Jörg Münchenberg: Andrea Nahles hatte sich bei ihrer Zustimmung zu der Versetzung von Maaßen gründlich verschätzt und den innerparteilichen Widerstand auch unterschätzt, vor allem auch von den Wahlkämpfern in Bayern. Natascha Kohnen, Spitzenkandidatin der SPD, hatte sich mächtig geärgert und die Versetzungsentscheidung scharf kritisiert, und Natascha Kohnen ist jetzt am Telefon. Einen schönen guten Morgen!
Kohnen: Guten Morgen!
Münchenberg: Frau Kohnen, dass man jetzt noch mal über die Personalie Maaßen spricht, ist das der von Ihnen geforderte Befreiungsschlag?
Kohnen: Es geht mir nicht um Befreiungsschlag, es geht mir einfach darum, dass unglaublich viele Menschen auf der Straße ja auch, aber eben auch in unserer Partei sagen, das geht nicht: Ein Mann, der als Chef des Verfassungsschutzes agiert und dort das Vertrauen gebrochen hat und auch nicht wiederherstellen kann, der dort gehen muss, der kann nicht im nächsten Schritt befördert werden, mehr verdienen und auch noch mehr Verantwortungsbereich bekommen, das schädigt unglaublich das Vertrauen, auch die Glaubwürdigkeit, und das zeugt einfach auch nicht von einer Haltung. Und in meinen Augen erwarten die Menschen wieder von der Politik eine klare Haltung. So was würde in einem Unternehmen im normalen Leben einfach nicht passieren, und da ist kein Verständnis mehr da. Und das habe ich im Prinzip zum Ausdruck gebracht und habe gesagt, diese Entscheidung muss korrigiert werden.
Münchenberg: Das heißt aber auch im Umkehrschluss, Ihre Parteivorsitzende hat in dieser Frage zunächst wenig Haltung gezeigt.
Kohnen: Sie hat sich – und das hat sie ja auch gestern geäußert – geirrt. Aber nicht nur sie hat sich geirrt, es haben sich ja auch die Unionspolitiker geirrt. Und ich sage immer, die begegnen auch den Menschen auf der Straße, das muss denen ja auch entgegenschlagen, dass so was nicht geht. Und viele sagen ja schon auch in den letzten Jahren, Mensch, Politiker müssen auch mal sagen können, wenn eine Entscheidung nicht richtig war. Und deswegen finde ich das bemerkenswert, und es hat auch wirklich für mich Respekt verdient, dass Andrea Nahles gestern gesagt hat, so nicht, tatsächlich, wir haben uns geirrt, in dieser Entscheidung müssen wir korrigieren. Und das müssen jetzt die drei Vorsitzenden an diesem Wochenende tun.
Seehofer nimmt "das Land immer wieder in Geiselhaft"
Münchenberg: Trotzdem, Frau Kohnen, wundern sich ja doch viele politische Beobachter, dass das einer so erfahrenen Politikerin wie Andrea Nahles passiert. Denn man hat sich ja allein zweimal getroffen auf Koalitionsebene, dann hat sie ja dann auch erst mal zugestimmt, hat das ja auch lange und ausgiebig verteidigt. Also da wundert man sich ja schon, wie so ein Fehler passieren kann. Oder anders gefragt, hat sich da die SPD-Vorsitzende erst einmal einfach über den Tisch ziehen lassen?
Kohnen: Ich glaube, unser Land wundert sich auch über etwas anderes. Es hat ja lange genug gedauert, bis diese Koalition entstanden ist, und die SPD hat sich ja definitiv nicht einfach getan. Aber es wäre jetzt wirklich an der Zeit zu regieren. Und wir haben aber einen Bundesinnenminister, der wirklich seit Monaten das Land immer wieder in Geiselhaft nimmt, der das Land ja auch in eine Staatskrise insbesondere im Juli gebracht, im Juni/Juli, durch Probleme, die er im Prinzip hochjazzt, wo er dann aber selber sagt, na ja, Gott, eigentlich ist es ein Micky-Maus-Problem. Aber das ganze Land ist im Prinzip in Atem gehalten von einem Mann, der immer Druck aufbaut und versucht, die anderen zu erpressen förmlich. Und das hat man ja bei dieser Entscheidung um Maaßen gesehen, er scheint ja in dieser Sitzung allen Ernstes gesagt zu haben, dann verlässt er die Koalition. Und ich meine, ehrlich gesagt, an einer Personalentscheidung gleich so etwas dann rauszuhauen, das geht nicht. Und da kann ich Andrea …
Münchenberg: Lassen Sie uns über Herrn Seehofer gleich noch mal sprechen. Trotzdem jetzt noch mal die Frage zur SPD-Vorsitzenden, ist die nicht trotzdem jetzt geschwächt? Sie hat ja einen Fehler eingestehen müssen, wie gesagt, man wundert sich, dass das so einem Politprofi wie Nahles einfach passiert ist. Also bleibt da nicht auch was hängen an der SPD-Chefin?
