Schwan verteidigte sich gegen Vorwürfe, selbst mit Altkanzler Kohl abrechnen zu wollen. "Dazu bin ich überhaupt nicht in Lage", sagte Schwan im Deutschlandfunk. Die jetzige Ehefrau Kohls wolle unbedingt in den Besitz der Bänder kommen. Er müsse aber darauf achten, dass die Deutungshoheit über die Bänder bei ihm bleibe. "Das ist auch ein Stück meines Lebenswerkes."
Schwan räumte ein, dass er mit Kohl einen Vertrag über dessen Memoiren geschlossen habe. Darin sei aber nicht festgehalten, was mit den Abschriften der Tonbänder passiere. Kohl habe nie ein Interesse gehabt, diese zu lesen. Für das Buch mit dem Titel "Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle" seien nur ein Prozent der Zitate aus den Gesprächen mit Helmut Kohl verwendet worden.
Wichtig sei, dass alle Äußerungen in einen Kontext gerückt werden müssten. Das Buch sei kein Verriss von Kohls Leistung, sondern sei mit viel Empathie geschrieben worden. "Das Denkmal wird nicht gestürzt". Alles sei juristisch geprüft worden. Die Aussagen seien von höchstem öffentlichem Interesse.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Sein wohl größtes Geheimnis will Helmut Kohl mit ins Grab nehmen: die Namen der Geldgeber aus der Spendenaffäre. Ansonsten aber hat der Altkanzler offenbar Tacheles geredet in mehr als 600 Stunden aufgezeichneter Gespräche mit dem Journalisten und Ghostwriter Heribert Schwan, hat dabei schroff und drastisch geurteilt über viele seiner politischen Weggefährten, Angela Merkel, Norbert Blüm, Richard von Weizsäcker, Christian Wulff, Wolfgang Schäuble, Wolfgang Thierse - die Liste ist lang. All das hat der Publizist Heribert Schwan in seinem Buch verarbeitet, das ab heute verkauft wird - Titel: "Vermächtnis - die Kohlprotokolle". Er ist uns jetzt aus Berlin zugeschaltet. Guten Morgen!
Heribert Schwan: Guten Morgen nach Köln.
"Das ist Stück meines Lebenswerkes"
Barenberg: Ein Gericht hat Sie gerade ja dazu verurteilt, die Aufzeichnungen an Kohl zurückzugeben. Jetzt geht der Streit vor den Bundesgerichtshof in Karlsruhe, ist also noch nicht abgeschlossen, und doch veröffentlichen Sie Material daraus in einem Buch. Wollen Sie sich rächen?
Schwan: Nein. Nein, nein, auf keinen Fall rächen. Da bin ich auch überhaupt nicht in der Lage zu. Nein, man muss ja eins wissen: Die Gerichte, das Landgericht in Köln und das Oberlandesgericht in Köln, die haben ja nur über das Eigentum dieser Bänder entschieden. Die haben ja kein Wort gesagt zur Nutzung der Tonbandinhalte. Und wenn sie das mir untersagt hätten, hätte ich das natürlich gar nicht machen können, dieses Buch.
Wissen Sie, ich habe acht Jahre mit Helmut Kohl an den Memoiren gearbeitet. Ich habe jetzt wirklich zwölf Jahre geschwiegen. Ich habe vor zwei Jahren über den Schatz gesprochen, den ich irgendwann heben werde, wenn Helmut Kohl 90 Jahre alt wird. Das wäre also in sechs Jahren. Und nun kommt das Gericht, weil die neue Frau an seiner Seite unbedingt in den Besitz dieser Bänder kommen möchte, weil Kohl nicht mehr sprechen kann in dieser Form. Jetzt kommt das Gericht dazu und holt mir die Bänder aus meinem Verließ, und jetzt ist es so, dass ich natürlich darauf achten muss, dass die Deutungshoheit auch über diese Bänder bei mir bleibt. Das, muss ich wirklich sagen, ist auch ein Stück meines Lebenswerkes, die acht Jahre mit Helmut Kohl und die zwei Jahre Gespräche auf diesen Bändern und so weiter, und jetzt versucht natürlich die neue Frau an seiner Seite, die Deutungshoheit zu bekommen, und das lasse ich nicht zu. Deswegen haben wir auch mit einem Co-Autor jetzt zunächst mal vielleicht ein Prozent aus diesen Protokollen zitiert. Wichtig ist, Herr Kollege - Sie haben das eben sehr verkürzt dargestellt -, wichtig ist, dass alle Zitate von Helmut Kohl auch urheberrechtlich und juristisch gesehen in einen Kontext müssen, in einen historischen Kontext gestellt werden müssen. Sie müssen das Buch lesen. Es macht keinen Sinn, aus dem "Spiegel" kurz zu zitieren und dann zu sagen, das ist Rache, das ist falsch, das ist Verrat oder irgendwas. Nein: Lesen Sie bitte das Buch.
