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Kohleausstieg bis 2030
Das Mitteldeutsche Revier unter Druck

Mehr als 7.000 Beschäftigte sind vom Kohleausstieg im Mitteldeutschen Revier betroffen. Allerdings hatten sie sich aufs Enddatum 2038 eingestellt, jetzt heißt es im Koalitionsvertrag: Kohleausstieg "idealerweise bis 2030". Kann ein so schneller Ausstieg sozialverträglich gelingen?

Von Anh Tran |
„Der Tag rückt immer näher. Das geht immer so durch den Kopf: Wie wird's ablaufen, was passiert? 13.15 Uhr geht die letzte Maschine vom Netz, und dann war's das mit der Stromerzeugung im Kraftwerk Deuben, und dann spätestens 16 Uhr ist dann Feuer aus, schätze ich mal, und dann war's das. Dann sitzen wir da und heulen.“
Vor über 40 Jahren hat Axel Pötsch die Lehre zum Maschinisten in Deuben gemacht. Seitdem ist er Deutschlands ältestem aktiven Braunkohlekraftwerk treu geblieben, auch nach dem Ende der DDR und unter dem neuen Betreiber, der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft, kurz MIBRAG. Doch nun, am 8. Dezember 2021, ist Schluss in Sachsen-Anhalts zweitgrößtem Kohlekraftwerk. Die MIBRAG hat sich auf Grundlage des Kohleausstiegsgesetzes an einem Verfahren für die vorzeitige Stilllegung des Deubener Kraftwerks beteiligt. Im Frühjahr hat die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft dafür den Zuschlag der Bundesnetzagentur erhalten. Für den 60-jährigen Pötsch heißt das: Er bekommt Anpassungsgeld, kurz: APG.
„Das ist das Schöne, bis zum 63. Lebensjahr krieg ich dieses APG. Dann darf ich auch in die Vollrente, ohne Abzüge in die Rente gehen. Das wird auch alles unterstützt vom Staat und der Kohleausstiegsgeschichte.“

Sorgen, wie es weitergehen soll

Der Personalabbau am Standort Deuben soll möglichst sozialverträglich ablaufen, heißt: ältere Beschäftigte ab 58 Jahren bekommen vom Staat bis zu fünf Jahre Anpassungsgeld, um die Zeit bis zum vorzeitigen Renteneintritt zu überbrücken. Der Bund übernimmt zudem für diese Zeit Rentenabschläge, sodass Betroffene wie Axel Pötsch ihren vollen Rentenanspruch behalten. Daran gebe es auch nichts zu meckern, findet Axel Pötsch, aber:
„Das ist auch das einzige Positive.“
Pötsch macht sich Sorgen, wie es weitergehen soll: in Deuben und im Mitteldeutschen Revier allgemein. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung betrifft der Kohleausstieg im Mitteldeutschen Revier, also in Teilen Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens, mehr als 7.000 Beschäftigte. Im Vergleich zur Lausitz und dem Rheinland ist das Mitteldeutsche Revier zwar die kleinste Kohleregion. Aber hier kämpft man immer noch besonders mit den Folgen der Deindustrialisierung nach der Wiedervereinigung. Galt die Braunkohle zu DDR-Zeiten noch als Primärenergiequelle, war sie nach dem Zerfall des Systems nicht mehr rentabel. Die Folge: Tagebau-Stilllegungen, vor allem Anfang der 1990er-Jahre.
Geht am 8.12.2021 endgültig vom Netz: Deutschlands ältestes aktives Braunkohlekraftwerk in Deuben.
Geht am 8.12.2021 endgültig vom Netz: Deutschlands ältestes aktives Braunkohlekraftwerk in Deuben. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)

