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Deutsche Geschichte
Das Humboldt Forum und die koloniale Raubkunst

Das Berliner Humboldt Forum stand in der Kritik, als es noch gar nicht eröffnet war. Neben den explodierten Baukosten steht das Museum im Mittelpunkt der Debatte über Exponate aus der Kolonialzeit, die es zeigt. Der Deutsche Kulturrat schlägt für das Haus eine Generalintendanz vor, um dem Haus endlich "Leben einzuhauchen".

Von Jürgen König |
Eine historische Aufnahme zeigt das Luf-Boot vor der hernsheimschen Handelsstation auf Matupi, einer INsel in Papua-Neuguinea, 1903
Im Zentrum der Kritik: Der Umgang mit dem „Luv-Boot“, ein großes Auslegerboot in der Ozeanien-Sammlung des Humboldt-Forums. Es stammt von der Südsee-Insel Luf, die im späten 19. Jahrhundert deutsches Kolonialgebiet war. (Ethnologisches Museum der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / Richard Parkinson)
Genau sechs Monate ist es her, dass im West-Flügel des Berliner Humboldt Forums der erste Teil der Ethnologischen Sammlungen der „Staatlichen Museen zu Berlin“ eröffnet wurde. In sechs Monaten sollen auch die Säle im Ost-Flügel fertig sein – dann mit den umstrittenen Benin-Bronzen im Mittelpunkt. Zeit für eine Zwischenbilanz: Bei der Eröffnung im Herbst fiel die Kritik heftig aus – was ist seither geschehen? Bei den Themen Kolonialismus, Raubkunst und Restitution werde das Humboldt Forum dem Stand der öffentlichen Debatte nicht gerecht, so damals der allgemeine Tenor. Der Historiker Götz Aly bei einer Podiumsdiskussion mit dem Direktor der Ethnologischen Museen Lars-Christian Koch:

„Herr Koch hat gesagt, seit den 80er-Jahren ist er damit konfrontiert - mit dem Kolonialismus. Wenn Sie durch die Ausstellung gehen, merken Sie davon nichts. Ich finde es skandalös.“

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Im Zentrum der Auseinandersetzung stand das „Luv-Boot“, ein großes Auslegerboot in der Ozeanien-Sammlung des Ethnologischen Museums. Es stammt von der Südsee-Insel Luf, die im späten 19. Jahrhundert deutsches Kolonialgebiet war. Der Widerstand der Bevölkerung war groß, also unternahmen die Deutschen sogenannte „Strafexpeditionen“, es gab viele Tote. 1903 wurde das „Luf-Boot“ von einem deutschen Kaufmann der dortigen Handelsniederlassung Hernsheim & Co nach bisheriger Lesart „erworben“ und an das Berliner Museum für Völkerkunde verkauft. Dokumente über diesen „Erwerb“ gibt es nicht.
Eine Transport-Kiste mit dem ersten Ausstellungs-Großobjekt, einem ozeanischen Luf-Boot aus dem Ethnologischen Museum, wird im Humboldt-Forum in den Ausstellungssaal im ersten Obergeschoss gehoben.
Umstrittenes Ausstellungsstück: Das Luf-Boot schwebt noch verpackt ins Humboldt Forum ein. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)