Wissen Sie, ich habe acht Jahre mit Helmut Kohl an den Memoiren gearbeitet. Ich habe jetzt wirklich zwölf Jahre geschwiegen. Ich habe vor zwei Jahren über den Schatz gesprochen, den ich irgendwann heben werde, wenn Helmut Kohl 90 Jahre alt wird. Das wäre also in sechs Jahren. Und nun kommt das Gericht, weil die neue Frau an seiner Seite unbedingt in den Besitz dieser Bänder kommen möchte, weil Kohl nicht mehr sprechen kann in dieser Form. Jetzt kommt das Gericht dazu und holt mir die Bänder aus meinem Verließ, und jetzt ist es so, dass ich natürlich darauf achten muss, dass die Deutungshoheit auch über diese Bänder bei mir bleibt. Das, muss ich wirklich sagen, ist auch ein Stück meines Lebenswerkes, die acht Jahre mit Helmut Kohl und die zwei Jahre Gespräche auf diesen Bändern und so weiter, und jetzt versucht natürlich die neue Frau an seiner Seite, die Deutungshoheit zu bekommen, und das lasse ich nicht zu. Deswegen haben wir auch mit einem Co-Autor jetzt zunächst mal vielleicht ein Prozent aus diesen Protokollen zitiert. Wichtig ist, Herr Kollege - Sie haben das eben sehr verkürzt dargestellt -, wichtig ist, dass alle Zitate von Helmut Kohl auch urheberrechtlich und juristisch gesehen in einen Kontext müssen, in einen historischen Kontext gestellt werden müssen. Sie müssen das Buch lesen. Es macht keinen Sinn, aus dem "Spiegel" kurz zu zitieren und dann zu sagen, das ist Rache, das ist falsch, das ist Verrat oder irgendwas. Nein: Lesen Sie bitte das Buch.
"Sie will sie aus dem Verkehr ziehen, und das kann ich nicht zulassen"
Barenberg: Das würde ich als Autor auch sagen, wenn ich heute ein Buch veröffentlichen würde, Heribert Schwan. Es bleibt aber der Eindruck, dass Sie sich so einfach über die Persönlichkeitsrechte von Helmut Kohl hinwegsetzen. Oder hat Helmut Kohl Ihnen gestattet, das zu veröffentlichen, was Sie jetzt in dem Buch veröffentlichen werden?
Schwan: Natürlich nicht. Ich habe einen Vertrag mit dem Verlag gehabt über das Ghostwriting und in diesem Vertrag steht, dass Helmut Kohl darüber entscheidet, was in seinen Memoiren veröffentlicht wird. Da habe ich alle Rechte abgegeben. Aber in diesem Vertrag steht doch nicht, was passiert mit den Gesprächen, mit meinen Aufzeichnungen, mit meinen Expertisen, die ich gemacht habe, mit meinen Gesprächen mit ihm. Helmut Kohl hat nie ein Interesse daran gehabt, die von meiner Schwester abgeschriebenen Manuskripte zu lesen oder zu erweitern, zu korrigieren oder irgendwas. Nein, das ist die neue Frau an seiner Seite, und die braucht natürlich, um den vierten Band vielleicht zu schreiben, um überhaupt vielleicht dieses gesamte Material aus dem Verkehr zu ziehen - ich habe ja die großen Bedenken, dass diese Frau überhaupt nicht veröffentlichen will. Sie will sie aus dem Verkehr ziehen, und das kann ich nicht zulassen.
Barenberg: Ob Sie Recht brechen mit der Veröffentlichung, das wird sich ja wohl noch erst erweisen müssen. Das Vertrauen von Helmut Kohl haben Sie in jedem Fall gebrochen. Warum?
Schwan: Wieso denn das? Wieso habe ich das Vertrauen gebrochen?
Barenberg: Sie haben eben selber gesagt, er hat nicht zugestimmt, dass Sie das veröffentlichen. Er hat im Gegenteil, die Zusammenarbeit...