Erfahrung, wie eine ganze Industrie zusammenbricht

Um rund 82 Prozent ist die Braunkohleförderung im Mitteldeutschen Revier seit dem Ende der DDR zurückgegangen. Von den ehemals über 59.000 Beschäftigten am Höhepunkt der DDR-Kohlewirtschaft ist nur noch ein Bruchteil übrig. Hier haben prozentual so viele Menschen ihren Job verloren wie in keinem anderen deutschen Braunkohlerevier. Die Erfahrung, wie eine ganze Industrie zusammenbricht, steckt den Menschen bis heute in den Knochen:
„Anfang der 90er-Jahre ist hier schon mal was weggebrochen, und die Region hat sich so einigermaßen berappelt. Würde ich mal so bezeichnen. Und das Berappeln sah so aus, dass sich alle damit abgefunden hatten, viele weggezogen sind, ein kleiner Teil anfängt wieder zurückzukommen, weil es wieder interessant wird. Und ob das nun für die Zukunft bleibt, ist die zweite Frage“, erklärt Frank Puschendorf. Er ist der ehemalige Bürgermeister der Gemeinde Teuchern und Vorstandsvorsitzender des Heimatvereins „Zeitz-Weißenfelser Braunkohlenrevier“.
Der Verein betreibt in Deuben, direkt neben dem Kraftwerksgelände, ein Museum, das an die Bergbautradition der Region erinnert: Wenn Puschendorf von Zukunft spricht, meinte er bis vor kurzem eigentlich den Kohleausstieg 2038. Doch die neue Bundesregierung hat andere Pläne: Sie will den Kohleausstieg, wenn möglich, auf 2030 vorziehen, also acht Jahre früher als im Abschlussbericht der Kohlekommission vor zwei Jahren vorgeschlagen. Eine Entscheidung, die bei Puschendorf auf wenig Gegenliebe stößt:
„2038, damit hat sich jeder abgefunden. Politische Entscheidung, es soll so sein, aber wenn jetzt noch darüber nachgedacht wird, schon auf 2030 zurückzuziehen, dann stelle ich mir die Frage, wie soll ein Strukturwandel, den man ja so großartig benennt, vonstattengehen?“
Das steht im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen

Investitionsplan über 40 Milliarden Euro

Neben den Sozialplänen für die Beschäftigten gibt es vom Bund auch einen Investitionsplan für die Braunkohleregionen: Das sogenannte Strukturstärkungsgesetz. Darin sind 40 Milliarden Euro für die drei Reviere in NRW, der Lausitz und Mitteldeutschland, vorgesehen. Sachsen-Anhalt erhält davon 4,8 Milliarden Euro. Für etwa ein Drittel des Budgets ist das Land zuständig. Damit soll die Infrastruktur im Land und den Kommunen gestärkt werden, beispielsweise soll das Glasfasernetz ausgebaut und es sollen neue Produktionsgebiete für grünen Wasserstoff erschlossen werden.
Mit dem verbliebenen Geld setzt der Bund eigene Vorhaben um, zum Beispiel den Ausbau von Bundesstraßen und Bahnstrecken wie zwischen Leipzig und Zeitz. Der Bund hat sich zudem verpflichtet, mindestens 5.000 Arbeitsplätze durch neue Bundesbehörden in den Kohleregionen zu schaffen. Eine immer wiederkehrende Streitfrage ist: Wohin soll das Geld fließen – in die Fläche oder in die Kernreviere? Für Frank Puschendorf steht fest:
„Hier sollen keine Leuchttürme hingestellt werden. Hier soll nicht extravagantes Zeug gebaut werden.“
Seiner Meinung nach gehört das Geld dorthin, wo der Wandel stattfindet – wie zum Beispiel in Deuben. Er wünscht sich, dass die gut bezahlten Arbeitsplätze im Kraftwerk durch neue Industriearbeitsplätze ersetzt werden. Aber geht das so einfach?

Mobilität und Flexibilität werden gefordert sein

„Unterm Strich wird es wahrscheinlich nicht so sein, dass die wegfallenden Industriearbeitsplätze in Gänze durch andere Industriearbeitsplätze ersetzt werden. Wer weiter in der Industrie arbeiten möchte, wird wahrscheinlich mobil sein müssen“, sagt Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, kurz IWH.
Die Entwicklung zeige, dass Jobs heutzutage eher in der Dienstleistungsbranche entstehen, erklärt der Volkswirt. Da perspektivisch immer mehr Arbeitsprozesse von Maschinen übernommen werden, sei man in der Produktion immer weniger auf Menschen angewiesen.
„Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen: Die neuen Arbeitsplätze entstehen in den Ballungsgebieten, und es heißt nicht, dass die Menschen dahin umziehen müssen. Aber sie müssen da eben gut hinkommen, um weiterhin einen vernünftigen Arbeitsplatz zu haben. Es wird auch nicht gelingen, vom Reißbrett aus, aus der Bundes- oder Landeshauptstadt, Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu schaffen. Man kann irgendwo mal eine Behörde hinsetzen oder so, aber als tragfähiges, langfristiges Konzept funktioniert es nicht.“

"Wie kann man Infrastruktur und Fähigkeiten nutzen?"