„Was es aber gibt, sind Berichte über die brutale, brandschatzende Herrschaft der Deutschen. Leicht kann man sich vorstellen, in welcher Zwangslage die Insulaner waren. Hätten sie sich den Wünschen der Besatzer verweigern können? Wurde ihnen das Boot abgezwungen, ohne dass es nach Zwang aussah?“ So formulierte es der Journalist Hanno Rauterberg in der „Zeit“. Götz Aly hat ein Buch über dieses „Prachtboot“ geschrieben – an dessen Präsentation im Humboldt Forum kritisierte er unter anderem, dass man über die Kultur der Luf-Insel, über die Vernichtung ihrer Bewohner und über die Frage, wie das Boot nach Berlin kam nichts erfahre. „Die Präsentation selber zeigt diesen harten, kolonialistischen Zugriff, und sie wird nicht gebrochen. Und meine Empfehlung wäre, dass man das in Kürze, also in den nächsten zwei Jahren, innerhalb dieser jetzigen Ausstellung, grundlegend verändert.“
Der Historiker Götz Aly erzählt in seinem Buch "Prachtboot", wie es geraubt wurde.
Der Historiker Götz Aly erzählt in seinem Buch "Prachtboot", wie es geraubt wurde. (Deutschlandradio - Bettina Straub)
Bei jener Podiumsdiskussion im Oktober 2021 hörte der von Götz Aly direkt angegriffene Lars-Christian Koch regungslos zu. Er räumte Fehler ein, führte die Corona-Lage an, verwies auf immer wieder geänderte Strukturen im Humboldt Forum, entwickelt im Zuge der aufkommenden Kolonialismus- und Raubkunstdebatte der vergangenen Jahre. „Wir mussten auch eine Strategie entwickeln, wie wir in einer bestimmten, sehr klaren Struktur den Kolonialismus, vor allem den gesamten Bereich der Provenienzen erarbeiten – und das hat natürlich Auswirkungen auf die Ausstellung. Die sich dann aus technischer Sicht nicht immer so schnell umsetzen lassen können, wie wir es gern hätten. Und das ist ja auch das, was von Herrn Aly angesprochen wurde: in den nächsten Jahren wird sich das verändern müssen.“  

"Ich betrete einen Ort, der sehr politisch ist"

Hat sich etwas verändert, „grundlegend“, wie Götz Aly anmahnte? Zumindest ideelle Anzeichen dafür hatte es schon vor der Eröffnung gegeben - die Kunstwissenschaftlerin Bénédicte Savoy im Deutschlandfunk: „Das ist absolut neu, dass man etwa im Falle des Humboldt Forums - wenn man das in Zukunft betreten wird, wird für viele Leute klar sein: Ich betrete einen Ort, der sehr politisch ist. Es geht um Kunst, um Weltgeschichte etc., aber es geht auch um Repräsentation, es geht um eine Haltung zur Welt, es geht um ein sehr teures Projekt der Bundesrepublik, das teuerste wahrscheinlich in Europa, Kulturprojekt – und dieses, „was es ist“ - ist eben nicht neutral. Und ich glaube, wir werden das immer merken, und unsere Augen sind geschärft dafür jetzt.“

Angemessene Orte der Erinnerung

Einen solcherart „geschärften“ Blick zeigte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Festrede zur Eröffnung der Ausstellungen. „Die Verbrechen der Kolonialzeit, Eroberung, Unterdrückung, Ausbeutung, Raub, Mord an Zehntausenden von Menschen, brauchen einen angemessenen Ort der Erinnerung. Wir müssen uns der Verantwortung vor diesem Teil der deutschen Geschichte stellen. Und dabei geht es eben immer auch um unsere Zukunft, wir sagen, um unser Zusammenleben in einem Land, in dem die Weltkulturen zu Hause sind und sein wollen.“

Afrika hat durch Kolonialmächte viel Kúnst verloren

Auch die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie hielt zur Eröffnung eine Festrede und erinnerte daran, dass viele Länder Afrikas im Verlauf und als Folge kolonialer Eroberungen der Europäer einen immensen Teil ihrer Kunst, ihres historischen Erbes verloren haben.
Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie fand bei ihrer festrede kritische Worte
Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie (imago images / Pacific Press Agency)
Und Chimamanda Ngozi Adichie machte auf eine entscheidende Leerstelle aufmerksam. „Das Humboldt Forum versteht sich als ein Ort, an dem die universelle Geschichte des Menschen aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden soll. Das ist eine lobenswerte Idee, aber sie ist unvollständig. Denn wir müssen die Frage der Macht hinzufügen. Wer erzählt die Geschichte? Wer spricht? Und über wen wird gesprochen? Wer entscheidet, dass afrikanische Kunst mit dem Label „ethnologisch“ versehen wird? Wer hat das Recht, einen anderen auszustellen?“

