Mario Dobovisek: Seit Wochen also belastet der Streit um die Platzvergabe beim NSU-Prozess in München das deutsch-türkische Verhältnis. Hinzu kommt noch die Diskussion um die Ermittlungen nach einem Brand in Köln, bei dem am Osterwochenende zwei Menschen starben. Zwar keine Türken – dennoch: Das Haus war mehrheitlich von türkischen Familien bewohnt. Von lange unerkannt gebliebenen Nazi-Morden verunsichert, sorgen sich viele Türken in Deutschland offenbar um ihre Sicherheit und vermuten schnell einen möglichen Anschlag. Ein Hin und Her aus Vorwürfen mussten wir dieser Tage beobachten, in Ankara, in Berlin und in Köln.
Am Telefon begrüße ich Kenan Kolat, er ist Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Guten Morgen, Herr Kolat.
Kenan Kolat: Guten Morgen nach Köln.
Dobovisek: Fühlen Sie sich als Türke in Deutschland willkommen?
Kolat: Ach, wissen Sie, wir leben gerne in Deutschland und mit allen Problemen, die da sind. Aber trotzdem muss man bestimmte Sachen kritisieren in unserem Land, damit es besser geht, damit keine Vorurteile entstehen, damit es keine rassistischen Anschläge gibt, damit eine kulturell vielfältige Gesellschaft in Deutschland die Zukunft ist.
Dobovisek: Wie würden Sie denn das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken derzeit beschreiben?
Kolat: Es gibt Phasen in den deutsch-türkischen Beziehungen. Ich denke, wir sind ja kein Staat. Wir leben in Deutschland. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, das sind Minister, die Erklärungen abgeben, die manchmal undifferenziert sind wie in diesem Fall auch. Aber es gibt natürlich jetzt Belastungen und Ängste, Vorurteile, was ich an Mails über meine Äußerungen manchmal automatisch bekomme. Auch wenn ich sage, die Erde ist rund, dann darf ich das nicht sagen. Also es gibt schon Vorurteile, die seit Jahren geschürt worden sind und die sich jetzt natürlich auszahlen bei solchen Sachen, wenn ich mich äußere. Also da müssen wir sehr viel mehr tun. Wir brauchen mehr Anerkennungskultur in Deutschland, wir brauchen mehr eine Kultur des nicht wir und ihr, sondern ein gemeinsames wir in Deutschland. Das fehlt!
Dobovisek: Habe ich, Herr Kolat, das vorhin richtig verstanden, dass Sie klar die Positionen des Außenministeriums zum Beispiel in Ankara kritisieren?
Kolat: Also noch einmal: Es gibt Dinge, die man sagen kann. In diesem Fall: Ich habe mit dem Polizeidirektor in Köln gesprochen. Der hat mir gesagt, dass sie von Anfang an in alle Richtungen ermitteln. In diesem Fall ist es nicht angebracht, diese Kritik so zu äußern. Jedoch war das immer der Fall in Deutschland, wenn ein Brand oder ein Anschlag oder ein vermuteter Anschlag da war, dass die deutschen Sicherheitsbehörden in der Regel alles bis auf Rassismus ausgeschlossen haben. Also Rassismus haben die immer ausgeschlossen. Wir erinnern uns an die NSU-Morde, wir erinnern uns an viele andere Dinge, wir erinnern uns zum Beispiel auch an die Brände in Ludwigshafen. Auch wenn wir am Ende heute noch nicht wissen, was das war, hat man dieses aber gleich ausgeschlossen. Das kritisiere ich auch, aber nicht in diesem konkreten Fall in Köln, weil die Polizei hat, dies nicht ausgeschlossen. Das ist ein Fortschritt, aber es mussten erst so viele Menschen ermordet werden, damit man diese Aussagen jetzt tätigen kann.
Dobovisek: Sie haben ja auch Anfang der Woche gesagt, Herr Kolat, dass man in Deutschland grundsätzlich davon ausgehen sollte, dass es ein Anschlag sei, wenn in einem Haus, das hauptsächlich von Türken bewohnt ist, möglicherweise ein Brand ausbricht. Aber wäre das anders herum nicht auch eine Art der Diskriminierung, immer grundsätzlich davon auszugehen in Bezug auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe?
