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Kohle und Stahl war gestern
Das Revier auf dem Weg in die Zukunft

Früher prägten Kohle und Stahl das Ruhrgebiet. Doch auch wenn Unternehmen der Branche weltweit erfolgreich sind, als Wachstumsmotor für NRW fungieren sie längst nicht mehr. Der Umbau der Region läuft, doch er ist mühsam. Die Ansiedlung neuer Arbeitgeber ist in NRW alles andere als einfach.

Von Jörg Marksteiner | 12.05.2017
    Förderturm im Industriemuseum Zeche Zollverein in Essen
    Früher stand das Ruhrgebiet für Stahl und Kohle. Doch in Zukunft werden andere Branchen das Revier dominieren. (Deutschlandradio / Andreas Diel)
    Bei den Stahlarbeitern von Thyssenkrupp ist die Stimmung schlecht. Wieder einmal steht ein Stellenabbau bevor. Vielleicht auch eine Fusion oder sogar beides.
    "Richtig demotiviert. Es herrscht natürlich ein großer Unmut. Krankheitsstand ist so hoch wie lange nicht mehr."
    Streng genommen arbeiten nur noch 0,5 Prozent aller Beschäftigten im Land in der Stahlindustrie. Doch das sind immerhin 45.000 Menschen. Jeder zweite deutsche Stahlarbeiter hat seinen Job an Rhein und Ruhr. Dazu kommt: Rund um Eisen und Stahl ist über die Jahrhunderte eine verflochtene, bis heute wichtige Industrielandschaft entstanden.
    Die Werkshalle der Friedrich-Wilhelms-Hütte im Mülheim an der Ruhr. Seit über 200 Jahren steht die Gießerei hier mehr oder weniger mitten in der Stadt. Geschäftsführer Mark Vierbaum steht vor einem elf Meter langen Motorblock, gegossen aus 96 Tonnen flüssigem Eisen:
    "Im Eisenguss stellen wir Bauteile her bis maximal 160 Tonnen Stückgewicht. Aus einem Guss sozusagen. Und diese Teile werden international ausgeliefert. "
    Tatsächlich ist der Anteil der Metall- und Chemieindustrie an der Wirtschaftsleistung im Land noch immer fast doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt.
    "Und wenn jemand die Worte 'old economy', die beiden, die uns am meisten wehtun, in den Mund nimmt, sollte er hier mal reingucken. Um auch wirklich zu verstehen, dass hier sehr, sehr moderne Prozesse und sehr moderne Techniken auch einbezogen worden sind."
    Kein Beschäftigungsmotor trotz weltweiter Erfolge
    450 Menschen arbeiten in der Ruhrgebiets-Gießerei– 6.000 waren es in den 1960er-Jahren. So geht es vielen Industrie-Unternehmen: Selbst wenn sie heute weltweit erfolgreich sind: Ein Beschäftigungsmotor sind sie nicht mehr – trotz moderner Technik?
    "Also man hat in NRW immer noch einen deutlich höheren Teil an Grundstoffindustrien als in anderen Ländern. Allerdings Grundstoffindustrien sind auch Industrien, die kein Mengenwachstum mehr haben",
    sagt Wachstumsforscher Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Insgesamt sind allein in den vergangenen 40 Jahren bei Kohle und Stahl fast 400.000 Stellen weggefallen. Und zwar ohne Massenentlassungen. Das ist eine soziale Leistung. Aber keine Perspektive.
    "Also wenn es der deutschen Stahlindustrie gut geht, dann hält sie ihre Produktion. Das gilt für viele Bereiche. Sind eben auch alles Bereiche, die nicht mehr groß Beschäftigung aufbauen."
    Die NRW-Wirtschaft wächst, aber unterdurchschnittlich. Die Arbeitslosenzahlen sind auf einem 23-Jahres-Tief, liegen aber höher als im Bundesschnitt.
    "Ein anderes Problem in NRW ist, dass wir eine Industrie, die gerade in den letzten fünf Jahren in Deutschland die Wirtschaft sehr stark getrieben hat, nämlich die Automobilindustrie, dass wir die hier im Lande nur sehr stark unterrepräsentiert haben. Das ist vielleicht auch ein Teil der Erklärung für die Schwäche in den letzten Jahren."
    Neue Jobs in NRW
    Tatsächlich entstehen auch Jobs in neuen Branchen: Amazon und Zalando etwa haben sich im Ruhrgebiet mit Zweigstellen niedergelassen, dazu sehr viele Logistiker wegen der strategisch günstigen Lage. Die Gesundheitswirtschaft boomt und auf dem Technologiezentrum neben der Uni Dortmund etwa haben sich 300 Firmen mit 8.000 Mitarbeitern angesiedelt. Doch viele der neuen Jobs sind zum Teil hoch spezialisiert, oder kommen aus dem Niedriglohnsektor. Keine gute bezahlten Industriearbeitsplätze wie in der Vergangenheit.
    Ohnehin sei der Gründergeist geringer als anderswo, sagen Kritiker. Schließlich gab es im Land traditionell immer viele gute Jobs in Großunternehmen:
    "Der Energiesektor war in NRW ein Bereich, der extrem hohe Einkommen gezahlt hat ... Als ich hier nach Essen kam, ich glaube bei RWE gab's 15 Monatsgehälter oder sowas und die noch weit über denen im Öffentlichen Dienst, jedes Monatsgehalt",
    sagt Wirtschaftsforscher Döhrn. Doch dann kam die beschleunigte Energiewende – und das spürt das selbst ernannte "Energieland Nr.1". Alleine Eon und RWE haben seit 2011 mehr als 20.000 Stellen gestrichen.
    "Da fällt natürlich auch eine einkommens- und zahlungskräftige Klientel weg auf die Art und Weise."
    Ein Kapitel wird entgültig geschlossen
    Der Umbau der Region läuft, doch er ist mühsam. Viel Industrie, viele Großunternehmen. Diese Strukturen wirken bis heute. Nur in einem Bereich wird ein Kapitel bald endgültig geschlossen.
    Atmo Chor: Glück auf, glück auf, glück auf ... .
    Im kommenden Jahr schließen die letzten beiden deutschen Steinkohle-Zechen. Die Zahl der Mitarbeiter ist schon heute auf den Stand von 1830 zurückgefahren.