Restitutionsdebatte erfordert neues Konzept

Diese Fragen machen heute, sechs Monate später, den Kern der kuratorischen Arbeit aus, im Mittelpunkt dabei, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung: die Benin-Bronzen. Die ursprüngliche Konzeption dazu wurde vor vier Jahren erarbeitet, doch hat die Restitutionsdebatte über Kunst aus kolonialen Kontexten eine neue Herangehensweise geradezu erzwungen. Dafür steht Kuratorin Verena Rodatus, die erst seit dem vergangenen Jahr im Humboldt Forum ist. Sie setzt auf ständige Absprache mit den Partnern in Nigeria. „Das bedeutet jetzt für die kommende Eröffnung des Ostflügels, dass ich gerne mit einer kleinen Ausstellung anfangen möchte zu der Benin-Kunst, aber dass es perspektivisch darauf hinauslaufen soll, dass die Staatlichen Museen oder das Ethnologische Museum wirklich nachhaltige Kooperationen mit Nigeria und speziell eben mit Benin City auch aufbaut.“  

Ziel ist Multiperspektivität

Benin City ist die Hauptstadt des Königreiches Benin, das in Nigeria liegt und zu Nigeria gehört und nicht zu verwechseln ist mit der Republik Benin, einem Nachbarstaat westlich von Nigeria. Museumsdirektor Lars-Christian Koch will, wie er sagt, „durch dauerhaften Austausch zu einer wirklichen Multiperspektivität“ kommen - im Humboldt Forum und am Standort Berlin-Dahlem, wo die Ethnologischen Sammlungen jahrzehntelang untergebracht waren. „Das heißt: residencies - Kolleginnen und Kollegen hier nach Dahlem zu bekommen, mit den Sammlungen zu arbeiten, gleichzeitig widerzuspiegeln: Was passiert vor Ort?  Konzepte gemeinsam zu entwickeln, an verschiedenen Orten auszustellen  - und dadurch eine sehr große Fluktuation reinzubringen in Bezug auf die Objekte und auch auf Ideen.“
Beninbronzen in einer Vitrine.
Exponate der Sammlung Benin des Rautenstrauch-Joest-Museums: Teil des "It’s Yours Raumes" von Peju Layiwola in der Ausstellung "RESIST! Die Kunst des Widerstands" im Rautenstrauch-Joest-Museum - Kulturen der Welt in Köln. (Francis Oghuma)
Für das jetzt vorgesehene gemeinsame Kuratieren ist ein Umstand außerordentlich hilfreich: dass Deutschland zugesagt hat, alle Benin-Bronzen zurückzugeben, auch die 171 Objekte im Hamburger Museum „MARKK“. Die Benin-Bronzen, das sind: reich verzierte Gusstafeln, Gedenkköpfe, Tier- und Menschenfiguren – entstanden im frühen 16. Jahrhundert.  1897 wurde der Königliche Palast von Benin von Briten in Brand gesteckt, um den Widerstand der Bevölkerung gegen die Kolonialmacht Großbritannien zu brechen. Die Palast-Schätze, die „Benin-Bronzen“, wurden in London versteigert -  auch deutsche Museen gehörten zu den Kunden.

Raubkunst als Leihgabe

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der die Staatlichen Berliner Museen gehören, ist an den Verhandlungen mit Nigeria beteiligt: „Wir haben gesagt, das hat Hamburg ja schon angekündigt, dass es eine vollständige Eigentumsrückübertragung gibt, denn der Unrechtskontext ist klar und dass wir aber dennoch Objekte, Kunst aus Benin in unseren Ausstellungen in deutschen Museen, auch im Humboldt Forum, zeigen wollen, aber natürlich dann in der Form von Leihgaben.“

Laufende Verhandlungen mit Nigeria

Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen und das Auswärtige Amt äußern sich zu den laufenden Verhandlungen mit dem nigerianischen Kulturministerium derzeit nicht. Hermann Parzinger: „Die Eigentumsrückübertragung, so ist es vorgesehen, wird den Gesamtbestand umfassen. Und ein noch festzulegender Teil wird als Leihgaben dann hier bleiben und gezeigt werden. Und vielleicht kann man sich dann auch eine gewisse Zirkulation vorstellen. Aber in dem Fall wäre es dann ja eine Zirkulation, nachdem das Eigentum rückübertragen worden ist. Ist ja auch ein Weg.“