Könnte schon funktionieren, dauert aber länger, erklärt hingegen Ralf Wehrspohn, Professor für Physik an der Martin-Luther-Universität Halle. Er war Mitglied der Kohlekommission. Seine Vorstellung vom Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier:
„Das sind ja eigentlich Industrieparks, das sind Chemieparks, die haben ja Industrie-Zulassung, das heißt, die sind genehmigt für Industrieansiedlung, und die Frage ist eher, wie kann man die Infrastruktur und wie kann man die Fähigkeiten der Menschen nutzen, die da sind und die nicht in Vorruhestand oder in die Arbeitslosigkeit schicken. Und das ist eben innovationsbasierter Strukturwandel.“
Gemeint ist damit: alte Potentiale nutzen, um neue Technologien aufzubauen. Auf diese Weise sollten Wehrspohn zufolge Industriearbeitsplätze in der Region erhalten werden. Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor oder Tourismus seien oftmals viel schlechter bezahlt. Einer einkommensschwachen Region wie dem südlichen Sachsen-Anhalt drohe dann Strukturbruch statt –wandel, so Wehrspohn:
„Wenn man sagt, okay, wir geben das auf: Deuben. Wir sagen, das wird ein Vorort von Leipzig, das heißt, wir schicken die Generation in Rente mit Vorruhestand und die jungen Leute requalifizieren wir für städtische Technologien, Dienstleistungen, IT usw., dann ist das ja auch eine Möglichkeit, aber dann ist Deuben abgeschrieben, dann wird das ein Wohnort.“
Dass sich Orte verändern, sei angesichts der demographischen Entwicklung unausweichlich, gibt Oliver Holtemöller vom IWH zu bedenken:
„Die Verödung entsteht dadurch, dass die Bevölkerung insgesamt schrumpft. Also zwangsläufig wird es einige Regionen geben, die nicht so bleiben können, wie sie jetzt sind.“
1950 waren es noch über 106.000, 2020 nur noch unter 21.000 - Anzahl der Beschäftigten im Braunkohlebergbau in Deutschland
Statistik: Anzahl der Beschäftigten im Braunkohlebergbau in Deutschland, 1950 bis 2020 (Statista)

"Die Demografie im Auge behalten"

Sachsen-Anhalt ist bereits heute im bundesweiten Vergleich das Bundesland mit dem höchsten Altersdurchschnitt. Laut der Bertelsmann-Stiftung hat die Bevölkerungszahl in Sachsen-Anhalt von 2011 bis 2019 um 3,6 Prozent abgenommen. Die Bevölkerung in Teuchern ist im selben Zeitraum sogar um das Doppelte geschrumpft. Bei dieser Entwicklung, so Holtemöller, gehe es weniger darum, mit aller Kraft Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen, sondern man müsse:
„Die Demografie im Auge behalten, die Qualifikation der Menschen fördern, die Attraktivität des Wohnens in den Regionen steigern, die Mobilität unterstützen und fördern. Das sind die die wichtigsten Maßnahmen für den Strukturwandel.“
Dann sei aus volkswirtschaftlicher Perspektive auch ein vorgezogener Kohleausstieg 2030 machbar. Auch der Politikökonom Philipp Litz von der Denkfabrik Agora Energiewende hält einen früheren Kohleausstieg zwar für eine Herausforderung, aber doch grundsätzlich für bewältigbar:
„Man muss dafür tatsächlich auch ein paar Sachen machen, eben zum Beispiel vor allem den Ausbau der erneuerbaren Energien. Da das Tempo beibehalten und ein Stück weit auch beschleunigen bei Wind und Photovoltaik. Man braucht neue Wasserstoffkraftwerke, die bereitstehen, wenn Wind und Sonne eben nicht scheinen oder wehen. Und man muss auch die Strukturentwicklungsprojekte, die man jetzt in den Regionen angeschoben hat, da zügig weitermachen und die dann eben auch vollenden.“
Damit Deutschland seine Klimaschutzziele erreicht, ist der Ausstieg aus der Kohle bis 2030 für die Agora Energiewende absolut geboten. Die Energieversorgung hält Litz dank europäischem Stromnetz für gesichert.
Anders sieht das Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff von der CDU im Interview mit dem MDR:
„Ich bin mir sicher, dass im Rahmen dessen, was Deutschland jetzt an Rahmenbedingungen hat, das nicht einzuhalten ist. Einschließlich der zu erwartenden Stromlücke und all der Dinge, die wir noch benötigen, um an anderen Stellen CO2 einzusparen.“

