Klimakrise und Energiekrise
Was beim Kohleausstieg geändert werden soll

Die Politik ringt um Hilfspakete, damit Bevölkerung und Wirtschaft die steigenden Energiepreise verkraften können. Zugleich wird darüber diskutiert, wie der Zeitplan für die Energiewende und den Kohleausstieg angepasst werden muss.

05.10.2022
    Blick auf das RWE-Kohlekraftwerk Neurath mit unter anderem dem Kraftwerksblock C. Braunkohlekraftwerke aus Reserve sollen länger am Netz bleiben dürfen.
    Blick auf das RWE-Kohlekraftwerk Neurath mit dem Kraftwerksblock C. (picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
    Zukunftsfragen werden vor dem Hintergrund der Energiekrise anders und neu debattiert. Der genaue Zeitplan für den Atomausstieg ist da nur ein Beispiel. Aber auch das Timing des - aus Klimaschutz-Gründen notwendigen - Kohleausstiegs steht wieder auf der politischen Tagesordnung. Der alte Streit um die Dauer der Kohleverstromung lebt wegen der aktuellen Krisen neu auf.

    Wie sah der bisherige Zeitplan für den Kohleausstieg aus?

    Anfang 2019 hatte die sogenannte Kohlekommission einen Ausstieg aus der Kohle bis spätestens 2038 vorgeschlagen. In ihrem Koalitionsvertrag verständigten sich die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP darauf, zur Einhaltung der Klimaschutzziele einen beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung anzustreben. "Idealerweise" gelinge das schon bis 2030, hieß es. Dieses Ziel war zuletzt wegen der Energiekrise und der verlängerten Reservehaltung der Kohlekraftwerke immer wieder in Frage gestellt worden.
    Steinkohlekraftwerke laufen nach derzeitiger Rechtslage voraussichtlich bis Anfang der 2030er-Jahre. Zudem sind in Ostdeutschland derzeit noch acht Braunkohlekraftwerke am Netz. In Nordrhein-Westfalen zeichnet sich dagegen ein früherer Kohleausstieg ab.

    Wann wollen Bundesminister Habeck, das Land NRW und RWE aussteigen?

    Die letzten Braunkohlekraftwerke in Nordrhein-Westfalen sollen trotz der Energiekrise früher als geplant abgeschaltet werden. Der RWE-Konzern werde 2030 und damit acht Jahre früher als bisher vereinbart die Verstromung beenden, kündigten RWE, NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und ihr Amtskollege im Bund, Robert Habeck, (beide Grüne) am 4.10.2022 an. 2030 war von Schwarz-Grün in NRW schon zuvor als Zieldatum genannt worden.
    Robert Habeck (M, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, und Markus Krebber (r), Vorstandsvorsitzender von RWE, geben eine Pressekonferenz zur Verständigung auf einen beschleunigten Kohleausstieg 2030 und der Stärkung der Versorgungssicherheit in der aktuellen Energiesicherheit.
    Pressekonferenz zum Kohleausstieg: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, m) neben RWE-Chef Markus Krebber (r) und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    "Putins Angriffskrieg zwingt uns, vorübergehend stärker Braunkohle zu nutzen, damit wir in der Stromerzeugung Gas sparen. Das ist schmerzhaft, aber angesichts der Gasknappheit nötig", sagte Bundesminister Habeck.
    Konkret sieht die Vereinbarung laut Bundeswirtschaftsministerium vor, dass die RWE-Kohlekraftwerke Neurath F und G sowie Niederaußem K statt 2038 bereits Ende März 2030 vom Netz gehen.
    Allerdings bleiben zunächst die zwei Kraftwerksblöcke Neurath D und E, die eigentlich Ende 2022 abgeschaltet werden sollten, länger am Netz - nämlich mindestens bis Ende März 2024. Zudem darf die Bundesregierung demnach bis Ende 2023 entscheiden, ob die Anlagen bei Bedarf noch ein Jahr länger im Strommarkt bleiben oder in eine Reserve überführt werden. Und es werden bis 2030 neue Gaskraftwerke ausgeschrieben - als Reserve, falls Erneuerbare Energien keine Versorgungssicherheit gewährleisten können. Die Kraftwerke sollen später komplett mit grünem Wasserstoff betrieben werden können.
    Laut Angaben von RWE und Habeck werden mit dem früheren Aus für die Kraftwerke im rheinischen Revier rund 280 Millionen Tonnen Klimagase weniger ausgestoßen. Eine zusätzliche finanzielle Kompensation erhält das Unternehmen vom Staat nicht für den Kohleausstieg 2030. Ohnehin erhält RWE aus den vorherigen Vereinbarungen eine Entschädigung in Höhe von 2,6 Milliarden Euro.
    Der Deal mit dem Land NRW beinhaltet auch, dass die Ortschaft Lützerath abgebaggert wird. Sie war zuletzt zu einem Symbol des Widerstands gegen die klimaschädliche Kohle geworden. Scharfe Kritik an dem Deal von RWE und Grünen-Ministern kam von Klima- und Umweltschützern sowie aus der Jugendorganisation der Grünen. Die Klimabewegung „Fridays for Future“ rief zu Widerstand auf. Unter anderem äußerte sich die Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer mehrfach auf Twitter zu den Plänen in NRW:

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    Welche weiteren neuen Vorschläge für den Kohleausstieg gibt es?

    Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat sich für sein Bundesland gegen einen Ausstieg aus der Kohle bis 2030 ausgesprochen. Der CDU-Politiker sagte im MDR, RWE könne das im Rheinischen Revier machen. Nordrhein-Westfalen habe eine riesige Wirtschaft, die die Arbeitsplätze aus der Kohlebranche aufnehmen könne. Regionen wie die Lausitz bräuchten aber bis 2038, um wirklich neue Dinge aufzubauen. Dann werde es dort auch andere Arbeitsplätze geben, die die wegfallenden kompensieren könnten.  Ähnlich äußerte sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Ein Ausstieg vor 2038 würde den Industriestandort Deutschland seiner Ansicht nach „nachhaltig schwächen“.
    Reiner Haseloff (l, CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, und Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen
    Reiner Haseloff (l, CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, und Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Selbst aus der Ampel-Koalition kam Kritik an Habecks Plänen für NRW. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler: "Die akute Notlage vieler Menschen und Unternehmen ist sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt, um mit Energiekonzernen neue gesetzlich festgelegte Abschaltdaten für Kohlekraftwerke auszuhandeln. Politisch vorgegebene Abschaltdaten haben die Rückkehr von stillgelegten Kraftwerken in den Markt zuletzt erheblich verzögert." Stattdessen plädierte der Liberale erneut für eine längere Laufzeit der verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke.
    Der Bundesverband Erneuerbare Energien forderte einen beschleunigten Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen sowie von flexibel steuerbaren Einheiten: "Erneuerbare Energien haben wie keine andere Technologie die Möglichkeit, dezentral und verbrauchsnah Strom zu produzieren. Auch bieten Erneuerbare Energien das größte Leistungsspektrum in der Energieerzeugung. Von wenigen Watt eines Solarmoduls auf dem Dach bis hin zu großen Wind- und Solarparks" reichten die Möglichkeiten, so der Verband. Dies müsse auch im NRW-Braunkohlerevier mitgedacht werden.
    (Quellen: Reuters, dpa, epd, Onlineredaktion, Jörg Münchenberg)