Arbeitsgruppe entscheidet über Rückgaben

Über die Frage, welcher Teil der Leihgaben zunächst in Berlin bleibt und welche sofort nach Nigeria zurückgegeben werden, wird eine kuratorische Arbeitsgruppe entscheiden, aus beiden Ländern paritätisch besetzt. Ohne Zustimmung der nigerianischen Seite, so Hermann Parzinger, soll im Humboldt Forum keine Kunst aus Benin mehr gezeigt werden. „Aber dennoch, das finde ich wichtig, merken wir sehr klar von unseren nigerianischen Gesprächspartnern, dass sie auch wollen, dass Kunst aus Benin weiterhin in allen Museen weltweit gezeigt wird. Sie sind ja stolz auf ihre Kultur, auf dieses Erbe, auf diese herausragenden Zeugnisse des afrikanischen Kunstschaffens, und das zu zeigen, gehört zum Kanon der Weltkunst! Und wenn man dieses gemeinsame Interesse teilt, dann ist das schon mal eine gute Basis.“
Benin Bronzen - Skulpturen aus dem Königreich Benin hinter einer Vitrine bei einer Ausstellung.
Mehr als 1000 Benin-Bronzen gibt es in deutschen Museen. Bald sollen viele von ihnen restituiert werden. (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
An die 500 Kunstobjekte aus dem Königreich Benin befinden sich in Berlin. Rund 230 davon sollten ursprünglich im Humboldt Forum gezeigt werden – mit Blick auf die Debatte der jüngeren Zeit hat Kuratorin Verena Rodatus die Präsentation nun stark verkleinert und umrahmt: die gesamte Restitutionsdebatte über die Benin-Bronzen als „Ikonen der Raubkunst“ soll nachvollzogen werden – so wie sie in Deutschland, aber auch in Nigeria geführt wurde. Von den Bronzen wird nur ein kleines Konvolut einzelner Objekte gezeigt, die für die verschiedenen Perioden des historischen Königreichs Benin stehen. Dadurch soll eine kunstgeschichtliche Würdigung der Bronzen möglich werden, eine Wertschätzung - die bis in die Gegenwart hineinreicht. Kuratorin Verena Rodatus: „Ich glaube, das ist auch den nigerianischen Partnern sehr, sehr wichtig. Die waren begeistert von der Idee zu sagen: wir können ja diese sogenannten Neo-Benin-Objekte mit reinnehmen! Es gibt ja in Benin City die Egon Street, also die Bronzegießer gibt es ja heute noch: das find ich auf der Repräsentationsebene auch ganz, ganz wichtig eben zu sagen: das ist keine Kunst, die jetzt mit der Plünderung 1897 nicht mehr existiert vor Ort, sondern es gibt ja ein ganz lebendiges Weiterleben dieser Praktiken. Wie in ganz vielen anderen afrikanischen Kontexten.“

Großes Publikumsinteresse an den Ethnologischen Sammlungen

Das Publikumsinteresse an den Ethnologischen Sammlungen sei bisher stets sehr groß gewesen, so Verena Rodatus – und immer habe ein Thema im Mittelpunkt gestanden. „Wenn ich Führungen mache, finde ich es ganz spannend: die erste Frage ist immer: Geht das zurück? Oder ist das Raubkunst?  Also das Thema – und da versuchen wir dann auch immer anhand ausgewählter Objekte drauf einzugehen in den Führungen. Ich versuche aber gleichzeitig immer auch, die Ebene der Kunst und des Kunstschaffens mit reinzubringen, also, dass die Objekte eben nicht nur als Relikte der kolonialen Zeit in der Ausstellung stehen. Und das finde ich ganz interessant, weil das Interesse dann doch eigentlich noch mal geweckt wird – für die Zusammenhänge der Kunstgeschichte in Afrika – also, dass doch einfach auch viel Interesse da ist.“

