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Kohlekompromiss
IG BCE-Chef: Ergebnis insgesamt zufriedenstellend

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie sieht in dem Beschluss der Kohlekommission einen akzeptablen Weg für den Ausstieg aus der Kohle bis 2038. Das Ergebnis sei ausgewogen, daraus könne man was machen, sagte IG BCE-Chef Michael Vassiliadis im Dlf. Der Ausstieg tue dennoch "sehr weh".

Michael Vassiliadis im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Ein Schaufelradbagger vor dem Tagebau Etzweiler
    Die Kohlekommission liefere nur eine Empfehlung, die von der Politik nun bewertet und umgesetzt werden müsse, betonte IGBCE-Chef Vassiliadis im Dlf (imago)
    Ann-Kathrin Büüsker: Einen gesellschaftlich verträglichen Konsens finden, wie der Kohleausstieg für Deutschland zu leisten ist, das war die Aufgabe der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, bekannt auch als Kohlekommission. Über 20 Stunden lang hat das Gremium nun getagt in der letzten Sitzung - und eine Einigung gefunden. Die Nachrichtenagenturen berichten von einer Einigung, ein Ausstieg aus der Braunkohle besteht spätestens 2038, 40 Milliarden Strukturförderungen für die betroffenen Regionen in den kommenden 20 Jahren. Es waren zähe Verhandlungen, auf die wir jetzt zunächst mit Michael Vassiliadis schauen können, Vorsitzender der Bergbaugewerkschaft IGBCE. Einen schönen guten Morgen!
    Michael Vassiliadis: Guten Morgen, Frau Büüsker!
    Büüsker: Der Ausstieg aus der Braunkohle bis spätestens 2038. Wie sehr tut das weh?
    Vassiliadis: Es tut sehr weh, weil immerhin ein Industrieland wie Deutschland nach dem Kernenergieausstieg sich jetzt ranmacht - aus Klimaschutzgründen - seine zweite fossile und sichere Energiequelle in den nächsten 20 Jahren abzuschalten und zu ersetzen. Das ist kein triviales Unterfangen. Das wird in den Regionen, das wird in den Unternehmen und das wird auch für viele Beschäftigte eine Menge Wandel und auch Schmerz verursachen.
    Das Ergebnis? Ausgewogen
    Büüsker: Und die Lösung, die Sie jetzt in der Kommission gefunden haben, ist eine gute, um diesen Wandel gut zu gestalten?
    Vassiliadis: Es ist sicherlich einmalig, dass sich ein Land so auf den Weg macht, nämlich versucht, zu Beginn auch sich zu besprechen und sich darüber zu einigen, dass dieser Strukturwandel erstens nicht trivial ist, zweitens Veränderungen mit sich bringt und drittens auch Investitionen bedarf. Dafür ist das Ergebnis nach wirklich zähen Verhandlungen ausgewogen, daraus kann man etwas machen - und zwar für die Regionen, für die Energiewende und vor allen Dingen auch für den Schutz derer, die heute einen guten Job für Deutschland machen in der Energieversorgung, nämlich auch ihre Zukunft zu sichern.
    Büüsker: Aber so richtig euphorisch klingen Sie nicht.
    Vassiliadis: Nein, dafür gibt es auch keinen Grund. Das ist natürlich ein Wandel, der wirklich eine Menge abverlangt, auch einer Gewerkschaft wie der IGBCE. Wir müssen mit den Beschäftigten über sehr, sehr viel Veränderung sprechen, wir muten ihnen einiges zu, wir haben auch Schutz und Leistungen für sie organisiert. Aber es ist nichts, wo man sagen kann, das ist etwas, wo wir heute jubeln, sondern wir sind zufrieden, dass wir das Ganze nicht mit Strukturbrüchen und einem ungeordneten Weg gehen. Das haben wir in vielen Ländern erlebt, wie das geht, gerade auch der Kohleausstieg, und dass das sehr, sehr negativ sein kann. Aber zum Jubeln haben wir heute auch keinen Grund.
    Büüsker: Sie sagen Schutz und Leistungen sind organisiert. In welcher Form?
    Vassiliadis: Na ja, zunächst einmal ist eines klar, es gibt eine Sicherheitszusage an alle Leute, die heute dort beschäftigt sind, das geht ja über einen sehr langen Zeitraum, damit meinen wir die Älteren wie die Jüngeren, da geht es um neue Jobs, da geht es um Transfer, neue Jobqualifizierung, aber auch um den Ausgleich etwaiger finanzieller Lasten. Es geht zum Zweiten für diejenigen, die langjährig beschäftigt sind, auch darum, dass sie jetzt schon wissen, dass sie sicher auch in die Rente kommen. Wenn es dann notwendig ist, früher in Rente zu kommen, gibt es dafür die Zusage, ein Anpassungsgeldgesetz, wie wir das auch in der Steinkohle kannten, zu schaffen. Und auch mit den Unternehmen werden wir entsprechende Tarifverträge schaffen. Das heißt, jeder einzelne kann sich auf eins verlassen: Der Wandel verlangt viel ab, aber jeder einzelne wird geschützt werden, dass er nicht die Lasten persönlich und individuell tragen muss.
