Die Arbeit geht jetzt erst richtig los: Der 336 Seiten umfassende Abschlussbericht der sogenannten Kohlekommission enthält derart viele Details zu den Kosten und der Machbarkeit des Kohleausstiegs, dass die Bundesregierung schnell die Ärmel hochkrempeln muss. Erst einmal zeigt sich der Regierungssprecher jedoch gut gelaunt:
"Die Bundesregierung begrüßt, dass diese Kommission jetzt ihren Bericht vorgelegt hat." Ab sofort, sagt Steffen Seibert, werde nun geprüft und bewertet: "Und dabei gilt es immer wieder, die drei Grundkriterien zu beachten, nämlich: Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit der Energie und Klimaschutz."
Die neue Herkulesaufgabe lautet also, den Ausstieg aus der Kohle in den kommenden Jahrzehnten bis spätesten 2038 so vorzubereiten, dass nirgendwo das Licht ausgeht in Deutschland und dass die Strompreise möglichst stabil bleiben. Aber, der Christdemokrat und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, gibt offen zu: Garantien bei den Preisen gibt es nicht:
"Nein, in der Frage, was ändert sich wann, kann Ihnen niemand etwas sagen, weil alleine der Börsenstrompreis Schwankungen unterlegen ist."
"Kein Blankoscheck für Kraftwerke"
Konkret schlägt die Kohlekommission vor, ab dem Jahr 2023 jährlich etwa zwei Milliarden Euro bereitzustellen, um mögliche Strompreis-Erhöhungen abzufedern. Was man also als Verbraucher spart, zahlt man als Steuerzahler drauf. Klimaschutz gebe es eben nicht zum Nulltarif, lautet das Gegenargument. Die Grünen warnen allerdings: Öffentliches Geld muss auch klug verteilt werden:
"Es kann nicht sein, dass einzelne Kraftwerke und Uralt-Kraftwerke dafür bezahlt werden, dass sie im Land stehen und keinen Strom mehr produzieren. Sondern klar muss sein: Öffentliche Gelder müssen auch im Sinne des öffentlichen Interesses eingesetzt werden und es kann keinen Blankoscheck für jedes einzelne Kraftwerk in unserem Land geben", sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock.
Zufriedenheit herrscht bei den Ministerpräsidenten der Länder mit Braunkohlerevieren. Sie hatten in der 21 Stunden langen Abschlusssitzung der Kohlekommission Freitagnacht teilweise scharf interveniert, wenn sie ihre Interessen bedroht sahen. Doch das Ergebnis – 40 Milliarden Euro für den Strukturwandel in den kommenden 20 Jahren – kann sich sehen lassen, meint Sachsens Regierungschef, Christdemokrat Michael Kretschmer:
"Wenn wir dabei bleiben, was die Kommission beschlossen hat, ist das ein guter Kompromiss."
Doch für die Kritik mancher Umweltverbände, dass ein Kohleausstieg erst 2038 zu spät sein könnte, hat Kretschmer kein Verständnis:
"Jetzt muss aber auch gut sein. Und mich hat sehr verstört, dass BUND, Greenpeace und viele andere jetzt anfangen, an diesen ganzen Ergebnissen wieder rumzudiskutieren. Wir brauchen jetzt die Klarheit, wir müssen jetzt an die Arbeit gehen. Wir machen jetzt auch los im Freistaat Sachsen, 20 Jahre ist eine gute Perspektive."
RWE kündigt "signifikanten Stellenabbau" an
"Das ist auch für den Klimaschutz ein sehr guter Kompromiss, weil wir jetzt einen Weg, einen Pfad haben, wie wir aus der Kohle so aussteigen können, dass wir gleichzeitig eine Perspektive aufzeigen für die Regionen, für die Beschäftigten, für die Familien – und eben auch sagen, wie die Stromversorgung sicher bleibt", sagt Svenja Schulze.
Die Bundesumweltministerin ist Sozialdemokratin und verweist – auch mit Blick auf drei Landtagswahlen in Ostdeutschland im Herbst – immer wieder auf die sozialen Folgen des Kohleausstiegs. RWE kündigt bereits einen "signifikanten Stellenabbau" im rheinischen Braunkohlerevier an.
Auch manche Wissenschaftler, wie etwa der Kieler Klimaforscher Mojib Latif, reagieren zurückhaltend: Deutschland werde seine eigenen Klimaschutzziele, zu denen sich die Bundesregierung rechtlich verpflichtet hat, weiter verfehlen, warnt Latif. Andere hingegen loben, dass Deutschland klimapolitisch wieder Vorbild werden könnte:
"Wenn man anguckt, was gerade in Großbritannien los ist, was in den USA los ist, auch, wie polarisiert die Diskussion in Frankreich stattfindet, dann muss man schon sagen, das ist eine Sternstunde für das deutsche politische System, dass sie solche Konflikte lösen kann", sagt Patrick Graichen von der Denkfabrik Agora Energiewende im Deutschlandfunk.