Den Blick von Afrika verstehen

Die transkulturellen Beziehungen in Afrika und die Verbindungen zu anderen Kontinenten sichtbar machen – darum geht es Verena Rodatus. „Ich als Afrika-Kunstwissenschaftlerin würde eben auch wirklich sagen, die historischen Zusammenhänge, die Verflechtungsgeschichten gilt es aus Afrika heraus zu verstehen, eben nicht nur aus einer europäischen oder gar eurozentrischen Perspektive. Es ist sehr wichtig, wirklich diese Verflechtungsgeschichten zu erzählen und nicht wieder einem Stereotyp vom afrikanischen Kontinent als isolierten, ahistorischen, distanzierten (Kontinent) Vorschub zu leisten. Also von daher würde ich mir sehr wünschen, dass neben einer kritischen postkolonialen Provenienz-Forschung auch wirklich eine Kunstgeschichte Afrikas verstärkt wieder Einzug in den Diskurs erhält.“ 

Architektur hinderlich für große Ausstellungen

Ein grundlegendes Problem des Humboldt Forums ist allerdings, dass genau dieses ausführliche Darstellen größerer Zusammenhänge nur bedingt möglich ist. Errichtet wurde das Gebäude als wiederaufgebautes „Berliner Schloss“, über dessen Nutzung man sich sehr lange nicht einig war: Das barocke Stadtschloss sollte preußischen Glanz verbreiten, aber darüber hinaus auch  - nacheinander - alles Mögliche enthalten: eine Agora, die Berliner Landesbibliothek, ein Hotel, eine Shopping-Mall.  Die heutigen Räume der Ethnologischen Sammlungen waren ursprünglich nicht für Dauerausstellungen vorgesehen, große Teile des Humboldt Forums wurden in „Module“ aufgeteilt – für Ute Schüren, Kuratorin für den Bereich „Mittelamerika“ macht es das schwer, wenn nicht unmöglich, komplexe Themen auch wirklich angemessen darzustellen. „Das heißt, es gibt keine Erzählung, die man verfolgt, sondern man zeigt Ausschnitte, die jetzt aber den Eindruck erwecken, dass ganz viel fehlt, dass wir diesen Gesamtzusammenhang natürlich in einem solchen Modul oder in zwei oder drei Modulen nicht zeigen können. Insofern unterscheidet sich das natürlich auch von früheren Museen.“
Blick auf das wiederaufgebaute Berliner Stadtschloss mit dem Humboldt-Forum.
Geschichtsrevisionistische und antidemokratische Positionen soll der Großspender des Schloss-Wiederaufbaus in Berlin, Ehrhardt Bödecker, vertreten haben. (imago images / Hoch Zwei Stock / Angerer)
Solch architekturbedingte Schwierigkeiten finden sich viele im Humboldt Forum. Immer wieder hört man Klagen über zu hohe, zu lange, zu unförmige Räume, über ausladende Fensterfronten, die als solche nutzlos sind und mühsam abgehangen werden müssen. Technische Schwierigkeiten kommen hinzu, sie machten es zum Beispiel immer noch unmöglich, dem Luf-Boot eine umfangreiche „Gesamt-Darstellung“ zu widmen, den kolonialen Kontext liefern inzwischen Aufsteller, doch wirken sie nicht als Teil der Ausstellung, sondern eben „hinzugestellt“.

Widerspruch zwischen Barock-Fassade und einem „Museum der Weltkulturen"

Das Bemühen, Gesamtzusammenhänge darzustellen, ist mittlerweile unübersehbar, die Planungen suchen das  Multiperspektivische, zielen auf Austausch und Kooperation – doch „grundlegende Veränderungen“ werden sich noch hinziehen. Und auch der viel diskutierte Widerspruch zwischen äußerer Barock-Fassade und innerem „Museum der Weltkulturen“ wirkt nach, auch bei denen, die im Humboldt Forum arbeiten. Reihum ist ein gewisses Unbehagen spürbar, Andrea Scholz, Kuratorin unter anderem für Amazonien, spricht es direkt aus: „Also ich gebe Ihnen jetzt mal meine ehrliche Meinung, auch wenn die nicht politisch korrekt ist vielleicht: ich finde es anstrengend. Weil mich diese Schloss-Fassade einfach die ganze Zeit - und diese Hülle! – total irritiert. Ich persönlich bin zufrieden mit „meiner“ Ausstellung, finde, die Ausstellungsarchitektur ist ganz schön gelungen, ich freue mich auch auf die Eröffnung, aber so insgesamt habe ich das Gefühl, es ist jetzt einfach mal da, um mit Herrn Steinmeier zu sprechen, jetzt müssen wir mal schauen, was wir draus machen.“