Schwan: Entschuldigung! Seit wann muss ein Journalist den Zeitzeugen befragen, ob er veröffentlichen darf oder nicht? Nein!
"Ich bin kein Beichtvater"
Barenberg: Sehen Sie einen Unterschied, Herr Schwan, zwischen einem Interview, was für die Öffentlichkeit bestimmt ist, und vertraulichen Gesprächen unter ganz bestimmten vereinbarten Bedingungen?
Schwan: Nein, das sind keine bestimmten vereinbarten Bedingungen gewesen. Das ist eben der Trugschluss, der Denkfehler bei Ihnen. Das gibt es ja überhaupt nicht. Ich habe vertraglich festgelegt, oder es ist mir festgelegt worden, 200 Stunden mit ihm zu sprechen. Es sind über 600 herausgekommen. Der Helmut Kohl hat mich instrumentalisiert. Der Helmut Kohl hat mich eingebunden in sein Weltbild, in seinen Wertekatalog, und hat immer wieder gesagt, das schreiben wir aber nicht in den Memoiren, das schreiben Sie, wenn Sie keine Haare mehr auf dem Kopf haben, um das mal deutlich zu sagen. Helmut Kohl hat gewusst, dass ich kein Arzt bin, der die Schweigepflicht hat. Ich bin kein Beichtvater. Er hat mir gesagt, was er denkt, und hat gewusst, dass ich Publizist bin, dass ich Historiker bin, dass ich Filmemacher bin und irgendwann das veröffentlichen werde. Das ist völlig klar gewesen. Er hat immer wieder gesagt, Mensch, das behalten Sie für den sechsten Band, den Sie vielleicht noch schreiben werden.
Barenberg: Was bisher bekannt ist, das klingt ja - wir kennen ja bisher nur das, was im "Spiegel" zu lesen war - das klingt nach einer Abrechnung Kohls mit seinem politischen Umfeld. Auf der anderen Seite entsteht der Eindruck, dass Ihr Buch nun wiederum eine Abrechnung mit Helmut Kohl ist, mit dem Sie sich überworfen haben.
Schwan: Ich habe mich nie mit Helmut Kohl überworfen. Ich habe mich mit der Frau überworfen. Wer weiß denn überhaupt, in welchem Zustand Helmut Kohl sich befindet? Wissen Sie das? Ist er noch bei Sinnen? Weiß der alles? Den Ecki Seeber nach 47 Jahren vor die Tür zu setzen, die Haushälterin Hilde Seeber? Glauben Sie, das sei im Sinne von Helmut Kohl gewesen? Glauben Sie, es sei im Sinne von Helmut Kohl gewesen, auf den vierten Band zu verzichten, den Schwan vor die Tür zu setzen? Glauben Sie das wirklich? Ich kann das nicht glauben!
"Er würde genau das Gleiche über Angela Merkel sagen heute"
Barenberg: Ich kann es nicht beurteilen, weil wir alle nur wissen, dass Helmut Kohl einige gesundheitliche Schwierigkeiten hat. Jetzt hat der Verlag den Entscheidungstermin vorgezogen. Die Auslieferung ist gestern noch angelaufen. Es werden Fakten geschaffen, während wir von den Anwälten von Kohl hören, dass er Einspruch erheben will. Dem gehen Sie ja jetzt zuvor. Das wird nicht mehr möglich sein, das aus der Welt zu schaffen. Das wird jetzt veröffentlicht.
Schwan: Ja ich hoffe doch sehr. Glauben Sie vielleicht, die Juristen des Verlages seien so blöd, dass sie nicht jedes Sätzchen prüfen würden, dass sie das Buch einfach risikoreich auf den Markt werfen oder irgendwas? Da ist lange dran gearbeitet worden und mein Kollege, mein Co-Autor hat sich die Mühe gemacht, auch diesen historischen Kontext darzustellen. Das ist juristisch geprüft. Dann mag doch der Kohl-Anwalt Hermes reden, was er will. Er mag es halt tun, versuchen, eine einstweilige Verfügung zu bekommen. Helmut Kohl ist Person der Zeitgeschichte und seine Aussagen sind von höchstem öffentlichen Interesse, und dies ist auch ein Stück Pressefreiheit in unserem Land. Also ich bitte Sie! Da werden vielleicht die Juristen drüber entscheiden, das sollten wir beide Laien, juristische Laien nicht versuchen.