Potenziale bei Windkraft und grünem Wasserstoff

Seit bekannt ist, dass die Ampel einen vorgezogenen Kohleausstieg plant, herrscht Unruhe in Sachsen-Anhalt. Haseloff, der Anfang der 1990er-Jahre Arbeitsamtsdirektor in Wittenberg war, kennt die Geschichten von Menschen, die nach dem Mauerfall arbeitslos wurden und nie wieder in den Arbeitsmarkt zurückgefunden haben, nur zu gut. Auch sein Energieminister, Armin Willingmann von der SPD, fordert:
„Wenn man jetzt tatsächlich ernsthaft erwägt, früher auszusteigen, was klimapolitisch sinnvoll ist, dann muss man diese Arbeitsplätze versuchen schneller zu schaffen und wenn das nicht gelingt, dann wird es auch keinen früheren Ausstieg geben. Das eine hängt mit dem anderen zusammen.“
Potenzial sieht Willingmann im Ausbau Erneuerbarer Energien. Bereits heute bietet die Branche fast 25.000 Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt. Windkraft ist die bedeutendste Energiequelle für die Stromerzeugung im Land. Vieles erhofft sich Sachsen-Anhalt außerdem vom grünen Wasserstoff. Allerdings, meint Armin Willingmann:
„Wenn Sie Erneuerbare ordentlich ausbauen wollen, dann muss das schneller gehen als bisher. Die Durchschnittsdauer eines Windparks von der ersten Planung bis zur Fertigstellung bei 6-8 Jahren ist deutlich zu lang. Dann könnten wir 2030 nicht aussteigen.“

Im Zweifel das Klima vorrangig behandeln

Der Energieminister zeigt sich allerdings etwas optimistischer als sein Regierungschef. Bürokratische Hürden könnten abgebaut werden, er empfiehlt:
„Nicht überall alles gleich bewerten, sondern künftig darauf achten, dass an den Stellen, wo wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen durch den Ausbau Erneuerbarer, schnellere Verfahren möglich sind unter Zurückstellung von Bedenken aus dem Bereich des Naturschutzes.“
Soll heißen: im Zweifelsfall das Klima vorrangig behandeln, wenn man bei Projekten zwischen verschiedenen Gütern, wie Klimaschutz, Umwelt und Anwohnerinteressen, abwägen muss. Ralf Wehrspohn von der Uni Halle bewertet diese Form von Bürokratieabbau kritisch:
„Dann könnte man sicherlich fünf Jahre sparen, und dadurch könnte es dann in der Tat etwas schneller gehen, das sehe ich im Moment aber nicht, dass es solche Experimentierklauseln in der Genehmigung geben wird, weil das eben auch große Einschränkungen im Widerspruchsrecht der Bevölkerung gibt.“
Und das sei in einer Demokratie schlichtweg nicht möglich, so der Physiker Wehrspohn.
Das sagen Menschen in der Lausitz zum "Braunkohle-Ausstieg bis 2030" (28.10.2021)

"Viele sagen, jetzt reicht es uns aber auch mal"

Will man den Strukturwandel schaffen, müsse man die Bevölkerung mitnehmen, ist sich Jonathan Everts von der Universität Halle sicher. Als Direktor des neu gegründeten Instituts für Strukturwandel und Nachhaltigkeit beschäftigt er sich vor allem mit den gesellschaftlichen Auswirkungen im Mitteldeutschen Revier. Was er dabei immer wieder bemerkt:
„Man tut jetzt gerne hergehen und sagen: Das ist ganz toll hier in der Region, die Menschen haben Erfahrungen mit Brüchen und Wandel, die können das besser wegstecken als andere. Ich habe eher das Gefühl in den Gesprächen, dass viele auch sagen, jetzt reicht es uns aber auch mal. Jetzt haben wir genug Wandel gemacht. Jetzt können auch mal andere den Wandel erleben und die Brüche. Wieso müssen wir jetzt immer noch das machen?“
Daraus könne wiederum Politikverdrossenheit entstehen:
„Man argumentiert an der Lebensrealität der Menschen vorbei. Und da kann ich auch gut verstehen, dass man dann eben sagt, das ist für mich kein politisches Ziel, dass ich so in dieser Form unterstützen kann. Und sucht sich dann eher eben eine andere Partei, die vielleicht diese Lebensrealitäten im ländlichen Raum und in den Kleinstädten besser wahrnimmt.“