Vier Akteure, die sich einigen müssen

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, formuliert es so: „Dieses Stadtschloss ist eine Hülle, die natürlich die Idee des Humboldt Forums konterkariert. Man muss sich dem ja jetzt quasi zur Wehr setzen, ja? Der Inhalt muss stärker als dieser ganze Beton drum herum mit diesen Stuck-Fassaden werden, und das ist ihm bisher nicht gelungen. Weil es künstlerisch eine enorme Herausforderung ist; es ist ihm aber auch nicht gelungen, weil es politisch letztendlich keine klare Struktur gibt.“

Denn nach wie vor gibt es vier Akteure im Humboldt Forum: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, eine Stiftung öffentlichen Rechts, getragen von Bund und Ländern, das Land Berlin sowie die Humboldt-Universität. Was sie tun, läuft zusammen in der Stiftung Humboldt Forum, die eine Stiftung privaten Rechts ist - wollte man sich für ein Projekt eine wirklich außerordentlich komplizierte Organisationsform ausdenken – man käme auf ein solches Modell.

„Alle mischen mit bei dem Inhalt und da gibt es einen Intendanten des Humboldt Forums, der aber keine Möglichkeit hat, auf diese verschiedenen Akteure letztendlich einzuwirken.  Also, wenn man sich das mal so richtig überlegt, ist das ja vollkommen verrückt.“ 

"Teil eines Experimentes"

Dieser Intendant ist Hartmut Dorgerloh. Die „Governance“ sei für alle neu, sagt er, keine der beteiligten Institutionen könne so arbeiten wie bisher, aber man verstehe sich: der Wille, gemeinsam etwas zu schaffen, sei da. „Das ist ja genau auch das Spannende, auch ein Stückweit Teil dieses großen Experiments Humboldt Forum: dass man hier eben nicht so eine zentrale Struktur hat, wo von oben der Generalintendant durchregiert, sondern der ist im Grunde genommen so eine Art Trainer und Chefdirigent, der kein eigenes Instrument spielt, aber sehen muss, dass es insgesamt zu einem guten Miteinander im Musizieren kommt – und manchmal braucht jemand auch mal ein Solo, und manchmal müssen wir alle hier tutti spielen.“

Deutsche Kulturrat will Generalintendanz

Dieser Meinung ist der Deutsche Kulturrat ausdrücklich nicht. Eine Arbeitsgruppe bereitet derzeit eine ausführliche Stellungnahme zum Humboldt Forum vor - für Olaf Zimmermann wird eine Frage entscheidend sein: „Wer hat in diesem Haus das Sagen? Und ich finde, wir haben in Deutschland gar keine so schlechte Tradition, dass wir sagen: Eine Intendantin oder ein Intendant auf Zeit haben die Möglichkeit, ein Haus zu gestalten. Ob das ein Museum ist oder ein Theater oder was auch immer, die gestalten das eine gewisse Zeit, dann können wir uns das wieder angucken, und wenn wir das gut finden, dann haben die nochmal eine gewisse Zeit und wenn das blöd war, dann wird ihr Vertrag nicht verlängert. Die Voraussetzung ist, dass man auch wirklich gestalten kann.“

Strukturelle Neuaufstellung

Umfassende Befugnisse einer Generalintendanz über das gesamte Programm des Humboldt Forums hält Olaf Zimmermann für unerlässlich, um dem Haus endlich „Leben einzuhauchen“. Dazu müsste das Humboldt Forum strukturell völlig neu aufgestellt werden, was wiederum eine Mammutaufgabe für alle Beteiligten wäre, auch für Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Sie hat im Januar in einem FAZ-Interview das Humboldt Forum als „Rohbau“ bezeichnet, ohne ihre Überlegungen oder gar Pläne zu konkretisieren. Dabei müssten die entscheidenden Impulse von ihr ausgehen.

Anmerkung der Redaktion: Zunächst hieß es im Teasertext, eine Generalintendanz würde die "Aufarbeitung beschleunigen", dem ist nicht so. Wir haben das geändert.