Kohnen: Für mich ist es so: Wir haben gesagt als SPD, wir wollen uns erneuern, wir wollen einen anderen Führungsstil, als es in den letzten Jahren und Jahrzehnten üblich war. Ich erinnere nur an dieses Wort "Basta-Politik", und ich finde das ausgesprochen bemerkenswert und auch wirklich gut, dass Andrea Nahles gestern etwas gezeigt hat, wo sie sagt: Leute, wir haben uns da geirrt, wir machen das jetzt anders. Das heißt, wenn auch mal eine Entscheidung so ausfällt, dass die Partei sagt – und ich habe das ja auch gesagt –, das geht nicht, dann hört sie hin. Und sie ist eine der ersten Politikerinnen in dieser Zeit, die einfach auch mal wirklich klar sagt: Leute, da ist ein Irrtum verlaufen, das ist falsch gelaufen, wir haben das unterschätzt. Und ehrlicher kann man ja gar nicht sein. Und dann zu sagen, so, ich korrigiere das, ich finde, das hat menschlich ein unglaubliches Format. Und deswegen bin ich auch froh, denn die SPD braucht einen anderen Führungsstil, und den hat sie ja gestern auch bewiesen. Und insofern sage ich: Das ist jetzt echt eine Entscheidung, mit der ich gut leben kann.
"CDU und CSU müssen mal ihr Verhältnis klären"
Münchenberg: Frau Kohnen, trotzdem stellen sich ja sicherlich viele die Frage: Wie kann diese Koalition eigentlich noch vertrauensvoll zusammenarbeiten, wenn allein so eine Personalie die Koalition fast zum Absturz, in eine tiefe Krise führt?
Kohnen: Da habe ich eine sehr klare Auffassung drüber: Die beiden Schwesterparteien CDU/CSU, die müssen mal ihr Verhältnis klären. Im Prinzip ist es ja so, dass Herr Seehofer alles im Moment, was er politisch in Berlin tut, auf die bayrische Landtagswahl ausrichtet, weil er dort sieht – so wie die Kollegen hier in Bayern der CSU auch –, dass rechts von ihnen eine Partei hochkommt, die übrigens immer auf dem einen Thema reitet und reitet und reitet, und die CSU hat ja auch extrem angefangen zu hetzen, hier auch in Bayern, sprachlich, aber eben auch thematisch beim Thema Migration. Und Seehofer ist anscheinend der Ansicht, alles, was er in Berlin tut, muss die AfD irgendwie toppen und nach rechts wegdrücken, und das funktioniert nicht. Und das Problem …
Münchenberg: Ist denn der Innenminister Ihrer Meinung nach noch zu halten oder müsste er eigentlich längst gehen?
Kohnen: Ich habe das ja bereits vor drei Wochen formuliert, zwei, drei Wochen ist das jetzt her. In meinen Augen muss ein Bundesinnenminister das Land zusammenführen, die Menschen zusammenführen. Und er darf eben beispielsweise solche Sätze wie, die Migration sei die Mutter aller politischen Probleme … Das ist grotesk. Sie können doch nicht Millionen von Menschen ins Abseits stellen, mich übrigens auch, aber wahrscheinlich meint er mich nicht, meine Mutter kommt aus Irland, dann wäre ja meine Mutter sozusagen das Problem aller politischen Themen hier in Deutschland. Das ist ja grotesk.
Aber so eine Aussage darf ein Bundesinnenminister nicht tätigen, und vor allen Dingen kommt dann natürlich der Sommer wieder hoch, wo er ja tatsächlich die Große Koalition an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat. Für mich ist solch ein Innenminister nicht tragbar. Und deswegen bin ich eben der Meinung, Frau Merkel muss ihr Verhältnis zu Seehofer mal klären.
Münchenberg: Frau Kohnen, jetzt wird ja über die Causa Maaßen an diesem Wochenende noch einmal verhandelt, noch einmal gesprochen. Was genau oder sehr konkret erwarten Sie von diesen Gesprächen, was soll aus Maaßen jetzt werden?
Kohnen: Ich formuliere daraus auch eine klare Haltung, die ich erwarte. Ich erwarte einen Umgang mit der Causa Maaßen, mit diesem Personal, mit diesem Beamten, der Vertrauen gebrochen hat an einer hohen Position, der darf jedenfalls im nächsten Schritt nicht eine Beförderung bekommen, wie es bisher war. Es muss etwas sein, was mit ihm sozusagen vorgenommen wird, wo die Menschen sagen: Das kann ich verstehen, so würde es auch im normalen Leben ablaufen. Ich bin aber auch im zweiten Zug nicht der Meinung, dass es mir jetzt zusteht und besonders clever wäre, wenn ich jetzt irgendwelche Forderungen Richtung der drei Personen richte, die jetzt verhandeln müssen. Das müssen die jetzt untereinander besprechen. Aber es besteht ja immer die Möglichkeit auch zu sagen, so, ich unterbreche das Gespräch, ich berate mich mit Parteigremien und gehe dann wieder ins Gespräch.
Münchenberg: Also Sie erwarten eine klare Rückkopplung jetzt auch bei diesen Gesprächen von Nahles mit dem Parteivorstand?
Kohnen: Sie wird sich rückkoppeln, selbstverständlich, das ist ganz klar. Und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. Aber es etwas sein, wo diese Distanz zwischen Politik und Gesellschaft, zwischen den Menschen, die sagen, Mensch, die Politiker, die verstehen ja eigentlich überhaupt nicht mehr, was in meinem Leben los ist, die sind ja superweit weg, diese Distanz, die müssen wir doch abbauen, und das geht nur, indem man Vertrauen schafft.
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