Kolat: Wissen Sie, es geht nicht nur um Türken, sondern es geht um Menschen mit Migrationshintergrund. Bis jetzt war es ja umgekehrt. Man hat ja immer grundsätzlich ausgeschlossen, dass es ein fremdenfeindlicher Anschlag ist. Übrigens der Begriff "fremdenfeindlich" ist ja auch interessant. Wir sind nicht Fremde, wir sind hier Inländer, wir sind hier deutsche Staatsangehörige, viele von uns. Ein Drittel der Türken haben sich schon einbürgern lassen. Wenn wir dieses Verfahren, wie das in Großbritannien der Fall ist – das ist ja nicht eine Erfindung von mir. Übrigens wird der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages auch einen ähnlichen Vorschlag machen, die haben das auch so diskutiert. Es ist kein originärer Vorschlag von mir, ich habe nur einige Erfahrungen aus anderen Ländern übernommen. Und wenn wir das damals gehabt hätten, hätten wir vielleicht die NSU-Geschichte sehr viel früher aufdecken können, weil wir ja von Anfang an das ausgeschlossen haben. Das ist, was ich meine. Natürlich müssen die Behörden in alle Richtungen ermitteln. Da sage ich ja gar nichts. Aber zunächst, wenn es sich dann um Menschen mit Migrationshintergrund handelt, sollte man diesen Aspekt in den Vordergrund stellen und erst in diese Richtung schauen. Schauen Sie, wenn das so wäre, dann hätte man zumindest auch das Vertrauen der Bevölkerung, der Migrantenbevölkerung mitgenommen, man hätte zumindest in diese Richtung auch ermittelt. Und wenn das nicht der Fall ist, vielleicht kann es dann in Backnang und in Köln keine fremdenfeindliche Tat gewesen sein. Das wissen wir nicht. Aber man sollte zunächst mal davon ausgehen.
Dobovisek: Herr Kolat, wir erreichen Sie per Mobiltelefon, deshalb können wir Sie manchmal etwas schwer verstehen. Wir wollen es dennoch weiter probieren, indem wir jetzt auch Ihrer Mittürkin zuhören, nämlich Lale Akgün. Sie ist SPD-Politikerin hier in Köln, saß auch lange für die SPD im Bundestag, und kritisiert scharf unter anderem auch Sie.
O-Ton Lale Akgün: " Ich meine zum Beispiel, dass sofort sich die Vertreter der muslimischen Gemeinden, Herr Masyec, oder der Türkischen Gemeinden Deutschlands, Herr Kolat, einschalten und davon reden, man müsse eigentlich immer von rechtsradikalen Anschlägen ausgehen, oder alle Muslime seien verunsichert. Das finde ich erst mal eine Übertreibung und zweitens habe ich das Gefühl, dass es der Versuch ist, sich als Stimme der Repräsentanten der Muslime zu etablieren." [Link zum Interview]
Dobovisek: Ist das so, Herr Kolat? Müssen Sie sich in einer Form profilieren?
Kolat: Nein! Ich glaube, ich muss mich nicht oder die Türkische Gemeinde muss sich nicht so profilieren. Ich denke, ich bekomme so viele unterstützende Mails, Anrufe, Faxe, Telefonate aus der türkischen Bevölkerung. Insofern ist das für mich nicht richtig, was Frau Akgün sagt. Jemand muss ja wieder mal über uns jetzt sich wahrscheinlich profilieren. Deswegen lache ich darüber. Jedoch ist es wichtig, dass wir das Thema ernst nehmen müssen. Es geht nicht um die Profilierung, sondern es geht wirklich um die Sorgen. Ich habe so viele Anrufe in den letzten Tagen bekommen. Die Leute sagen mir, wie können wir uns schützen, sollen wir jetzt Feuerlöscher kaufen. Also es gibt eine Situation, eine unsichere Situation von Menschen. Eine Frau hat mich angerufen und geweint am Telefon, ich kann nicht mehr abends schlafen. Also die Leute haben Angst – nicht weil ich mich geäußert habe, sondern sie hatten seit mehreren Monaten oder einigen Jahren diese Angst. Es ist nicht so. Also ich denke, man muss die Kirche im Dorf lassen und sich dann mit den wirklichen Themen beschäftigen. Wir hatten hier eine schreckliche Erfahrung mit Mölln und Solingen und dann die NSU-Morde. Insofern sollte sich Frau Akgün auch ein bisschen zurückhalten mit solchen Äußerungen.
Dobovisek: Blicken wir noch einmal gegen Ende unseres Gespräches ganz kurz auf die Platzvergabe beim NSU-Prozess. Eine türkische Tageszeitung möchte gegen die Platzvergabe klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Halten Sie das für richtig?