    "Wir haben am Ende den Realismus einfach hineingelassen"
    Büüsker: Das heißt, Sie gehen jetzt dann aber auch auf die Mitglieder Ihrer Gewerkschaft zu und sagen ihnen, guckt mal, was ihr anderes machen könnt, weil wir müssen diesen Weg gemeinsam finden?
    Vassiliadis: Ja, wir organisieren das sogar. Also, wir haben natürlich Erfahrungen, in der Steinkohle, da haben mal 600.000 Menschen gearbeitet, im letzten Jahr haben wir das in der Steinkohleförderung beendet - und niemand ist dort arbeitslos geworden oder hat in irgendeiner Weise diesen Wandel auf seinen eigenen Schultern tragen müssen. Wir haben eine Menge Erfahrung, Qualifizierung, Vermittlung, aber eben auch im Zweifel der Weg in die Rente. Das ist für uns nicht neu, wir haben jetzt auch die Mittel dazu. Und insofern, das war nicht unser Ziel, die Leute woanders hinzubringen, aber es ist der Weg und wir werden das tun.
    Büüsker: Wie beurteilen Sie denn insgesamt die Verhandlungen? War das eine gute Atmosphäre in dieser Sitzung?
    Vassiliadis: Es ist eine Menge passiert in dieser Kommission, es saßen ja Menschen zusammen, die üblicherweise übereinander geredet haben, in unterschiedlichen Organisationen, NGOs, Unternehmer, Gewerkschafter. Wir haben dort in der Kommission eins sehr schnell gelernt, aber am Ende auch geschaffen, dass wir am Ende den Realismus einfach hineingelassen haben. Viele, viele Dinge sind auch in der politischen und öffentlichen Debatte verzerrt worden, das ist sehr, sehr wichtig, übrigens auch für andere Transformationen, die wir noch vor uns haben. Dort ist eins klar geworden, wenn man in einem Land, sich auf den Weg machen will, so viel Neues und so viel Veränderung anzugehen, dann kann man das nicht nur mit Sprechblasen machen und veröffentlichten Zielen, da müssen wirklich die Gesellschaft und die Kräfte in der Gesellschaft zusammensetzen. Da hat jeder gelernt und da musste auch jeder etwas mitbringen. Das ist also für alle Beteiligten heute auch nicht ganz leicht, jeweils ihrer Klientel zu erklären, was sie dort gemacht haben, weil das Thema nicht leicht ist. Und das ist ein Punkt, den ich finde, der bemerkenswert ist und der vielleicht auch für die Politik ein Vorbild sein kann.
    "Es ist auch eine Chance für die Politik"
    Büüsker: Politik ist ein gutes Stichwort. Wie groß ist denn jetzt Ihre Sorge, Sie haben sich ja in der Kommission auf etwas Gemeinsames verständigt, das muss aber ja von der Politik dann ganz konkret umgesetzt werden. Also, wie groß ist da die Sorge, dass die Politik das unter Umständen auch wieder verwässert?
    Vassiliadis: Na ja, zunächst einmal hat natürlich die Regierung oder die Regierungen auch in den Ländern ihre Rechte. Und das ist auch völlig in Ordnung, sie müssen das bewerten und müssen das dann noch mal diskutieren. Ich kann nur empfehlen, dass diejenigen, die die Kommission hier eingesetzt haben - wir haben uns ja nicht selber beauftragt -, die von uns wollten, dass wir diesen schwierigen Abwägungsprozess vornehmen, jetzt auch das Ergebnis ernst nehmen. Wenn sie das nicht tun würden, was ich nicht erwarte, aber wenn sie das in nennenswerten Maße nicht tun würden, ist das sicherlich das letzte Mal, dass man sich auf so einen Weg begeben kann, weil das wird natürlich niemand mehr tun. Und insofern ist es auch eine Chance für die Politik, sich jetzt nicht im Einzel-Klein-Klein zu verlieren, sondern eben genauso das große Ganze zu sehen und am Ende auch die Stärke zu haben, die offenen Fragen beispielsweise der Energiewende, die haben wir, das ist nicht alles ein Projekt, das gut und zielgenau läuft. Das jetzt auch zu adressieren und zu sagen, okay wir gehen das an, und das vielleicht auch ein bisschen über den Tagesstreit hinaus, ich hoffe, dass das passiert, denn ansonsten kann man sehr schnell natürlich auch dieses Ergebnis entwerten.
    Büüsker: Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Bergbaugewerkschaft IGBCE, vielen Dank für das Interview heute Morgen hier im "Deutschlandfunk" und eine gute Erholung für Sie von diesem Verhandlungsmarathon!
    Vassiliadis: Dankeschön, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.