Barenberg: Dann frage ich Sie aber, wenn Sie selber sagen, die Juristen sollten das entscheiden, warum Sie es für sich einfach selbst entscheiden, was schwerer wiegt, Ihre möglichen Urheberrechte an dem Material, oder das öffentliche Interesse an dem, was er Ihnen gesagt hat.
Schwan: Ich weiß nicht. Ich will gar nicht differenzieren. Das öffentliche Interesse ist natürlich riesengroß und Sie sehen ja auch, wie die Medien darauf einsteigen. Selbst der Deutschlandfunk hat Interesse daran. Nein! Wissen Sie, dieser Mann hat doch Großes geleistet, und wer das Buch liest, sieht ganz klar, welche Empathie ich auch für diesen Mann habe. Ich kann Ihnen noch mal sagen: Acht Jahre habe ich mich mit diesem Mann beschäftigt. Ich habe sämtliche Dokumente studiert. Ich habe ihn erlebt als Zeitzeugen im Gespräch. Ich habe dann die Kabinettsprotokolle studiert. Ich habe die Protokolle studiert der Gespräche mit den Großen der Welt. Ich habe sogar die Stasi-Akten einsehen dürfen. Ich habe exzerpieren können hier und da! Ja was glauben Sie, das ist doch nicht irgendwas, dass man das dann im Keller verschwinden lässt. Ich werde bis zu meinem Tod mich mit diesem Menschen, mit seiner Politik und mit seinen großen Leistungen beschäftigen. Das sage ich Ihnen! Ich werde in diesem Jahr 70 Jahre. Ich hoffe, ich kann noch zehn Jahre leben. Dann werde ich noch einiges veröffentlichen aus meinem Schatzkästlein, aus meiner Leistung mit Helmut Kohl zusammen. Da ist auch kein Verriss. Da wird nicht Helmut Kohl als das Denkmal gestürzt oder irgendwas. Nein, es ist mit sehr viel Empathie, und ich habe mehr Ahnung als viele, viele andere, die heute darüber schreiben und leichtfertig darüber reden, weil ich die Dokumente alle gesehen habe, und ich kann sie spiegeln mit den Aussagen von Helmut Kohl. Wenn Sie eben die Zitate dort vorgelesen haben, das hat er natürlich gesagt. Da steht er auch zu. Und wenn man heute glaubt als CDU-Politiker, der ihm beispringen will, der da sagt, Helmut Kohl würde das heute nie mehr sagen, dann sage ich Ihnen, der würde genau das Gleiche über Angela Merkel sagen heute. Er würde das Gleiche über Richard von Weizsäcker sagen. Und das hat er in vielen Variationen mir verkündet, mit und ohne Tonbandgerät, und ich habe Abends protokolliert.
40 Jahre Frühsendung im DLF: "Live, das war was ganz Neues"
Barenberg: Heribert Schwan hier im Deutschlandfunk im Gespräch, auf den Tag genau 40 Jahre, nachdem Sie, Heribert Schwan, hier selbst am Mikrofon gesessen haben im Deutschlandfunk,...
Schwan: Eine wunderbare Zeit.
Barenberg: ...als hier die erste politische Magazinsendung live ausgestrahlt wurde, die heute immer noch die "Informationen am Morgen" sind. Es ist ein Zufall, dass wir heute miteinander sprechen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit, an diese Zäsur?
Schwan: Es war eine unglaubliche Herausforderung. Ich war so glücklich, damals vom Saarländischen Rundfunk von meinem damaligen Abteilungsleiter Wagner eingestellt zu werden. Ich hatte die Probezeit und wir übten für die neue Sendung. Live, das war was ganz Neues. Live im Deutschlandfunk! Es gab Leute, die sagten, um Gottes Willen, wie können wir diese jungen Redakteure da ans Mikrofon lassen, die quatschen da. Wir waren ja alle eher ein bisschen linksliberal oder ganz links. Wir hatten eine wunderbare Zeit in diesem Deutschlandfunk. Es war ein Gedicht für uns, es war eine Hochzeit des Rundfunks für mich persönlich und ich weiß, auch für Jürgen Krönig, Joachim Lenz, Margarete Limberg. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft und es hat ja viel Ärger auch gegeben. Ich sollte mal ein Mikrofonverbot bekommen und so weiter. Ich weiß nur: In der ersten Sendung, die ich da moderiert habe vor 40 Jahren, ich habe einen schweren Fehler gemacht. Ich habe nämlich fast immer die falsche Zeit angesagt.
Barenberg: Heribert Schwan, danke auch für die Erinnerung und das Gespräch heute Morgen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.