Kolat: Am Ende darf jede Person, jede Organisation in unserem Land den Rechtsstaat anrufen, und ob es dann am Ende Erfolg hat, bezweifele ich.
Dobovisek: Befürworten Sie das, Herr Kolat?
Kolat: Es geht nicht um Befürwortung oder nicht befürworten. Ich finde, was das Gericht gemacht hat, ist ein Skandal, dass man sozusagen auf die Minute aufgepasst hat und die Presse vergeben hat, und wir erfahren haben, dass einige Medien schon vorab wussten, wann diese Mail an die Medien gegangen ist.
Dobovisek: Das Gericht sagt allerdings klar, jeder hatte die gleiche Chance.
Kolat: Ja, wenn jemand um 8:15 Uhr sozusagen die Mail an die Medien schickt und jemand um 16 Uhr am selbigen Tag dann sich zurückmeldet, wie beim "Hürriyet"-Fall am selbigen Tag, und dann nach ein paar Minuten nicht reinkommen kann, und es gibt auch türkische Medien, die nicht so viele Mitarbeiter haben. Sie können nicht ARD und WDR mit kleinen türkischen Medien in Deutschland vergleichen, dass sie eine Infrastruktur haben wie alle anderen, wo dann die Sekretärinnen sitzen. Das ist unglaublich! Da hätte das Gericht wirklich ein anderes Verfahren wählen müssen.
Dobovisek: Aber es ist ein gerechtes Verfahren.
Kolat: Ein Verfahren, wie es im Kachelmann-Prozess zum Beispiel der Fall war, wo dann schweizerische Medien die Möglichkeit hatten, für sie reservierte Plätze zu bekommen. Wieso hat man das hier nicht gemacht? Man kann das immer noch machen übrigens, wäre auch sicherlich ohne Probleme, weil die deutschen Medien haben das ja auch durch ihre Solidarität erklärt. Ich danke den vielen deutschen Medien, die in diesem Falle ihre Solidarität erklärt haben, und das hätte man so machen können. Die unsensible Haltung des Gerichts zeigt sich ja auch, als es damals dem türkischen Botschafter keinen Platz angeboten hatte. Jetzt heißt es, das Gericht werde den Botschafter empfangen. Also da ist schon eine Bewegung da. Wir sollten abwarten, bis das dann der Fall ist.
Dobovisek: Kenan Kolat - wir müssen leider zum Ende kommen, Herr Kolat -, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Kolat: Bitte schön, gerne. – Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon begrüße ich Kenan Kolat, er ist Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Guten Morgen, Herr Kolat.
Kenan Kolat: Guten Morgen nach Köln.
Dobovisek: Fühlen Sie sich als Türke in Deutschland willkommen?
Kolat: Ach, wissen Sie, wir leben gerne in Deutschland und mit allen Problemen, die da sind. Aber trotzdem muss man bestimmte Sachen kritisieren in unserem Land, damit es besser geht, damit keine Vorurteile entstehen, damit es keine rassistischen Anschläge gibt, damit eine kulturell vielfältige Gesellschaft in Deutschland die Zukunft ist.
Dobovisek: Wie würden Sie denn das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken derzeit beschreiben?
Kolat: Es gibt Phasen in den deutsch-türkischen Beziehungen. Ich denke, wir sind ja kein Staat. Wir leben in Deutschland. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, das sind Minister, die Erklärungen abgeben, die manchmal undifferenziert sind wie in diesem Fall auch. Aber es gibt natürlich jetzt Belastungen und Ängste, Vorurteile, was ich an Mails über meine Äußerungen manchmal automatisch bekomme. Auch wenn ich sage, die Erde ist rund, dann darf ich das nicht sagen. Also es gibt schon Vorurteile, die seit Jahren geschürt worden sind und die sich jetzt natürlich auszahlen bei solchen Sachen, wenn ich mich äußere. Also da müssen wir sehr viel mehr tun. Wir brauchen mehr Anerkennungskultur in Deutschland, wir brauchen mehr eine Kultur des nicht wir und ihr, sondern ein gemeinsames wir in Deutschland. Das fehlt!
Dobovisek: Habe ich, Herr Kolat, das vorhin richtig verstanden, dass Sie klar die Positionen des Außenministeriums zum Beispiel in Ankara kritisieren?