Unzufriedenheit an der Wahlurne

Im Burgenlandkreis haben bei der Bundestagswahl fast 25 Prozent der Menschen mit ihrer Zweitstimme AfD gewählt. In ganz Sachsen-Anhalt ist im Schnitt die SPD stärkste Kraft geworden. Für Andy Haugk, parteiloser Bürgermeister der Deubener Nachbargemeinde Hohenmölsen, ein klares Zeichen:
„Der Süden von Sachsen-Anhalt hat ja in seinem Wahlverhalten ganz klar gezeigt, wie die Menschen mit ihrer Unzufriedenheit umgehen an der Wahlurne.“
Auch wenn er selbst mit diesem Wahlergebnis unzufrieden ist. Als Kommunalpolitiker ist er der Auffassung, dass die Politik in Berlin und Magdeburg immer wieder an den Bedürfnissen vor Ort vorbei arbeitet:
„Unser Revierbegriff hier vor Ort ist ein ganz anderer als der, den Berlin hat. Die Revierbegriffe sind sehr weit gefasst in der Definition des Strukturstärkungsgesetzes. Wir reden immer gerne vom Kernrevier, das heißt von den Kommunen, die unmittelbar vom aktuellen Kohleausstieg betroffen sind, und nicht von den Kommunen, die den Strukturbruch der 90er-Jahre erlebt haben.“
Blick in den Braunkohletagebau Welzow-Sued der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG)
Es bestehe die Gefahr, "dass wir ein zweites 1990 erleben", warnt die CDU-Abgeordnete Jana Schimke (dpa/Andreas Franke)

Kritik an Verwendung der Fördergelder

Ein großes Streitthema im Kernrevier ist die Sanierung des Naumburger Doms. Eine der ersten Maßnahmen, die aus einem Sofortprogramm des Bundes für den Strukturwandel finanziert wurde. Diese Aktion habe großen politischen Schaden angerichtet, auch wenn sie als solche völlig gerechtfertigt gewesen sei, sagt Jonathan Everts von der Uni Halle:
„Es hat in der Region viel Kopfschütteln und Unverständnis ausgelöst, das eben somit das erste, was aus diesem Strukturwandel-Topf bezahlt worden ist, eine Ausbesserungen einer Fassade eines Doms gewesen ist und man sich dann schon fragt in der Region, was hat das mit mir zu tun? Ja, was hat es mit meinem Arbeitsplatz, mit meinem Ort, mit meiner regionalen Identität hier vor Ort zu tun?“
Ähnliche Reaktionen haben Investitionen für das Rosarium in Sangerhausen oder das Wörlitzer Gartenreich in Dessau ausgelöst. Letzteres gehört geographisch gar nicht ins Mitteldeutsche Revier. Währenddessen bleibt das Bergbaumuseum in Deuben im Winter geschlossen, weil man sich die Heizkosten nicht leisten kann. Die Förderung für die einzige bezahlte Arbeitskraft läuft Ende des Jahres aus. Wie es danach weitergeht? Das sei ungewiss, sagt Gudrun Jochmann, die sich ehrenamtlich im Museum engagiert.
„Wir im Süden Sachsen-Anhalts haben wirklich den Eindruck ein bisschen, dass wir von unserer Landesregierung hier unten nicht wahrgenommen werden. Die Bedenken der Bevölkerung von Deuben: Was erwartet uns dann irgendwann mal hier? Werden wir dann wirklich ganz und gar abgestoßen? Vergessen?“

"Für einen richtigen Kraftwerker wird's schwer"

Die Landesregierung in Sachsen-Anhalt bemüht sich, Menschen wie Gudrun Jochmann zu erreichen, zum Beispiel mit Online-Bürgerdialogen in den betroffenen Landkreisen. Anfang 2022 will das Land zudem ein Strukturentwicklungsprogramm vorlegen, an dem rund 300 Akteure und Akteurinnen des Reviers mitgearbeitet haben, heißt es aus der Stabstelle für Strukturwandel in der Staatskanzlei. In Hohenmölsen soll ein neues Agrarforschungszentrum des Fraunhofer-Instituts entstehen. Für die Altstadtsanierung besonders betroffener Kommunen im Burgenlandkreis, darunter auch Teuchern, läuft derzeit ein Förderaufruf. Von 2021 bis 2024 stellt das Land dafür insgesamt 100 Millionen Euro zur Verfügung
Wie es in Deuben auf dem Kraftwerksgelände nach der Schließung weitergehen soll, dazu will sich die MIBRAG auf Anfrage derzeit nicht äußern. So oder so, Axel Pötzsch, der über 40 Jahre im Kraftwerk gearbeitet hat, ist sich sicher:
„Für einen richtigen Kraftwerker wird's schwer, die geboren sind für so was.“