Archiv

Kollisionsgefahr im Orbit
ESA-Satellit musste kurzfristig seine Bahn räumen

Am Montag musste der Erdbeobachtungssatellit Aeolus seine Triebwerke zünden, um seine Umlaufbahn zu ändern. Andernfalls hätte ein Zusammenstoß mit einem Kommunikationssatelliten der Firma SpaceX gedroht, so ESA-Experte Holger Krag. Die Kollision wurde verhindert, doch der Fall werfe Fragen für die Zukunft der Raumfahrt auf.

Holger Krag im Gespräch mit Monika Seynsche |
Monika Seynsche: Etwa 2000 aktive Satelliten umkreisen zurzeit die Erde. Immer mal wieder müssen sie herumfliegendem Weltraumschrott ausweichen. Ausgesprochen selten dagegen fliegen zwei aktive Satelliten aufeinander zu – so dass einer die Bahn frei machen muss. Genau das aber ist Anfang dieser Woche geschehen. Da musste die Europäische Weltraumorganisation ESA den Kurs ihres Erdbeobachtungssatelliten Aeolus ändern, denn der drohte mit einem Starlink Satelliten der Firma SpaceX zu kollidieren. Holger Krag leitet bei der ESA das Programm für Weltraumsicherheit. Ihn habe ich gefragt, wie dieses Ausweichmanöver genau aussah.
Holger Krag: Wir beziehen Weltraumüberwachungsdaten vom amerikanischen Weltraumüberwachungsnetzwerk, das von der Luftwaffe betrieben wird. Das erfasst 20.000 vom Menschen gemachte Objekte im Weltall. Und aus diesen Beobachtungsdaten lesen wir hier in Darmstadt Kollisionswarnungen für unsere Satellitenflotte heraus. Das ist Routine. Die 20 Satelliten, die wir hier betreiben, müssen immer wieder und regelmäßig ausweichen - jeder Satellit rund einmal pro Jahr. Und so einen Fall hatten wir jetzt auch bei Aeolus. Das Besondere daran: Normalerweise haben wir es bei solchen Kollisionswarnungen mit einem Stück Weltraumschrott zu tun, das also nicht reagieren kann und wo klar ist, dass unsere Satelliten ausweichen müssen. In diesem Fall hatte unser Aeolus-Satellit eine Begegnung mit einem anderen betriebenen Satelliten. Und da muss man sich natürlich mit dem anderen Betreiber abstimmen. Das ist notwendig, um sicherzustellen, dass beide nicht zufällig in die gleiche Richtung ausweichen und man somit das Problem nicht löst, sondern verschlimmert.
"Kommunikation mit SpaceX war nicht besonders stabil und glücklich"
Und diese Absprache hat nur mittelmäßig funktioniert. Die Kommunikation war nicht besonders stabil und glücklich. Und letztendlich haben wir uns darauf verlassen, das der uns entgegenkommende Satellit nicht manövriert und wir stattdessen ausweichen müssen. Das hat dann auch geklappt. Und wir haben auch nach dem Ereignis ein Signal von unserem Satelliten bekommen, dass er bei bester Gesundheit ist und keinen Schaden davon getragen hat.
Seynsche: Das war ja ein Starlink-Satellit der Firma SpaceX. Gibt es denn irgendwelche Verkehrsregeln im All, dass man sagen könnte: Unser Satellit war schon deutlich länger in der Umlaufbahn - das heißt der andere hätte ausweichen müssen. Oder muss man das immer über bilaterale Absprache klären?
Krag: Das sollte jeder normale Mensch denken, dass es in irgendeiner Form Regeln gibt, wie der Verkehr im All zu funktionieren hat. Aber das Frappierende ist, dass das überhaupt nicht der Fall ist. Und das ist auch das, was uns hier wieder klar geworden ist: Letztendlich war das eine bilaterale Absprache per Email, die sich auf den Pragmatismus der Beteiligten verlässt. Es gibt keine Pflicht, zu antworten, es gibt keine Pflicht, auszuweichen und es gibt auch keine Flugregeln, in welche Richtung man auszuweichen hat. Und der ganze Prozess funktioniert auch noch per Hand, also per Email und Telefon.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir bald große Probleme bekommen"
Wenn man das mit dem Luftverkehr vergleicht, wo wir Flugregeln, Kommunikationsprotokolle und Flugpläne haben - das fehlt uns alles komplett. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir bald ziemlich große Probleme bekommen in der Raumfahrt, wenn wir so weiter machen und das nicht besser organisiert wird. Denn wir stehen jetzt am Anfang einer großen Welle von Satellitenstarts. In den nächsten zwei, drei Jahren werden mehrere tausend Satelliten ins All gestartet, im Rahmen von großen Internet-Konstellationen. Und bis dahin brauchen wir bessere Konzepte und Regeln, um diese Probleme pragmatischer zu handhaben. Und dazu haben wir in der ESA eigene Vorschläge.
Seynsche: SpaceX hatte seine Starlink-Satelliten doch aber beworben mit einem automatisierten Kollisionsvermeidungssystem. Wissen Sie, warum das nicht angesprungen ist?
Krag: Nein, das wissen wir nicht. Und der Eindruck, den wir da vermittelt bekamen, war auch nicht, dass das bereits besonders automatisiert ist. Das ist jetzt aber Spekulation, was jetzt genau mit diesem Satelliten war. Der ist ja auch in etwas anderer Höhe als die eigentliche Konstellation. Es könnte also durchaus sein, dass dieser Satellit schon am Ende seiner Lebensdauer ist und dementsprechend ordnungsgemäß auf einer niedrigeren Bahn entsorgt wurde, wie das auch gefordert wird. Also da haben wir keinen tieferen Einblick. Was die automatisierte Kollisionsvermeidung angeht, da denke ich tatsächlich: Wir brauchen sowas. Wir Operator und Betreiber von Satelliten sind heute überlastet mit mehreren hundert Kollisionswarnungen, die pro Tag auf uns einprasseln. Dazu immer mehr betriebene Raumfahrzeuge, die uns begegnen, mit denen man Ausweichmanöver abstimmen muss. Das kann kein Mensch mehr leisten. Da brauchen wir Lösungen.
Bis 2023 könnte Europa eine technische Lösung demonstrieren
Und wir wollen auch in unseren ESA-Mitgliedsstaaten vorschlagen, dass wir in diese Lösungen investieren und in Europa bis 2023 im All demonstrieren, dass wir autonom reagieren können mit unseren Satelliten - und automatisch ausweichen können.
Seynsche: Sie plädieren dafür, dass diese Ausweichmanöver im Orbit künftig von künstlicher Intelligenz gesteuert werden?
Krag: Ja. Es ist in der Raumfahrt so, dass man nicht bereit ist, eine zentrale Autorität zu akzeptieren. Wir haben in der Raumfahrt - anders als im Luftverkehr - sehr viele Freiheiten. Wir sind ja auch nicht im Luftraum, wo ein Land die Hohheit hat. Wir denken hier an eine gute Vernetzung und an eine automatisierte Absprache: Ein automatisches Aushandeln der Manöveroptionen zwischen den Bodenstationen der Betreiber - mit einem konfliktfreien Resultat. So stelle ich mir das vor. Das wird akzeptabel sein und das wird auch dem modernen Charakter der Raumfahrt gerecht. Und das muss einfach sein, damit wir den Arbeitsaufwand noch gestemmt bekommen.