"Kohls Lebenswerk schien bedroht"
Engels: Nun hat sich ja Kohl deutlich geäußert. Sie sagen zu Recht, die Äußerungen liegen schon weit zurück. Aber er hält immerhin der heutigen Kanzlerin vor, keine Ahnung gehabt zu haben. Er wirft auch dem heutigen Finanzminister Schäuble vor, damals rund um die Spendenaffäre alle Feinde, so wörtlich, zum Vernichtungsfeldzug geladen zu haben. Sind denn angesichts dessen noch einmal gemeinsame Termine dieser drei, also Kohl, Schäuble und Merkel, denkbar?
Vogel: In der Tat: Die Urteile, die da publiziert worden sind, sind sehr deutlich und sind sehr offen. Für mich sind sie in der Summe keine wirkliche Überraschung, denn ich habe diese Zeit ja miterlebt. Ich möchte aber zu bedenken geben, unter welchen Bedingungen die Aussagen getroffen worden sind. Kohl wurde 2001/2002 von allen Seiten angegriffen. Sein Lebenswerk schien bedroht. Seine Frau war schwer krank und nahm sich im Juli 2001 das Leben. Und im Übrigen: Ich glaube, dass Herr Kohl über Frau Merkel heute völlig anders urteilen würde, nach den Erfahrungen, die wir mit den bemerkenswerten Fähigkeiten von Frau Merkel in den letzten zwölf Jahren gemacht haben.
Engels: Haben Sie denn nach wie vor Kontakt zu Helmut Kohl? Er ist ja seit seiner Erkrankung doch von vielen alten Freunden ein Stück zurückgewichen.
Vogel: Das ist nicht mehr derselbe Kontakt wie früher, weil er durch seine Krankheit sehr gehindert ist. Aber ich kenne Helmut Kohl seit 60 Jahren und die Freundschaft zwischen uns beiden währt natürlich bis heute an, die übrigens immer darin bestand, dass wir in vielem übereinstimmten, dass wir aber auch in vielen Dingen unterschiedlicher Meinung waren. Beispielsweise wollte ich Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz werden, Helmut Kohl wollte das nicht, und bei Thüringen war es nicht ganz unähnlich.
Engels: Haben Sie denn in Gesprächen mit ihm früher oder auch heute erlebt, dass er sich so drastisch äußerte über andere Politiker und Parteifreunde, wie das jetzt nachzulesen ist?
Vogel: Ich habe bei vielen Freunden und bei vielen Bekannten erlebt, dass sie sich unter zweien in der Annahme, unbeobachtet zu sein, manchmal mit sehr kräftigen Ausdrücken zu äußern pflegen.
Wohin mit Kohls Nachlass?
Engels: Und Helmut Kohl? Wie hat das Ihr Verhältnis beeinflusst, dass er zum Teil gegen Ihre politischen Ziele stand?
Vogel: Ich habe versucht und ich glaube, wir haben beide versucht zu unterscheiden zwischen einer grundsätzlichen Übereinstimmung, was unsere politischen Überzeugungen und unsere Wertvorstellungen betrifft, und vielen gemeinsamen Initiativen und Aktionen, aber gelegentlich auch mit dem Respekt, dass der andere etwas gemacht oder gesagt oder getan hat, was der Partner für falsch oder für irrtümlich hielt.
Engels: Schauen wir auf einen weiteren Fokus. Der Konflikt um diese nun veröffentlichten Mitschriften der Interview-Tonbänder zwischen Helmut Kohl und Heribert Schwan steht in einem größeren Zusammenhang. Schon länger schwelt ja ein Streit darüber, wer einmal die Akten und persönlichen Unterlagen Helmut Kohls verwalten soll. Kohls zweite Ehefrau, Maike Kohl-Richter, sieht sich wohl in dieser Rolle. Sie treten dafür ein, dass die Akten zur Konrad-Adenauer-Stiftung gehen, wo sie teilweise auch schon einmal waren. Wo steht dieser Konflikt derzeit?
Vogel: Zunächst muss man bei einer Persönlichkeit von großem öffentlichen Interesse, im Falle Helmut Kohls sogar von Interesse als Person der Zeitgeschichte, unterscheiden zwischen offiziellen Akten, zwischen sogenannten Handakten und einem selbstverständlich auch bestehenden Recht auf private Unterlagen. Dazwischen muss unterschieden werden.
Dass die Geschichtsschreibung, dass die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf hat, dass die Akten, dass die Handlungsweisen, dass die Protokolle, die im Amt entstanden sind, der Öffentlichkeit zugänglich bleiben, ist selbstverständlich, und deswegen plädiere ich dafür, dass man rechtzeitig Vorsorge trifft, dass die Wissenschaft auch in Zukunft den freien und ungehinderten Zugang zu diesen Akten hat, die zum Teil von Helmut Kohl selbst in die Verwahrung der Adenauer-Stiftung gegeben worden sind, die allerdings zum Teil auch zurückgegeben worden sind zur Bearbeitung eben der Memoiren von Helmut Kohl.
Freier Zugang der Wissenschaft zu den Akten
Engels: Fürchten Sie denn, dass Maike Kohl-Richter womöglich zu viele sensible Akten zurückhalten und damit den Gesamtblick auf Kohl verstellen könnte?
Vogel: Das ist nicht mein Blick. Mein Blick ist das Interesse der Geschichtsschreibung, das Interesse der Öffentlichkeit für die Beurteilung der zukünftigen Geschichtsschreibung und der Auseinandersetzung notwendigen Kenntnis. Die gehören nicht irgendeiner Privatperson, sondern darauf muss ein öffentlicher Zugang möglich sein, wie das bei anderen, beispielsweise beim Nachlass von Konrad Adenauer oder Willy Brandt, ja auch der Fall ist.
Engels: Der ehemalige Verteidigungsminister und auch Weggefährte von Kohl, Volker Rühe, macht nun den Vorschlag, die Akten auch nicht der Konrad-Adenauer-Stiftung zu geben, sondern einer eigenen Kohl-Stiftung, wo sie auch Wissenschaftlern zugänglich wäre. Was sagen Sie dazu?
Vogel: Jede Form, die sichert, dass ein allgemeiner Zugang zumindest der Wissenschaft gewährleistet ist, halte ich für denkbar.
Engels: Was denken Sie, wie nun dieser Konflikt weitergeht?
Vogel: Ich weiß gar nicht, ob es wirklich zu einem neuen Konflikt kommen muss, weil ich im Grunde meine, dass die Aussagen, die lange zurückliegenden, unter bestimmten Bedingungen getanen Äußerungen, so überraschend dann doch wieder nicht sind.
Engels: Bernhard Vogel, langjähriger Ministerpräsident von Thüringen, Wegbegleiter Helmut Kohls und Ehrenvorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
Vogel: Vielen Dank, Frau Engels!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.