Kolat: Also noch einmal: Es gibt Dinge, die man sagen kann. In diesem Fall: Ich habe mit dem Polizeidirektor in Köln gesprochen. Der hat mir gesagt, dass sie von Anfang an in alle Richtungen ermitteln. In diesem Fall ist es nicht angebracht, diese Kritik so zu äußern. Jedoch war das immer der Fall in Deutschland, wenn ein Brand oder ein Anschlag oder ein vermuteter Anschlag da war, dass die deutschen Sicherheitsbehörden in der Regel alles bis auf Rassismus ausgeschlossen haben. Also Rassismus haben die immer ausgeschlossen. Wir erinnern uns an die NSU-Morde, wir erinnern uns an viele andere Dinge, wir erinnern uns zum Beispiel auch an die Brände in Ludwigshafen. Auch wenn wir am Ende heute noch nicht wissen, was das war, hat man dieses aber gleich ausgeschlossen. Das kritisiere ich auch, aber nicht in diesem konkreten Fall in Köln, weil die Polizei hat, dies nicht ausgeschlossen. Das ist ein Fortschritt, aber es mussten erst so viele Menschen ermordet werden, damit man diese Aussagen jetzt tätigen kann.
Dobovisek: Sie haben ja auch Anfang der Woche gesagt, Herr Kolat, dass man in Deutschland grundsätzlich davon ausgehen sollte, dass es ein Anschlag sei, wenn in einem Haus, das hauptsächlich von Türken bewohnt ist, möglicherweise ein Brand ausbricht. Aber wäre das anders herum nicht auch eine Art der Diskriminierung, immer grundsätzlich davon auszugehen in Bezug auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe?
Kolat: Wissen Sie, es geht nicht nur um Türken, sondern es geht um Menschen mit Migrationshintergrund. Bis jetzt war es ja umgekehrt. Man hat ja immer grundsätzlich ausgeschlossen, dass es ein fremdenfeindlicher Anschlag ist. Übrigens der Begriff "fremdenfeindlich" ist ja auch interessant. Wir sind nicht Fremde, wir sind hier Inländer, wir sind hier deutsche Staatsangehörige, viele von uns. Ein Drittel der Türken haben sich schon einbürgern lassen. Wenn wir dieses Verfahren, wie das in Großbritannien der Fall ist – das ist ja nicht eine Erfindung von mir. Übrigens wird der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages auch einen ähnlichen Vorschlag machen, die haben das auch so diskutiert. Es ist kein originärer Vorschlag von mir, ich habe nur einige Erfahrungen aus anderen Ländern übernommen. Und wenn wir das damals gehabt hätten, hätten wir vielleicht die NSU-Geschichte sehr viel früher aufdecken können, weil wir ja von Anfang an das ausgeschlossen haben. Das ist, was ich meine. Natürlich müssen die Behörden in alle Richtungen ermitteln. Da sage ich ja gar nichts. Aber zunächst, wenn es sich dann um Menschen mit Migrationshintergrund handelt, sollte man diesen Aspekt in den Vordergrund stellen und erst in diese Richtung schauen. Schauen Sie, wenn das so wäre, dann hätte man zumindest auch das Vertrauen der Bevölkerung, der Migrantenbevölkerung mitgenommen, man hätte zumindest in diese Richtung auch ermittelt. Und wenn das nicht der Fall ist, vielleicht kann es dann in Backnang und in Köln keine fremdenfeindliche Tat gewesen sein. Das wissen wir nicht. Aber man sollte zunächst mal davon ausgehen.
Dobovisek: Herr Kolat, wir erreichen Sie per Mobiltelefon, deshalb können wir Sie manchmal etwas schwer verstehen. Wir wollen es dennoch weiter probieren, indem wir jetzt auch Ihrer Mittürkin zuhören, nämlich Lale Akgün. Sie ist SPD-Politikerin hier in Köln, saß auch lange für die SPD im Bundestag, und kritisiert scharf unter anderem auch Sie.
O-Ton Lale Akgün: " Ich meine zum Beispiel, dass sofort sich die Vertreter der muslimischen Gemeinden, Herr Masyec, oder der Türkischen Gemeinden Deutschlands, Herr Kolat, einschalten und davon reden, man müsse eigentlich immer von rechtsradikalen Anschlägen ausgehen, oder alle Muslime seien verunsichert. Das finde ich erst mal eine Übertreibung und zweitens habe ich das Gefühl, dass es der Versuch ist, sich als Stimme der Repräsentanten der Muslime zu etablieren." [Link zum Interview]
Dobovisek: Ist das so, Herr Kolat? Müssen Sie sich in einer Form profilieren?
Kolat: Nein! Ich glaube, ich muss mich nicht oder die Türkische Gemeinde muss sich nicht so profilieren. Ich denke, ich bekomme so viele unterstützende Mails, Anrufe, Faxe, Telefonate aus der türkischen Bevölkerung. Insofern ist das für mich nicht richtig, was Frau Akgün sagt. Jemand muss ja wieder mal über uns jetzt sich wahrscheinlich profilieren. Deswegen lache ich darüber. Jedoch ist es wichtig, dass wir das Thema ernst nehmen müssen. Es geht nicht um die Profilierung, sondern es geht wirklich um die Sorgen. Ich habe so viele Anrufe in den letzten Tagen bekommen. Die Leute sagen mir, wie können wir uns schützen, sollen wir jetzt Feuerlöscher kaufen. Also es gibt eine Situation, eine unsichere Situation von Menschen. Eine Frau hat mich angerufen und geweint am Telefon, ich kann nicht mehr abends schlafen. Also die Leute haben Angst – nicht weil ich mich geäußert habe, sondern sie hatten seit mehreren Monaten oder einigen Jahren diese Angst. Es ist nicht so. Also ich denke, man muss die Kirche im Dorf lassen und sich dann mit den wirklichen Themen beschäftigen. Wir hatten hier eine schreckliche Erfahrung mit Mölln und Solingen und dann die NSU-Morde. Insofern sollte sich Frau Akgün auch ein bisschen zurückhalten mit solchen Äußerungen.
Dobovisek: Blicken wir noch einmal gegen Ende unseres Gespräches ganz kurz auf die Platzvergabe beim NSU-Prozess. Eine türkische Tageszeitung möchte gegen die Platzvergabe klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Halten Sie das für richtig?
Kolat: Am Ende darf jede Person, jede Organisation in unserem Land den Rechtsstaat anrufen, und ob es dann am Ende Erfolg hat, bezweifele ich.
Dobovisek: Befürworten Sie das, Herr Kolat?
Kolat: Es geht nicht um Befürwortung oder nicht befürworten. Ich finde, was das Gericht gemacht hat, ist ein Skandal, dass man sozusagen auf die Minute aufgepasst hat und die Presse vergeben hat, und wir erfahren haben, dass einige Medien schon vorab wussten, wann diese Mail an die Medien gegangen ist.
Dobovisek: Das Gericht sagt allerdings klar, jeder hatte die gleiche Chance.
Kolat: Ja, wenn jemand um 8:15 Uhr sozusagen die Mail an die Medien schickt und jemand um 16 Uhr am selbigen Tag dann sich zurückmeldet, wie beim "Hürriyet"-Fall am selbigen Tag, und dann nach ein paar Minuten nicht reinkommen kann, und es gibt auch türkische Medien, die nicht so viele Mitarbeiter haben. Sie können nicht ARD und WDR mit kleinen türkischen Medien in Deutschland vergleichen, dass sie eine Infrastruktur haben wie alle anderen, wo dann die Sekretärinnen sitzen. Das ist unglaublich! Da hätte das Gericht wirklich ein anderes Verfahren wählen müssen.
Dobovisek: Aber es ist ein gerechtes Verfahren.
Kolat: Ein Verfahren, wie es im Kachelmann-Prozess zum Beispiel der Fall war, wo dann schweizerische Medien die Möglichkeit hatten, für sie reservierte Plätze zu bekommen. Wieso hat man das hier nicht gemacht? Man kann das immer noch machen übrigens, wäre auch sicherlich ohne Probleme, weil die deutschen Medien haben das ja auch durch ihre Solidarität erklärt. Ich danke den vielen deutschen Medien, die in diesem Falle ihre Solidarität erklärt haben, und das hätte man so machen können. Die unsensible Haltung des Gerichts zeigt sich ja auch, als es damals dem türkischen Botschafter keinen Platz angeboten hatte. Jetzt heißt es, das Gericht werde den Botschafter empfangen. Also da ist schon eine Bewegung da. Wir sollten abwarten, bis das dann der Fall ist.
Dobovisek: Kenan Kolat - wir müssen leider zum Ende kommen, Herr Kolat -, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Kolat: Bitte schön, gerne. – Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.